Definition und Begriffsklärung: Staatenlose
Staatenlose sind Personen, die von keinem Staat entsprechend dessen innerstaatlichen Rechts als dessen Staatsangehörige anerkannt werden. Die internationale rechtliche Definition findet sich in Artikel 1, Absatz 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 (Staatenlosenübereinkommen, StlÜbk). Staatenlosigkeit ist ein völkerrechtliches Problem mit weitreichenden Auswirkungen auf den Rechtsstatus, die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und den Zugang zu zahlreichen Grundrechten.
Ursachen der Staatenlosigkeit
Die Entstehung von Staatenlosigkeit kann auf verschiedene Umstände zurückgeführt werden:
Geburt
Staatenlosigkeit kann bereits bei der Geburt eintreten, wenn ein Kind von Eltern mit unterschiedlicher oder ungeklärter Staatsangehörigkeit abstammt und die Rechtsordnungen der beteiligten Staaten keine Übertragung der Staatsangehörigkeit vorsehen (Auseinanderfallen von Abstammungsprinzip und Territorialprinzip).
Verlust oder Aberkennung der Staatsangehörigkeit
Auch durch spätere Aberkennung oder den Verlust der Staatsangehörigkeit, beispielsweise durch Entlassung, Entzug oder Ausbürgerung infolge staatlicher Maßnahmen, kann Staatenlosigkeit entstehen. Unklare oder widersprüchliche Vorschriften beim Zerfall von Staaten (Staatensukzession) können ebenso zur Staatenlosigkeit führen.
Diskriminierung
Ethnische, religiöse oder politische Minderheiten sind häufig von Entrechtung und Staatenlosigkeit betroffen. Durch diskriminierende Gesetze und Praktiken werden diesen Gruppen Staatsangehörigkeiten systematisch verweigert.
Internationale Rechtsgrundlagen
Staatenlosenübereinkommen von 1954
Das grundlegende völkerrechtliche Vertragswerk zum Schutz Staatenloser ist das Staatenlosenübereinkommen der Vereinten Nationen von 1954. Es legt den Begriff der Staatenlosigkeit fest, garantiert Mindeststandards bezüglich des rechtlichen Status und verpflichtet die Vertragsstaaten, bestimmte Rechte zu gewährleisten, wie das Recht auf Arbeit, Bildung, Bewegungsfreiheit und Identitätsdokumente.
Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit (1961)
Dieses Übereinkommen verpflichtet Vertragsstaaten, Staatenlosigkeit möglichst zu verhindern und abzubauen, etwa durch großzügige Einbürgerungsregelungen und Kindereinbürgerung bei Geburt im Staatsgebiet.
Europäische Regelungen
Im europäischen Recht bestehen keine eigenen Konventionen zum Schutz Staatenloser, jedoch wirken sich die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die Genfer Flüchtlingskonvention sowie EU-Richtlinien auf den Status Staatenloser aus.
Rechte und Pflichten Staatenloser
Aufenthalt und Schutzstatus
Staatenlose besitzen keinen Pass und keine konsularische Vertretung. Im Aufenthaltsrecht vieler Länder – so auch in Deutschland (§ 25 AufenthG) – genießen Staatenlose oftmals einen besonderen Schutzstatus. Sie können unter Umständen als Flüchtlinge gelten und ähnliche Rechte beanspruchen.
Pass- und Ausweisdokumente
Nach Artikel 28 StlÜbk sind Vertragsstaaten verpflichtet, Staatenlosen Reisedokumente auszustellen, die vergleichbar mit nationalen Pässen sind. Die Ausstellung solcher „Staatenlosenpässe“ (Travel Document) erleichtert Auslandsreisen und den rechtlichen Nachweis der Identität.
Soziale und wirtschaftliche Rechte
Staatenlosen stehen nach den völkerrechtlichen Standards zentrale Menschenrechte zu, darunter Arbeitsschutz, Zugang zu Bildung, medizinische Versorgung und Rechtsschutz. Allerdings ist die praktische Umsetzung je nach Nationalstaat unterschiedlich ausgeprägt.
Staatenlosigkeit im deutschen Recht
Definition und Anerkennung
Das deutsche Recht folgt der völkerrechtlichen Definition: Staatenlos ist, wem keine Staatsangehörigkeit zugeordnet wird (§ 3 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist für die förmliche Feststellung der Staatenlosigkeit zuständig.
Erwerb und Einbürgerung
Deutschland ermöglicht die erleichterte Einbürgerung Staatenloser, insbesondere von im Bundesgebiet geborenen Kindern (§ 3 StAG; § 4 Abs. 3 StAG). Beim Nachweis von Staatenlosigkeit gelten erleichterte Voraussetzungen, um Kettendiskriminierungen und dauerhafte Staatenlosigkeit zu verhindern.
Rechtsschutz und Verfahrensrechte
Den betroffenen Personen ist umfassender rechtlicher Zugang zu gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Verfahren zu gewähren. Sie dürfen nicht allein wegen Staatenlosigkeit abgeschoben werden und haben ein Bleiberecht aus humanitären Gründen unter engen Voraussetzungen.
Staatenlosigkeit und Flüchtlingsrecht
Staatenlose und Flüchtlinge sind rechtlich zu unterscheiden. Während Flüchtlinge vor Verfolgung fliehen, fehlt Staatenlosen lediglich die Verbindung zu einer Nationalität. Beide Gruppen werden durch unterschiedliche internationale Abkommen geschützt (Staatenlosenübereinkommen vs. Genfer Flüchtlingskonvention). Dennoch können Staatenlose auch die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, wenn sie zusätzlich vor Verfolgung fliehen müssen.
Herausforderungen und praktische Auswirkungen
Staatenlose sind besonders von sozialer und wirtschaftlicher Marginalisierung bedroht. Sie können keine Reisedokumente beantragen, sind häufig von Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten ausgeschlossen und haben keinen Anspruch auf konsularischen Schutz.
Migration, Diskriminierung und Krisen (bspw. Staatenzerfall, Sezessionen) können die Zahl Staatenloser beeinflussen. Internationale und nationale Bemühungen zur Beseitigung und Verringerung der Staatenlosigkeit finden sich zunehmend in gesetzlichen Anpassungen und administrativen Verfahren.
Statistische Erfassung
Die tatsächliche Zahl Staatenloser ist schwer zu beziffern. Nach UN-Angaben waren im Jahr 2023 weltweit rund 4,4 Millionen Menschen registriert, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte.
Fazit
Staatenlosigkeit ist ein komplexes, grenzüberschreitendes Rechtsproblem mit gravierenden Auswirkungen auf die betroffenen Individuen und Gesellschaften insgesamt. Internationale und nationale Rechtsvorschriften zielen darauf ab, die Entstehung von Staatenlosigkeit zu verhindern, Staatenlose zu schützen und ihnen einen rechtlichen Status und möglichst weitreichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu garantieren. Das Thema bleibt ein dynamisches Feld der internationalen Menschenrechts- und Migrationspolitik.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechte haben Staatenlose nach internationalen Übereinkommen?
Nach internationalen Übereinkommen, insbesondere der Staatenlosen-Konvention von 1954 (UN-Konvention über die Rechtsstellung der Staatenlosen) und zum Teil der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, genießen Staatenlose einen besonderen rechtlichen Schutzstatus. Die Staatenlosen-Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Staatenlosen eine Reihe fundamentaler Rechte zuzugestehen. Dazu zählen unter anderem das Recht auf Identitätsausstellungspapiere und Reisedokumente („Travel Document“), das Recht auf Zugang zu Gerichten sowie Fairness beim Verwaltungsverfahren. Auch in Bereichen wie Arbeit, Sozialleistungen und Bildung ist vorgesehen, dass Staatenlose möglichst nicht schlechter behandelt werden als andere Ausländer – teilweise besteht sogar Gleichstellung mit Staatsangehörigen, etwa beim Zugang zu Grundschulbildung. Zudem gelten für Staatenlose in vielen Fällen Schutzmechanismen gegen Ausweisung und Abschiebung, wobei erhebliche menschenrechtliche Sicherungen greifen. Die Umsetzung und Ausgestaltung der Rechte kann sich jedoch von Staat zu Staat unterscheiden und hängt davon ab, wie konsequent die jeweiligen Länder die Konventionen in nationales Recht umgesetzt haben.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit jemand als staatenlos anerkannt wird?
Um als staatenlos anerkannt zu werden, muss festgestellt werden, dass eine Person von keinem Staat auf der Grundlage dessen Gesetze als Staatsangehörige betrachtet wird (vgl. Art. 1 Abs. 1 der Staatenlosen-Konvention). Die Prüfung erfolgt in einem Verwaltungsverfahren, das meist vom nationalen Ausländer- oder Einbürgerungsamt durchgeführt wird. Erforderlich ist zumeist, dass die Person selbst substanziiert nachweist, dass sie tatsächlich keine Staatsangehörigkeit besitzt; dazu werden persönliche Dokumente, Geburtsurkunden, frühere Aufenthaltsgenehmigungen und andere Nachweise geprüft. Zudem werden relevante Behörden sowie gegebenenfalls Auslandsvertretungen der mutmaßlichen Herkunftsstaaten angefragt, ob eine Staatsangehörigkeit besteht oder erlangt werden könnte. Die Beweislast liegt überwiegend bei der betroffenen Person, allerdings müssen die Behörden im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht eigenständig prüfen. Das Verfahren endet mit einem Bescheid, der entweder zur Ausstellung eines Identitätsdokuments für Staatenlose führt oder das Begehren ablehnt.
Welche Aufenthaltsrechte haben Staatenlose in Deutschland und der EU?
In Deutschland können anerkannte Staatenlose grundsätzlich eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 5 AufenthG erhalten, wenn deren Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist und keine Vertretung durch einen Heimatstaat besteht. Die Rechtsstellung als Staatenlose allein garantiert nicht automatisch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Das Bundesamt bzw. die Ausländerbehörden prüfen individuell, unter welchen Voraussetzungen ein humanitärer, völkerrechtlicher oder sonstiger Abschiebungsschutz gewährt wird. In anderen EU-Staaten bestehen ähnliche nationale Regelungen, häufig wird die Aufnahme und Integration von Staatenlosen durch humanitäre Schutzregelungen oder spezielle Regularisierungsverfahren erleichtert. Zusätzlich gibt es Vorgaben im EU-Recht, insbesondere in Bezug auf Gleichbehandlung und Zugang zu Leistungen (z.B. Richtlinie 2011/95/EU).
Können Staatenlose eine Einbürgerung beantragen?
Staatenlose haben in vielen Staaten – so auch in Deutschland – unter erleichterten Bedingungen die Möglichkeit, eine Einbürgerung zu beantragen. Nach §8 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) können Staatenlose eingebürgert werden, wenn bestimmte Integrationskriterien wie Aufenthaltsdauer, Straffreiheit und Lebensunterhaltssicherung erfüllt sind. Für junge Staatenlose besteht nach dem Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit die Pflicht, nach acht Jahren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts eingebürgert zu werden, sofern sie bis dahin nicht eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben. Auch Minderjährige, die im Inland geboren werden und von Geburt an staatenlos sind, haben nach §4 Abs. 3 StAG einen gesetzlichen Anspruch auf Einbürgerung, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen. International wird dieser Ansatz durch Art. 1 der Staatenlosen-Konvention und Art. 7 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes unterstützt.
Wie erfolgt die Ausstellung von Reisedokumenten für Staatenlose?
Die Staatenlosen-Konvention verpflichtet in Art. 28 die Vertragsstaaten, anerkannten Staatenlosen Reisedokumente auszustellen, sogenannte „Reiseausweise für Staatenlose“. Diese Dokumente erlauben grenzüberschreitende Reisen, ähneln in ihrer Form einem Pass und gelten jeweils für eine begrenzte Zeit, meist zwei Jahre. In Deutschland ist hierfür die Ausländerbehörde zuständig. Voraussetzung ist ein rechtmäßiger Aufenthalt und die nachgewiesene Staatenlosigkeit. Das Reisedokument schließt neben den Identitätsdaten gewöhnlich Angaben zu eventuellen Auflagen (z.B. Reiseeinschränkungen) ein und ist international anerkannt, sofern der Zielstaat Vertragspartei der Konvention ist. Diese Dokumente gewähren jedoch keine Staatsangehörigkeit und ermöglichen daher nicht grundsätzlich visumfreies Reisen.
Wie unterscheiden sich staatenlose Personen von Personen mit ungeklärtem Personenstand?
Rechtlich ist zu unterscheiden zwischen Staatenlosen im Sinne der Konvention (kein Staat betrachtet sie als eigene Staatsangehörige) und Personen mit ungeklärtem Personenstand, etwa solchen, deren Identität oder Staatsangehörigkeit aus unterschiedlichen Gründen nicht festgestellt werden kann oder für die aktuell keine hinreichenden Nachweise vorliegen. Personen mit unklarer Staatsangehörigkeit gelten solange formal nicht als Staatenlose, bis sämtliche Möglichkeiten einer Staatsangehörigkeit ausgeschlossen wurden. Für sie greifen daher auch nicht automatisch die Rechte und Schutzmechanismen der Staatenlosen-Konvention. Ein „ungeklärter Personenstand“ kann daher eine Vorstufe im Anerkennungsverfahren sein, führt aber nicht zwangsläufig zur rechtlichen Stellung als Staatenloser.
Unterliegen Staatenlose einer Ausweispflicht und Meldepflicht?
Staatenlose Personen unterliegen in Deutschland und vielen anderen Staaten grundsätzlich derselben Meldepflicht wie alle anderen Ausländer und Inländer. Auch für Staatenlose besteht die Verpflichtung, sich bei den zuständigen Meldebehörden anzumelden und Ausweispapiere mitzuführen, sofern sie ausgestellt wurden (z.B. der Reiseausweis für Staatenlose). Dies dient der Identitätsfeststellung, dem Schutz vor Abschiebung in Staatenlosigkeit und der Sicherung von Rechten. Bei Nichtbefolgung können die üblichen ordnungsrechtlichen Konsequenzen wie Verwarnungs- oder Bußgelder verhängt werden. Ebenso benötigen Staatenlose für die Aufnahme von Arbeit, die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen oder den Abschluss von Verträgen in aller Regel gültige Ausweis- bzw. Identitätsdokumente.