Begriff und Bedeutung des Rechtserwerbs
Der Rechtserwerb ist ein zentraler Begriff im Rechtssystem und beschreibt den Vorgang, durch den eine Person oder eine Organisation ein subjektives Recht erlangt. Unter subjektiven Rechten versteht man beispielsweise Eigentum, Forderungen, Besitz oder andere vermögensrechtliche und nichtvermögensrechtliche Rechte. Der Begriff ist in sämtlichen Rechtsgebieten von zentraler Bedeutung, unter anderem im Sachenrecht, Schuldrecht, Familienrecht und Erbrecht. Der Rechtserwerb hat sowohl im Privatrecht als auch im öffentlichen Recht maßgebliche Bedeutung und bildet die Grundlage für Rechteübertragungen und damit für Rechtssicherheit im Rechtsverkehr.
Arten des Rechtserwerbs
Originärer und derivativer Rechtserwerb
Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei Hauptformen des Rechtserwerbs:
Originärer Rechtserwerb (ursprünglicher Rechtserwerb)
Der originäre Rechtserwerb bezeichnet den erstmaligen Erwerb eines Rechts, das nicht von einem bisherigen Rechtsinhaber hergeleitet wird. Ein Beispiel hierfür ist die Aneignung einer herrenlosen Sache nach § 958 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Beim originären Erwerb entsteht das Recht unabhängig von einer Rechtsübertragung.
Derivativer Rechtserwerb (abgeleiteter Rechtserwerb)
Der derivative Rechtserwerb erfolgt durch Ableitung von einem bisherigen Rechtsinhaber. Dies ist der Regelfall beim Rechtsübergang, wie der Erwerb des Eigentums an einer beweglichen Sache durch Kauf (§ 929 BGB). Der Erwerber leitet das Recht von dem bisherigen Inhaber ab, häufig im Rahmen eines Übertragungsaktes oder einer Verfügung.
Sonderformen: Rechtserwerb von Nichtberechtigten
Eine besondere Rolle nimmt der Rechtserwerb von einem Nichtberechtigten ein, wie er beim gutgläubigen Erwerb (§§ 932 ff. BGB) möglich ist. Hierbei erwirbt der Erwerber das Recht auch dann, wenn der Veräußerer nicht der tatsächliche Rechtsinhaber war, sofern gesetzliche Voraussetzungen wie Gutgläubigkeit und Besitzübergang erfüllt sind.
Einzelrechtsnachfolge und Gesamtrechtsnachfolge
Weiter differenziert man den Rechtserwerb nach der Art der Rechtsnachfolge:
Einzelrechtsnachfolge
Bei der Einzelrechtsnachfolge (Singularsukzession) wird nur ein bestimmtes Recht erworben, wie beim Erwerb einer Forderung durch Abtretung (§ 398 BGB) oder Eigentümerwechsel an einer Sache.
Gesamtrechtsnachfolge
Die Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) bezeichnet den Übergang einer Gesamtheit von Rechten und Pflichten auf eine andere Person, typischerweise im Fall einer Erbfolge (§ 1922 BGB).
Voraussetzungen des Rechtserwerbs
Rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Rechtserwerb
Der Rechtserwerb kann sowohl durch Rechtsgeschäft als auch aufgrund Gesetzes erfolgen.
Rechtsgeschäftlicher Rechtserwerb
Der rechtsgeschäftliche Erwerb setzt regelmäßig eine Einigung und gegebenenfalls die Übergabe voraus (beispielsweise bei Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach §§ 929 ff. BGB). Voraussetzungen sind Geschäftsfähigkeit, das Vorliegen eines wirksamen Rechtsgrundes (Kausalgeschäft) sowie die Beachtung etwaiger Formerfordernisse.
Gesetzlicher Rechtserwerb
Ein gesetzlicher Erwerb erfolgt unabhängig vom Willen der Beteiligten auf Grundlage gesetzlicher Vorschriften, etwa bei der Erbfolge (§ 1922 BGB) oder dem Fund einer Sache im Sinne des § 973 BGB.
Gutgläubiger Erwerb
Der gutgläubige Erwerb ist insbesondere beim Erwerb von beweglichen Sachen (§§ 932 ff. BGB) oder Grundstücken (§ 892 BGB) möglich, soweit der Erwerber gutgläubig hinsichtlich der Berechtigung des Veräußerers ist und weitere gesetzliche Voraussetzungen eingehalten werden.
Form- und Inhaltsvoraussetzungen
Manche Rechtserwerbe sind an bestimmte Formvorschriften gebunden, beispielsweise schriftliche Form (§ 126 BGB) oder notarielle Beurkundung (§ 311b BGB beim Grundstückskauf). Der Inhalt des Rechtsgeschäfts muss zulässig sein, das heißt nicht gegen gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstoßen.
Rechtserwerb im Sachenrecht
Im Sachenrecht stehen häufig der Erwerb und Verlust von Eigentum oder Besitz im Vordergrund. Der Erwerb des Eigentums an beweglichen Sachen erfolgt in zwei Stufen: zunächst durch Verpflichtungsgeschäft (z. B. Kaufvertrag) und anschließend durch Verfügungsgeschäft (Übereignung, §§ 929 ff. BGB).
Beim Erwerb von Grundstücken ist die Eintragung im Grundbuch sowie ein notariell beurkundeter Vertrag erforderlich (§ 873 BGB). Schutzmechanismen wie der öffentliche Glaube des Grundbuchs (§ 892 BGB) stellen Rechtssicherheit im Grundstücksverkehr her.
Rechtserwerb im Schuldrecht
Im Schuldrecht kann das Recht des Gläubigers an einer Forderung durch Abtretung (§ 398 BGB) auf einen anderen übergehen. Maßgeblich ist die Einigung über die Abtretung; für bestimmte Forderungen bestehen Abtretungsverbote oder Zustimmungsvorbehalte.
Rechtserwerb im Familienrecht
Auch im Familienrecht sind zahlreiche Rechtserwerbe vorgesehen. Exemplarisch sei die Adoption genannt, bei der das Kind rechtlich als Kind der adoptierenden Person gilt und damit Rechte und Pflichten erwirbt. Ebenfalls fällt unter Rechtserwerb im Familienrecht das Entstehen von Unterhaltsansprüchen sowie Ehegattenrechte.
Rechtserwerb im Erbrecht
Die bedeutendste Form des Gesamtrechtserwerbs findet sich im Erbrecht: Mit dem Tode des Erblassers geht dessen rechtliches Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über (§ 1922 BGB).
Öffentliche Register und Rechtserwerb
Für bestimmte Rechte, insbesondere im Immobilienrecht oder im Gesellschaftsrecht, wird der Rechtserwerb durch Eintragungen in öffentliche Register (etwa Grundbuch, Handelsregister, Vereinsregister) konstitutiv oder deklaratorisch dokumentiert und rechtswirksam.
Internationaler Rechtserwerb
Im internationalen Privatrecht ist zu beachten, welches Recht auf einen bestimmten Erwerb anwendbar ist. Maßgeblich sind internationale Abkommen, das EGBGB sowie gegebenenfalls völkerrechtliche Vorschriften.
Bedeutung und Funktion des Rechtserwerbs im Rechtssystem
Der Rechtserwerb gewährleistet die Dynamik des Rechtsverkehrs. Er ermöglicht die Übertragung, Begründung, Modifikation und das Erlöschen von Rechten. Durch differenzierte Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch und in Spezialgesetzen werden Rechte geschützt, erworben und übertragen und damit Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Privatrechtsverkehr hergestellt.
Literaturhinweise und weiterführende Vorschriften
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 929 ff., 892, 873, 398, 1922
- Grundbuchordnung (GBO)
- Handelsgesetzbuch (HGB)
- Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB)
Hinweis: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine rechtliche Beratung.
Häufig gestellte Fragen
Wie erfolgt der Rechtserwerb an beweglichen Sachen nach deutschem Recht?
Der Rechtserwerb an beweglichen Sachen richtet sich in Deutschland insbesondere nach den §§ 929 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Grundsätzlich ist zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache die Einigung (sog. „Einigungserklärung“ oder auch „Übereignungsvertrag“) sowie die Übergabe der Sache erforderlich. Die Einigung ist ein gegenseitiges, inhaltlich übereinstimmendes Angebot und Annahme beider Parteien über den Eigentumsübergang. Die Übergabe erfordert, dass der Erwerber den Besitz an der Sache erhält, während der Veräußerer den unmittelbaren Besitz aufgibt. Vom Trennungs- und Abstraktionsprinzip ausgehend, ist das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (z.B. der Kaufvertrag) vom dinglichen Verfügungsgeschäft (Eigentumsübertragung) zu unterscheiden. Weiterhin können Sonderfälle wie der Erwerb ohne Übergabe (§ 930 BGB: Besitzkonstitut, § 931 BGB: Abtretung des Herausgabeanspruchs an einen Dritten) oder der Eigentumserwerb von einem Nichtberechtigten (§ 932 ff. BGB) zur Anwendung kommen. Bestimmte Sachen wie z.B. Fahrzeuge oder Schmuck, die im öffentlichen Verkehr stehen, unterliegen außerdem besonderen Regelungen hinsichtlich Gutglaubenserwerb.
Können Rechte auch durch Vereinbarung und ohne Übergabe übertragen werden?
Ja, in bestimmten Fällen kann ein Recht, namentlich das Eigentum an beweglichen Sachen, auch ohne unmittelbare Übergabe übertragen werden. Hier regeln die §§ 930 und 931 BGB spezielle Übergabeverzichte: Nach § 930 BGB kann ein Besitzmittlungsverhältnis (Besitzkonstitut) begründet werden, sodass die Sache beim Veräußerer bleibt, der Erwerber jedoch als neuer Eigentümer gilt und der Veräußerer lediglich als Besitzmittler auftritt. Bei § 931 BGB wird das Eigentum durch die Abtretung eines Herausgabeanspruchs auf einen Dritten übertragen, dem die Sache tatsächlich übergeben ist. Im Immobilienrecht wird das Eigentum an Grundstücken wiederum nicht durch Übergabe, sondern durch Einigung und Eintragung ins Grundbuch übertragen (§ 873 BGB). In allen Fällen ist die Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften zwingend.
Welche Rolle spielt das Trennungs- und Abstraktionsprinzip beim Rechtserwerb?
Das Trennungs- und Abstraktionsprinzip ist eine Besonderheit des deutschen Zivilrechts. Es besagt, dass das schuldrechtliche Geschäft (z.B. der Vertrag über den Verkauf einer Sache) und das dingliche Rechtsgeschäft (die Übertragung des Eigentums an derselben Sache) voneinander zu trennen sind (Trennungsprinzip) und rechtlich unabhängig voneinander bestehen (Abstraktionsprinzip). Daraus folgt, dass etwa die Unwirksamkeit des Kaufvertrags nicht notwendigerweise auch die Wirksamkeit der Eigentumsübertragung berührt; letztere kann eigenständig bestehen, sofern die Voraussetzungen des Verfügungsgeschäfts erfüllt sind. Umgekehrt kann bei einem wirksamen Kaufvertrag die Eigentumsübertragung dennoch unterbleiben, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind (z.B. mangels Übergabe oder Einigung). Das Prinzip dient der Rechtssicherheit und Klarheit der Eigentumsverhältnisse.
Wann liegt ein gutgläubiger Erwerb eines Rechts von einem Nichtberechtigten vor?
Der gutgläubige Erwerb von Rechten ist im deutschen Recht als Ausnahme von dem Grundsatz „nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet“ (niemand kann mehr Rechte übertragen, als er selbst hat) ausgestaltet. Insbesondere bei beweglichen Sachen (§ 932 BGB) kann ein Erwerber das Eigentum auch dann erwerben, wenn der Veräußerer nicht Eigentümer ist, vorausgesetzt, der Erwerber ist gutgläubig, d. h. er glaubt und darf nach den Umständen annehmen, dass der Veräußerer Eigentümer ist. Erforderlich ist weiterhin die ordnungsgemäße Übergabe sowie ein wirksames Verfügungsgeschäft. Ausgeschlossen ist der gutgläubige Erwerb, wenn dem Erwerber bekannt ist oder grob fahrlässig unbekannt bleibt, dass der Veräußerer nicht Eigentümer ist. Vom gutgläubigen Erwerb ausgenommen sind gestohlene, verlorene oder sonst abhandengekommene Sachen (§ 935 BGB).
Welche Formerfordernisse bestehen beim Rechtserwerb an Grundstücken?
Der Rechtserwerb an Grundstücken erfordert gemäß § 873 BGB die Einigung der Parteien (Auflassung) und die Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch. Die Einigung muss als Auflassung nach § 925 BGB zwingend in notarieller Form vor einem Notar gleichzeitig und bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien erklärt werden (sog. Auflassungserklärung). Erst mit der nachfolgenden Eintragung ins Grundbuch erfolgt der tatsächliche Eigentumsübergang. Das Grundbuch stellt das öffentliche Register über Eigentumsverhältnisse an Grundstücken dar und begründet den öffentlichen Glauben an sein Richtigsein (§ 891 BGB). Daneben können auch Belastungen eines Grundstücks (z.B. mit Hypotheken oder Grundschulden) nur unter Einhaltung spezieller Formvorschriften und Eintragungen im Grundbuch erfolgen.
Wie erfolgt der Rechtserwerb an Forderungen und anderen Rechten?
Der Erwerb von Forderungen und anderen vermögenswerten Rechten vollzieht sich meist durch Abtretung (Zession) nach §§ 398 ff. BGB. Hierzu ist grundsätzlich ein Abtretungsvertrag zwischen dem bisherigen Gläubiger (Zedenten) und dem neuen Gläubiger (Zessionar) notwendig. Die Zustimmung des Schuldners ist regelmäßig nicht erforderlich, es sei denn, Gesetz oder Vertrag fordern dies (z.B. bei höchstpersönlichen Forderungen). Die Abtretung ist ein formloses Rechtsgeschäft, sofern keine besondere Form vorgeschrieben ist (z.B. Schriftform bei Verbraucherdarlehen, § 492 BGB). Die Zession umfasst typischerweise alle Nebenrechte der Forderung, etwa Hypotheken oder Pfandrechte. Zur Wirksamkeit muss die Forderung auch bestimmbar und abtretbar sein; Forderungen, die nicht übertragbar sind (z.B. höchstpersönliche Rechte), sind von der Abtretung ausgeschlossen.
Welche Bedeutung haben Besitz und Besitzarten für den Rechtserwerb?
Der Besitz spielt beim Rechtserwerb eine zentrale Rolle, insbesondere beim Erwerb von Sachen. Zwischen unmittelbarem und mittelbarem Besitz wird unterschieden: Unmittelbarer Besitzer ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt (§ 854 BGB), mittelbarer Besitzer ist derjenige, der die tatsächliche Gewalt über einen anderen (Besitzmittler) vermittelt erhält (§ 868 BGB). Die Übergabe beim Rechtserwerb erfordert i.d.R. den Besitzwechsel. Ausnahmen bilden die schon erwähnten Fälle des Besitzkonstituts (§ 930 BGB) oder der Abtretung des Herausgabeanspruchs (§ 931 BGB). Besitz ist jedoch kein Recht, sondern eine tatsächliche Sachherrschaft, dem jedoch eine bestimmte Schutzfunktion (z.B. Besitzschutz bei verbotener Eigenmacht, §§ 858 ff. BGB) zukommt. Beim gutgläubigen Erwerb von beweglichen Sachen ist der Besitz ein entscheidendes Kriterium für die Überprüfung des gutgläubigen Erwerbs.