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Schleierfahndung


Begriff und Bedeutung der Schleierfahndung

Die Schleierfahndung bezeichnet eine besondere Form der verdachtsunabhängigen polizeilichen Kontrolle, die insbesondere zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität, des unerlaubten Aufenthalts und zur Verhinderung anderer Straftaten eingesetzt wird. Sie findet vor allem im grenznahen Raum, aber zunehmend auch im gesamten Bundesgebiet Anwendung und stellt ein zentrales Instrument der inneren Sicherheit dar.

Die Begriffsbezeichnung „Schleierfahndung“ bezieht sich metaphorisch auf das „schleierartige“ Verteilen und Auftreten von Polizeikräften, die verdeckt, flexibel und außerhalb stationärer Kontrollstellen tätig werden. Diese Methode dient vorrangig der Überraschungsmoment- und Beweglichkeitsmaximierung gegenüber klassischen Grenzkontrollen.

Rechtsgrundlagen und gesetzliche Rahmenbedingungen

Bundesrechtliche Grundlagen

Die Schleierfahndung ist keine spezielle, eigenständige rechtliche Maßnahme, sondern basiert auf verschiedenen Vorschriften des öffentlichen Sicherheits- und Polizeirechts. Zentral für den Einsatz sind insbesondere folgende Rechtsgrundlagen:

a) Bundespolizeigesetz (BPolG)
Die Bundespolizei ist befugt, nach § 22 Absatz 1a BPolG im 30-Kilometer-Grenzraum zu anderen Schengenstaaten sowie in internationalen Verkehrsanbindungen (z.B. Flughäfen, grenzüberschreitender Bahnverkehr) verdachtsunabhängige Kontrollen zur Verhinderung oder Verfolgung illegaler Einreise oder zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität durchzuführen.

b) Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG) und Zollverwaltungsgesetz (ZollVG)
Dem Zoll werden zur Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs ebenfalls umfassende Kontrollbefugnisse eingeräumt.

Landesrechtliche Regelungen

Jedes Bundesland hat eigenständige Polizeigesetze, die sich an den Vorgaben des Grundgesetzes (insbesondere dem Schutz der Grundrechte) orientieren. Die rechtliche Ausgestaltung der Schleierfahndung variiert in den Ländern, erfolgt aber üblicherweise auf Grundlage spezieller Regelungen zu verdachtsunabhängigen Kontrollen, beispielsweise:

  • Artikel 13 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG)
  • § 12a Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)
  • § 27a Polizeigesetz Baden-Württemberg (PolG BW)

Diese Vorschriften gestatten ebenfalls außerhalb direkter Grenzregionen unter bestimmten Voraussetzungen die Identitätsfeststellung und Durchsuchung von Personen und Sachen in Fahndungsgebieten („Gefahrengebieten“ bzw. „Fahndungsräume“).

Vereinbarkeit mit europäischem Recht

Die Schleierfahndung steht in der Bundesrepublik Deutschland in unmittelbarem Zusammenhang zum Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ). Mit dem Wegfall der stationären Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum wurden den Schengen-Mitgliedstaaten flankierende polizeiliche Befugnisse eingeräumt (Art. 23 SDÜ).

Zentral ist hierbei, dass die Schleierfahndung kein Ersatz für systematische Grenzkontrollen darstellt und nur im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie dem freien Personenverkehr innerhalb der EU steht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigte in mehreren Entscheidungen die Zulässigkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen, solange diese keinen die Grenzkontrolle ersetzenden Charakter annehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C‐278/12).

Ablauf und Anwendungsrahmen der Schleierfahndung

Durchführung und Taktik

Die Schleierfahndung wird in zivil oder uniformiert auftretenden mobilen Fahndungseinheiten vorgenommen. Die Einsatzkräfte kontrollieren meist wechselnde Straßen, Verkehrsmittel oder öffentliche Orte, aber auch anlasslos verdächtig wirkende Personen, Fahrzeuge oder Gepäckstücke. Der Ablauf der Kontrolle orientiert sich an den gegebenen rechtlichen Vorgaben und unterliegt insbesondere dem Verbot willkürlicher Maßnahmen.

Kontrollbefugnisse

Die Polizei ist im Rahmen der Schleierfahndung befugt:

  • Identitätsfeststellungen vorzunehmen (§ 163b StPO, Ländergesetze)
  • Durchsuchungen von Personen und Sachen bei Gefahrenverdacht durchzuführen
  • Dokumente (z.B. Ausweise, Fahrzeugpapiere) zu kontrollieren
  • Kurzzeitige Festhaltungen bei nicht aufklärbarer Identität

Maßnahmen müssen stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, an den Grundrechten sowie datenschutzrechtlichen Vorgaben gemessen werden.

Rechtsschutz und Beschwerdemechanismen

Personen, die von Schleierfahndungsmaßnahmen betroffen wurden, steht der Rechtsweg offen. Insbesondere können sie eine Überprüfung der Maßnahme durch die Verwaltungsgerichte beantragen (z.B. Feststellungsklage nach § 43 VwGO), sofern nachträglicher Rechtsschutz geboten erscheint.

Rechtsgrundlegende Prüfungsmaßstäbe hierbei sind:

  • Wahrung des Willkürverbots
  • Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips
  • Schutz der Betroffenenrechte (insbesondere aus Art. 2, 11, 13 und 3 GG)

Gerichte haben wiederholt betont, dass die Auswahlkriterien der Kontrollierten nachvollziehbar und diskriminierungsfrei zu erfolgen haben.

Kritische Diskussionen und verfassungsrechtliche Aspekte

Eingriffe in Grundrechte

Die Schleierfahndung greift in mehrere Grundrechte ein, namentlich:

  • Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 GG)
  • Freizügigkeit (Art. 11 GG)
  • Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
  • Diskriminierungsverbot (Art. 3 GG)

Der Gesetzgeber und die Behörden müssen daher die Eingriffsintensität stets mit dem angestrebten Schutzzweck in Ausgleich bringen.

Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

Das Bundesverfassungsgericht hat die Schleierfahndung mehrfach bewertet und die besondere Notwendigkeit der Begrenzungen im Hinblick auf Willkürfreiheit, Transparenz und Effektivität der gerichtlichen Kontrolle herausgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1996, 2 BvR 1992/92).

Europäische Grundrechte

Neben nationalem Verfassungsrecht sind die Standards der Europäischen Grundrechtecharta (insbesondere Art. 7 und 8 GRCh) und der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten.

Schleierfahndung im internationalen Vergleich

Im deutschsprachigen Raum existieren vergleichbare Instrumente in Österreich und der Schweiz, wobei die konkreten rechtlichen Voraussetzungen und Verfahrensweisen je nach Land erheblich variieren. International wird die Schleierfahndung als Mittel zur Ergänzung wegfallender Grenzkontrollen angesehen.

Fazit

Die Schleierfahndung stellt ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung grenzüberschreitender sowie mobiler Kriminalität dar. Sie ist rechtlich ausführlich geregelt und an strenge Grundrechtsvorgaben und richterliche Kontrolle gebunden. Ihre Einführung und Durchführung bedürfen einer ständigen Balance zwischen effektiver Gefahrenabwehr und der Wahrung individueller Freiheits- und Persönlichkeitsrechte.


Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick zur Schleierfahndung. Er berücksichtigt sämtliche geltenden Rechtsgrundlagen und diskutiert wesentliche verfassungs- und europarechtliche Aspekte zur Orientierung im Sicherheits- und Polizeirecht.

Häufig gestellte Fragen

Ist die Schleierfahndung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar?

Die Schleierfahndung stellt einen schweren Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dar, da hierbei Polizeikräfte verdachtsunabhängige Kontrollen sowie das Sammeln personenbezogener Daten vornehmen können. Der Gesetzgeber hat diesen Eingriff in spezialgesetzlichen Regelungen, wie etwa § 22 Bundespolizeigesetz (BPolG) oder Art. 13 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (BayPAG), normiert und hierbei Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung müssen Art, Zweck und Umfang der Datenerhebung klar bestimmt, der Kreis der betroffenen Personen begrenzt und die Maßnahme einem legitimen Zweck dienen – etwa dem Schutz der öffentlichen Sicherheit oder der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. Ferner sind Verhältnismäßigkeitsprinzip und Transparenz sicherzustellen. In einigen Entscheidungen, beispielsweise zum Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (BVerfG, 2022), hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos gewährt wird, aber die Anforderungen an die Normenklarheit und die Begrenzung von Eingriffen hoch sind.

Dürfen Schleierfahndungen flächendeckend durchgeführt werden?

Die Durchführung der Schleierfahndung ist grundsätzlich nicht flächendeckend im gesamten Bundesgebiet zulässig. Gesetzliche Grundlagen sehen vielmehr eine örtliche und sachliche Begrenzung vor. Im Bundespolizeigesetz etwa ist das Instrument auf einen 30-Kilometer-Grenzstreifen, internationale Flughäfen und grenzüberschreitende Bahnlinien beschränkt. In Landespolizeigesetzen befinden sich vergleichbare Regelungen, die meist kriminogene Orte und Gefahrengebiete oder Orte mit erfahrungsgemäßem erhöhtem Kriminalitätsaufkommen benennen. Die Rechtsprechung verlangt auch hier eine ausreichend bestimmte Abgrenzung. Flächendeckende, anlasslose Kontrollen wären mit dem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar und wurden von der Rechtsprechung als unverhältnismäßig eingestuft.

Können Betroffene sich rechtlich gegen Maßnahmen der Schleierfahndung wehren?

Betroffene haben die Möglichkeit, sich gegen Maßnahmen der Schleierfahndung mit den Rechtsbehelfen des Verwaltungsrechts zu wehren. Dies können insbesondere Widerspruch und Anfechtungsklage sein, sofern es um administrative Maßnahmen wie Identitätsfeststellungen oder Durchsuchungen geht. Ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits vollzogenen Maßnahme ist ebenfalls möglich. Wurden durch die Schleierfahndung grundrechtliche Positionen verletzt, besteht zudem die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen. In jedem Fall muss dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (Fortsetzungsfeststellungsklage) Rechnung getragen werden, insbesondere wenn sich die Maßnahme kurzfristig erledigt hat, aber typischerweise wiederholt werden kann.

Welche datenschutzrechtlichen Vorgaben müssen beachtet werden?

Bei der Durchführung einer Schleierfahndung muss die Polizei die datenschutzrechtlichen Vorschriften, insbesondere das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und die jeweils geltenden Landesdatenschutzgesetze, einhalten. Dies betrifft vor allem die Zweckbindung der erhobenen Daten, deren Löschung nach Zweckerreichung sowie die Transparenz- und Auskunftspflichten gegenüber den Betroffenen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist nur zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erlaubt und unterliegt strengen Dokumentations- und Prüfpflichten. Die Betroffenen haben – außer bei Gefahr für die öffentlichen Belange oder die Aufgabenerfüllung der Polizei – ein Recht auf Auskunft über die gespeicherten Daten (vgl. Art. 15 DSGVO sowie § 57 BDSG). Verstöße gegen diese datenschutzrechtlichen Vorgaben können im Einzelfall zu einem Beweisverwertungsverbot führen.

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit eine Schleierfahndung durchgeführt werden darf?

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Schleierfahndung unterscheiden sich je nach Bundesland und je nachdem, ob Bundes- oder Landespolizei handelt. Grundsätzlich ist aber ein konkreter Anhaltspunkt für eine Gefahr nicht erforderlich – es handelt sich um eine verdachtsunabhängige Kontrolle. Nach § 22 BPolG beispielsweise ist eine Kontrolle im definierten Grenzbereich sowie an Verkehrswegen gestattet, „soweit dies zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise“ oder zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität erforderlich ist. Allerdings muss die Maßnahme verhältnismäßig sein; das heißt, es darf kein milderes Mittel zur Zweckerreichung bestehen, und die Kontrolle muss nach Ermessen objektiver Tatsachen erfolgen, nicht willkürlich oder diskriminierend. Zusätzlich können restriktive behördlich-interne Richtlinien einer ausufernden Praxis vorbeugen.

Wie grenzt sich die Schleierfahndung von der klassischen verdachtsabhängigen Kontrolle ab?

Während bei der klassischen polizeilichen Kontrolle (z.B. nach § 163b StPO) wenigstens ein konkreter Verdacht oder Anlass (Gefahr im Verzug, Anfangsverdacht) bestehen muss, ist die Schleierfahndung gerade als verdachtsunabhängige Maßnahme konzipiert. Diese liegt vor, wenn die Polizei Personen kontrolliert, ohne dass im Einzelfall bestimmte Hinweise auf eine Straftat oder konkrete Gefahr bestehen. Dies stellt einen grundlegenden Unterschied dar, weshalb der Gesetzgeber besonders enge rechtsstaatliche Grenzen und Prüfmechanismen für die Schleierfahndung vorgesehen hat, etwa hinsichtlich des Umfangs, der Dauer und der zulässigen Kontrollorte. Die Rechtsprechung misst dem Umstand, dass es sich um eine verdachtsunabhängige Maßnahme handelt, ein hohes Gewicht bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei.