Definition und Begriff des Rechtsanwaltsvergleichs
Der Rechtsanwaltsvergleich ist eine im deutschen Zivilrecht gebräuchliche Bezeichnung für eine außergerichtliche Einigung zwischen zwei oder mehreren Parteien, die unter Mitwirkung eines Rechtsanwalts zustande kommt. Ziel eines Rechtsanwaltsvergleichs ist es, einen bestehenden oder drohenden Streit beizulegen, indem die Parteien wechselseitige Zugeständnisse machen und eine abschließende, verbindliche Regelung treffen. Kennzeichnend ist die Wahrung der Form und Beratung durch einen Rechtsanwalt, wodurch sich der Rechtsanwaltsvergleich von anderen außergerichtlichen Einigungen unterscheidet.
Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Grundlagen
Der Rechtsanwaltsvergleich fußt insbesondere auf den Bestimmungen der §§ 779 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 779 BGB ist ein Vergleich ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird. Ergänzend gelten die allgemeinen Vorschriften über Schuldverhältnisse und Verträge.
Abgrenzung zu anderen Vergleichsarten
Es ist zwischen dem Rechtsanwaltsvergleich und anderen Vergleichstypen zu differenzieren:
- Gerichtlicher Vergleich: Wird während einer Gerichtsverhandlung zur Beendigung eines laufenden Verfahrens geschlossen und ist gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ein Vollstreckungstitel.
- Notarielle Vergleiche: Diese sind aufgrund ihrer besonderen Beurkundung und der häufig weitreichenden Rechtsfolgen ebenfalls abzugrenzen.
- Schlichtungsvergleiche: Entstehen im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens, häufig durch Schlichtungsstellen oder andere Streitbeilegungsorgane.
Der Rechtsanwaltsvergleich bleibt stets eine außergerichtliche Vereinbarung auf Grundlage der Parteiautonomie.
Inhalt und Form des Rechtsanwaltsvergleichs
Inhaltliche Ausgestaltung
Der Inhalt eines Rechtsanwaltsvergleichs orientiert sich an dem zu lösenden Streit oder Rechtsverhältnis. Typische Regelungsgegenstände sind:
- Zahlung einer bestimmten Geldsumme
- Anerkennung oder Verzicht auf Ansprüche
- Rückgabe oder Übergabe beweglicher Sachen
- Regelung von Nutzungsrechten oder Unterlassungserklärungen
Zentrale Voraussetzung ist, dass beide Parteien wechselseitige Zugeständnisse machen, selbst wenn diese nur in der Vereinfachung der Streitbeilegung bestehen.
Formerfordernisse
Der Rechtsanwaltsvergleich unterliegt grundsätzlich keinem Formerfordernis und kann auch mündlich geschlossen werden. Aus Gründen der Beweisbarkeit und Klarheit empfiehlt sich die Schriftform. Eine notarielle Beurkundung ist nicht erforderlich, sofern nicht für einen bestimmten Regelungsgehalt (etwa im Grundstücksrecht) gesetzlich eine strengere Form vorgeschrieben ist.
Rechtliche Wirkungen des Rechtsanwaltsvergleichs
Bindungswirkung
Der Rechtsanwaltsvergleich hat für die Parteien eine bindende Wirkung. Mit Abschluss des Vergleichs sind die geregelten Streitpunkte endgültig bereinigt; weitergehende Ansprüche aus dem geregelten Streitgegenstand sind grundsätzlich ausgeschlossen (Vergleichssperre). Ausnahmen bestehen nur, wenn sich der Vergleich als nichtig erweist oder unter bestimmten Voraussetzungen angefochten werden kann.
Vollstreckbarkeit
Im Unterschied zum gerichtlichen Vergleich besteht für den Rechtsanwaltsvergleich keine unmittelbare Vollstreckbarkeit als Titel nach § 794 ZPO. Erhält der Rechtsanwaltsvergleich allerdings eine Vollstreckungsunterwerfungsklausel nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (sofern eine solche im Einzelfall möglich ist, beispielsweise durch notarielle Beurkundung), kann eine Titelwirkung erzielt werden.
Rechtsfolgen bei Nichterfüllung
Wird eine im Rechtsanwaltsvergleich übernommene Verpflichtung nicht erfüllt, kann die andere Partei auf Erfüllung klagen. Der Vergleich dient daher als Grundlage einer Leistungsklage vor Gericht, die im Erfolgsfall zu einem vollstreckbaren Titel führt.
Anfechtung, Rücktritt und Widerruf
Anfechtung
Wie bei anderen Verträgen ist auch der Rechtsanwaltsvergleich bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nach §§ 119 ff. BGB anfechtbar, etwa bei Irrtum über den Inhalt oder Täuschung. Allerdings ist die Anfechtung eines Vergleichs aufgrund eines Motivirrtums gemäß § 779 Abs. 1 BGB ausdrücklich ausgeschlossen.
Rücktritt und Widerruf
Ein Rücktrittsrecht besteht beim Rechtsanwaltsvergleich nur, wenn dieses ausdrücklich vereinbart wurde oder sich aus den allgemeinen Vorschriften, insbesondere bei Leistungsstörungen (§§ 323 ff. BGB), ergibt. Ein gesetzliches Widerrufsrecht besteht im Regelfall nicht, es sei denn, es handelt sich um einen Verbrauchervertrag nach den §§ 312g, 355 BGB und die gesetzlichen Voraussetzungen sind erfüllt.
Kosten und Kostentragung
Die Entstehung von Gebühren und Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsanwaltsvergleich richtet sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Wird der Vergleich zwischen Parteien durch einen Rechtsanwalt initiiert und abgeschlossen, entsteht gemäß Nr. 1000 VV RVG eine Einigungsgebühr. Die Höhe bemisst sich grundsätzlich nach dem Gegenstandswert der zugrundeliegenden Streitigkeit. Die Parteien können die Kostenverteilung abweichend vereinbaren.
Bedeutung und Anwendungsbereiche in der Praxis
Der Rechtsanwaltsvergleich spielt vor allem bei zivilrechtlichen Streitigkeiten eine bedeutende Rolle. Er wird genutzt, um Prozesse zu vermeiden, Zeit und Kosten zu sparen sowie das Risiko einer gerichtlichen Entscheidung zu umgehen. Häufige Anwendungsfälle sind:
- Streitigkeiten aus Mietverhältnissen
- Arbeitsrechtliche Konflikte
- Erbauseinandersetzungen
- Schadenersatzforderungen und Vertragsstreitigkeiten
Darüber hinaus kann der Rechtsanwaltsvergleich zur Umsetzung von laufenden Vergleichsverhandlungen in einen verbindlichen Vertrag genutzt werden.
Abwicklungs- und Durchsetzungsprobleme
In der Praxis kann es bei der Ausführung des Rechtsanwaltsvergleichs zu Problemen kommen, insbesondere wenn eine Partei nicht leistet oder sich neue Tatsachen ergeben. Dann bestehen Ansprüche aus dem Vergleichsvertrag, die unter Umständen eingeklagt oder durch eine andere Form der Streitbeilegung verfolgt werden müssen.
Literaturhinweise
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Zivilprozessordnung (ZPO)
- Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch
- Musielak/Voit, Zivilprozessordnung
Durch diese umfassende Darstellung bietet der Lexikonartikel eine tiefgehende und detailreiche Übersicht über den Begriff des Rechtsanwaltsvergleichs, seinen rechtlichen Hintergrund, die Gestaltungsmöglichkeiten sowie die praktische Bedeutung im deutschen Recht.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind bei einem Rechtsanwaltsvergleich zu beachten?
Der Rechtsanwaltsvergleich unterliegt in Deutschland insbesondere den Vorschriften der §§ 779 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) sowie berufsrechtlichen Regelungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA). Voraussetzung für einen wirksamen Vergleich ist, dass die Parteien einen Streit oder eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis einvernehmlich durch gegenseitiges Nachgeben beilegen. Der geschlossene Vergleich stellt einen zivilrechtlichen Vertrag dar, der die Wirkung hat, dass Ansprüche, über die verglichen wurde, grundsätzlich nicht mehr gerichtlich geltend gemacht werden können (sog. Sperrwirkung). Zudem muss der Rechtsanwaltsvergleich dem Schutz der Mandanteninteressen dienen; es besteht hierbei eine gesteigerte Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten, wodurch eine umfassende Aufklärung über Chancen, Risiken und Folgen des Vergleichs verpflichtend ist. Weiterhin ist sicherzustellen, dass keine gesetzlichen Verbote oder sittenwidrige Vereinbarungen getroffen werden, da diese zur Nichtigkeit des Vergleichs führen würden. Gegebenenfalls ist bei bestimmten Fallkonstellationen, etwa im Arbeitsrecht oder Familienrecht, die gerichtliche Zustimmung oder Protokollierung erforderlich, um dem Vergleich Rechtskraft zu verleihen.
Welche Formerfordernisse gelten für den Abschluss eines Rechtsanwaltsvergleichs?
Ein Rechtsanwaltsvergleich kann grundsätzlich formfrei, also sowohl mündlich, schriftlich als auch konkludent, geschlossen werden. Allerdings ist zu beachten, dass bei bestimmten Rechtsmaterien oder Verfahrensarten besondere Formerfordernisse bestehen können. Beispielsweise muss ein gerichtlicher Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO zur Niederschrift des Gerichts oder durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Gericht zustande kommen. Im außergerichtlichen Bereich empfiehlt sich aus Beweisgründen regelmäßig die Schriftform, um spätere Streitigkeiten über den Inhalt, Umfang und Zustandekommen zu vermeiden. Bei Vergleichen, die eine Verfügung über Immobilien, Gesellschaftsanteile oder bestimmte familienrechtliche Vereinbarungen beinhalten, kann zudem notarielle Beurkundung vorgeschrieben sein. Rechtsanwälte achten deshalb in der Beratung darauf, ihre Mandanten auf einschlägige Formerfordernisse explizit hinzuweisen.
Inwiefern ist ein Rechtsanwaltsvergleich bindend und welche Möglichkeiten der Anfechtung bestehen?
Ein wirksam geschlossener Rechtsanwaltsvergleich ist für die Parteien grundsätzlich rechtsverbindlich und entfaltet die im Vergleich ausgehandelten Rechtswirkungen, insbesondere die Beendigung des zugrunde liegenden Rechtsstreits und den Verzicht auf weitergehende Ansprüche, soweit diese vom Vergleich erfasst sind. Es bestehen jedoch Anfechtungsmöglichkeiten nach den allgemeinen Regeln des BGB, etwa wegen Irrtums (§ 119 BGB), arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) oder widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB). Die Anfechtung muss regelmäßig unverzüglich erklärt werden. Ein bloßes Motivirrtum, also ein Irrtum über den Anlass oder Beweggrund zum Abschluss des Vergleichs, rechtfertigt i.d.R. jedoch keine Anfechtung. Zudem sind Beschränkungen aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit zu beachten: Nach erfolgter Durchführung des Vergleichs oder nach Eintritt prozessualer Rechtskraft ist eine nachträgliche Lösung vom Vergleich nur in engen Ausnahmefällen anerkannt, beispielsweise bei groben Äquivalenzstörungen, wenn der Vergleich die Grenzen der Sittenwidrigkeit überschreitet.
Welche Rolle spielt die anwaltliche Aufklärungspflicht beim Abschluss eines Vergleichs?
Die anwaltliche Aufklärungspflicht ist beim Abschluss eines Rechtsanwaltsvergleichs von zentraler Bedeutung und leitet sich aus den Vorschriften zur anwaltlichen Sorgfalt, insbesondere §§ 43a BRAO sowie § 12 BORA, ab. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, seinen Mandanten vor Abschluss eines Vergleichs umfassend und verständlich über alle rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen, die Tragweite des Nachgebens, potentielle Risiken und Chancen sowie über bestehende Alternativen aufzuklären. Dies schließt insbesondere die Hinweise auf prozessuale oder materielle Rechtsnachteile ein, die sich aus dem Vergleich ergeben können. Unterlassen Anwälte diese Aufklärung oder erfolgt sie fehlerhaft, kann dies haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen und zu Schadenersatzansprüchen des Mandanten führen. Die Pflicht zur Aufklärung ist zudem keine einmalige Pflicht, sondern besteht fortlaufend bis zum endgültigen Vergleichsabschluss.
Wie sind die Kosten des Rechtsanwaltsvergleichs und deren Verteilung rechtlich geregelt?
Die Kosten eines Vergleichs setzen sich grundsätzlich aus den Gebühren der beteiligten Rechtsanwälte und ggf. vereinbarten Auslagen zusammen. Wird ein Vergleich außergerichtlich geschlossen, richtet sich die Vergütung in der Regel nach dem RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz), insbesondere nach Nr. 1000 ff. VV RVG, wobei eine sog. Einigungsgebühr anfällt. Bei gerichtlichen Vergleichen kann gem. § 98 ZPO eine Kostenteilung erfolgen, sofern keine anderweitige Vereinbarung der Parteien vorliegt. Es besteht freie Vereinbarkeit der Kostenverteilung; gleichwohl wird von Gerichten häufig ein Kostenvergleich protokolliert, dessen Wirksamkeit sich nach zivilrechtlichen Vorschriften richtet. Zu beachten ist, dass eine Vereinbarung, nach der eine Partei alle Kosten zu tragen hat, grundsätzlich möglich, aber sittenwidrig sein kann, wenn sie eine Partei unbillig benachteiligt. Streitigkeiten über die Kostenregelung sind im Zweifel gerichtlich klärbar.
Welche Folgen hat ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften beim Abschluss eines Rechtsanwaltsvergleichs?
Verstößt ein Rechtsanwaltsvergleich gegen zwingende gesetzliche Vorschriften (beispielsweise gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB oder gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB), ist der Vergleich nichtig und damit unwirksam. Die Nichtigkeit hat zur Folge, dass die Parteien in den vorigen Zustand zurückversetzt werden und eventuelle Ansprüche weiter bestehen oder neu entstehen. Auch berufsrechtliche Sanktionen für den Anwalt können bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen drohen, insbesondere wenn Mandanteninteressen schuldhaft verletzt wurden oder es zu einer Schädigung Dritter kam. Verstöße gegen Formerfordernisse können ebenfalls zur Unwirksamkeit des Vergleichs führen. Daneben kommen auch sittewidrige Vergleiche oder solche, die treuwidrig auf Kosten eines Dritten abgeschlossen wurden, für eine Anfechtung oder Rückabwicklung in Betracht.
Wie ist die Wirksamkeit eines Rechtsanwaltsvergleichs bei Beteiligung von Minderjährigen oder Betreuten geregelt?
Bei Beteiligung von Minderjährigen oder unter Betreuung stehenden Personen gelten spezielle gesetzliche Anforderungen. Minderjährige sind im Regelfall nur mit Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter (in der Regel die Eltern oder ein Vormund) zu Vergleichen berechtigt. Bei betreuten Personen ist der Betreuer zur Vertretung und daher zur Zustimmung verpflichtet. In familienrechtlichen Angelegenheiten, vor allem wenn es um den Vergleich von Ansprüchen mit erheblichen Auswirkungen auf die Person des Minderjährigen geht, bedarf es oft der gerichtlichen Genehmigung nach § 1643 BGB i.V.m. § 1822 Nr. 10 BGB. Ohne diese ist der abgeschlossene Vergleich unwirksam. Die gerichtliche Prüfung dient dem Schutz des Betroffenen und stellt sicher, dass keine gravierenden Nachteile für den Minderjährigen beziehungsweise die betreute Person entstehen. Ein Verstoß führt zur Nichtigkeit des Vergleichs und kann zu haftungsrechtlichen Konsequenzen für den anwaltlichen Vertreter führen.