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Prospekthaftung im weiteren Sinn


Prospekthaftung im weiteren Sinn: Begriff, rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereiche

Die Prospekthaftung im weiteren Sinn ist ein zentraler Begriff des Kapitalmarktrechts und betrifft die Verantwortlichkeit für fehlerhafte oder unvollständige Informationen in Wertpapier-, Vermögensanlagen- oder sonstigen Emissionsprospekten. Ziel ist es, den Schutz von Anlegerinnen und Anlegern sicherzustellen, indem umfassende Informationspflichten für Emittenten, Anbieter und sonstige Prospektverantwortliche normiert werden. Der folgende Artikel erläutert den Begriff, die gesetzlichen Grundlagen, die haftungsbegründenden Voraussetzungen, die Ansprüche der Anleger und die Abgrenzung zur Prospekthaftung im engeren Sinn sowie praxisrelevante Aspekte und aktuelle Entwicklungen.


Definition und Begriffsklärung

Die Prospekthaftung im weiteren Sinn bezeichnet die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die einem Anleger durch irreführende, unvollständige oder fehlerhafte Prospektangaben entstehen können. Sie erstreckt sich auf sämtliche öffentlichen Angebote von Finanzinstrumenten oder sonstigen Kapitalanlagen, sofern der Gesetzgeber eine Prospektpflicht vorsieht. Hiervon abzugrenzen ist die Prospekthaftung im engeren Sinn, bei der speziell die Haftung im öffentlichen Angebot von Wertpapieren gemäß Wertpapierprospektgesetz (WpPG) und Vermögensanlagegesetz (VermAnlG) im Vordergrund steht.


Gesetzliche Grundlagen

Wertpapierprospektgesetz (WpPG)

Das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) regelt die Erstellung, Billigung, Veröffentlichung und Aktualisierung von Prospekten bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren und deren Zulassung zum Handel an organisierten Märkten. Die Prospekthaftung nach WpPG normiert insbesondere die Verantwortlichkeit für Schäden, die Anleger wegen inhaltlicher Fehler oder wesentlicher Auslassungen im Prospekt erleiden.

Vermögensanlagengesetz (VermAnlG)

Das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) erfasst Prospekte für Vermögensanlagen, die nicht dem WpPG unterfallen, wie zum Beispiel Genussrechte, stille Beteiligungen oder Direktinvestments. Auch hier besteht eine umfassende Prospekthaftung im weiteren Sinne für Emittenten, Anbieter und weitere Beteiligte bei prospektpflichtigen Produkten.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Die Vorschriften §§ 280 ff. BGB ermöglichen Schadensersatzansprüche bei vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung (culpa in contrahendo, § 311 BGB), soweit keine spezialgesetzliche Regelung vorliegt. Eine Verletzung der Prospektpflichten kann auch deliktische Ansprüche gemäß §§ 823 ff. BGB begründen.


Haftungsadressaten

Nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sind zur Haftung verpflichtet:

  • Emittenten (Herausgeber der Kapitalanlage)
  • Anbieter (Verkäufer des Anlageprodukts)
  • Prospektverantwortliche (z. B. Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer)
  • Mitunter weitere Personen, etwa Mitglieder der Geschäftsleitung oder Aufsichtsratsmitglieder

Die jeweilige Verantwortlichkeit richtet sich nach der spezifischen gesetzlichen Grundlage und dem Einzelfall.


Voraussetzungen der Prospekthaftung im weiteren Sinn

Fehlerhafter Prospekt

Zentral ist das Vorliegen eines inhaltlich fehlerhaften, unvollständigen, irreführenden oder nicht aktualisierten Prospekts. Fehler sind z. B.:

  • Falsche oder unklare Darstellung wichtiger Unternehmensdaten
  • Unterlassen wichtiger Informationen über Risiken, Geschäftszahlen oder wirtschaftliche Verhältnisse
  • Unzureichende Darstellung der Chancen und Risiken der Kapitalanlage

Zurechnung des Verschuldens

In der Regel ist eine schuldhafte Pflichtverletzung erforderlich, wobei – je nach gesetzlicher Regelung – auch eine verschuldensunabhängige Haftung greifen kann (z. B. beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren nach WpPG).

Kausalität und Schaden

Insbesondere muss zwischen dem Prospektfehler, der Anlageentscheidung und dem daraus erlittenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Der Anleger muss infolge der Prospektfehler eine nachteilige Vermögensdisposition getroffen haben.

Adressatenkreis

Die Haftung erstreckt sich grundsätzlich auf sämtliche Erwerber der betreffenden Anlage während des maßgeblichen Prospektzeitraums, nicht nur auf die direkten Vertragspartner.


Rechtsfolgen

Schadensersatzansprüche

Die maßgebliche Anspruchsgrundlage ist regelmäßig auf Ersatz des durch den fehlerhaften Prospekt erlittenen Schadens gerichtet, insbesondere auf Rückabwicklung der Investition (sog. „großer Schadensersatz“), ggf. gegen Rückgabe der erworbenen Kapitalanlage.

Rücktritts- und Widerrufsrechte

In bestimmten Konstellationen kann ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht bestehen, etwa bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung oder fehlender Prospektunterlage.

Verjährung

Die Ansprüche unterliegen besonderen Verjährungsvorschriften, z. B. einer kurzen Frist von zwei Jahren ab Kenntnis und zehn Jahren ab Prospektveröffentlichung gemäß WpPG.


Abgrenzung zur Prospekthaftung im engeren Sinn

Die Prospekthaftung im engeren Sinn bezieht sich auf die spezialgesetzlich geregelte Haftung für Wertpapier- und Vermögensanlagenprospekte im Rahmen des öffentlichen Angebots. Im weiteren Sinn umfasst die Prospekthaftung darüber hinaus sämtliche zivilrechtlichen Haftungstatbestände im Zusammenhang mit kapitalmarktbezogenen Prospekten, unabhängig von spezialgesetzlichen Wertpapiervorschriften und zum Teil auch auf gesellschaftsrechtliche Kapitalmaßnahmen (wie z. B. Kapitalerhöhungen bei der Aktiengesellschaft).


Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung

Die Prospekthaftung im weiteren Sinn ist geprägt von einer umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs. Hierbei werden Maßstäbe zur Reichweite der Aufklärungspflichten, zur Kausalität zwischen Prospektfehler und Anlageentscheidung sowie zur persönlichen Haftung einzelner Beteiligter fortlaufend geschärft. Daneben sind europarechtliche Vorgaben, etwa durch die Prospektverordnung (EU) 2017/1129, zu berücksichtigen.


Bedeutung in der Praxis

Prospekthaftungsprozesse sind ein wesentliches Instrument des Anlegerschutzes bei Kapitalmarkttransaktionen und Unternehmensbeteiligungen. In der Praxis gewinnen insbesondere neue Anlagemodelle, etwa Crowdfunding oder Online-Plattformen, zunehmend an Bedeutung, sodass die Prospekthaftung im weiteren Sinn fortlaufend auf neue Finanzprodukte Anwendung finden muss.


Zusammenfassung

Die Prospekthaftung im weiteren Sinn ist ein umfassender Haftungstatbestand des Kapitalmarktrechts, der die Verantwortlichkeit für fehlerhafte, irreführende oder lückenhafte Prospekte regelt und damit einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Anleger und zur Integrität der Kapitalmärkte leistet. Sie erstreckt sich auf zahlreiche Finanzprodukte und Transaktionen, deren rechtliche Beurteilung im Einzelfall differenziert und vielschichtig ist. Die stetige Entwicklung von Gesetzgebung, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung sorgt für eine laufende Erweiterung und Anpassung des Anwendungsbereichs dieser Haftungsform.

Häufig gestellte Fragen

Wer kann im Rahmen der Prospekthaftung im weiteren Sinn haftbar gemacht werden?

Im Rahmen der Prospekthaftung im weiteren Sinn haften nicht nur die Emittenten selbst, sondern eine Vielzahl weiterer Personen und Institutionen, die an der Erstellung, Prüfung und Veröffentlichung des Prospekts mitgewirkt haben. Hierzu zählen insbesondere die Gründungsgesellschafter, Initiatoren, Mitglieder der Geschäftsleitung, Aufsichtsratsmitglieder, aber auch Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und sonstige Sachverständige, die für die Erstellung oder Kontrolle des Prospekts beauftragt wurden. Darüber hinaus können Banken und Finanzdienstleister, die die Wertpapiere oder Anlagen vermitteln oder vertreiben, unter bestimmten Voraussetzungen in die Haftung genommen werden, sofern sie in besonderer Weise das Vertrauen der Anleger in Anspruch genommen oder eine Garantenstellung für die Prospektwahrheit übernommen haben. Maßgeblich ist immer die konkrete Mitwirkung am Prospekt oder an sonstigen anlagebezogenen Informationsmaterialien im Rahmen der öffentlichen Angebotsphase. Haftungsgrundlage sind unterschiedlich ausgestaltete Vorschriften im Wertpapierprospektgesetz (WpPG), im Vermögensanlagengesetz (VermAnlG), im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und ergänzenden spezialgesetzlichen Konzeptionen.

Welche Voraussetzungen müssen für einen erfolgreichen Anspruch aus Prospekthaftung im weiteren Sinn vorliegen?

Für einen erfolgreichen Anspruch aus Prospekthaftung im weiteren Sinn müssen verschiedene Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Zunächst muss der Prospekt oder das anlagebezogene Informationsmaterial einen Fehler, d.h. eine Unrichtigkeit, Unvollständigkeit oder Irreführung aufweisen, wobei sowohl objektive als auch subjektive Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Des Weiteren muss zwischen dem Erwerb der Anlage und der Prospektveröffentlichung ein zeitlicher Zusammenhang bestehen, der sog. Erwerb im Vertrauen auf die Prospektangaben. Zudem muss der Fehler ursächlich für die Anlageentscheidung gewesen sein, wobei typisierende Beweiserleichterungen zugunsten des Anlegers greifen. Schließlich ist grundsätzlich ein Schaden beim Erwerber (bspw. durch Wertverlust der Anlage) erforderlich. Je nach Anspruchsgrundlage ist außerdem ein Verschulden notwendig, wobei hier teilweise eine Beweislastumkehr oder Haftungserleichterungen zugunsten der Geschädigten vorgesehen sein können.

Ist ein Mitverschulden des Anlegers im Rahmen der Prospekthaftung im weiteren Sinn möglich?

Ein Mitverschulden des Anlegers kann im Rahmen der Prospekthaftung grundsätzlich berücksichtigt werden. Dies ergibt sich aus § 254 BGB, wonach die Ersatzpflicht des Schädigers entfällt oder sich mindert, wenn der Geschädigte durch eigenes Verschulden zur Entstehung des Schadens beigetragen hat. Im Zusammenhang mit Prospektfehlern wird zu Lasten des Anlegers insbesondere geprüft, ob dieser erkennbare Risiken oder Warnhinweise missachtet, das Informationsmaterial nicht gelesen oder sich in besonderem Maße leichtfertig verhalten hat. Allerdings ist aufgrund der typisierten Schutzrichtung der spezialgesetzlichen Prospekthaftung die tatsächliche Durchsetzbarkeit einer Mitverschuldensanrechnung in solchen Konstellationen häufig stark eingeschränkt, da der Gesetzgeber gerade einen umfassenden Anlegerschutz bezweckt und den Klägern in der Beweisführung weitreichende Erleichterungen zugesprochen hat.

Welche Fristen sind bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinn zu beachten?

Die Fristen zur Geltendmachung von prospekthaftungsrechtlichen Ansprüchen sind unterschiedlich geregelt und hängen von der jeweiligen Anspruchsgrundlage ab. Im Wertpapierprospektgesetz (§ 21 WpPG) gilt grundsätzlich eine Ausschlussfrist von zwei Jahren seit Erwerb der Wertpapiere, maximal jedoch innerhalb von zehn Jahren nach Veröffentlichung des fehlerhaften Prospekts. Das Vermögensanlagengesetz sieht vergleichbare Fristen vor, wobei hier ebenfalls eine absolute Verjährungsgrenze eingezogen wird. Für allgemeine deliktische oder zivilrechtliche Haftungsansprüche gelten die regelmäßigen Verjährungsvorschriften des BGB (§§ 195, 199), wonach die Verjährung regelmäßig drei Jahre nach dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Geschädigte Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hatte. Es ist daher zwingend erforderlich, in jedem Einzelfall die maßgebliche Anspruchsgrundlage und die einschlägigen Fristen sorgfältig zu prüfen, um einen Anspruch nicht durch Fristversäumnis zu verlieren.

Inwieweit betrifft die Prospekthaftung im weiteren Sinn auch sogenannte „Graue Kapitalanlagen“?

Die Prospekthaftung im weiteren Sinn erfasst nicht nur klassische Wertpapiere wie Aktien oder Anleihen, sondern auch eine Vielzahl sogenannter „Grauer Kapitalanlagen“. Hierzu zählen unter anderem geschlossene Fonds, stille Beteiligungen, Genussrechte, partiarische Darlehen, Direktinvestments und ähnliche Anlageformen, die dem Anlegerschutz unterfallen, aber nicht immer in den Anwendungsbereich kapitalmarktrechtlicher Spezialgesetze wie des WpPG fallen. Insbesondere das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) und ergänzend das allgemeine Zivilrecht (§§ 280, 311 BGB) bilden hier die zentrale Anspruchsgrundlage. Sofern ein Prospekt oder vergleichbares Informationsmaterial vorliegt und dieses fehlerhaft ist, erstreckt sich der Schutz und die Haftung im weiteren Sinne auch auf diese Produkte. Gerade im Bereich „Grauer Kapitalmarkt“ ist die Prospekthaftung ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung von Anlegerrechten gegen eine oft schwer zu durchschauende Emittentenstruktur.

Welche Rolle spielt die Kausalität zwischen Prospektfehler und Anlageentscheidung im Haftungsprozess?

Die Kausalität, also der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Fehler im Prospekt und der konkreten Anlageentscheidung des Erwerbers, spielt im Haftungsprozess eine zentrale Rolle. Typischerweise muss der Kläger nachweisen, dass er die Anlageentscheidung im Vertrauen auf die Angaben im Prospekt getroffen hat und dass der Prospektfehler geradezu ursächlich für den Erwerb war. Allerdings wird dieser Nachweis durch die Rechtsprechung weitgehend erleichtert: Es genügt regelmäßig, dass der Erwerber den Prospekt zur Kenntnis genommen hat und nähere konkrete Abweichungen vom pflichtgemäßen Verhalten nicht in Betracht kamen. Im Zweifel wird vermutet, dass fehlerhafte oder unvollständige Informationen die Anlageentscheidung beeinflusst haben („Kausalitätsvermutung“ zugunsten des Anlegers), sofern nicht der Prospektgegner deren Widerlegung gelingt. Auch bei Nachträgen oder Berichtigungen kann die Kausalitätslage maßgeblich beeinflusst werden.

Wie verhält sich die Prospekthaftung im weiteren Sinn zu einer möglichen Haftung aus fehlerhafter Anlageberatung oder -vermittlung?

Die Prospekthaftung im weiteren Sinn und die Haftung aus fehlerhafter Anlageberatung oder -vermittlung sind eigenständige Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Voraussetzungen. Während die Prospekthaftung auf die Richtigkeit, Vollständigkeit und Transparenz des veröffentlichen Informationsmaterials (meist Prospekt) abstellt, greift die Haftung wegen Beratungsfehlern dann, wenn die Bank oder der Vermittler seine spezifischen Pflichten zur anleger- und objektgerechten Beratung verletzt hat (§§ 280, 311 Abs. 2 BGB, § 63 WpHG). Beide Haftungsarten können nebeneinander bestehen und der Geschädigte kann sich auf die für ihn günstigere Anspruchsgrundlage stützen. Im Prozess ist zu beachten, dass die Beweislastregeln und die jeweilige Verjährung abweichen können. Insbesondere im Schnittstellenbereich von Beratungs- und Prospektfehlern hat die Rechtsprechung herausgearbeitet, dass sich Pflichtverletzungen im Prospekt regelmäßig auf die Beratungshaftung auswirken, wenn der Berater auf fehlerhafte Angaben vertraut hat. Ein Konkurrenzverhältnis ist daher regelmäßig zu prüfen.