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Schifffahrtsgerichte


Begriff und Definition: Schifffahrtsgerichte

Schifffahrtsgerichte sind spezielle Spruchkörper, die für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Binnenschifffahrt und der Seeschifffahrt zuständig sind. Die Regelungen hinsichtlich ihrer Zuständigkeit, Organisation und Verfahrensweise ergeben sich insbesondere aus der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO), dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (BinSchG) und dem Gesetz betreffend das Verfahren in Seeschifffahrtssachen (SeeSchfVerfG). Schifffahrtsgerichte haben eine zentrale Bedeutung in der gerichtlichen Auseinandersetzung von Ansprüchen und Rechtsverhältnissen, die im Kontext der Schifffahrt entstehen.


Historische Entwicklung

Die Entwicklung der Schifffahrtsgerichte ist eng mit dem Aufkommen der gewerblichen Binnenschifffahrt und der Seeschifffahrt verbunden. Bereits vor der Kodifizierung des modernen deutschen Zivilprozessrechts existierten besondere Zuständigkeiten und Verfahren für Schifffahrtssachen. Ziel war es, der Komplexität und den internationalen Bezügen von Schifffahrtsangelegenheiten durch spezialisierte Zuständigkeit zu begegnen.


Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte

Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte folgt den Regelungen in §§ 1 ff. BinSchG für Binnenschifffahrtssachen und §§ 1 ff. SeeSchfVerfG für Seeschifffahrtssachen. Sie umfasst insbesondere Streitigkeiten, die aus der Nutzung von Binnenschiffen oder Seeschiffen, aus Transportverträgen, Kollisionen, Bergung, Havarien und Anrechten aus Schiffshypotheken sowie Schiffsregistersachen entstehen.

Binnenschifffahrtsgerichte

Diese sind insbesondere für:

  • Ansprüche aus der Führung und dem Betrieb von Binnenschiffen (Beförderungsverträge, Demurrage, Schadensersatz für Kollisionen)
  • Ansprüche im Zusammenhang mit dem Verhalten auf Wasserstraßen (z. B. Binnenschifffahrtsstrassen-Ordnung)
  • Bergungs- oder Havarie-Ansprüche auf Binnengewässern

zuständig.

Seeschifffahrtsgerichte

Die Seeschifffahrtsgerichte sind zuständig bei:

  • Seeunfällen und Kollisionen auf hoher See und in Küstengewässern
  • Schiffsgläubigerrechten, Schiffshypotheken und Arrests im Seehandelsrecht
  • Streitigkeiten aus dem Seefrachtvertrag, Seewarenversicherung oder Haverei

Örtliche Zuständigkeit

Örtlich sind gemäß § 18 BinSchG und § 6 SeeSchfVerfG bestimmte Amtsgerichte sowie in zweiter Instanz bestimmte Landgerichte für Schifffahrtssachen zuständig. Die Auswahl orientiert sich in der Regel am Heimatort des Schiffes, dem Ort des Unfalls oder dem Sitz des Reedereiunternehmens.


Organisation der Schifffahrtsgerichte

Schifffahrtsgerichte sind organisatorisch an bestehende Gerichte angegliedert, meist an ausgewählte Amtsgerichte. Sie sind mit richterlichen Beamten sowie mit ehrenamtlichen Richtern, die über besondere Kenntnisse in der Schifffahrt verfügen, besetzt.

Besetzung

In der ersten Instanz entscheidet regelmäßig ein Spruchkörper aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern, die maritime Sachkunde besitzen. Für Berufungsverfahren ist gemäß §§ 28 ff. BinSchG das Landgericht zuständig.

Verfahrenssprache

Verfahrenssprache ist grundsätzlich Deutsch. In bestimmten Konstellationen, etwa bei internationaler Beteiligung, können Übersetzungen erforderlich werden.


Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Das Verfahrensrecht für Schifffahrtsgerichte weist einige Besonderheiten auf:

Arrest und Zwangsvollstreckung

In Schifffahrtssachen spielt der Arrest großer Rolle, etwa zum Zweck der Sicherung von Ansprüchen gegen ein Schiff im Hafen. Die Voraussetzungen für Arrest und Zwangsvollstreckung sind in den §§ 917 ff. ZPO und den einschlägigen Sondergesetzen geregelt. Besonders der Schiffszwangsvollstreckung und der Pfändung von Schiffen kommt praktische Bedeutung zu.

Besondere Beweisregeln

Das Verfahren ist oft durch technische und nautische Sachverhalte geprägt, weshalb Sachverständigengutachten, Zeugen aus der Schifffahrt und Schiffsakten eine große Rolle spielen. Die Beweisaufnahme ist darauf ausgerichtet, anspruchsvolle Tatsachenermittlungen auf ein praxisgerechtes Maß zu beschränken.

Anerkennung und Vollstreckung internationaler Entscheidungen

Durch die internationale Struktur der Schifffahrt kommt der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel (z.B. nach Brüssel I-VO oder dem New Yorker Übereinkommen) große Bedeutung zu. Die jeweiligen Verfahren richten sich nach dem autonomen sowie supranationalen Recht.


Gesetzliche Grundlagen

Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen für Schifffahrtsgerichte in Deutschland sind:

  • Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), insbesondere §§ 96 ff. (ordentliche Gerichtsbarkeit)
  • Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere Regelungen zu Zuständigkeiten, Arrest und Zwangsvollstreckung
  • Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (BinSchG)
  • Gesetz betreffend das Verfahren in Seeschifffahrtssachen (SeeSchfVerfG)
  • Seehandelsgesetz (HGB, Vierter Abschnitt)

Bedeutung der Schifffahrtsgerichte

Angesichts der hohen praktischen Relevanz von Schifffahrtsgeschäften, insbesondere im Transport- und Logistiksektor, nehmen Schifffahrtsgerichte eine zentrale Stellung im Rechtsschutz der Branche ein. Sie gewährleisten die fachkundige Beurteilung maritimer Sachverhalte ebenso wie die schnelle und effiziente Durchsetzung spezifischer schifffahrtsrechtlicher Ansprüche.


Internationale Bezüge

Aufgrund der grenzüberschreitenden Bedeutung von Schifffahrt haben Schifffahrtsgerichte eine Schnittstelle zum internationalen Zivilverfahrensrecht. Häufig erfolgen die Verhandlungen unter Anwendung internationalen oder ausländischen Rechts, beispielsweise bei Verträgen mit Auslandsbezug oder bei ausländischen Schiffsregistern. Kollisionsrecht und internationales Privatrecht sind hierbei von wesentlicher Bedeutung.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Thomas Rauscher, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, aktuelle Auflage
  • Heinz Wüstenberg, Seehandelsrecht (Erklärung und Kommentierung zu Schifffahrtsgerichten)
  • BeckOK BinSchG/SeeSchfVerfG (Online-Kommentar)

Fazit

Schifffahrtsgerichte sind spezialisierte Spruchkörper der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten in der Binnenschifffahrt und Seeschifffahrt. Sie zeichnen sich durch spezifische sachliche und örtliche Zuständigkeit, besondere Verfahrensregeln sowie durch internationalen Bezug aus. Die gesetzliche Ausgestaltung stellt sicher, dass komplexe maritime Sachverhalte unter effizienter Berücksichtigung der praktischen Anforderungen beurteilt werden. Das Schifffahrtsgericht bietet somit einen fachkundigen und spezialisierten Rechtsschutz in allen Angelegenheiten der Schifffahrt.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist bei Schifffahrtsgerichten zur Klage zugelassen?

Bei Schifffahrtsgerichten sind grundsätzlich alle natürlichen und juristischen Personen klagebefugt, soweit sie ein rechtliches Interesse in einer streitigen schifffahrtsbezogenen Angelegenheit geltend machen können. Dazu zählen insbesondere Reeder, Schiffsführer, Frachtführer, Vercharterer, Versicherer, Makler, aber auch Passagiere und sonstige Anspruchsberechtigte. Im internationalen Kontext sind häufig auch ausländische Parteien beteiligt, da viele Streitigkeiten im Seehandel internationales Bezugsmoment aufweisen. Bei Streitigkeiten, die im Zusammenhang mit der gewerblichen Schifffahrt stehen, schließt die Klagebefugnis regelmäßig auch solche Unternehmen ein, die mittelbar von schifffahrtsrechtlichen Vorgängen betroffen sind, z.B. Hafenbetreiber oder Logistikdienstleister. Entscheidend ist dabei stets das Vorliegen eines eigenen schutzwürdigen rechtlichen Interesses an der Entscheidung im jeweiligen Einzelfall.

In welchen Fällen sind Schifffahrtsgerichte zuständig?

Schifffahrtsgerichte sind für sämtliche Rechtsstreitigkeiten zuständig, die einen unmittelbaren maritimen Bezug aufweisen. Dazu gehören insbesondere Streitigkeiten aus Kollisionen auf See, Ansprüchen aus Bergung, Wrackbeseitigung, Havarie Grosse, Fracht- und Passagierbeförderung, Schiffsfinanzierungen, Schiffshypotheken und Seeversicherungen sowie öffentlich-rechtliche Fragen wie Fixierung der Flaggenzugehörigkeit oder Kapitänsangelegenheiten. Auch Fälle von Meeresumweltverschmutzung, Ordnungswidrigkeiten und strafrechtliche Sachverhalte im Zusammenhang mit der Führung und Bewirtschaftung von Schiffen können unter die Zuständigkeit fallen. Die spezifische sachliche und örtliche Zuständigkeit ist dabei regelmäßig im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und spezialgesetzlich, etwa im Binnenschifffahrtsgesetz (BinSchG) bzw. im Seerechtsübereinkommen geregelt.

Welche Verfahrensbesonderheiten gelten vor Schifffahrtsgerichten?

Das Verfahren vor Schifffahrtsgerichten ist durch mehrere Besonderheiten geprägt. Es herrscht ein beschleunigtes Verfahren, um rasche Entscheidungen bei zeitkritischen Seehandelsstreitigkeiten zu gewährleisten. Die Gerichte sind regelmäßig mit Fachleuten aus der Schifffahrtswirtschaft besetzt, die als ehrenamtliche Richter („Schifffahrtsrichter“) zugezogen werden. Ferner sind Beweismittel wie Seeprotokolle, Logbücher und internationale Urkunden von besonderer Bedeutung, und es besteht oft eine Pflicht zur Vorlage bestimmter schifffahrtsbezogener Nachweise. Gerichtssprache ist grundsätzlich Deutsch, wobei häufig – insbesondere bei internationalen Fällen – Dolmetscher eingesetzt werden. Im Kollisionsverfahren treten häufig Sachverständige in Seehandel und Nautik hinzu, um technische Details zu beurteilen.

Unterliegen die Urteile eines Schifffahrtsgerichts der Berufung?

Die Urteile der Schifffahrtsgerichte unterliegen – wie andere gerichtliche Entscheidungen – grundsätzlich dem Instanzenzug, das heißt, sie können mit Rechtmitteln wie Berufung (bei Zivilstreitigkeiten) oder Revision (bei Strafsachen) angefochten werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Berufung ist meist an das nächsthöhere Landgericht bzw. Oberlandesgericht zu richten, und im Einzelfall kann das Verfahren bis vor den Bundesgerichtshof gelangen. Das Berufungsgericht prüft sowohl die Tatsachen als auch die Rechtslage, legt aber besonderes Augenmerk auf die maritime Praxis und kann ebenfalls sachverständige Schifffahrtsrichter hinzuziehen. In internationalen Angelegenheiten können zudem internationale Schiedsgerichte angerufen werden, sofern entsprechende Schiedsklauseln vereinbart wurden.

Welche Rechtsquellen kommen vor Schifffahrtsgerichten zur Anwendung?

Schifffahrtsgerichte wenden, je nach Streitgegenstand, eine Vielzahl von Rechtsquellen an. Im Vordergrund stehen das Handelsgesetzbuch (HGB) – insbesondere das Seehandelsrecht (§§ 476 ff.), das Binnenschifffahrtsgesetz (BinSchG), das Seesicherheitsgesetz (SeeSG) und spezifische internationale Übereinkommen wie das Internationale Übereinkommen von Brüssel über die Begrenzung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen. Hinzu treten beispielsweise das Seerecht der Vereinten Nationen (UNCLOS), die Regelungen über Seeversicherung und internationale Kollisionsverhütungsregeln. Bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten sind neben nationalem Recht ggf. direkt geltende EU-Verordnungen und sonstige völkerrechtliche Regelungen zu beachten.

Wie ist die Zusammensetzung der Schifffahrtsgerichte geregelt?

Schifffahrtsgerichte werden im Regelfall als spezielle Kammern bei den ordentlichen Gerichten (Amts-, Land- oder Oberlandesgerichte) gebildet. In Zivilstreitigkeiten ist die Kammer mit einem Berufsrichter sowie zwei ehrenamtlichen Schifffahrtsrichtern besetzt, die über besondere Erfahrungen in der Schifffahrt verfügen. Die ehrenamtlichen Richter werden auf Vorschlag von Schifffahrtsverbänden und -unternehmen berufen und sollen sicherstellen, dass praxisrelevantes Fachwissen in die Entscheidungsfindung einfließt. In Strafsachen und Bußgeldverfahren besteht das Gericht ebenfalls aus einem Berufsrichter, kann aber je nach Umfang und Bedeutung um weitere Beisitzer verstärkt werden. Die genaue Zusammensetzung ist landesrechtlich und im GVG geregelt.

Gibt es besondere Regelungen zur Vollstreckung der Urteile von Schifffahrtsgerichten?

Die Vollstreckung von Urteilen der Schifffahrtsgerichte unterliegt den allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), weist allerdings Besonderheiten aufgrund des mobilen Vermögensgegenstands „Schiff“ auf. So bestehen spezielle Vorschriften zur Arrestierung und Pfändung von Schiffen, etwa dem Schiffsarrest nach der Brüsseler Arrestkonvention und dem deutschen Schiffahrtsgesetz. Damit kann ein Schiff als Sicherheit herangezogen oder zur Durchsetzung eines Anspruchs zwangsveräußert werden. Besondere Beachtung finden hierbei internationale Zustellungen und Vollstreckungen, etwa wenn das Schiff im Ausland liegt. Die Gerichtsvollzieher kooperieren dabei mit Seeämtern, der Wasserpolizei und internationalen Behörden, sofern die Umstände grenzüberschreitend sind.