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Reihengeschäft

Reihengeschäft – Begriff und Grundprinzip

Ein Reihengeschäft bezeichnet eine Abfolge mehrerer Kaufverträge über denselben Gegenstand zwischen mindestens drei selbstständigen Unternehmen, bei der die Ware physisch nur einmal befördert oder versendet wird. Typischerweise verkauft Unternehmer A an B, B weiter an C, und die Ware wird direkt von A zu C geliefert. Rechtlich wird die gesamte Kette in einzelne Lieferungen aufgeteilt; die Warenbewegung kann jedoch nur einer dieser Lieferungen zugeordnet werden. Diese Zuordnung ist maßgeblich für den Ort der Lieferung und für die umsatzsteuerliche Behandlung.

Kennzeichen und Abgrenzung

Beteiligte und Lieferkettenstruktur

Ein Reihengeschäft setzt mindestens drei Beteiligte voraus, die in einer Kette nacheinander Kaufverträge schließen. Zwischen den Beteiligten fließen Besitz- und Eigentumsrechte sukzessive, während die Ware ohne Zwischenlagerung unmittelbar vom ersten Lieferanten an den letzten Abnehmer gelangt. Die rechtliche Bewertung knüpft an die vertraglichen Beziehungen, die Transportveranlassung und die tatsächlichen Lieferwege an.

Bewegte und ruhende Lieferung

In einer Kette gibt es genau eine sogenannte bewegte Lieferung, der die physische Beförderung oder Versendung der Ware zugeordnet wird. Alle übrigen Lieferungen gelten als ruhend, da sie ohne eigene Warenbewegung stattfinden. Die Unterscheidung ist entscheidend, weil die bewegte Lieferung den Ort der Lieferung an den Start- oder Zielort der Beförderung knüpfen kann, während ruhende Lieferungen regelmäßig dort gelten, wo sich die Ware zum Zeitpunkt der jeweiligen Eigentumsverschaffung befindet.

Abgrenzung zu Streckengeschäft und Dreiecksgeschäft

Der Begriff Streckengeschäft wird umgangssprachlich oft für Fälle verwendet, in denen der erste Lieferant direkt an den letzten Abnehmer liefert. Nicht jedes Streckengeschäft ist jedoch ein Reihengeschäft im rechtlichen Sinn, da es auf die Anzahl der beteiligten Unternehmer und die Zuordnung der Warenbewegung ankommt. Ein Dreiecksgeschäft ist ein spezieller Fall innerhalb des Binnenmarkts mit drei Unternehmern aus verschiedenen Mitgliedstaaten, für den vereinfachte umsatzsteuerliche Mechanismen bestehen können. Reihengeschäfte sind weiter gefasst und umfassen auch rein nationale und drittlandsbezogene Konstellationen.

Rechtsfolgen nach der Umsatzsteuersystematik

Ort der Lieferung und Steuerbarkeit

Die Zuordnung der Warenbewegung bestimmt, welche Lieferung als bewegte Lieferung gilt und damit den Ort der Lieferung nach den Regeln für beförderte oder versendete Gegenstände festlegt. Die übrigen Lieferungen werden als ruhende Lieferungen nach dem Ort bewertet, an dem sich der Gegenstand zum maßgeblichen Zeitpunkt befindet. Daraus ergeben sich die Fragen der Steuerbarkeit im Inland, innerhalb der Europäischen Union sowie im Verhältnis zu Drittstaaten.

Steuerbefreiungen und Steuerpflicht

Je nach Zuordnung und grenzüberschreitendem Bezug kommt es zur Anwendung von Steuerbefreiungen für bestimmte innergemeinschaftliche Lieferungen oder Ausfuhren sowie zur Steuerpflicht für Inlandsumsätze. Entscheidend sind der tatsächliche Warenweg, die wirtschaftliche Verantwortung für den Transport und konsistente Vertrags- und Versandunterlagen. Innerhalb der EU kann die bewegte Lieferung – sofern die Voraussetzungen erfüllt sind – zu einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung führen; die korrespondierende Erwerbsbesteuerung erfolgt dann im Bestimmungsland. Bei Exporten in Drittstaaten kann die bewegte Lieferung unter bestimmten Bedingungen als Ausfuhrlieferung behandelt werden. Ruhende Lieferungen können hingegen im Inland steuerbar und steuerpflichtig sein.

Verantwortlichkeiten der Beteiligten

Jeder beteiligte Unternehmer ist für die korrekte umsatzsteuerliche Einordnung seines Lieferumsatzes verantwortlich. Dazu zählen insbesondere die zutreffende Qualifikation als bewegte oder ruhende Lieferung, die ordnungsgemäße Rechnungsstellung, die zutreffende Verwendung von Identifikationsmerkmalen und die vollständige Dokumentation der Warenbewegung. Die Rollenverteilung innerhalb der Kette (Erstlieferant, Zwischenhändler, Endabnehmer) beeinflusst die rechtliche Bewertung.

Typische Konstellationen

Reines Inlandsgeschäft

Alle Beteiligten sind im selben Staat ansässig, und die Ware wird innerhalb desselben Staats von A direkt an C geliefert. Je nachdem, welcher Umsatz die Warenbewegung trägt, entstehen im Inland eine bewegte Lieferung und eine oder mehrere ruhende Lieferungen. In der Regel sind die ruhenden Lieferungen dort steuerbar, wo sich die Ware zum Zeitpunkt der jeweiligen Übertragung befindet.

Innergemeinschaftliches Reihengeschäft

Die Ware wird von einem Mitgliedstaat in einen anderen befördert oder versendet, während mehrere Unternehmer nacheinander verkaufen. Die bewegte Lieferung kann – sofern die materiellen Voraussetzungen vorliegen – als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung qualifizieren. Die übrigen Umsätze werden entweder im Abgangs- oder Bestimmungsmitgliedstaat als ruhende Lieferungen eingeordnet. Die korrekte Zuordnung der Warenbewegung ist zentral für die Steuerfolgen in beiden Staaten.

Reihengeschäft mit Drittlandbezug

Die Kette umfasst zumindest einen Beteiligten aus einem Drittstaat oder die Ware verlässt beziehungsweise betritt das Zollgebiet. Je nach Zuordnung der bewegten Lieferung kommt eine Behandlung als Ausfuhr- oder Einfuhrumsatz in Betracht. Ruhende Lieferungen können im Binnenland steuerbar sein, auch wenn die Ware physisch exportiert oder importiert wird. Zoll- und außenwirtschaftsrechtliche Aspekte bestehen parallel zur umsatzsteuerlichen Beurteilung.

Zurechnung des Transports

Wer veranlasst die Beförderung?

Die Warenbewegung wird grundsätzlich dem Umsatz zugeordnet, bei dem ein Beteiligter die Beförderung oder Versendung veranlasst. Indizien sind die Beauftragung des Transporteurs, die Tragung von Transport- und Risiko, die Organisation der Abholung und die vertraglich vereinbarten Lieferklauseln. Wird die Ware vom ersten Lieferanten transportiert, liegt die bewegte Lieferung häufig zwischen erstem Lieferanten und seinem Abnehmer; veranlasst hingegen der letzte Abnehmer den Transport, kann die bewegte Lieferung dem nachgelagerten Umsatz zugeordnet sein.

Sonderfragen beim Zwischenhändler

Ordnet der Zwischenhändler den Transport, hängt die Zuordnung davon ab, für welchen Umsatz er den Transport wirtschaftlich veranlasst. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich der Lieferbedingungen, der Kommunikations- und Zahlungsströme sowie der Dokumentation. Die Rolle des Zwischenhändlers kann bewirken, dass die bewegte Lieferung entweder zwischen Erstlieferant und Zwischenhändler oder zwischen Zwischenhändler und Endabnehmer liegt.

Dokumentation und Nachweise

Nachweis des Warenabgangs und -eingangs

Die Einordnung von Lieferungen innerhalb eines Reihengeschäfts erfordert belastbare Nachweise zur physischen Warenbewegung. Dazu zählen regelmäßig Beförderungs- und Versendungsbelege, Empfangsbestätigungen, Frachtbriefe, Trackingprotokolle oder Spediteursbescheinigungen, aus denen der Weg vom Abgangs- zum Bestimmungsort hervorgeht.

Rechnungsangaben

Rechnungen müssen die für die umsatzsteuerliche Behandlung erforderlichen Angaben enthalten. In grenzüberschreitenden Fällen kommen insbesondere eindeutige Angaben zu Lieferwegen, Identifikationsnummern, Lieferbedingungen und ggf. Hinweistexten in Betracht, die die Einordnung als bewegte oder ruhende Lieferung nachvollziehbar machen.

Vertrags- und Versandunterlagen

Verträge, Bestellbestätigungen, Lieferklauseln, Versand- und Zolldokumente sollten inhaltlich konsistent sein. Widersprüche zwischen vertraglichen Vereinbarungen und tatsächlicher Warenbewegung können die Zuordnung der bewegten Lieferung in Frage stellen.

Risiken und Fehlerquellen

  • Falsche Zuordnung der Warenbewegung aufgrund unklarer Transportveranlassung
  • Widersprüchliche Lieferklauseln oder unpräzise Vertragsgestaltung
  • Unvollständige oder inkonsistente Versand- und Empfangsnachweise
  • Fehlerhafte oder unklare Rechnungsangaben
  • Vermischung mit ähnlichen Sachverhalten wie Konsignationslager oder Kommissionsgeschäfte
  • Fehler bei grenzüberschreitenden Fallgestaltungen, insbesondere bei mehreren Mitgliedstaaten

Abgrenzung: Konsignationslager und Kommissionsgeschäft

Beim Konsignationslager werden Waren in ein Lager des Abnehmers oder eines Dienstleisters verbracht und erst bei Entnahme veräußert. Die Warenbewegung ist hier keine Folge einer bereits abgeschlossenen Lieferkette an einen bestimmten Endabnehmer. Beim Kommissionsgeschäft veräußert ein Kommissionär Waren im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung; die physische Warenbewegung kann mehrfach erfolgen, ohne dass es sich um ein Reihengeschäft handelt. In beiden Fällen unterscheiden sich Struktur und Rechtsfolgen deutlich von der Kette mehrerer unmittelbar aufeinanderfolgender Verkäufe mit nur einer Beförderung.

Häufig gestellte Fragen

Was ist ein Reihengeschäft im umsatzsteuerlichen Sinn?

Es handelt sich um mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Lieferungen desselben Gegenstands zwischen mindestens drei Unternehmen, bei denen die Ware physisch nur einmal befördert oder versendet wird. Die Warenbewegung wird dabei genau einem Umsatz zugeordnet.

Worin liegt der rechtliche Unterschied zwischen bewegter und ruhender Lieferung?

Die bewegte Lieferung ist jene, der die Beförderung oder Versendung zugeordnet wird und die den Ort der Lieferung nach den Regeln für transportierte Gegenstände bestimmt. Ruhende Lieferungen finden ohne eigene Warenbewegung statt und werden nach dem Standort der Ware zum maßgeblichen Zeitpunkt eingeordnet.

Wie wird entschieden, welchem Umsatz die Warenbewegung zugeordnet wird?

Maßgeblich ist, wer die Beförderung oder Versendung wirtschaftlich veranlasst. Indizien sind die Beauftragung des Transporteurs, die Tragung des Transportrisikos, Lieferklauseln und die tatsächliche Abwicklung. Die Gesamtumstände sind zu würdigen.

Welche Rolle spielen Lieferklauseln (z. B. Incoterms) im Reihengeschäft?

Lieferklauseln geben Hinweise auf Risiko-, Kosten- und Gefahrübergang sowie darauf, wer den Transport organisiert. Sie sind wichtige Indizien für die Zuordnung der bewegten Lieferung, ersetzen jedoch nicht die Prüfung der tatsächlichen Abläufe.

Wie wirken sich Reihengeschäfte innerhalb der Europäischen Union aus?

Innerhalb der EU kann die bewegte Lieferung – bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen – als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung behandelt werden. Die übrigen Umsätze werden als ruhende Lieferungen im Abgangs- oder Bestimmungsmitgliedstaat eingeordnet.

Gibt es Besonderheiten bei Reihengeschäften mit Drittlandbezug?

Ja. Je nach Zuordnung kann die bewegte Lieferung als Ausfuhr oder Einfuhr behandelt werden. Parallel sind zoll- und außenwirtschaftsrechtliche Anforderungen zu beachten. Ruhende Lieferungen können im Binnenland steuerbar sein.

Welche Unterlagen dienen als Nachweis in Reihengeschäften?

Regelmäßig werden Fracht- und Versandpapiere, Empfangsbestätigungen, Spediteursbescheinigungen, Trackingnachweise sowie konsistente Rechnungen, Verträge und Lieferklauseln herangezogen, die den Warenweg und die Rollen der Beteiligten dokumentieren.

Wodurch entstehen typische Risiken und Fehlzuordnungen?

Ursächlich sind häufig unklare Transportveranlassung, widersprüchliche Lieferklauseln, fehlende Belege, abweichende tatsächliche Abläufe oder die Verwechslung mit ähnlichen Gestaltungen wie Konsignations- oder Kommissionsgeschäften.