Legal Lexikon

Rom II


Einführung in die Rom II-Verordnung

Die sogenannte Rom II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) ist ein zentrales Rechtsinstrument im europäischen internationalen Privatrecht. Sie regelt, welches Recht bei bestehenden grenzüberschreitenden außervertraglichen Schuldverhältnissen innerhalb der Europäischen Union Anwendung findet. Die Rom II-Verordnung ist seit dem 11. Januar 2009 in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks unmittelbar anwendbar.

Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung

Sachlicher Geltungsbereich

Die Rom II-Verordnung findet Anwendung auf außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivilsachen und Handelssachen. Dazu zählen insbesondere Deliktsrecht, Bereicherungsrecht, Geschäftsführung ohne Auftrag sowie Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo), sofern kein vertraglicher Bezug vorliegt.

Nicht erfasst sind bestimmte Bereiche, darunter:

  • Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten,
  • Personenstand und familienrechtliche Verhältnisse,
  • Erbschaftsrecht,
  • Gesellschaftsrecht,
  • bestimmte Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen,
  • Kernenergieschäden,
  • bestimmte Ansprüche aus Wertpapieren,
  • Wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche bezüglich Beschränkungen des freien Wettbewerbs.

Räumlicher Geltungsbereich

Die Verordnung gilt grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten der EU außer Dänemark. Es finden sich jedoch auch weltweit Auswirkungen, da die Verordnung in internationalen Sachverhalten das anwendbare Recht bestimmt, unabhängig davon, ob dieses einem EU-Staat oder Drittstaat angehört (Unparteiischkeitsprinzip).

Zeitlicher Geltungsbereich

Die Rom II-Verordnung gilt für schädigende Ereignisse, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten sind.

Anknüpfungsvorschriften und Systematik

Allgemeiner Grundsatz (Art. 4 Rom II-VO)

Als allgemeine Regel bestimmt die Verordnung, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eintritt. Eine Besonderheit ist, dass auf den Ort des Schadenseintritts und nicht auf das ursächliche Verhalten abgestellt wird („Erfolgsortprinzip“).

Sonderanknüpfungen

Rom II enthält zahlreiche Sonderanknüpfungen für bestimmte Fallgruppen, die vom allgemeinen Grundsatz abweichen:

  • Produkthaftung (Art. 5): Es gilt das Recht des Staates, in dem die Person, die den Schaden erlitten hat, beim Eintritt des Schadens ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sofern das Produkt dort vermarktet wurde.
  • Unlauterer Wettbewerb und Handlungen, die den freien Wettbewerb beschränken (Art. 6): Anknüpfung an den Markt, auf den sich das wettbewerbswidrige Verhalten auswirkt.
  • Umweltschäden (Art. 7): Ein Geschädigter kann zwischen dem Recht des Schadenseintritts oder des Verursachungsorts wählen.
  • Rechte an geistigem Eigentum (Art. 8): Das Schutzlandprinzip wird angewendet.
  • Ansprüche aus rechtswidriger Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und culpa in contrahendo (Art. 10-12): Es erfolgt eine differenzierende Anknüpfung, häufig am materiellen Recht des Schuldverhältnisses selbst orientiert.

Parteiautonomie

Die Rom II-Verordnung lässt eine eingeschränkte Rechtswahl zu. Die Parteien haben die Möglichkeit, nach Eintritt eines Schadens oder wenn alle an dem Sachverhalt Beteiligten einen Bezug zu einem bestimmten Land haben, das anzuwendende Recht zu wählen (Art. 14 Rom II-VO). Bei bestimmten Sachverhalten, insbesondere im Arbeitsrecht und im Bereich von Verbraucherinteressen, sind verbindliche Schutzvorschriften jedoch zu beachten.

Ausnahmen und Korrekturen

Engste Verbindungsklausel

Falls ausnahmsweise der Sachverhalt eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat aufweist als der durch die Rom II-Verordnung bestimmte Anknüpfungspunkt, ist das Recht dieses Staates anzuwenden (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO). Diese Öffnungsklausel dient der Einzelfallgerechtigkeit.

Öffentliche Ordnung (ordre public)

Die Anwendung einer nach Rom II berufenen Rechtsordnung darf nicht erfolgen, wenn dies mit wesentlichen Grundsätzen des eigenen Rechts des angerufenen Gerichts (ordre public) unvereinbar wäre (Art. 26 Rom II-VO).

Verhältnis zu anderen internationalen Abkommen

Die Rom II-Verordnung geht gegenüber älteren multilateralen und bilateralen Übereinkommen vor, soweit diese denselben Regelungsgegenstand betreffen und zwischen den betreffenden Staaten geschlossen wurden. Bereits bestehende völkerrechtliche Übereinkommen, denen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von Rom II zugrunde liegt, bleiben unberührt (Art. 28, 29 Rom II-VO).

Bedeutung und Zielsetzungen

Die Rom II-Verordnung bezweckt, einheitliche, rechtssichere und vorhersehbare Anknüpfungsvorschriften im Bereich des internationalen Privatrechts aufzustellen und dadurch die Rechtssicherheit sowie die reibungslose Funktion des Binnenmarkts zu stärken. Sie verhindert das „Forum Shopping“ und bietet sowohl Schadensverursachern als auch Geschädigten vorhersehbare Rechtsfolgen bei grenzüberschreitenden Schadensereignissen.

Literaturhinweise und weiterführende Informationen

  • Verordnung (EG) Nr. 864/2007 [Amtsblatt der Europäischen Union]
  • Münchener Kommentar zum BGB, Internationales Privatrecht
  • Rauscher, Internationales Privatrecht – Rom II-VO

Zusammenfassung

Die Rom II-Verordnung stellt ein bedeutendes Regelungsinstrument für außervertragliche Schuldverhältnisse mit Auslandsbezug im europäischen Raum dar. Mit ihrem differenzierten System von Anknüpfungen, der begrenzten Parteiautonomie und ihren Ausnahmen schafft sie ein hohes Maß an Rechtssicherheit und -klarheit im internationalen Schadensrecht. Durch die unmittelbare Geltung und Vorrangstellung trägt sie wesentlich zum reibungslosen Ablauf des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs innerhalb der Europäischen Union bei.

Häufig gestellte Fragen

Wie bestimmt sich das anwendbare Recht nach der Rom II-Verordnung bei grenzüberschreitenden außervertraglichen Schuldverhältnissen?

Die Rom II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 864/2007) legt einheitliche Kollisionsregeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts auf außervertragliche Schuldverhältnisse mit Auslandsberührung innerhalb der EU fest. Grundsätzlich gilt gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt (Erfolgsort), unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis stattgefunden hat (Handlungsort). Allerdings gibt es Ausnahmen, beispielsweise wenn der Schädiger und der Geschädigte bei Eintritt des Schadens ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben (Art. 4 Abs. 2), so findet das Recht dieses Staates Anwendung. Ferner kann sich aus den Umständen des Einzelfalls durch eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat das dortige Recht als anwendbar ergeben (Art. 4 Abs. 3, sogenannte Ausweichklausel). Bestimmte spezielle Fallkonstellationen, wie etwa Wettbewerbsrecht (Art. 6) oder Umweltschäden (Art. 7), unterliegen besonderen Regelungen. Die Rom II-Verordnung ist in allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark unmittelbar anwendbar.

Inwieweit ist eine Rechtswahl nach Rom II im Bereich außervertraglicher Schuldverhältnisse zulässig?

Nach Art. 14 Rom II ist grundsätzlich eine Rechtswahl für außervertragliche Schuldverhältnisse zulässig, andernfalls gilt das objektiv ermittelte Recht nach der Verordnung. Die Parteien können das anzuwendende Recht entweder nach Eintritt des schädigenden Ereignisses oder bereits zuvor durch eine Vereinbarung bestimmen. Die Rechtswahlvereinbarung muss entweder ausdrücklich oder mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falls hervorgehen. Ist mindestens eine Partei Verbraucher, unterliegt die Rechtswahl weiteren Einschränkungen, um den Schutz des Schwächeren zu gewährleisten. Die Rechtswahl darf außerdem die Anwendung von Schutzvorschriften des zwingend anwendbaren Rechts (sog. Eingriffsnormen, vgl. Art. 16 Rom II) nicht ausschließen. Nicht zulässig ist eine Rechtswahl insbesondere bei bestimmten unerlaubten Handlungen, wie etwa Wettbewerbsverstößen (vgl. Art. 6 Abs. 4 Rom II).

Welche Delikte und Anspruchsgrundlagen werden vom Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung erfasst?

Die Rom II-Verordnung findet auf sämtliche außervertraglichen Schuldverhältnisse Anwendung, die im Kollisionsrecht als unerlaubte Handlungen, ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag sowie culpa in contrahendo bezeichnet werden (Art. 2 Rom II). Ausgenommen hiervon sind u.a. familienrechtliche Ansprüche, Erbansprüche (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a und b Rom II), Unterhaltsverpflichtungen, gesellschaftsrechtliche Ansprüche sowie Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen. Insbesondere regelt Rom II klassische Delikte wie Sach- und Personenschäden (Art. 4), Produkthaftungsfälle (Art. 5), Wettbewerbsverletzungen (Art. 6), Umweltschäden (Art. 7), Verletzungen von Immaterialgüterrechten (Art. 8) sowie unlautere Bereicherungen und Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 10-12 Rom II). Für diese Anspruchsgrundlagen gestaltet Rom II die Bestimmung des anwendbaren Rechts abschließend.

Welche Besonderheiten gelten nach Rom II bei Umweltschäden?

Umweltschäden werden nach Art. 7 Rom II gesondert behandelt. Es kommt primär das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Schaden eingetreten ist (Erfolgsort). Dem Geschädigten wurde jedoch ein Wahlrecht eingeräumt, auch das Recht des Staates zu wählen, in dem das schädigende Verhalten stattgefunden hat (Handlungsort). Dadurch soll dem Geschädigten ein höheres Schutzniveau zukommen. Die Besonderheit der Regelung liegt in der Berücksichtigung des Umweltschutzes und einer effektiven Durchsetzung von Ansprüchen gegen Schädiger bei grenzüberschreitenden Umweltschäden, etwa bei Emissionen, Chemieunfällen oder transnationalen Verschmutzungen. Die Vorschrift steht in engem Zusammenhang mit internationalen Umweltabkommen und dient der Vereinheitlichung des Rechtsrahmens zum Schutz der Umwelt in der EU.

Wie regelt die Rom II-Verordnung die Verjährung von Ansprüchen aus außervertraglicher Haftung?

Nach Art. 15 lit. h Rom II bestimmt sich die Verjährung außervertraglicher Ansprüche grundsätzlich nach dem auf den jeweiligen Anspruch anwendbaren materiellen Recht. Das bedeutet: Wenn beispielsweise auf einen deliktischen Anspruch das französische Recht anzuwenden ist, gilt auch die dortige Verjährungsfrist und die dort geregelten Voraussetzungen für den Eintritt der Verjährung. Die Gerichte der Mitgliedstaaten wenden ausländische Verjährungsregeln an, sofern diese im konkreten Recht des Delikts vorgesehen sind. Die Rom II-Verordnung enthält keine eigenen Verjährungsfristen oder -regelungen, sondern verweist insoweit vollständig auf das zu bestimmende Sachrecht.

Welche Bedeutung haben zwingende Vorschriften des angerufenen Gerichtsstaates („Eingriffsnormen“) unter Rom II?

Art. 16 der Rom II-Verordnung enthält eine Öffnungsklausel für zwingende Vorschriften des Rechts des angerufenen Gerichts (lex fori). Auch wenn anderes Recht zur Anwendung kommt, können dennoch Vorschriften des eigenen Rechts Anwendung finden, sofern diese wegen ihres zwingenden Charakters für die Regelung des konkreten Sachverhalts unabdingbar sind. Typische Beispiele sind Vorschriften zur Produktsicherheit, Verbraucherschutz und Arbeitsschutz. Der Vorrang gilt jedoch ausschließlich für solche Vorschriften, die im Interesse der öffentlichen Ordnung erlassen wurden und deren Anwendung unabhängig davon erfolgen soll, welches Recht auf den außervertraglichen Anspruch an sich Anwendung findet. Dies wird im Einzelfall von den Gerichten beurteilt und stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der Anwendung des ermittelten ausländischen Rechts dar.

Kann Rom II gemeinsam mit der Brüssel I a-Verordnung oder anderen EU-Verordnungen zur Anwendung gelangen?

Ja, die Rom II-Verordnung (Kollisionsrecht) und die Brüssel Ia-Verordnung (Jurisdiktion) ergänzen sich, stehen aber nicht in Konkurrenz zueinander. Während Rom II das inhaltlich anzuwendende Recht bei außervertraglicher Haftung bestimmt, regelt die Brüssel Ia-Verordnung die internationale Zuständigkeit der Gerichte bei zivilrechtlichen Streitigkeiten mit Auslandsberührung. Beispielsweise entscheidet die Brüssel I a-Verordnung, welches Gericht zuständig ist (z.B. am Erfolgsort), Rom II legt fest, welches materielle Recht durch das so bestimmte Gericht anzuwenden ist. Die Anwendung weiterer einschlägiger EU-Verordnungen wie etwa Rom I (Vertragliche Schuldverhältnisse) ist im Einzelfall abzugrenzen, wobei stets der jeweilige Anwendungsbereich maßgeblich ist.