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Sozialwidrigkeit der Kündigung


Sozialwidrigkeit der Kündigung im deutschen Arbeitsrecht

Definition und Bedeutung

Die Sozialwidrigkeit der Kündigung ist ein zentraler Begriff des deutschen Arbeitsrechts, insbesondere im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Sie spielt eine maßgebliche Rolle bei der rechtlichen Überprüfung ordentlicher, betriebsbedingter, personenbedingter und verhaltensbedingter Kündigungen. Wird eine Kündigung als sozialwidrig eingestuft, ist sie nach § 1 KSchG unwirksam, sofern das Arbeitsverhältnis unter den persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fällt.

Rechtliche Grundlagen

Die rechtliche Grundlage für die Bewertung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung findet sich primär in § 1 KSchG. Dort ist geregelt, dass eine Kündigung dann sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam ist, wenn sie nicht durch Gründe, die im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist oder nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt werden kann, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen.

Persönlicher Geltungsbereich

Der Schutz vor sozialwidriger Kündigung greift für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis länger als sechs Monate besteht (§ 1 Abs. 1 KSchG) und wenn der Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (§ 23 KSchG).

Arten der Sozialwidrigkeit

Personenbedingte Kündigung

Sozialwidrigkeit bei einer personenbedingten Kündigung liegt vor, wenn das Arbeitsverhältnis aus Gründen beendet werden soll, die in der Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers liegen – etwa bei langanhaltender Krankheit oder fehlender Arbeitserlaubnis. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die eine dauerhafte Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nahelegen, und eine Weiterbeschäftigung mit anderer Arbeit auch unter zumutbaren Bedingungen nicht möglich ist.

Verhaltensbedingte Kündigung

Bei der verhaltensbedingten Kündigung steht das Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Vordergrund. Eine Kündigung aus diesem Grund ist sozial gerechtfertigt, wenn eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten vorliegt, die eine Weiterbeschäftigung unzumutbar macht. Vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung ist in der Regel eine Abmahnung notwendig.

Betriebsbedingte Kündigung

Dringende betriebliche Erfordernisse können eine Kündigung sozial rechtfertigen, wenn ein Arbeitsplatz infolge innerbetrieblicher oder außerbetrieblicher Ursachen dauerhaft entfällt. Es ist eine Interessenabwägung zwischen den wirtschaftlichen Belangen des Unternehmens und den sozialen Interessen des Arbeitnehmers vorzunehmen. Im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung müssen Arbeitgeber zudem eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchführen.

Sozialauswahl und ihre Bedeutung

Ein zentrales Element bei der Feststellung der Sozialwidrigkeit, insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen, ist die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG). Dabei sind die sozialen Gesichtspunkte Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung aller vergleichbaren Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Arbeitgeber sind verpflichtet, im Rahmen der Auswahlentscheidung die sozial am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer zu kündigen.

Kriterien der Sozialauswahl

  • Alter: Ältere Arbeitnehmer können besonderen Schutz genießen, da sie tendenziell schwieriger eine neue Stelle finden.
  • Betriebszugehörigkeit: Die Dauer der Betriebszugehörigkeit wird als Ausdruck der betrieblichen Verbundenheit und Treue gewertet.
  • Unterhaltspflichten: Arbeitnehmer mit Unterhaltsverpflichtungen, etwa für Kinder oder Ehepartner, werden bevorzugt im Betrieb gehalten.
  • Schwerbehinderung: Schwerbehinderte Menschen sind im Rahmen der Auswahl besonders zu berücksichtigen.

Ausnahmen von der Sozialauswahl

Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen, wenn deren Weiterbeschäftigung – etwa wegen spezieller Kenntnisse oder Leistungen – im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (sogenannte Leistungsträgerklausel).

Prüfung der Sozialwidrigkeit durch die Arbeitsgerichte

Im Rahmen einer Kündigungsschutzklage überprüft das zuständige Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass die Kündigung nicht sozialwidrig ist. Auf Antrag des gekündigten Arbeitnehmers beurteilt das Gericht, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist und ob die Interessen des Arbeitgebers die Sozialinteressen des Arbeitnehmenden überwiegen.

Rechtsfolgen einer sozialwidrigen Kündigung

Stellt das Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit einer Kündigung fest, ist diese unwirksam und das Arbeitsverhältnis besteht fort. Der Arbeitnehmer hat darüber hinaus Anspruch auf Weiterbeschäftigung. In Ausnahmefällen kann das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden, wenn eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar ist (§ 9 KSchG). In diesem Fall wird eine angemessene Abfindung zugesprochen.

Abgrenzung zu anderen Unwirksamkeitsgründen

Die Sozialwidrigkeit ist nur einer von mehreren möglichen Unwirksamkeitsgründen einer Kündigung. Daneben können formale Fehler, Verstöße gegen Sonderkündigungsschutz (Schwangere, Betriebsratsmitglieder, Schwerbehinderte) oder Tarifverträge zur Unwirksamkeit führen.

Fazit

Die Sozialwidrigkeit der Kündigung ist ein maßgeblicher Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Sie zielt darauf ab, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Belangen des Arbeitgebers und dem sozialen Schutz des Arbeitnehmers herzustellen. Die Sozialauswahl und konkrete Begründungspflichten stellen sicher, dass Kündigungen nicht willkürlich erfolgen und soziale Belange angemessen berücksichtigt werden.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
  • Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
  • Bundesarbeitsgericht (BAG), einschlägige Rechtsprechung zur Sozialwidrigkeit
  • Kommentierte Fachliteratur zum Kündigungsschutz
  • Veröffentlichungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zum Kündigungsschutz

Hinweis: Für die Bewertung und rechtliche Behandlung im Einzelfall empfiehlt sich die individuelle Prüfung unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung und maßgeblicher Tarif- sowie Betriebsvereinbarungen.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist eine Kündigung sozialwidrig?

Eine Kündigung gilt im arbeitsrechtlichen Kontext dann als sozialwidrig, wenn sie den Anforderungen des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht entspricht. Das bedeutet, dass eine ordentliche Kündigung aus Gründen, die nicht in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind, als sozial ungerechtfertigt anzusehen ist. Maßgeblich ist, dass der Arbeitgeber darlegen und beweisen muss, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Kündigung eine Interessenabwägung vornehmen, wobei insbesondere soziale Gesichtspunkte wie Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers berücksichtigt werden müssen. Nur wenn diese Anforderungen nicht beachtet werden, kann auf Antrag des Arbeitnehmers durch das Arbeitsgericht festgestellt werden, dass die Kündigung unwirksam ist.

Welche Rolle spielen soziale Gesichtspunkte bei der Bewertung der Sozialwidrigkeit?

Soziale Gesichtspunkte sind im Rahmen der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen von zentraler Bedeutung. Nach § 1 Abs. 3 KSchG muss der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten sowie eine eventuelle Schwerbehinderung angemessen berücksichtigen. Diese Merkmale sind gegeneinander und untereinander abzuwägen. Werden bei einer betriebsbedingten Kündigung soziale Auswahlkriterien nicht oder fehlerhaft berücksichtigt, kann die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit vom Arbeitsgericht für unwirksam erklärt werden. Eine Einzelfallprüfung ist stets erforderlich, da keine starren Regeln existieren, sondern stets alle relevanten Umstände zu gewichten sind.

Wie erfolgt die gerichtliche Überprüfung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung?

Wird eine Kündigungsschutzklage erhoben, prüft das Arbeitsgericht, ob die ausgesprochene Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Das Gericht untersucht, ob die angegebenen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründe tatsächlich vorliegen und von ausreichendem Gewicht sind, um die Kündigung zu rechtfertigen. Zudem wird kontrolliert, ob der Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung eine ordnungsgemäße Sozialauswahl vorgenommen hat. Das Gericht kann verlangen, dass der Arbeitgeber Belege für die angeblichen Kündigungsgründe und die Sozialauswahl liefert. Die Darlegungslast liegt in weiten Teilen beim Arbeitgeber. Liegen die Voraussetzungen des KSchG nicht vor, erklärt das Gericht die Kündigung für unwirksam und das Arbeitsverhältnis besteht fort.

Welche Nachweispflichten treffen den Arbeitgeber bei der Sozialwidrigkeit?

Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die sozialen Rechtfertigungsgründe einer ordentlichen Kündigung. Das umfasst sowohl die betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Rechtfertigung als auch die ordnungsgemäße Durchführung der Sozialauswahl im Falle einer betriebsbedingten Kündigung. Der Arbeitgeber muss konkrete Tatsachen substantiieren, die seine Entscheidung stützen, und wenn notwendig, entsprechende Dokumente und betriebliche Unterlagen vorlegen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer die Sozialauswahl beanstandet oder Zweifel an den angeführten Kündigungsgründen bestehen.

Können auch außerordentliche Kündigungen sozialwidrig sein?

Das Konzept der Sozialwidrigkeit bezieht sich vorrangig auf ordentliche Kündigungen im Sinne des KSchG. Bei außerordentlichen, also fristlosen Kündigungen, steht grundsätzlich die sogenannte wichtige Grund-Voraussetzung (§ 626 BGB) im Vordergrund; soziale Gesichtspunkte treten hier in den Hintergrund. Dennoch müssen im Rahmen einer Interessenabwägung auch persönliche und soziale Verhältnisse des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Beispielsweise kann ein langjähriges störungsfreies Arbeitsverhältnis oder eine bestehende Schwerbehinderung im Einzelfall gegen die sofortige Beendigung sprechen. Erfolgt die Interessenabwägung nicht ordnungsgemäß, kann auch eine außerordentliche Kündigung als unverhältnismäßig und damit unwirksam bewertet werden.

Welche Folgen hat die Feststellung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung?

Stellt das Arbeitsgericht fest, dass eine Kündigung sozialwidrig und somit nach dem KSchG unwirksam ist, hat dies zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis als ununterbrochen fortbestehend gilt. Der Arbeitnehmer hat Anspruch darauf, weiterbeschäftigt zu werden, und behält seinen Lohnanspruch. Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer Anspruch auf Nachzahlung des Arbeitsentgelts für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Kündigungsfrist und der gerichtlichen Feststellung haben. In bestimmten Fällen kann eine einvernehmliche Beendigung gegen Zahlung einer Abfindung vereinbart werden, was jedoch eines gesonderten Aufhebungsvertrages oder Vergleichs bedarf.

Welche Besonderheiten gelten bei der Sozialauswahl zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern?

Im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung ist die Sozialauswahl nur zwischen Arbeitnehmern vergleichbar, deren Arbeitsplätze austauschbar sind. Hierbei muss geprüft werden, welche Arbeitnehmer mit vergleichbaren Aufgaben in derselben betrieblichen Einheit beschäftigt sind. Die Auswahlentscheidung ist nur dann rechtlich überprüfbar, wenn der Arbeitnehmer geltend macht, dass bei der Sozialauswahl erhebliche Fehler vorliegen. Der Arbeitgeber hat einen gewissen Auswahlspielraum, der sich insbesondere aus innerbetrieblichen Bedürfnissen ergeben kann, sogenannte Leistungsträgerklausel. Die Rechtsprechung verlangt jedoch, dass diese Auswahlentscheidungen sachlich nachvollziehbar und dokumentiert sein müssen, damit eine fehlerhafte Sozialauswahl nicht zur Sozialwidrigkeit der Kündigung führt.