Begriff und Grundidee des Realkontrakts
Ein Realkontrakt (auch Realvertrag genannt) ist ein Vertragstyp, der nicht schon durch die bloße Einigung der Beteiligten entsteht, sondern zusätzlich die tatsächliche Übergabe oder Überlassung eines Gegenstands verlangt. Erst mit diesem realen Akt kommt der Vertrag zustande. Der Kern des Konzepts liegt darin, die rechtliche Bindung an eine tatsächliche Leistungsbewegung zu knüpfen.
Historisch geht der Realkontrakt auf das römische Recht zurück. Die Zuordnung dient bis heute als dogmatisches Ordnungskriterium: Sie bestimmt, wann ein Vertrag entsteht, welche Pflichten daraus folgen und wie Risiken bis zum Zustandekommen verteilt sind. In modernen Rechtsordnungen wird der Realkontrakt zum Teil noch ausdrücklich anerkannt, zum Teil wurden einzelne Vertragstypen in Richtung reiner Konsensualverträge weiterentwickelt. Die Einordnung kann je nach Land und Vertragstyp variieren.
Abgrenzungen
Realkontrakt versus Konsensualvertrag
Beim Konsensualvertrag genügt die Einigung über die wesentlichen Punkte, um den Vertrag zu schließen. Beim Realkontrakt ist die Einigung zwar erforderlich, der Vertrag entsteht aber erst durch die tatsächliche Übergabe oder Überlassung der Sache. Diese zusätzliche Voraussetzung verschiebt den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und beeinflusst die Risikoverteilung bis zur Übergabe.
Realkontrakt versus dinglicher Vertrag
Der Realkontrakt regelt schuldrechtliche Pflichten zwischen Personen (etwa Nutzung, Verwahrung, Rückgabe). Ein dinglicher Vertrag betrifft demgegenüber die Übertragung, Belastung oder Aufgabe von Rechten an Sachen (etwa Eigentumsübertragung). Beide Ebenen können zusammentreffen: Wer eine Sache im Rahmen eines Realkontrakts übergibt, kann damit zugleich Besitz übertragen oder dingliche Wirkungen auslösen. Realkontrakt und dinglicher Vertrag sind jedoch begrifflich zu trennen.
Realkontrakt versus Realakt und Gefälligkeit
Ein Realakt ist eine tatsächliche Handlung ohne Rechtsbindungswillen, zum Beispiel das bloße Tragen eines Gegenstands ohne vertragliche Absprache. Eine Gefälligkeit liegt vor, wenn zwar ein soziales Entgegenkommen gegeben ist, aber kein rechtlicher Bindungswille erkennbar wird. Der Realkontrakt setzt demgegenüber eine Einigung mit Bindungswillen und eine Übergabe voraus.
Typische Erscheinungsformen
Welche Vertragstypen als Realkontrakte gelten, ist historisch und systematisch geprägt und in einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgeformt. Häufig genannte Erscheinungsformen sind:
Leihe (Gebrauchsleihe)
Die unentgeltliche Überlassung einer Sache zum Gebrauch für eine bestimmte Zeit mit Rückgabepflicht. In klassischen Darstellungen wird die Leihe als Realkontrakt verstanden, da die vertragliche Bindung erst mit tatsächlicher Überlassung einsetzt. In der neueren Dogmatik wird teils vertreten, dass bereits die Einigung ein Verpflichtungsverhältnis begründet, während die Übergabe die Leistungserfüllung markiert. Die Einordnung hängt von der jeweiligen Rechtsordnung und Auslegung ab.
Verwahrung (Aufbewahrung)
Die entgeltliche oder unentgeltliche Aufbewahrung einer Sache mit Pflicht zur sorgfältigen Obhut und Rückgabe. Traditionell wird sie als Realkontrakt eingeordnet, weil die Verpflichtungen erst mit Annahme der Sache entstehen. Auch hier variiert die heutige Bewertung zwischen den Rechtsordnungen.
Darlehen und Sachdarlehen
Beim Darlehen werden vertretbare Sachen (etwa Geld oder fungible Güter) zur Nutzung überlassen, verbunden mit der Pflicht zur Rückerstattung gleicher Art, Menge und Güte. Historisch wurde das Darlehen vielfach als Realkontrakt verstanden, weil die Bindung an die tatsächliche Hingabe der Sache anknüpfte. In einigen modernen Kodifikationen ist das Darlehen als Konsensualvertrag ausgestaltet; andernorts bleibt die reale Komponente prägend. Das Sachdarlehen zeigt diese reale Prägung besonders deutlich.
Pignus (Pfandbestellung)
Die Übergabe einer Sache zur Sicherung einer Forderung ist in der klassischen Systematik ein Realgeschäft, das an die tatsächliche Besitzübertragung anknüpft. In aktuellen Systemen werden Sicherungsrechte teils differenziert geregelt; die reale Komponente der Übergabe bleibt jedoch ein typisches Merkmal der klassischen Einordnung.
Zustandekommen und Wirksamkeit
Einigung und Übergabe
Voraussetzung ist eine inhaltliche Verständigung über den Vertragstyp und die wesentlichen Punkte (zum Beispiel welche Sache, Zweck der Überlassung, Dauer). Beim Realkontrakt tritt hinzu: die tatsächliche Übergabe oder Überlassung. Diese kann körperlich (Herausgabe) oder, je nach Rechtsordnung, auch durch gleichgestellte Handlungen erfolgen (etwa Besitzmittlungsverhältnisse). Erst mit dieser realen Komponente entsteht das Vertragsverhältnis.
Zeitpunkt des Vertragsschlusses
Der Vertrag wird im Zeitpunkt der Übergabe geschlossen. Das hat Folgen: Vor der Übergabe bestehen keine primären Leistungspflichten aus dem Vertrag, und die Gefahr des zufälligen Untergangs liegt typischerweise bei der Person, die die Sache noch nicht übergeben hat. Mit der Übergabe verändert sich die Risikolage entsprechend dem jeweiligen Vertragstyp.
Formfragen
Realkontrakte unterliegen grundsätzlich keiner besonderen Form, es sei denn, der jeweilige Vertragstyp erfordert eine Form oder die Parteien vereinbaren eine solche. Die reale Komponente ersetzt keine zwingende Form, sie markiert lediglich den für diesen Vertragstyp maßgeblichen Entstehungsakt.
Rechtsfolgen und Pflichten
Hauptleistungspflichten
Die Hauptpflichten ergeben sich aus dem Vertragstyp: Bei der Leihe ist dies die Gebrauchsüberlassung und die Rückgabe; bei der Verwahrung die sorgfältige Aufbewahrung und die Rückgabe; beim Darlehen die Hingabe der vertretbaren Sache und die Rückerstattung in gleicher Art und Menge. Mit Vertragsschluss entstehen außerdem korrespondierende Mitwirkungspflichten.
Nebenpflichten und Obhut
Nebenpflichten betreffen insbesondere Obhut, Sorgfalt, schonenden Gebrauch, Informations- und Rücksichtnahmepflichten. Ihr Umfang richtet sich nach dem Typus des Realkontrakts, der Art der Sache und den Umständen des Einzelfalls. Sie können vertraglich konkretisiert werden.
Gefahrtragung und Risiko
Vor Vertragsschluss trägt grundsätzlich die übergabepflichtige Seite die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache. Nach Vertragsschluss richtet sich die Gefahrtragung nach dem Vertragstyp: Bei Verwahrung kann die Verwahrende die Gefahr für Obhut und Rückgabe tragen, bei Leihe trägt die entleihende Seite die Gefahr für den ordnungsgemäßen Gebrauch. Details variieren nach System und Abrede.
Entgeltlichkeit und Kosten
Realkontrakte sind nicht notwendig unentgeltlich. Die Leihe ist typischerweise unentgeltlich, die Verwahrung kann entgeltlich oder unentgeltlich ausgestaltet sein. Beim Darlehen ist eine Verzinsung möglich. Kostenfragen (Transport, Erhaltung, Versicherung) werden durch Vertragstyp, Parteivereinbarung und ergänzende Regeln bestimmt.
Haftung bei Pflichtverletzung
Bei Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten kommen vertragliche Haftungsfolgen in Betracht, etwa Schadensersatz oder Rückabwicklung. Maßstab und Umfang der Haftung hängen vom Vertragstyp, der Sorgfaltspflicht und etwaigen vertraglichen Risikozuweisungen ab.
Beendigung und Rückabwicklung
Realkontrakte enden regelmäßig durch vereinbarte Zeitabläufe, Rückgabe der Sache, Kündigungstatbestände oder Erfüllung (beim Darlehen durch Rückerstattung). Nach Vertragsende sind noch offene Pflichten (zum Beispiel Rückgabe, Herausgabe von Surrogaten, Abrechnung) zu erfüllen. Unberechtigte oder irrtümliche Überlassungen können Bereicherungsansprüche auslösen.
Dogmatische und praktische Bedeutung
Historischer Ursprung und Systematik
Die reale Komponente funktioniert als Sicherungsinstrument: Rechtsfolgen entstehen erst, wenn eine tatsächliche Leistungsbewegung stattfindet. Das stärkt Beweisbarkeit und Klarheit und reduziert Risiken einer verfrühten Bindung.
Heutiger Stand in verschiedenen Rechtsordnungen
Moderne Rechtsordnungen haben die klassischen Realkontrakte unterschiedlich fortentwickelt. Teilweise wurden sie in Konsensualverträge umgeformt, teilweise blieb die reale Struktur erhalten. In der rechtsvergleichenden Betrachtung bestehen Mischformen, und die Parteien können durch Vorvereinbarungen Verpflichtungen begründen, die auf den späteren Realakt gerichtet sind.
Vertragsgestaltung und Allgemeine Geschäftsbedingungen
Die vertragliche Ausgestaltung präzisiert Zweck, Dauer, Sorgfaltsmaßstab, Kostentragung, Haftung und Rückgabemodalitäten. Bei standardisierten Bedingungen spielt die klare Bestimmung des Zeitpunkts des Vertragsschlusses und der Risikozuweisungen eine besondere Rolle.
Digitale und immaterielle Konstellationen
Bei digitalen Inhalten und Daten stellt sich die Frage, ob und wie eine „Überlassung“ ohne körperliche Sache eine reale Komponente abbildet. Teilweise wird funktional auf die tatsächliche Nutzungsverschaffung abgestellt (Zugang, Freischaltung). Ob dies als Realkontrakt qualifiziert wird, ist systemabhängig und hängt davon ab, wie die jeweilige Rechtsordnung den Begriff der Übergabe versteht.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist ein Realkontrakt?
Ein Realkontrakt ist ein Vertrag, der erst durch einen realen Akt wie die Übergabe einer Sache zustande kommt. Die Einigung ist notwendig, genügt aber allein nicht.
Worin liegt der Unterschied zum Konsensualvertrag?
Beim Konsensualvertrag entsteht die Bindung bereits durch Einigung. Beim Realkontrakt ist zusätzlich eine tatsächliche Überlassung erforderlich, wodurch sich der Zeitpunkt des Vertragsschlusses und die Risikoverteilung verändern.
Welche Verträge gelten typischerweise als Realkontrakte?
Historisch zählen Leihe, Verwahrung, Darlehen für vertretbare Sachen und die Übergabe eines Pfands dazu. In modernen Rechtsordnungen kann die Einordnung abweichen, teils sind diese Verträge heute als Konsensualverträge ausgestaltet.
Wann kommt ein Realkontrakt konkret zustande?
Er kommt zustande, wenn nach vorheriger Einigung die Sache tatsächlich übergeben oder der Gebrauch real verschafft wird. Der Vertragsschluss fällt damit in den Zeitpunkt der Übergabe.
Wer trägt das Risiko vor der Übergabe?
Bis zum Vertragsschluss liegt das Risiko typischerweise bei der Seite, die die Sache noch übergeben muss. Erst mit Übergabe gelten die Regeln des jeweiligen Vertragstyps zur Gefahrtragung.
Ist ein Realkontrakt immer unentgeltlich?
Nein. Die Leihe ist üblicherweise unentgeltlich, die Verwahrung kann entgeltlich sein, und beim Darlehen kommen Zinsen in Betracht. Der Realkontrakt beschreibt das Zustandekommen, nicht zwingend die Entgeltlichkeit.
Welche Bedeutung hat der Realkontrakt bei digitalen Leistungen?
Bei digitalen Inhalten kann die reale Komponente in der tatsächlichen Nutzungsverschaffung liegen, etwa durch Freischaltung. Ob dies als Realkontrakt gilt, hängt von der rechtlichen Einordnung in der jeweiligen Rechtsordnung ab.