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Quasidelikt


Begriff und Definition des Quasidelikts

Als Quasidelikt wird im deutschen und internationalen Zivilrecht ein Tatbestand bezeichnet, der in seiner rechtlichen Wirkung einer unerlaubten Handlung (Delikt) gleicht, obwohl formell nicht alle Merkmale eines klassischen Delikts im engeren Sinne erfüllt sind. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem römischen Recht und hat in verschiedenen modernen Rechtsordnungen unterschiedliche Bedeutung und Ausprägung erfahren. Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist er nicht explizit als eigenständiger Begriff geregelt, wird aber im juristischen Sprachgebrauch und in der wissenschaftlichen Literatur zur Abgrenzung von typischen Delikten herangezogen.

Quasidelikte spielen insbesondere im Bereich der zivilrechtlichen Haftung eine wichtige Rolle. Sie umfassen Konstellationen, in denen jemand für die Schädigung eines anderen einstehen muss, ohne das vollumfängliche Tatbestandserfordernis eines Delikts zu erfüllen.

Historische Entwicklung und Einordnung

Ursprung im römischen Recht

Der Terminus Quasidelikt (lateinisch: „quasi delictum“) entstammt dem klassischen römischen Schuldrecht, das neben den eigentlichen „delicta“ auch „quasi-delicta“ kannte. Während Delikte bewusste oder fahrlässige Rechtsverletzungen waren, bezogen sich Quasidelikte auf ähnliche, oft fahrlässig begangene oder von Pflichtträgern verursachte Rechtsverletzungen, deren Schadensersatzpflicht nicht auf einem vollständigen Delikt fußte.

Entwicklung im modernen Recht

Im modernen deutschen Zivilrecht hat sich der Begriff Quasidelikt als Begriff für solche Haftungstatbestände eingebürgert, die weder rein vertragsrechtlich noch klassische Delikte darstellen, etwa bei der Haftung für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), Haftung der Eltern für ihre Kinder (§ 832 BGB) oder der Haftung des Geschäftsherren für andere Personen. Auch im internationalen Privatrecht, insbesondere im französischen und schweizerischen Obligationenrecht, finden sich noch differenzierte Regelungen zu Quasidelikten.

Systematik und Abgrenzung

Delikt, Quasidelikt und Vertrag

Um die Bedeutung von Quasidelikten zu verstehen, ist die Abgrenzung zu klassischen Delikten und vertraglichen Ansprüchen zentral:

  • Vertragliche Haftung: Entspringt aus der Verletzung vertraglicher Pflichten (insbesondere aus Schuldverhältnissen).
  • Delikthaftung: Entsteht durch die Verletzung widerrechtlich geschützter Rechtsgüter, etwa Körper, Gesundheit, Eigentum (§ 823 ff. BGB).
  • Quasidelikthaftung: Resultiert aus einer Handlung oder Unterlassung, die zwar Tatbestandsmerkmale eines Delikts ähnelt, jedoch aufgrund besonderer Umstände und ohne einen Vertrag zur Schadenersatzpflicht führt.

Typische Anwendungsbereiche

Haftung Dritter und Aufsichtspflicht

Zu den bekanntesten Quasidelikten zählen die Haftung für Handlungen Dritter, insbesondere:

  • Haftung für Aufsichtspflichtverletzungen (§ 832 BGB): Eltern oder Aufsichtspflichtige haften für Schäden, die von den ihnen anvertrauten Personen (z.B. Kindern) verursacht werden.
  • Haftung des Tierhalters (§ 833 BGB): Tierhalter haften für Schäden, die ihr Tier verursacht, obwohl sie selbst nicht unmittelbar an der Schadenshandlung beteiligt waren.

Geschäftsherrenhaftung

  • Haftung des Geschäftsherrn für den Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB): Wer einen anderen mit der Verrichtung einer Aufgabe betraut, haftet für dessen unerlaubte Handlung, sofern er die Sorgfalt bei der Auswahl und Überwachung nicht beachtet hat.

Quasideliktische Ansprüche im öffentlichen Recht

Auch im öffentlichen Recht gibt es quasideliktische Haftungstatbestände, etwa in Form der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG), bei der der Staat für Pflichtverletzungen seiner Amtsträger haftet.

Verletzung von Verkehrssicherungspflichten

Die sogenannte Verkehrssicherungspflicht verpflichtet denjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, zum Schutz Dritter angemessene Vorkehrungen zu treffen. Die Haftung für die Verletzung dieser Pflicht wird als quasideliktisch bezeichnet, da sie außerhalb eines Vertragsverhältnisses, aber ohne unmittelbare deliktische Handlungspflicht entsteht.

Voraussetzungen und Prüfung der Quasidelikt-Haftung

Tatbestandsmerkmale

Allgemein müssen folgende Merkmale erfüllt sein, damit eine Quasideliktshaftung entsteht:

  1. Schädigung eines Rechtsguts (z.B. Eigentum, Körper, Gesundheit)
  2. Handlung oder Unterlassung des in Anspruch genommenen Schädigers oder einer verantwortungsnahen Person
  3. Rechtswidrigkeit der Schädigung (z.B. Verletzung der Aufsichtspflicht, Sorgfaltspflicht)
  4. Zurechnungszusammenhang zwischen der Handlung und dem Schaden (Kausalität)
  5. Verschulden oder Haftung ohne Verschulden (je nach Rechtsgrundlage)

Besondere Beweislastregeln

Im Bereich der Quasidelikte können besondere Beweislastumkehrungen oder Erleichterungen gelten, etwa bei der Geschäftsherrenhaftung, der Haftung für Minderjährige oder in der Gefährdungshaftung.

Ansprüche und Rechtsfolgen

Schadensersatzansprüche

Wer durch ein Quasidelikt geschädigt wird, kann regelmäßig Schadensersatz verlangen. Dies umfasst sowohl den Ausgleich des tatsächlich entstandenen Schadens als auch ggf. Schmerzensgeld (§ 253 BGB).

Regressmöglichkeiten

Haftet jemand quasideliktisch für die Handlung eines Dritten (etwa Eltern für Kinder), so kann unter Umständen im Innenverhältnis ein Regress gegen den unmittelbaren Schädiger in Betracht kommen.

Quasidelikte im internationalen Vergleich

Französisches Recht

Im französischen Zivilrecht existiert der Begriff „quasi-délit“ weiterhin als eigenständige Anspruchsgrundlage neben dem „délicte“, geregelt in Art. 1382 ff. Code Civil. Quasideliktische Haftung bezieht sich dort vor allem auf unerlaubte Handlungen, die nicht unter die typisierten Delikte fallen.

Schweizerisches Obligationenrecht

Das schweizerische Recht unterscheidet in Art. 41 ff. OR ebenfalls zwischen Delikt, Quasidelikt und Vertragshaftung. Die Unterscheidung basiert hauptsächlich auf der jeweiligen Verschuldensform und Kausalzusammenhang.

Bedeutung und praktische Relevanz

Der Begriff des Quasidelikts bleibt in der Praxis ein wertvolles Instrument zur dogmatischen Einordnung verschiedener Haftungstatbestände, die weder rein vertraglich noch klassisch deliktisch sind. Er ermöglicht es, komplexe Haftungsfragen systematisch zu erfassen und sorgt für Klarheit im Umgang mit atypischen Schadensfällen, insbesondere in Aufsichts-, Geschäfts- und Gefährdungshaftungen.

Siehe auch

  • Deliktsrecht
  • Gefährdungshaftung
  • Schadensersatz
  • Verkehrssicherungspflicht
  • Amtshaftung

Literaturhinweise

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar
  • Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil
  • MüKo-BGB, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Hinweis: Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick zum Begriff Quasidelikt und seiner rechtlichen Ausgestaltung in verschiedenen Rechtsbereichen. Alle Informationen sind sorgfältig recherchiert und entsprechen dem aktuellen Stand der Rechtswissenschaft.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt die Beweislast beim Quasidelikt?

Im Rahmen des Quasidelikts trifft die Beweislast grundsätzlich den Geschädigten. Das bedeutet, er muss alle anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen, wie zum Beispiel das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Schädigers (also die unerlaubte Handlung), den Eintritt eines Schadens sowie die Kausalität zwischen der Handlung und dem Schaden. In bestimmten gesetzlich normierten Fällen (zum Beispiel bei der Haftung von Aufsichtspersonen nach § 832 BGB oder beim sogenannten Anscheinsbeweis) kann sich die Beweislast jedoch zugunsten des Geschädigten verschieben oder erleichtert werden. Auch bei typischen Geschehensabläufen kann die Rechtsprechung eine Beweiserleichterung annehmen, wenn aus dem vorgetragenen Geschehen regelmäßig auf eine Pflichtverletzung und den Schaden geschlossen werden kann.

Inwieweit unterscheidet sich das Quasidelikt von der deliktischen Haftung?

Das Quasidelikt weist zahlreiche Parallelen zur deliktischen Haftung auf, insbesondere hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen – wie etwa das Vorliegen einer Handlung, eines Schadens, der Rechtswidrigkeit und Verschuldens sowie eines Kausalzusammenhangs. Der zentrale Unterschied liegt darin, dass Quasidelikte keine vorsätzlichen oder typischen zivilrechtlichen Delikte, sondern gewissermaßen „unechte Delikte“ sind, die insbesondere über die Vorschriften der §§ 823 ff. BGB im deutschen Recht geregelt werden. Hierunter fallen insbesondere fahrlässig begangene unerlaubte Handlungen, die keine Straftaten darstellen. In anderen Rechtssystemen – etwa im französischen Recht – sind Quasidelikte als eigene Anspruchsgrundlagen kodifiziert.

Welche Verjährungsfristen gelten beim Quasidelikt?

Für Schadensersatzansprüche aus Quasidelikt gelten regelmäßig die Verjährungsvorschriften des § 195 BGB, wonach die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre beträgt. Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Geschädigte von dem Schaden sowie der Person des Schädigers Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, gemäß § 199 BGB. In Ausnahmefällen findet die absolute Verjährungsfrist von 10 oder 30 Jahren Anwendung (beispielsweise bei Körper- oder Gesundheitsschäden oder wenn der Schaden auf einer Straftat beruht). Maßgeblich ist daher stets die individuelle Fallkonstellation und die genaue Anspruchsgrundlage.

Bestehen Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Quasideliktshaftung?

Kinder unter sieben Jahren sind gemäß § 828 Abs. 1 BGB deliktsunfähig und können für einen Schaden, den sie verursachen, grundsätzlich nicht haftbar gemacht werden. Zwischen dem siebten und achtzehnten Lebensjahr gilt eine abgestufte Haftung, je nach Einsichtsfähigkeit und der Fähigkeit, das Unrecht ihrer Handlung zu erkennen (§ 828 Abs. 2, 3 BGB). Bei Jugendlichen wird bewertet, ob sie die erforderliche Einsicht in das Unrecht ihres Handelns hatten. Darüber hinaus haften unter Umständen die Aufsichtspflichtigen (z.B. Eltern) gemäß § 832 BGB, sofern sie nachweislich ihre Aufsichtspflicht verletzt haben und dadurch der Schaden verursacht wurde.

Welche Ansprüche können aus einem Quasidelikt hergeleitet werden?

Aus einem Quasidelikt können insbesondere Schadensersatzansprüche (§§ 823 ff. BGB) geltend gemacht werden. Dabei kann sowohl der Ersatz von Vermögensschäden als auch der Ersatz immaterieller Schäden (Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB) verlangt werden, sofern es beispielsweise zu einer Körperverletzung gekommen ist. Bei bestimmten Tatbeständen, wie der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, des Eigentums oder Besitzes, kann neben dem Ersatz eines eingetretenen Schadens auch auf Unterlassung geklagt werden. Darüber hinaus kann der Geschädigte gegebenenfalls auch Ersatz für Folgeschäden verlangen, sofern ein zurechenbarer Ursachenzusammenhang besteht.

Haftet der Täter auch für unvorhersehbare oder atypische Schäden?

Der Ersatz von Schäden aus Quasidelikten ist grundsätzlich auf solche Schäden beschränkt, die adäquat kausal auf das Fehlverhalten des Schädigers zurückzuführen sind. Das bedeutet, nur solche Schäden, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung vorhersehbar waren, müssen ersetzt werden. Für völlig atypische, außergewöhnliche oder sogenannte „Fernfolgen“, mit denen vernünftigerweise nicht gerechnet werden musste, besteht keine Haftung. Maßgeblicher Maßstab ist hierbei die objektive Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts zum Zeitpunkt des schädigenden Verhaltens.

Gibt es im Quasideliktsrecht Möglichkeiten des Mitverschuldens?

Ja, im Rahmen des Quasideliktsrechts findet der Grundsatz des Mitverschuldens gemäß § 254 BGB Anwendung. Wenn der Geschädigte selbst durch eigenes, fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten zu Entstehung oder Umfang des Schadens beigetragen hat, wird die Schadensersatzpflicht des Schädigers entsprechend gemindert. Das Gericht nimmt im Einzelfall eine Haftungsabwägung vor, wobei auch das Gewicht des jeweiligen Verschuldens und die Umstände des Sachverhalts zu berücksichtigen sind. Dies kann zu einer Reduzierung der Ersatzpflicht bis hin zum vollständigen Wegfall führen, wenn der Geschädigte den Schaden überwiegend oder allein verursacht hat.