Prospekthaftung im engeren Sinn
Die Prospekthaftung im engeren Sinn stellt ein zentrales Haftungsinstitut im deutschen Kapitalmarkt- und Zivilrecht dar. Sie bezieht sich unmittelbar auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit für fehlerhafte oder unvollständige Kapitalmarktinformationen, konkret für Prospekte, die bei der Ausgabe von Finanzinstrumenten, insbesondere Wertpapieren, Anlegern zur Verfügung gestellt werden. Ziel und Zweck der Prospekthaftung ist es, das Vertrauen in den Kapitalmarkt zu stärken und Anleger vor Informationsasymmetrien sowie wirtschaftlichen Nachteilen durch unrichtige, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zu schützen.
Rechtsgrundlagen der Prospekthaftung im engeren Sinn
Wertpapierprospektgesetz (WpPG)
Die Prospekthaftung im engeren Sinn ist vor allem im Wertpapierprospektgesetz (WpPG) geregelt. Das Gesetz verlangt, dass vor dem öffentlichen Angebot von Wertpapieren ein Prospekt veröffentlicht wird, der alle wesentlichen Angaben enthalten muss, die für eine sachgerechte Beurteilung der Anlageentscheidung erforderlich sind. Die Inhalte eines solchen Prospekts sind detailliert in Art. 6 der EU-Prospektverordnung (VO [EU] 2017/1129) sowie im WpPG und weiteren Verordnungen geregelt.
Vermögensanlagengesetz (VermAnlG)
Ähnliche Haftungsbestimmungen sieht das Vermögensanlagengesetz für öffentliche Angebote von Vermögensanlagen vor. Auch hier besteht eine Prospekthaftung, wenn der Prospekt unrichtige oder unvollständige Angaben enthält.
Tatbestand der Prospekthaftung im engeren Sinn
Die Prospekthaftung im engeren Sinn bezieht sich auf die Haftung für Fehler im Prospekt, insbesondere wenn wesentliche Angaben fehlen oder unrichtig sind. Die Rechtsprechung hat die Voraussetzungen für eine Haftung in den folgenden Punkten präzisiert:
Haftungsbegründende Voraussetzungen
- Fehlerhafter Prospekt: Haftung entsteht, wenn der Prospekt bei seiner Veröffentlichung unrichtige oder unvollständige Angaben über für die Bewertung der Wertpapiere oder Vermögensanlagen wesentliche Umstände enthält.
- Öffentliches Angebot: Die Prospekthaftung greift nur bei öffentlich angebotenen Wertpapieren oder Vermögensanlagen.
- Kausalität: Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Anlage und der unrichtigen/unvollständigen Prospektangabe bestehen.
Haftende Personen
Die Haftung trifft die für den Prospekt Verantwortlichen gemäß den § 9 WpPG und § 20 VermAnlG. Dazu zählen in der Regel:
- Emittenten der Wertpapiere bzw. Anbieter der Vermögensanlagen,
- deren gesetzliche Vertreter und Verwaltungsorgane,
- ggf. weitere an der Prospekterstellung beteiligte Personen.
Umfang der Haftung
Die Prospekthaftung im engeren Sinn ist eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Das bedeutet: Schon die objektive Fehlerhaftigkeit des Prospekts kann zu Ersatzansprüchen führen, unabhängig von einem Verschulden. Schuldhaftes Verhalten ist also kein Tatbestandsmerkmal für die Haftung.
Rechtsfolgen der Prospekthaftung im engeren Sinn
Primärer Schadensersatzanspruch
Der geschädigte Anleger kann von den haftenden Personen Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen. In der Regel wird der Schaden in Form der sogenannten Rückabwicklung (d.h. Rückgabe der Wertpapiere/Vermögensanlagen gegen Erstattung des investierten Kapitals zzgl. etwaiger Aufwendungen) geltend gemacht.
Verjährung
Die Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinn unterliegen besonderen Verjährungsregeln (§ 12 WpPG, § 21 VermAnlG). Die Verjährung beträgt grundsätzlich zwei Jahre ab dem Zeitpunkt, in dem die Anleger Kenntnis von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts erlangen, spätestens jedoch nach zehn Jahren seit Veröffentlichung des Prospekts.
Unterschied zur Prospekthaftung im weiteren Sinn
Die Prospekthaftung im engeren Sinn ist von der Prospekthaftung im weiteren Sinn abzugrenzen. Während erstere gesetzlich ausdrücklich normiert und verschuldensunabhängig ist, umfasst die Prospekthaftung im weiteren Sinn auch die Verantwortlichkeit aus allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, etwa aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Vermögensschadensrecht, und setzt grundsätzlich ein schuldhaftes Verhalten voraus.
Relevante Rechtsprechung zur Prospekthaftung im engeren Sinn
Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, hat die Anforderungen an die Prospektverantwortlichen weiter konkretisiert: Es besteht eine Pflicht zur umfassenden, wahrheitsgemäßen und vollständigen Information in Prospekten. Wesentliche Umstände, die für die Entscheidungsfindung von Bedeutung sein können, müssen offengelegt werden. Die Anforderungen an die Wiedergabe von Chancen und Risiken sind hoch und richten sich stets nach der Zielgruppe des Prospekts.
Abgrenzung zu anderen Haftungsformen
Neben der Prospekthaftung im engeren Sinn existieren weitere kapitalmarktrechtliche Haftungsregelungen, beispielsweise die Ad-hoc-Publizitätspflicht gemäß § 15 WpHG oder die Haftung bei geschlossenen Fonds nach Schuldrecht. Die Prospekthaftung im engeren Sinn sticht jedoch aufgrund ihrer spezialgesetzlichen Normierung sowie dem Schutzgedanken hinsichtlich des Vertrauens der (meist nicht institutionellen) Anleger hervor.
Bedeutung für den Anlegerschutz und die Kapitalmarktregulierung
Die Prospekthaftung im engeren Sinn leistet einen essenziellen Beitrag zum qualifizierten Anlegerschutz. Sie flankiert die regulatorischen Maßnahmen zur Gewährleistung von Markttransparenz und dient der Funktionsfähigkeit und Integrität des Kapitalmarkts. Fehlende oder mangelhafte Prospekte gefährden das Vertrauen in das Funktionssystem Wertpapiermarkt und konterkarieren die Anlageentscheidung von Investoren.
Fazit
Die Prospekthaftung im engeren Sinn ist ein zentrales Instrument des deutschen Kapitalmarktrechts zur Kompensation sowie Prävention von Kapitalmarktschäden an Anlegern infolge fehlerhafter oder unvollständiger Prospektangaben. Sie ist von der Prospekthaftung im weiteren Sinn abzugrenzen und zeichnet sich durch strenge Haftungsmaßstäbe sowie eine weitreichende Sicherung der Anlegerinteressen aus. Ihr vollumfängliches Verständnis ist für alle Beteiligten am Kapitalmarkt von erheblicher Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wer sind die typischen Anspruchsgegner bei einer Prospekthaftung im engeren Sinn?
Im Rahmen der Prospekthaftung im engeren Sinn richten sich Schadensersatzansprüche grundsätzlich gegen die Emittentin des Wertpapiers sowie gegen alle Personen, die für den fehlerhaften Prospekt die Verantwortung übernommen haben. In der Regel zählen hierzu die Mitglieder des Vorstands bzw. der Geschäftsführung, die Mitglieder des Aufsichtsrats sowie häufig der Prospektverfasser. Auch sogenannte Hintermänner, also Personen, die wesentliche Beiträge zur Erstellung oder Verbreitung des Prospekts geleistet haben, können haftbar gemacht werden, sofern ihre Verantwortung nachgewiesen werden kann. Daneben können auch mitwirkende Banken sowie sonstige beteiligte Institute in den Anwendungsbereich fallen, sofern sie im Prospekt als Verantwortliche genannt werden oder sich in besonderer Weise hinter den Prospektinhalt stellen.
Welche Pflichten bestehen hinsichtlich der Erstellung eines Prospekts?
Die zentrale Pflicht im Zusammenhang mit der Prospekthaftung im engeren Sinne liegt darin, einen Prospekt zu erstellen, der inhaltlich vollständig, richtig und nicht irreführend ist. Dies umfasst insbesondere die Verpflichtung, alle für die Anlageentscheidung erheblichen Informationen richtig und vollständig offenzulegen und keine Tatsachen zu verschweigen, die für die Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos maßgeblich sind. Zudem besteht die Pflicht zur laufenden Aktualisierung, wenn sich während der Angebotsphase wesentliche Umstände ändern oder neue bedeutsame Tatsachen bekannt werden („Nachtragspflicht“); unterbleibt dies, kann ebenfalls eine Haftung ausgelöst werden.
Unter welchen Voraussetzungen entsteht ein Schadensersatzanspruch aus Prospekthaftung im engeren Sinn?
Ein Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass dem Erwerber aufgrund eines fehlerhaften Prospekts ein Schaden entstanden ist. Es muss also ein Prospekt vorgelegen haben, der objektiv unrichtig, unvollständig oder irreführend war, und der Erwerber muss das Wertpapier in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Prospektveröffentlichung erworben haben. Außerdem ist erforderlich, dass der Erwerber gerade aufgrund des Prospektfehlers die Entscheidung zum Erwerb getroffen hat (Kausalität). Die fehlerhafte Information muss also für den Vertragsschluss ursächlich gewesen sein. Schließlich wird in der Regel die Verletzung einer gesetzlichen Aufklärungspflicht vorausgesetzt.
Welche Unterschiede bestehen zwischen der Prospekthaftung im engeren und im weiteren Sinn?
Die Prospekthaftung im engeren Sinne basiert unmittelbar auf spezialgesetzlichen Vorschriften wie §§ 9 WpPG (Wertpapierprospektgesetz) oder §§ 13 ff. VermAnlG (Vermögensanlagengesetz) und betrifft in erster Linie die Irreführung durch einen fehlerhaften Prospekt im Zusammenhang mit einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder Vermögensanlagen. Demgegenüber begründet die Prospekthaftung im weiteren Sinn Ansprüche im Wege der allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, insbesondere aus § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) oder vorvertraglicher Aufklärungspflichten, etwa im Rahmen der culpa in contrahendo (c.i.c.). Die Unterschiede betreffen insbesondere die tatbestandlichen Voraussetzungen, die Beweislast und die mögliche Verjährung.
Welche Beweislastregelungen gelten bei der Prospekthaftung im engeren Sinn?
Im Gegensatz zu allgemeinen zivilrechtlichen Haftungstatbeständen enthält die Prospekthaftung im engeren Sinne zugunsten des geschädigten Anlegers häufig eine Beweiserleichterung hinsichtlich Kausalitäts- und Verschuldensfragen. Zwar muss der Kläger darlegen und beweisen, dass ein fehlerhafter Prospekt vorlag und er die Wertpapiere im Zuge des Angebots erwarb, jedoch wird gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 VermAnlG bzw. § 11 Abs. 1 Satz 2 WpPG das Verschulden des Prospektverantwortlichen gesetzlich vermutet. Der Beklagte trägt somit die Beweislast dafür, dass ihn kein Verschulden trifft (Exkulpationsmöglichkeit). Zudem gilt eine Kausalitätsvermutung zugunsten des Anlegers, sofern er in einem bestimmten Zeitraum nach Prospektveröffentlichung erworben hat.
Welche Verjährungsfristen gelten für Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinn?
Die spezialgesetzlichen Vorschriften zur Prospekthaftung sehen regelmäßig relativ kurze Verjährungsfristen vor. Nach § 13 Abs. 4 VermAnlG bzw. § 12 WpPG verjähren Ansprüche binnen zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der ersten öffentlichen Einführung des Wertpapiers oder der Vermögensanlage. Darüber hinaus existiert eine absolute Verjährungsfrist, die unabhängig von Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis spätestens nach zehn Jahren seit der Prospektveröffentlichung eintritt. Diese Fristen sind zwingend und können durch Vertrag nicht verlängert werden. Die kurzen Verjährungsfristen sollen der Rechtssicherheit und der schnellen Abwicklung von Kapitalmarktprozessen dienen.
Welche Rechtsfolgen können bei erfolgreicher Inanspruchnahme eintreten?
Kommt es zu einer erfolgreichen Inanspruchnahme nach Prospekthaftung im engeren Sinn, hat der geschädigte Anleger grundsätzlich einen Anspruch auf Rückabwicklung des jeweiligen Erwerbsgeschäfts. Dies bedeutet, dass er von dem Anspruchsgegner die Rückzahlung des gezahlten Anlagebetrags gegen Rückgabe der erworbenen Wertpapiere oder Vermögensanlagen verlangen kann. Eventuelle bereits gezogene Nutzungen oder Dividenden müssen angerechnet werden. Auch ein weitergehender Schadenersatz, zum Beispiel für entgangene Zinsen oder Folgeschäden, kann nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts im Einzelfall verlangt werden.