Begriff und Zielsetzung der Sozialen Erhaltungssatzung
Die Soziale Erhaltungssatzung ist ein Instrument des deutschen Städtebaurechts, das Gemeinden dazu dient, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in bestimmten Gebieten zu erhalten und zu schützen. Ziel ist es, soziale Verdrängung sowie unerwünschte Veränderungen in Stadtquartieren zu vermeiden, die durch Modernisierung, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder durch umfassende bauliche Veränderungen entstehen können. Die gesetzliche Grundlage findet sich in den §§ 172 bis 174 Baugesetzbuch (BauGB).
Gesetzliche Grundlagen der Sozialen Erhaltungssatzung
Regelung in den §§ 172 ff. BauGB
Die gesetzliche Basis für die Soziale Erhaltungssatzung bildet § 172 BauGB. Hiernach können Gemeinden durch Satzung Gebiete bestimmen, in denen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen einer besonderen Genehmigung bedürfen. Es handelt sich um eine sogenannte städtebauliche Erhaltungsverordnung.
§ 172 Absatz 1 BauGB
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann eine Soziale Erhaltungssatzung erlassen werden, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten, wenn dies durch städtebauliche Maßnahmen gefährdet ist. Die Gefährdung tritt insbesondere auf, wenn Mietwohnungen durch Modernisierungen für breite Bevölkerungsschichten nicht mehr bezahlbar sind oder durch Umwandlungen in Eigentum Mietverhältnisse gefährdet werden.
Abgrenzung: Erhaltungssatzungen gem. § 172 BauGB
Erhaltungssatzungen sind gemäß § 172 BauGB in zwei Haupttypen zu unterscheiden:
- Soziale Erhaltungssatzungen (sogenannte Milieuschutzsatzungen): fokussieren auf die Erhaltung der sozialen Struktur der Bevölkerung.
- Städtebauliche Erhaltungssatzungen: zielen auf das Ortsbild oder die städtebauliche Gestalt ab.
Der vorliegende Artikel thematisiert ausschließlich die sozialen Erhaltungssatzungen im Sinne des Milieuschutzes.
Voraussetzungen für den Erlass einer Sozialen Erhaltungssatzung
Gefährdungsprognose und Untersuchungen
Vor dem Erlass einer Sozialen Erhaltungssatzung ist eine Prognose erforderlich, dass ohne diese Regelung die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung durch bauliche Maßnahmen gefährdet ist. Dies erfordert regelmäßig sozialräumliche Untersuchungen und eine Analyse des Wohnungsmarktes im betroffenen Gebiet.
Satzungsgebiet
Das Geltungsgebiet der Satzung ist im Erlassverfahren eindeutig abzugrenzen und zu begründen. Gebietskulissen werden meist auf Grundlage von Sozialdaten, Bebauungsstruktur sowie Mietenentwicklungen bestimmt.
Genehmigungspflichtige Maßnahmen und deren Rechtsfolgen
Umfang der Genehmigungspflicht
Innerhalb eines durch Soziale Erhaltungssatzung bestimmten Gebiets bedürfen folgende Maßnahmen gemäß § 172 BauGB der vorherigen Zustimmung der Gemeinde:
Rückbau baulicher Anlagen
Änderung baulicher Anlagen (u.a. Modernisierung, Erweiterung, grundlegende Sanierung)
Nutzungsänderung von Wohnraum
Maßnahmen, die über eine bloße Instandhaltung hinausgehen, unterliegen grundsätzlich der Genehmigungspflicht.
Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen
Von erheblicher praktischer Relevanz ist § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB, wonach die teilungsrechtliche Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in sozialen Erhaltungsgebieten einer zusätzlichen Genehmigung bedarf.
Modernisierung und Luxussanierung
Genehmigungspflichtig sind Modernisierungen, die zur Erhöhung des Standards, insbesondere des Wohnniveaus, beitragen und zur Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsschichten führen könnten, beispielsweise der Einbau luxuriöser Ausstattungsmerkmale.
Genehmigungsvoraussetzungen und Prüfmaßstäbe
Die Gemeinde kann eine Genehmigung versagen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die beabsichtigte Maßnahme zu einer Verdrängung der angestammten Bevölkerung führt.
Versagungsgründe laut § 172 Abs. 4 BauGB
- Gefährdung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung durch die bauliche Maßnahme
- Keine berechtigten Interessen des Eigentümers, die im Einzelfall die Maßnahme rechtfertigen
Daneben ist eine Genehmigung dennoch zu erteilen, wenn eine Maßnahme zur Herstellung gesunder Wohnverhältnisse zwingend erforderlich ist oder wenn Maßnahmen zur Anpassung an den Stand der Technik unumgänglich sind.
Abwägung öffentlicher und privater Belange
Im Rahmen der Genehmigungsentscheidung ist eine sorgfältige Abwägung zwischen den Interessen der Erhaltung der Bevölkerungsschicht und den Rechten der Eigentümer vorzunehmen. Dies richtet sich nach den Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere nach Art. 14 GG (Eigentumsgarantie).
Besonderheiten beim Kauf und Verkauf von Immobilien im Geltungsbereich
Für Immobilienkäufer und -verkäufer ergeben sich durch die Soziale Erhaltungssatzung Besonderheiten:
- Bauliche Veränderungen sind nur mit Genehmigung ausführbar.
- Die Umwandlung in Eigentumswohnungen ist erschwert.
- Vorkaufsrechte zugunsten der Gemeinde bestehen teilweise zur weiteren Sicherstellung des Milieuschutzes (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB).
Rechtsschutz und Durchsetzung
Betroffene Eigentümer können gegen eine ablehnende Entscheidung der Gemeinde Widerspruch und anschließend Klage beim Verwaltungsgericht einlegen. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung erfolgt eine umfassende Kontrolle der Verhältnismäßigkeit sowie eine Überprüfung der Erhaltungsziele und Prognosen der Gemeinde.
Geltungsdauer, Aufhebung und Überprüfung
Eine Soziale Erhaltungssatzung kann befristet oder unbefristet erlassen werden. Sie ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen des § 172 BauGB entfallen, beispielsweise weil die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dauerhaft stabilisiert ist oder sich die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben.
Die Gemeinden überprüfen in regelmäßigen Abständen die Notwendigkeit und Geeignetheit bestehender sozialer Erhaltungssatzungen durch fortlaufende Evaluationen.
Bedeutung und Auswirkungen in der Praxis
Soziale Erhaltungssatzungen gewinnen insbesondere in angespannten Wohnungsmärkten in Großstädten oder stark nachgefragten urbanen Quartieren zunehmende Bedeutung. Sie dienen dazu, Gentrifizierungsprozesse abzumildern und die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen zu verhindern.
Gleichzeitig sind sie häufig Gegenstand wohnungspolitischer Debatten und rechtlicher Auseinandersetzungen über die Reichweite kommunaler Steuerungsinstrumente und die Grenzen des Eigentumsschutzes.
Literatur und Weblinks
Baugesetzbuch (BauGB): §§ 172-174 (gesetzliche Grundlagen)
Handbuch zum besonderen Städtebaurecht, Kapitel Soziale Erhaltungssatzung
Kommunale Satzungen und Leitfäden, abrufbar auf den Websites der jeweiligen Städte und Gemeinden
Zusammenfassung:
Die Soziale Erhaltungssatzung ist ein zentrales Instrument zur aktiven Steuerung des Wohnungsbestands durch Städte und Gemeinden. Ihre rechtlichen Vorgaben im Baugesetzbuch ermöglichen es, in definierten Gebieten bauliche Veränderungen und Umwandlungen zu regulieren, um die angestammte Bewohnerschaft vor sozialer Verdrängung zu schützen. Die Maßnahme stellt einen bedeutenden Baustein im Rahmen der kommunalen Wohnungspolitik dar, unterliegt jedoch hohen Anforderungen an Begründung, Umsetzung und Kontrolle.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Instrumente stehen den Gemeinden im Rahmen der Sozialen Erhaltungssatzung zur Verfügung?
Im Rahmen der Sozialen Erhaltungssatzung gemäß § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Baugesetzbuch (BauGB) stehen den Gemeinden verschiedene rechtliche Instrumente zur Verfügung, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in bestimmten Gebieten zu erhalten und Verdrängungsprozesse zu vermeiden. Zu den wichtigsten Instrumenten zählen das Umwandlungsverbot, das die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig macht (§ 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB), Genehmigungsvorbehalte für bauliche Veränderungen, Nutzungsänderungen und Rückbau gemäß § 172 Abs. 4 und § 173 BauGB, sowie die Möglichkeit, über ergänzende Vorschriften wie örtliche Gestaltungssatzungen oder Milieuschutzverordnungen strengere Vorgaben zur Substanzerhaltung oder Modernisierung zu verankern. Darüber hinaus können die Gemeinden eine detaillierte Prüfung und Begründungspflicht für jede beantragte Maßnahme verlangen. Auch im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen besteht eine erhöhte Kontroll- und Steuerungsmöglichkeit der Gemeinden, um den sozialen Schutz der Bestandsmieter zu gewährleisten.
Wie gestaltet sich das Genehmigungsverfahren bei baulichen Maßnahmen innerhalb eines sozialen Erhaltungsgebiets?
Das Genehmigungsverfahren für bauliche Maßnahmen im Geltungsbereich einer Sozialen Erhaltungssatzung ist durch eine doppelte Prüfstruktur gekennzeichnet. Zunächst müssen Antragsteller eine Baugenehmigung einholen, sofern diese bauordnungsrechtlich erforderlich ist. Zusätzlich ist jedoch eine spezielle Genehmigung nach dem besonderen Städtebaurecht einzuholen (§ 172 Abs. 4 BauGB). Die Gemeinde prüft im Rahmen des Erhaltungsrechts, ob durch die beabsichtigte bauliche Veränderung, Nutzungsänderung oder den Rückbau eine Gefährdung der sozialen Zusammensetzung oder eine wesentliche Änderung der Wohnverhältnisse gegeben wäre. Die Gemeinde kann die Genehmigung versagen, wenn die Maßnahme dazu führt, dass bestehende günstige Mietverhältnisse aufgehoben oder Umwandlungen in Eigentum ohne ausreichenden Bestandsschutz für die Mieter erfolgen würden. Darüber hinaus sind die Entscheidungskriterien eng an die intendierten Schutzziele der Satzung sowie an die einschlägige Rechtsprechung gebunden. Auch Fristen und Rechtsmittelmöglichkeiten (Widerspruch, Klage) sind einzuhalten.
Welche rechtlichen Einschränkungen gibt es für Vermieter bei Modernisierungen im Milieuschutzgebiet?
Ein Vermieter ist im Geltungsbereich einer Sozialen Erhaltungssatzung (Milieuschutzgebiet) besonderen rechtlichen Einschränkungen unterworfen, wenn er Modernisierungen plant. Grundsätzlich ist jede genehmigungspflichtige bauliche Maßnahme – insbesondere solche, die zur Luxussanierung (z. B. Einbau von Aufzügen, hochwertigen Ausstattungsmerkmalen, Grundrissänderungen) oder einer erheblichen Mieterhöhung führen könnten – von der Gemeinde zu prüfen und kann abgelehnt werden, wenn sie geeignet ist, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu gefährden. Die Gemeinde kann gemäß § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB die Genehmigung für bauliche Veränderungen verweigern, wenn zu erwarten ist, dass nach Durchführung der Maßnahme die Mieter nicht mehr in der Lage sind, die neuen Mieten zu zahlen oder wenn bauliche Standards geschaffen werden, die eine „Veredelung“ und damit Verdrängung begünstigen. Notwendige Instandsetzungen müssen hingegen regelmäßig genehmigt werden, um den Erhalt der Bausubstanz sicherzustellen.
Wie ist das Zusammenspiel zwischen sozialer Erhaltungssatzung und Mietrecht im Falle einer Eigenbedarfskündigung?
Die Soziale Erhaltungssatzung konkretisiert lediglich städtebauliche Anliegen und stellt kein direktes mietrechtliches Schutzinstrument dar. Dennoch hat sie mittelbaren Einfluss, insbesondere wegen des Umwandlungsverbots für Miet- in Eigentumswohnungen. Solange keine Umwandlung in Wohnungseigentum vorliegt, ist die Eigenbedarfskündigung nach § 573 BGB ausgeschlossen. Wurde eine Umwandlung dennoch genehmigt, gilt für Bestandsmieter die sogenannte Schonfrist nach § 577a BGB: Demzufolge ist eine Eigenbedarfskündigung durch den Erwerber innerhalb von drei Jahren nach Umwandlung (in einigen Bundesländern bis zu zehn Jahre) ausgeschlossen. Die Möglichkeiten des Vermieters zur Eigenbedarfskündigung werden somit durch die Sozialen Erhaltungssatzungen faktisch beschränkt, jedoch bleibt eine mietrechtliche Prüfung im Einzelfall stets notwendig.
Welche Voraussetzungen müssen für die Anwendung einer Sozialen Erhaltungssatzung rechtlich erfüllt sein?
Nach § 172 BauGB kann eine Soziale Erhaltungssatzung nur dann erlassen werden, wenn ein besonderes städtebauliches bzw. sozialpolitisches Erhaltungsinteresse besteht. Die Satzung muss durch ein förmliches Verfahren beschlossen werden, das unter anderem eine sorgfältige Bestandsaufnahme und eine fundierte soziale Erhebung (sog. Sozialstrukturuntersuchung) voraussetzt. Dabei wird geprüft, ob ein Verdrängungsdruck auf angestammte Bewohner besteht und ob bauliche Veränderungen zu einer sozial unerwünschten Veränderung der Bewohnerstruktur führen könnten. Der Beschluss über die Satzung ist mit einer schriftlichen Begründung zu versehen, die die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen darlegt und darlegt, warum eine Erhaltungssatzung erforderlich erscheint. Ferner muss das betreffende Gebiet im Zusammenhang bebaut sein und als Wohngebiet im Sinne des BauGB qualifiziert werden können.
Welche Rechtsmittel stehen Betroffenen gegen die Entscheidungen der Gemeinde zu?
Entscheidungen der Gemeinde im Rahmen der Sozialen Erhaltungssatzung – insbesondere die Ablehnung eines Antrags auf bauliche Veränderung, Rückbau oder Umwandlung – stellen Verwaltungsakte dar, gegen die den Betroffenen Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Zunächst kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Ablehnung Widerspruch bei der zuständigen Verwaltungsbehörde eingelegt werden. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, besteht ferner die Möglichkeit der Anfechtungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsverfahren richtet sich nach den jeweiligen landesrechtlichen Verwaltungsverfahrensgesetzen und der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich darauf, ob die Gemeinde das ihr eingeräumte Ermessen rechtmäßig ausgeübt und alle rechtlichen Vorgaben des BauGB sowie eventuell betroffener Landesgesetze eingehalten hat.