Begriff und Rechtsnatur der SCE
Die SCE (Societas Cooperativa Europaea) ist die europäische Rechtsform der Genossenschaft. Sie ermöglicht es, genossenschaftliche Unternehmen grenzüberschreitend innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) in einer einheitlichen Organisationsform zu führen. Die SCE verbindet grundlegende Genossenschaftsprinzipien wie Mitgliederförderung und demokratische Willensbildung mit einem unionsweit harmonisierten Rechtsrahmen. Dabei gilt: Die SCE wird durch unionsrechtliche Vorgaben strukturell geprägt; in nicht abschließend geregelten Bereichen richtet sie sich nach dem Recht des Staates, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat.
Gründung und grenzüberschreitender Bezug
Gründungsvarianten
Eine SCE kann auf mehreren Wegen entstehen. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist ein grenzüberschreitender Bezug, der die europäische Ausrichtung der Rechtsform sicherstellt. Mögliche Wege sind:
Neugründung: Mindestens fünf natürliche Personen aus mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten oder mindestens zwei juristische Personen (etwa Genossenschaften, Gesellschaften) nach den Rechten von mindestens zwei Mitgliedstaaten können gemeinsam eine SCE errichten. Mischformen aus natürlichen und juristischen Personen sind zulässig, sofern der grenzüberschreitende Bezug gewahrt ist.
Verschmelzung: Bestehende Genossenschaften aus mindestens zwei Mitgliedstaaten können zu einer SCE verschmelzen. Hierbei geht das Vermögen der übertragenden Genossenschaften auf die SCE über.
Umwandlung: Eine nach nationalem Recht gegründete Genossenschaft kann in eine SCE umgewandelt werden, wenn sie zuvor einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist, etwa durch eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat über einen gesetzlich bestimmten Mindestzeitraum.
Erforderliche Unterlagen und Verfahren
Die Gründung erfordert regelmäßig einen Gründungsbeschluss, eine Satzung (Statuten) mit den zwingend vorgegebenen Mindestinhalten sowie die Anmeldung zur Eintragung im zuständigen Register des Sitzstaats. Je nach Gründungsweg kommen weitere Schritte hinzu, etwa Verschmelzungspläne, Umwandlungsberichte, Prüfungen und Bekanntmachungen. Mit der Eintragung entsteht die SCE als rechtsfähige juristische Person. Die Eintragung wird zusätzlich in einem unionsweiten Veröffentlichungsorgan bekannt gemacht.
Mindestkapital und Einlagen
Das Grundkapital einer SCE beträgt mindestens 30.000 Euro. Es ist in Geschäftsanteile eingeteilt und kann durch Ein- und Austritt von Mitgliedern variieren. Einlagen können in Geld oder als Sacheinlagen erbracht werden, soweit die Satzung dies zulässt. Die genaue Ausgestaltung von Einzahlungsquoten, Nachschusspflichten und Rückzahlungen richtet sich nach den Statuten und dem anwendbaren nationalen Recht.
Mitglieder, Mitgliedschaftsrechte und -pflichten
Mitgliedskreise und Aufnahme
Mitglieder einer SCE können natürliche Personen sowie private oder öffentliche Rechtsträger sein. Die Satzung regelt die Voraussetzungen der Mitgliedschaft, das Aufnahmeverfahren und die erforderlichen Erklärungen. Es sind unterschiedliche Mitgliederkategorien möglich, etwa fördernde oder investierende Mitglieder, sofern die genossenschaftliche Zweckbindung gewahrt bleibt.
Stimmrechte und Gewinnverwendung
Grundsätzlich gilt das genossenschaftliche Demokratieprinzip: ein Mitglied, eine Stimme. Die Satzung kann eine gewichtete Stimmverteilung vorsehen, etwa nach Beteiligung oder Inanspruchnahme von Leistungen, solange gesetzliche Begrenzungen eingehalten werden und die kooperative Kontrolle nicht unterlaufen wird. Überschüsse werden typischerweise primär der Rücklagenstärkung und der Mitgliederförderung zugeführt; Ausschüttungen erfolgen nach Maßgabe der Satzung, häufig mit Begrenzung reiner Kapitalrenditen zugunsten des Förderzwecks.
Beendigung der Mitgliedschaft und Rückzahlung
Ein Austritt ist satzungsgemäß möglich und führt zur Abwicklung der Geschäftsanteile nach festgelegten Fristen und Bewertungsmaßstäben. Ausschlussgründe und Verfahren sind in der Satzung zu regeln. Rückzahlungen unterliegen Kapital- und Gläubigerschutzvorgaben, um die Funktionsfähigkeit der SCE zu sichern.
Organe und Leitungssysteme
Generalversammlung
Die Generalversammlung ist das zentrale Willensbildungsorgan. Sie entscheidet über grundlegende Angelegenheiten wie Satzungsänderungen, Bestellung und Abberufung von Organmitgliedern, Verwendung des Jahresergebnisses, wesentliche Strukturmaßnahmen sowie gegebenenfalls die Sitzverlegung. Das Einberufungs-, Beschluss- und Stimmrechtsregime folgt unionsrechtlichen Mindestvorgaben und ergänzend dem Recht des Sitzstaats sowie der Satzung.
Leitungs- und Überwachungsorgane
Dualistisches oder monistisches System
Die SCE kann zwischen zwei Leitungsmodellen wählen. Im dualistischen System bestehen ein Leitungsorgan (Vorstand) für die Geschäftsführung und ein Überwachungsorgan (Aufsichtsrat) für die Kontrolle. Im monistischen System übernimmt ein Verwaltungsorgan (Verwaltungsrat) sowohl Leitungs- als auch Kontrollaufgaben in strukturierter Aufgabenteilung. Die Zusammensetzung, Amtszeiten, Unvereinbarkeiten und Berichtspflichten ergeben sich aus den unionsrechtlichen Vorgaben, dem Sitzstaatrecht und der Satzung.
Vertretung und Verantwortlichkeit
Die organschaftliche Vertretung nach außen richtet sich nach dem gewählten System und der Satzung. Organmitglieder handeln im Rahmen ihrer Kompetenzen und unterliegen Sorgfalts- und Treuepflichten. Bei Pflichtverletzungen kommen haftungsrechtliche Konsequenzen nach dem anwendbaren nationalen Recht in Betracht.
Arbeitnehmerbeteiligung und Mitbestimmung
Verhandlungsverfahren und Auffangregelungen
Die Beteiligung der Arbeitnehmer wird vor der Gründung, Verschmelzung oder Umwandlung in einem geregelten Verfahren mit einem besonderen Verhandlungsgremium ausgehandelt. Ziel ist eine Vereinbarung über Unterrichtung, Anhörung und gegebenenfalls Mitbestimmung auf Organebene. Kommt keine Vereinbarung zustande, greifen standardisierte Auffangregelungen. Der bestehende Mitbestimmungsstandard in den beteiligten Unternehmen wird hierbei berücksichtigt, um Schutzstandards nicht zu unterlaufen.
Auswirkungen auf Strukturentscheidungen
Strukturmaßnahmen wie Verschmelzung, Umwandlung oder Sitzverlegung setzen voraus, dass die Arbeitnehmerbeteiligung rechtzeitig behandelt und gesichert ist. Ohne ordnungsgemäße Beteiligungsverfahren kann die Maßnahme nicht wirksam durchgeführt werden.
Sitz, Niederlassungen und Mobilität
Sitzverlegung innerhalb des EWR
Die SCE kann ihren satzungsmäßigen Sitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Das Verfahren erfordert einen Verlegungsplan, Berichte, Schutzmechanismen für Gläubiger und Minderheitsmitglieder sowie die Sicherung der Arbeitnehmerbeteiligung. Die Verlegung wird im Herkunfts- und im Aufnahmestaat registriert und bekannt gemacht.
Zweigniederlassungen und Tätigkeit in anderen Staaten
Die SCE kann Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten errichten und dort tätig werden. Die Publizitäts- und Registrierungspflichten für Zweigniederlassungen richten sich nach dem Recht des Errichtungsstaats, ergänzt um unionsweite Offenlegungsanforderungen.
Aufsicht, Register und Publizität
Registereintragung und Offenlegung
Die SCE wird im Unternehmensregister des Sitzstaats eingetragen. Eintragungs- und Offenlegungspflichten orientieren sich an den für Kapitalgesellschaften geltenden Standards des Sitzstaats und werden unionsweit koordiniert. Satzung, Organbestellungen, Jahresabschlüsse sowie strukturelle Maßnahmen sind zu veröffentlichen, damit Dritte die wesentlichen Informationen einsehen können.
Prüfung und Jahresabschluss
Die Rechnungslegung der SCE folgt den Vorgaben des Sitzstaats. Prüfpflichten, Schwellenwerte und der Einsatz eines Abschlussprüfers richten sich nach nationalem Recht. Bestehen Konzernstrukturen, gelten zusätzlich die Regelungen zur Konzernrechnungslegung und gegebenenfalls zur konsolidierten Prüfung.
Steuerliche Einordnung im Überblick
Für die SCE existiert keine eigenständige unionsweite Besteuerung. Die SCE unterliegt den steuerlichen Regelungen des Staates ihres Sitzes sowie den Normen in den Staaten, in denen sie Betriebsstätten oder Quellensteuerpflichten begründet. Doppelbesteuerungsabkommen und unionsrechtliche Koordinierungsvorgaben können die Steuerlast beeinflussen. Einzelheiten ergeben sich aus dem Steuerrecht der betroffenen Staaten.
Umstrukturierungen und Beendigung
Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel
Die SCE kann an grenzüberschreitenden Verschmelzungen teilnehmen und, soweit vorgesehen, weitere Strukturmaßnahmen wie Spaltungen oder Formwechsel vornehmen. Das Verfahren umfasst Entwürfe, Berichte, Prüfungen, Registeranmeldungen und Bekanntmachungen sowie die Wahrung von Gläubiger- und Minderheitenschutz.
Auflösung, Liquidation, Insolvenz
Gründe und Verfahren der Auflösung richten sich nach unionsrechtlichen Rahmenvorgaben und dem Recht des Sitzstaats. Die Liquidation wird durch die eingesetzten Abwickler durchgeführt. Insolvenzverfahren unterliegen dem Insolvenzrecht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet wird, unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln.
Verhältnis zum nationalen Recht und Abgrenzung
SCE und nationale Genossenschaften
Die SCE ergänzt, ersetzt aber nicht die nationalen Genossenschaftsformen. Sie ist besonders auf grenzüberschreitende Tätigkeiten ausgerichtet, während nationale Genossenschaften vor allem innerhalb eines Staates agieren. Zahlreiche Detailfragen, etwa zu Mitgliedschaft, Haftungsausgestaltung und Organpflichten, werden durch das Recht des Sitzstaats und die Satzung konkretisiert.
Abgrenzung zur SE und zu Kapitalgesellschaften
Im Unterschied zur Europäischen Gesellschaft (SE) steht bei der SCE der genossenschaftliche Förderzweck im Vordergrund. Gegenüber Kapitalgesellschaften (etwa AG oder GmbH) weist die SCE typischerweise variable Kapitalstrukturen, Mitgliederorientierung und demokratische Entscheidungsprozesse auf. Dennoch gelten vergleichbare Publizitäts- und Rechnungslegungsstandards, wodurch die Transparenz für Marktteilnehmende sichergestellt wird.
Häufig gestellte Fragen
Wer kann eine SCE gründen?
Eine SCE kann von natürlichen Personen, juristischen Personen oder bestehenden Genossenschaften gegründet werden, sofern ein grenzüberschreitender Bezug besteht. Dies ist insbesondere erfüllt, wenn beteiligte Gründungsträger aus mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten stammen oder eine Verschmelzung beziehungsweise Umwandlung mit entsprechender Auslandsanbindung erfolgt.
Wie hoch ist das Mindestkapital einer SCE?
Das Mindestkapital beträgt 30.000 Euro. Es ist in Geschäftsanteile eingeteilt und kann durch Beitritt oder Austritt von Mitgliedern variieren. Die Einzelheiten zur Einzahlung und zu etwaigen Nachschusspflichten regelt die Satzung im Rahmen der geltenden Vorgaben.
Welche Organe hat eine SCE?
Kernorgan ist die Generalversammlung. Daneben verfügt die SCE je nach gewähltem System über Vorstand und Aufsichtsrat (dualistisches System) oder über einen Verwaltungsrat (monistisches System). Zusammensetzung, Aufgaben und Kontrolle ergeben sich aus unionsrechtlichen Grundstrukturen, dem Recht des Sitzstaats und der Satzung.
Wie werden Arbeitnehmer in der SCE beteiligt?
Vor Gründung oder Strukturmaßnahmen wird die Arbeitnehmerbeteiligung mit einem besonderen Verhandlungsgremium verhandelt. Kommt keine Vereinbarung zustande, greifen standardisierte Auffangregelungen. Damit wird gewährleistet, dass bestehende Beteiligungsstandards gewahrt bleiben und die Mitbestimmung angemessen berücksichtigt wird.
Kann eine SCE ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen?
Ja. Die SCE kann ihren satzungsmäßigen Sitz innerhalb des EWR verlegen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Das Verfahren umfasst einen Verlegungsplan, Berichte, Schutzmechanismen für Minderheiten und Gläubiger sowie die Sicherung der Arbeitnehmerbeteiligung, gefolgt von Registereintragungen und Bekanntmachungen in beiden Staaten.
Wie ist die Haftung in der SCE ausgestaltet?
Für Verbindlichkeiten der SCE haftet grundsätzlich nur die SCE mit ihrem Vermögen. Mitglieder haften in der Regel nicht persönlich; abweichende Haftungs- oder Nachschussregelungen können jedoch in der Satzung vorgesehen sein, soweit das anwendbare Recht dies zulässt.
Wie erfolgt die Gewinnverwendung in der SCE?
Die Gewinnverwendung folgt dem genossenschaftlichen Förderzweck. Üblicherweise werden Rücklagen gestärkt, und Ausschüttungen an Mitglieder orientieren sich an der Satzung sowie an ihrer genossenschaftlichen Beteiligung. Reine Kapitalrenditen sind in der Regel begrenzt, um die Mitgliederförderung zu priorisieren.