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Sicherungshaft

Begriff und Einordnung der Sicherungshaft

Sicherungshaft bezeichnet eine zeitlich begrenzte Freiheitsentziehung, die dazu dient, eine behördliche Maßnahme – in der Regel die Rückführung einer ausreisepflichtigen Person – tatsächlich durchführen zu können. Sie ist kein Strafvollzug und keine Strafe, sondern eine präventive Maßnahme zur Sicherung eines Verwaltungsverfahrens. Entscheidendes Merkmal ist der Zweckbezug: Die Haft darf ausschließlich angeordnet und aufrechterhalten werden, um eine konkrete behördliche Maßnahme zu ermöglichen oder zu sichern.

Abgrenzung zu anderen Formen der Freiheitsentziehung

  • Untersuchungshaft: Dient der Sicherung eines Strafverfahrens; Verdacht einer Straftat steht im Vordergrund.
  • Sicherungsverwahrung: Strafrechtliche Maßregel der Besserung und Sicherung nach einer Verurteilung, nicht an ein Verwaltungsverfahren geknüpft.
  • Polizeilicher Gewahrsam: Präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr, z. B. zum Schutz der öffentlichen Sicherheit; kein Bezug zu aufenthaltsrechtlichen Verfahren.
  • Sicherungshaft im Aufenthaltsrecht: Freiheitsentziehung zur Sicherung der Rückführung, Zurückweisung oder Zurückschiebung; Trennung von Strafhaft ist zwingend.

Zweck und rechtliche Leitgedanken

Die Sicherungshaft verfolgt das Ziel, behördliche Rückführungsmaßnahmen nicht ins Leere laufen zu lassen. Sie ist an strenge Voraussetzungen geknüpft, folgt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und stellt das mildeste geeignete Mittel in den Vordergrund. Der Freiheitsentzug ist nur zulässig, wenn er erforderlich ist und weniger einschneidende Alternativen nicht ausreichen. Grundlage bilden nationale Regelungen des Aufenthalts- und Verfahrensrechts sowie unionsrechtliche Vorgaben zum Umgang mit Rückführungen.

Bezug zum europäischen Recht

Unionsrechtliche Standards prägen Voraussetzungen, Dauer und Ausgestaltung der Sicherungshaft. Hervorgehoben werden dabei die Pflicht zur Prüfung milderer Mittel, die Trennung von Strafgefangenen, Schutzvorkehrungen für besonders schutzbedürftige Personen sowie die gerichtliche Kontrolle. Nationale Regelungen sind in diesem Rahmen auszulegen.

Voraussetzungen der Anordnung

Eine Sicherungshaft setzt voraus, dass eine behördliche Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung konkret geplant oder bereits angeordnet ist und ohne Freiheitsentziehung voraussichtlich scheitern würde. Kernpunkte sind:

Allgemeine Haftgründe

  • Konkrete Fluchtgefahr: Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass sich die betroffene Person der Rückführung entziehen könnte (z. B. Untertauchen, Täuschung über Identität).
  • Behinderung der Durchsetzung: Handlungen, die die Durchführung vereiteln oder erheblich erschweren (z. B. systematische Nichtbefolgung behördlicher Anordnungen).
  • Identitäts- oder Staatsangehörigkeitsklärung: Kurzzeitige Haft kann in Betracht kommen, wenn ohne gesicherte Identität eine Rückführung nicht möglich ist und andere Maßnahmen nicht ausreichen.

Besondere Konstellationen

  • Grenz- und Transitverfahren: An der Grenze kann Sicherungshaft in einem eng begrenzten Rahmen angeordnet werden, um eine Zurückweisung zu sichern.
  • Zurückschiebung nach unerlaubter Einreise: Haft kann der kurzfristigen Durchführung dienen, wenn ein unmittelbarer Vollzug geplant ist.
  • Abschiebung aus dem Inland: Die Haft ist auf den Zeitraum beschränkt, der zur Organisation und Durchführung notwendig ist.

Verfahren und Zuständigkeit

Sicherungshaft ist nur aufgrund einer richterlichen Entscheidung zulässig. Das Verfahren ist formalisiert und garantiert rechtliches Gehör und Transparenz.

Antragstellung und richterliche Entscheidung

  • Antrag der Behörde: Die zuständige Behörde stellt einen hinreichend begründeten Antrag, der konkrete Tatsachen und den Zweck der Haft darlegt.
  • Anhörung: Die betroffene Person wird persönlich angehört; Dolmetschen ist sicherzustellen, wenn erforderlich.
  • Begründungspflicht: Der Beschluss muss Tatsachen, Zweck, Haftdauer und Prüfung milderer Mittel nachvollziehbar wiedergeben.

Eilfälle

In zeitkritischen Konstellationen kann eine kurzfristige Entscheidung ergehen, die umgehend richterlich überprüft und, sofern nötig, angepasst oder aufgehoben wird.

Dauer, Überprüfung und Beendigung

Die Sicherungshaft ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Eine starre Höchstdauer kann je nach rechtlichem Rahmen bestehen; jedenfalls sind regelmäßige gerichtliche Überprüfungen vorgesehen.

Regelmäßige Kontrolle

  • Fortdauerprüfung: Der Haftzweck und die Erforderlichkeit sind fortlaufend zu prüfen.
  • Änderung der Umstände: Entfallen die Voraussetzungen, ist die Haft zu beenden.

Beendigungstatbestände

  • Durchführung der Rückführung.
  • Wegfall der Ausreisepflicht oder rechtliche Unmöglichkeit der Rückführung, die nicht der betroffenen Person zurechenbar ist.
  • Unverhältnismäßigkeit im Lichte neuer Umstände.

Rechte der betroffenen Personen

Die Freiheitsentziehung ist mit klaren Schutzrechten verknüpft, die der Wahrung der Menschenwürde und der effektiven Rechtskontrolle dienen.

Information und Kommunikation

  • Verständliche Information: Mitteilung der Gründe, des Zwecks und der voraussichtlichen Dauer in einer verständlichen Sprache.
  • Dolmetschen: Anspruch auf sprachliche Unterstützung für Verständnis und Wahrnehmung prozessualer Rechte.
  • Kontakt nach außen: Möglichkeiten zur Kommunikation mit Vertrauenspersonen und zur Benachrichtigung Dritter.

Rechtliche Vertretung und Anhörung

  • Beistand: Möglichkeit, sich vertreten zu lassen und Anträge zu stellen.
  • Persönliche Anhörung: Recht, vor Gericht gehört zu werden.

Besondere Schutzvorkehrungen

  • Minderjährige: Freiheitsentziehung kommt nur ausnahmsweise in Betracht; das Kindeswohl hat Vorrang. Unbegleitete Minderjährige genießen besonderen Schutz.
  • Familien: Einheit der Familie ist zu berücksichtigen; spezielle Unterbringungsstandards gelten.
  • Vulnerable Personen: Gesundheitszustand, Schwangerschaft, Traumatisierung und Behinderungen sind bei Anordnung und Vollzug zu berücksichtigen.

Gesundheit und Betreuung

  • Medizinische Versorgung: Zugang zu ärztlicher Betreuung und, soweit erforderlich, psychologischer Unterstützung.
  • Würde und Unversehrtheit: Schutz vor unangemessenen Eingriffen; besondere Bedarfe sind zu berücksichtigen.

Unterbringung und Haftbedingungen

Die Unterbringung erfolgt in dafür vorgesehenen Einrichtungen und ist strikt vom Strafvollzug zu trennen.

Trennung vom Strafvollzug

  • Eigenständige Einrichtungen: Unterbringung separat von Strafgefangenen.
  • Haftregime: Ausrichtung auf Verwaltungszweck, nicht auf Sühne oder Disziplinierung.

Standards des Vollzugs

  • Respektvolle Behandlung: Wahrung der Menschenwürde und Beachtung kultureller und religiöser Bedürfnisse.
  • Alltagsgestaltung: Möglichkeiten zu Bewegung, Aufenthalt im Freien und Zugang zu Informationen.
  • Privatsphäre: Schutz persönlicher Rückzugsräume im Rahmen des Sicherheitskonzepts.

Alternativen zur Sicherungshaft

Vor Anordnung der Haft sind mildere Mittel sorgfältig zu prüfen. Typische Alternativen sind:

  • Meldeauflagen: Regelmäßige Vorsprache bei Behörden.
  • Wohnsitzauflage: Verpflichtung, an einem bestimmten Ort erreichbar zu sein.
  • Sicherheitsleistung: Hinterlegung eines Geldbetrags zur Sicherung der Mitwirkung.
  • Abgabe von Reisedokumenten: Sicherstellung von Pässen oder Ausweisen.
  • Betreuungskonzepte: Strukturiertes Fallmanagement zur Unterstützung der freiwilligen Ausreise.

Rechtsmittel und Kontrolle

Die Sicherungshaft unterliegt gerichtlicher Kontrolle. Gegen Anordnung und Fortdauer stehen Rechtsmittel offen. Die gerichtliche Überprüfung erstreckt sich auf Zuständigkeit, Verfahren, Tatsachenfeststellung, Verhältnismäßigkeit und die Prüfung milderer Mittel.

Nachträgliche Kontrolle und Entschädigung

  • Rechtsschutz: Möglichkeit der Überprüfung durch höhere Instanzen und zeitnahe Kontrolle eilbedürftiger Maßnahmen.
  • Folgen rechtswidriger Haft: Kommt es zur Feststellung der Rechtswidrigkeit, kann ein Anspruch auf Wiedergutmachung oder Entschädigung in Betracht kommen.

Praktische Aspekte und typische Problemfelder

  • Organisatorische Hürden: Beschaffung von Reisedokumenten, Koordination mit Zielstaaten, Verfügbarkeit von Transporten.
  • Prognoseentscheidungen: Einschätzung der Fluchtgefahr erfordert konkrete Tatsachen; bloße Vermutungen reichen nicht.
  • Verlaufskontrolle: Haft ist fortdauernd an den Zweck gebunden; Verzögerungen dürfen nicht zulasten der betroffenen Person gehen, wenn sie nicht von ihr verursacht sind.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Sicherungshaft

Woran erkennt man, dass es sich um Sicherungshaft und nicht um Strafhaft handelt?

Entscheidend ist der Zweck: Sicherungshaft dient ausschließlich der Sicherung einer behördlichen Rückführungsmaßnahme. Sie wird durch ein Gericht auf Antrag der Behörde angeordnet und in getrennten Einrichtungen vollzogen. Ein strafrechtlicher Vorwurf ist nicht Voraussetzung.

Welche Voraussetzungen müssen für die Anordnung konkret vorliegen?

Es bedarf einer konkreten, zeitnah umsetzbaren Rückführungsmaßnahme, einer tatsächlichen Grundlage für Fluchtgefahr oder erhebliche Vereitelungsgefahr sowie der Feststellung, dass mildere Mittel nicht ausreichen. Zudem ist eine persönliche Anhörung vorgesehen.

Wie lange darf Sicherungshaft dauern?

Sie ist auf die kürzest mögliche Dauer beschränkt. Verlängerungen sind nur bei fortbestehendem Zweck und unveränderter Erforderlichkeit zulässig. Absolute Obergrenzen und regelmäßige Überprüfungen begrenzen die Haftzeit.

Müssen Familien oder Minderjährige in Sicherungshaft genommen werden?

Für Minderjährige gilt ein besonders strenger Maßstab; Freiheitsentziehung kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Bei Familien sind das Kindeswohl und die Einheit der Familie vorrangig zu berücksichtigen, mit speziellen Unterbringungsstandards.

Welche Rechte haben Betroffene während der Haft?

Sie haben Anspruch auf verständliche Information, Dolmetschen bei Bedarf, persönliche Anhörung, Möglichkeit der rechtlichen Vertretung, Kontakt zur Außenwelt, medizinische Versorgung und menschenwürdige Unterbringung getrennt vom Strafvollzug.

Gibt es Alternativen zur Sicherungshaft?

Ja. In Betracht kommen insbesondere Meldeauflagen, Wohnsitzauflagen, Sicherheitsleistungen, die Abgabe von Reisedokumenten sowie betreuungsorientierte Maßnahmen zur Unterstützung der freiwilligen Ausreise. Sie sind vorrangig zu prüfen.

Wie wird die Rechtmäßigkeit der Sicherungshaft überprüft?

Die Anordnung erfolgt durch ein Gericht nach persönlicher Anhörung. Gegen die Entscheidung bestehen Rechtsmittel. Zudem ist die Fortdauer regelmäßig zu überprüfen; bei Wegfall der Voraussetzungen ist die Haft zu beenden.