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Schwerbehinderung


Definition und Grundlagen der Schwerbehinderung

Der Begriff Schwerbehinderung bezeichnet einen rechtlich festgelegten Status für Personen, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung in ihrem körperlichen, geistigen oder seelischen Leistungsvermögen dauerhaft wesentlich eingeschränkt sind. In Deutschland wird von einer Schwerbehinderung gesprochen, wenn ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 vorliegt. Maßgeblich festgelegt sind die Kriterien und Verfahren zur Anerkennung einer Schwerbehinderung im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Für Betroffene bringt die Anerkennung als schwerbehinderte Person besondere Rechte und Nachteilsausgleiche mit sich, um Benachteiligungen im sozialen, beruflichen und gesellschaftlichen Leben auszugleichen.

Begriffserklärung: Schwerbehinderung

Formelle und laienverständliche Definition

Formell wird eine Person als schwerbehindert bezeichnet, wenn der für sie festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 beträgt und sie ihren Wohnsitz, Arbeitsplatz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 2 Absatz 2 SGB IX). Als Grad der Behinderung gilt eine auf sozialmedizinischen Gutachten beruhende Einschätzung, inwieweit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben infolge einer gesundheitlichen Schädigung beeinträchtigt ist.

Laienverständlich bedeutet Schwerbehinderung, dass eine gesundheitliche Einschränkung über das übliche Maß hinausgeht und die alltägliche Lebensführung sowie die Teilhabe am Arbeitsleben stark erschwert. Eine Behinderung wird erst dann als „schwer“ eingestuft, wenn diese Einschränkungen besonders gravierend sind und dies durch ein behördliches Feststellungsverfahren bestätigt wird.

Relevanz und Kontext des Begriffs

Der Status der Schwerbehinderung ist insbesondere im deutschen Sozialrecht von großer Bedeutung. Er schafft die Grundlage für besondere Schutzrechte, Unterstützungsleistungen und Nachteilsausgleiche. Sowohl im Arbeitsleben als auch im Alltag ist die gesetzliche Anerkennung als schwerbehinderte Person mit spezifischen Regelungen und Hilfestellungen verbunden, deren Ziel die Förderung von Chancengleichheit und Inklusion ist.

Rechtliche Grundlagen und Verfahren

Gesetzliche Vorschriften

Der Begriff Schwerbehinderung ist im deutschen Recht klar definiert. Zentrale Vorschriften und Gesetze sind:

  • § 2 SGB IX: Definition der Behinderung und Schwerbehinderung
  • §§ 68 ff. SGB IX: Rechte und Nachteilsausgleiche für schwerbehinderte Menschen
  • Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV): Regelungen zur Ausstellung des Ausweises
  • Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX): Gesamtheitlicher Rechtsrahmen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

Verfahren zur Feststellung einer Schwerbehinderung

Die Feststellung des Grades der Behinderung erfolgt durch die zuständigen Versorgungsämter oder Integrationsämter. Das Verfahren beginnt mit einem Antrag des Betroffenen. Im Anschluss werden ärztliche Unterlagen und Gutachten angefordert, um das Ausmaß der Beeinträchtigungen festzustellen. Erfolgt die Anerkennung, stellt die Behörde einen Schwerbehindertenausweis aus, der die Nachweispflicht gegenüber Dritten erfüllt.

Ablauf des Feststellungsverfahrens

  1. Antragstellung beim zuständigen Amt
  2. Einreichen von ärztlichen Befunden und Diagnosen
  3. Überprüfung und Bewertung durch sozialmedizinische Sachverständige
  4. Festsetzung des Grades der Behinderung (GdB)
  5. Erteilung des Schwerbehindertenausweises (bei GdB mindestens 50)

Grad der Behinderung (GdB)

Der Grad der Behinderung ist ein numerischer Wert zwischen 20 und 100, der in Zehnerschritten vergeben wird. Er beschreibt die Schwere der gesundheitlichen Einschränkung. Eine Schwerbehinderung liegt ab einem GdB von 50 vor. Der GdB wird anhand bundesweit gültiger Versorgungsmedizinischer Grundsätze festgelegt.

Typische Lebensbereiche und Anwendungsfelder

Schwerbehinderung im Arbeitsleben

Schwerbehinderte Menschen genießen im Berufsleben verschiedene besondere Schutzrechte. Diese finden sich vor allem in den Vorschriften des SGB IX, aber auch im Arbeitsrecht und Tarifrecht. Ziel ist es, die Integration und den Erhalt des Arbeitsplatzes sowie die berufliche Förderung zu sichern.

Zu den wichtigsten Regelungen zählen:

  • Sonderkündigungsschutz: Eine Kündigung ist nur mit Zustimmung des Integrationsamtes zulässig.
  • Zusätzlicher Urlaubsanspruch: Schwerbehinderte Beschäftigte erhalten mindestens fünf zusätzliche Urlaubstage pro Jahr (§ 208 SGB IX).
  • Beschäftigungspflicht für Arbeitgeber: Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, mindestens 5 % schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen (§ 154 SGB IX).
  • Anspruch auf behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung: Ein behinderungsgerechter, barrierefreier Zugang und Arbeitsplatz müssen gewährleistet sein.

Beispiel:
Eine Mitarbeiterin mit einem anerkannten GdB von 60 erhält einen zusätzlichen Urlaubsanspruch und kann bei Bedarf spezielle Hilfsmittel für die Ausübung ihrer Tätigkeit beantragen.

Schwerbehinderung im Alltag

Auch im Alltag profitieren schwerbehinderte Menschen von Nachteilsausgleichen, die ihnen Mobilität und Teilhabe erleichtern sollen. Dies betrifft:

  • Steuerliche Freibeträge: Nach § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) können schwerbehinderte Menschen bestimmte steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen.
  • Ermäßigungen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr: Unter bestimmten Voraussetzungen erhalten schwerbehinderte Menschen kostenlose oder ermäßigte Beförderung.
  • Sonderregelungen im Straßenverkehr: Die Parkerleichterungen für Menschen mit Schwerbehindertenausweis (Merkzeichen aG, Bl oder H) erleichtern das Parken und die Mobilität.
  • Ermäßigter Eintritt zu kulturellen Veranstaltungen: Viele öffentliche und private Einrichtungen räumen Menschen mit Schwerbehinderung Vergünstigungen ein.

Schwerbehinderung in der öffentlichen Verwaltung

Bei der Inanspruchnahme von Leistungen der öffentlichen Verwaltung, etwa bei der Beantragung von Sozialleistungen oder Fördermitteln, kann die anerkannte Schwerbehinderung ein maßgeblicher Faktor sein. Auch bei der Auswahl von Bewerbern für Ausbildungs- und Studienplätze werden schwerbehinderte Menschen bevorzugt berücksichtigt (§ 165 SGB IX).

Merkzeichen und Nachteilsausgleiche

Auf dem Schwerbehindertenausweis können verschiedene Merkzeichen vermerkt sein, die über bestimmte Berechtigungen entscheiden:

  • G: erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
  • aG: außergewöhnliche Gehbehinderung
  • H: Hilflosigkeit
  • Bl: Blindheit
  • Gl: Gehörlosigkeit
  • B: Notwendigkeit ständiger Begleitung

Diese Merkzeichen begründen weitere Rechte, etwa Parkerleichterungen oder Begleitpersonenregelungen.

Problemstellungen und Besonderheiten im Zusammenhang mit Schwerbehinderung

Im Zusammenhang mit Schwerbehinderung treten wiederholt Herausforderungen und Problemstellungen auf:

  • Anerkennungsverfahren: Die Feststellung des Grades der Behinderung ist mitunter komplex und zeitaufwendig. Nicht selten wird von Betroffenen das Gutachtensystem als undurchsichtig wahrgenommen.
  • Stigmatisierung und Diskriminierung: Trotz rechtlicher Schutzmechanismen kommt es im Arbeitsleben oder im Alltag zu Vorurteilen oder Benachteiligungen.
  • Umsetzung der Barrierefreiheit: Trotz gesetzlicher Vorschriften ist die tatsächliche Barrierefreiheit nicht überall gewährleistet, insbesondere im Bestand von Gebäuden und Infrastrukturen.
  • Informationsdefizite: Viele Betroffene und Arbeitgeber sind nicht umfassend über Rechte und Nachteilsausgleiche informiert.

Institutionen und Anlaufstellen

Umfassende Information und Unterstützung bieten verschiedene Institutionen:

  • Versorgungsämter/Integrationsämter: Zuständig für Anträge und Feststellungsverfahren
  • Schwerbehindertenvertretungen: Interessenvertretung der schwerbehinderten Menschen in Betrieben und Behörden
  • Agenturen für Arbeit: Beratung und Vermittlung in Beschäftigungsverhältnisse
  • Unabhängige Teilhabeberatungsstellen (EUTB): Beratungsangebote für Menschen mit Behinderung

Zusammenfassung und Bedeutung der Schwerbehinderung

Die Schwerbehinderung ist ein rechtlich klar definierter Zustand, der über die Zuerkennung spezieller Rechte und Nachteilsausgleiche den Ausgleich gesundheitlicher Nachteile zum Ziel hat. Die Voraussetzungen, Verfahren und Merkzeichen sind in den einschlägigen Vorschriften, insbesondere im SGB IX, geregelt. Der Status als schwerbehinderte Person kann für den Alltag, das Berufsleben und im Kontakt mit Behörden weitreichende Bedeutung haben. Die Anerkennung gewährleistet unter anderem Kündigungsschutz, steuerliche Vorteile, weitere Nachteilsausgleiche und den Zugang zu Förderungen.

Empfehlung: Für wen ist der Begriff besonders relevant?

Der Begriff Schwerbehinderung ist für folgende Gruppen besonders relevant:

  • Menschen mit dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen und ihre Angehörigen, die Unterstützung und Nachteilsausgleiche benötigen
  • Arbeitgeber, insbesondere im Zusammenhang mit beschäftigungspflichtigen Stellen und der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben
  • Personalverantwortliche, Sozialversicherungen und Behörden im öffentlichen Dienst
  • Beratungsstellen und Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung
  • Personen, die sich für Inklusion und Barrierefreiheit engagieren

Die sachgerechte Anwendung und Kenntnis der Bestimmungen zur Schwerbehinderung ist ein zentraler Bestandteil für die Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Deutschland.

Häufig gestellte Fragen

Was gilt in Deutschland als Schwerbehinderung und ab wann ist man schwerbehindert?

Als schwerbehindert gelten in Deutschland Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festgestellt wurde. Der GdB wird vom Versorgungsamt oder einer anderen zuständigen Behörde auf Basis ärztlicher Gutachten und vorhandener Befunde bestimmt. Dabei werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft begutachtet. Der GdB wird in Zehnerschritten von 20 bis 100 vergeben, wobei ab einem Wert von 50 die Voraussetzungen für die Anerkennung als schwerbehindert erfüllt sind. Eine Schwerbehinderteneigenschaft kann sowohl auf einer körperlichen, geistigen als auch einer seelischen Einschränkung basieren, oder auch eine Kombination daraus sein. Nach erfolgter Feststellung erhält die betroffene Person einen Schwerbehindertenausweis, der zur Inanspruchnahme verschiedener Nachteilsausgleiche berechtigt.

Wie stelle ich einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung?

Der Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung muss schriftlich bei der zuständigen Behörde, in der Regel dem Versorgungsamt oder dem Integrationsamt, gestellt werden. Das entsprechende Formular ist dort direkt erhältlich, oft aber auch im Internet auf den Webseiten der Behörden zum Download bereitgestellt. Der Antrag kann auch online gestellt werden. Dem Antrag sind aktuelle ärztliche Unterlagen, Befunde und eventuelle Krankenhausberichte beizufügen, die den gesundheitlichen Zustand möglichst umfassend dokumentieren. Die Behörde fordert mit Einverständnis des Antragstellers gegebenenfalls weitere medizinische Unterlagen bei behandelnden Ärzten oder Krankenhäusern an. Nach Prüfung aller Unterlagen entscheidet die Behörde, ob und mit welchem GdB eine Schwerbehinderung anerkannt wird.

Welche Vorteile habe ich mit einem Schwerbehindertenausweis?

Mit einem Schwerbehindertenausweis stehen den Betroffenen zahlreiche Nachteilsausgleiche und Vergünstigungen offen. Dazu gehören zum Beispiel zusätzlicher Kündigungsschutz am Arbeitsplatz, Anspruch auf zusätzliche Urlaubstage (mindestens fünf zusätzliche Arbeitstage pro Jahr bei einer Fünf-Tage-Woche), steuerliche Vorteile, bevorzugte Einstellung bei öffentlichen Arbeitgebern, sowie die Möglichkeit, Hilfen bei der beruflichen Teilhabe und Ausstattung des Arbeitsplatzes zu bekommen. Je nach Art und Umfang der Behinderung sowie vorhandener Merkzeichen auf dem Ausweis (z. B. G für eingeschränkte Mobilität, aG für außergewöhnliche Gehbehinderung oder H für Hilflosigkeit) können weitere Erleichterungen wie eine kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Parkerleichterungen oder Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht hinzukommen.

Was bedeuten die Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis?

Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis weisen auf bestimmte gesundheitliche Einschränkungen hin und berechtigen zu zusätzlichen Nachteilsausgleichen. Die wichtigsten sind:

  • G: erhebliche Gehbehinderung
  • aG: außergewöhnliche Gehbehinderung
  • B: Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson
  • H: Hilflosigkeit
  • Bl: Blindheit
  • Gl: Gehörlosigkeit
  • RF: Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht

Diese Merkzeichen werden individuell nach Prüfung durch die Behörde vergeben, wenn die entsprechenden medizinischen Kriterien erfüllt sind. Sie ermöglichen spezielle Rechte, wie z.B. Parkerleichterungen, unentgeltliche Beförderung im ÖPNV oder Anspruch auf Begleitpersonen.

Kann der Grad der Behinderung auch wieder aberkannt oder verändert werden?

Ja, der Grad der Behinderung ist nicht grundsätzlich dauerhaft festgelegt. Er kann auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen überprüft werden, vor allem wenn sich der Gesundheitszustand verbessert oder verschlechtert. Insbesondere bei zeitweiligen Behinderungen wird der GdB befristet festgesetzt und zum Ablauf des Befristungszeitraums überprüft. Bei einer erheblichen Änderung des gesundheitlichen Zustandes sollte der Betroffene selbst einen sogenannten Verschlimmerungsantrag bzw. Verbesserungsantrag stellen. Nach erneuter Prüfung können dann neue Feststellungen getroffen, also der GdB erhöht, gesenkt oder die Anerkennung ganz entzogen werden.

Welche Pflichten habe ich als schwerbehinderter Mensch gegenüber Behörden und Arbeitgeber?

Wer eine Schwerbehinderung hat, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitgeber oder andere Stellen ohne Anlass darüber zu informieren. Allerdings ist eine Offenlegung beim Arbeitgeber notwendig, wenn Rechte und Nachteilsausgleiche beansprucht werden sollen, wie z. B. zusätzlicher Urlaub oder besonderer Kündigungsschutz. Gegenüber den Behörden besteht die Pflicht, relevante Veränderungen im Gesundheitszustand mitzuteilen, beispielsweise bei Verbesserung der Behinderung. Zudem ist der Ausweis bei Eintritt der Unwirksamkeit (z.B. bei Ablauf, Wegfall der Schwerbehinderung) zurückzugeben. Werden unrechtmäßige Vergünstigungen in Anspruch genommen, kann dies zu Rückforderungen oder sogar strafrechtlichen Konsequenzen führen.

Was kann ich tun, wenn mein Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung abgelehnt wurde?

Wird ein Antrag ganz oder teilweise abgelehnt, haben Betroffene das Recht auf Widerspruch. Der Widerspruch muss schriftlich und innerhalb eines Monats nach Zugang des ablehnenden Bescheides bei der zuständigen Behörde eingelegt werden. In diesem sollte genau begründet werden, warum die Ablehnung aus Sicht des Antragstellers nicht rechtens war und wobei gegebenenfalls weitere medizinische Unterlagen nachgereicht werden. Hilfreich ist es, sich ärztlichen oder auch rechtlichen Beistand zu suchen, beispielsweise durch Sozialverbände, Behindertenbeauftragte oder Rechtsanwälte mit Schwerpunkt Sozialrecht. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, kann Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden.