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Produzentenhaftung


Begriff und Bedeutung der Produzentenhaftung

Die Produzentenhaftung ist ein zentraler Begriff im deutschen und europäischen Zivilrecht. Sie beschreibt die zivilrechtliche Haftung von Herstellern für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte oder mangelhafte Ware am Endverbraucher oder dessen Eigentum entstehen. Die Produzentenhaftung ist ein Haftungsinstitut, das im Rahmen der Gefährdungshaftung agiert und neben die vertraglichen und deliktischen Haftungsformen tritt. Ziel der Produzentenhaftung ist es, die Sicherheit im Warenverkehr zu gewährleisten und Hersteller zur Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten anzuhalten.

Rechtsgrundlagen der Produzentenhaftung

Deutsches Recht

Im deutschen Recht basiert die Produzentenhaftung insbesondere auf den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), namentlich den §§ 823 ff. BGB, und wurde durch die Integration des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) weiterentwickelt. Die richterrechtlich entwickelte Produzentenhaftung wird vor allem in der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB eingeordnet.

Deliktische Haftung (§ 823 BGB)

Die deliktische Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet den Hersteller, für schuldhaft verursachte Schäden durch mangelhafte Produkte einzustehen, wenn Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht verletzt wird. Grundlage ist der Grundsatz, dass der Hersteller nach den allgemein anerkannten Regeln von Wissenschaft und Technik Produkte herstellen muss, die keine Gefahren für den Benutzer bergen.

Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG)

Das Produkthaftungsgesetz, das auf einer EG-Richtlinie (85/374/EWG) beruht, regelt die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte. Geregelt ist insbesondere die Haftung bei Sach- und Personenschäden, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht wurden, unabhängig vom Verschulden des Herstellers.

Europarecht

Auf europarechtlicher Ebene ist die Produzentenhaftung vor allem durch die Produkthaftungsrichtlinie (EG-Richtlinie 85/374/EWG) geprägt worden. Diese wurde in Deutschland durch das Produkthaftungsgesetz umgesetzt und gewährleistet eine weitgehende Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen innerhalb der Europäischen Union.

Voraussetzungen der Produzentenhaftung

Die Haftung des Herstellers setzt verschiedene Voraussetzungen voraus, die je nach Haftungsregime (deliktisch oder produkthaftungsrechtlich) variieren können.

Fehlerhaftigkeit des Produkts

Ein Produkt gilt als fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Darbietung, des zu erwartenden Gebrauchs und des Zeitpunkts, in dem es in Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann (§ 3 ProdHaftG).

Schadenseintritt

Die Haftung wird nur ausgelöst, wenn durch das fehlerhafte Produkt tatsächlich ein Schaden eintritt, wobei zwischen Gesundheits-, Körper- und Sachschäden zu unterscheiden ist.

Zurechenbarkeit

Der Schaden muss dem Hersteller zurechenbar sein. Das bedeutet, dass der durch das fehlerhafte Produkt verursachte Schaden kausal auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht oder auf einen Produktfehler zurückzuführen ist.

Haftungsausschlüsse

Der Hersteller haftet nicht, wenn entweder der Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkannt werden konnte (Entwicklungsrisiko) oder wenn das Produkt gar nicht für den gewerblichen Verkehr produziert wurde.

Arten der Produktfehler

Die Produkthaftung unterscheidet verschiedene Arten von Fehlern, für die der Hersteller haftet:

  • Konstruktionsfehler: Fehlerhafte Konzeption des Produkts, das unabhängig von der Herstellungsmethode unsicher ist.
  • Fabrikationsfehler: Fehler bei der Herstellung oder Ausführung des einzelnen Produkts (sog. „Ausreißer“).
  • Instruktionsfehler: Fehlende oder unzureichende Gebrauchsanleitungen und Warnhinweise, die zu unsachgemäßer Anwendung führen können.

Umfang der Ersatzpflicht

Personenschäden

Hersteller haften bei Schädigung von Leben, Körper oder Gesundheit. Die Haftung umfasst die Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall sowie immaterielle Schäden (Schmerzensgeld).

Sachschäden

Erfasst sind Schäden an privat genutzten Sachen, die nicht das fehlerhafte Produkt selbst sind. Reine Mangelschäden am Produkt selbst werden durch die Produkthaftung nicht ersetzt.

Haftungshöchstbeträge

Das Produkthaftungsgesetz sieht Haftungshöchstbeträge vor: Bei Personenschäden ist die Haftung auf 85 Millionen Euro je Schadensereignis begrenzt (§ 10 ProdHaftG).

Ansprüche und Verjährung

Anspruchsberechtigte

Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich alle geschädigten Personen, unabhängig davon, ob zwischen ihnen und dem Hersteller ein Vertragsverhältnis besteht.

Verjährung

Die Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz verjähren in der Regel drei Jahre nach Kenntnis von Schaden, Fehler und Ersatzpflichtigen, spätestens jedoch zehn Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts.

Produzentenhaftung und Unternehmensorganisation

Hersteller sind verpflichtet, betriebsinterne Organisationsmaßnahmen zu treffen, um die Produktsicherheit zu gewährleisten. Dazu zählen Qualitätskontrollen, stichprobenartige Prüfungen, Rückrufmanagement und Dokumentationspflichten. Versäumnisse in der Unternehmensorganisation können zur Haftung führen.

Regress und Gesamtschuld

Oft sind mehrere Hersteller, Zulieferer oder Händler an der Herstellung oder dem Vertrieb beteiligt. In diesen Fällen haften die Beteiligten als Gesamtschuldner gegenüber dem Geschädigten. Im Innenverhältnis bestehen Regressansprüche, um die Haftung entsprechend der Verantwortlichkeit zu verteilen.

Produzentenhaftung im internationalen Kontext

Die Haftungsvorschriften der einzelnen Staaten weisen häufig Abweichungen auf, auch im Europäischen Ausland. Die Produkthaftungsrichtlinie schuf dabei Mindeststandards für die gesamte EU, jedoch sind Unterschiede in Haftungshöchstgrenzen, Verjährungsfristen und dem Anwendungsbereich zu beachten.

Abgrenzung zu anderen Haftungsformen

Die Produzentenhaftung ist insbesondere von der Händlerhaftung, der Garantenstellung und der klassischen Vertragshaftung abzugrenzen. Sie setzt keine vertraglichen Beziehungen zum Geschädigten voraus und unterliegt eigenen rechtlichen Voraussetzungen.


Die Produzentenhaftung ist ein komplexes und vielschichtiges Rechtsinstitut, das zentrale Bedeutung für den Verbraucherschutz und die Sicherheit im Warenverkehr hat. Sie verpflichtet Hersteller zu umfassender Kontrolle und ständiger Überprüfung der von ihnen vertriebenen Produkte und wird den stetig wachsenden Anforderungen moderner Industriegesellschaften hinsichtlich Produktsicherheit und Schadensausgleich gerecht.

Häufig gestellte Fragen

Wer kann im Falle eines Produktfehlers haftbar gemacht werden?

Im Falle eines Produktfehlers können grundsätzlich mehrere Akteure innerhalb der Produktions- und Vertriebskette haftbar gemacht werden. Rechtlich haften gemäß Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in Deutschland insbesondere der Hersteller des Endprodukts, der Hersteller eines Teilprodukts sowie der sogenannte Quasi-Hersteller, also derjenige, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt. Darüber hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen auch der Importeur haftbar sein, wenn das Produkt aus einem Drittstaat in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt wird. Auch Zwischenhändler oder Händler können in Haftung genommen werden, wenn der Hersteller nicht ausfindig gemacht werden kann. Diese haftungsrechtliche Zurechnung soll sicherstellen, dass Geschädigte einen solventen Anspruchsgegner haben und nicht durch unklare Herstellerstrukturen benachteiligt werden.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Produzentenhaftung greift?

Für die Inanspruchnahme der Produzentenhaftung müssen verschiedene rechtliche Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Zunächst muss ein fehlerhaftes Produkt im Sinne des § 3 ProdHaftG vorliegen, also ein Produkt, das nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Weiterhin muss durch diesen Produktfehler ein Personen- oder Sachschaden verursacht worden sein. Der Schaden darf dabei jedoch nicht das fehlerhafte Produkt selbst betreffen, sondern muss eine andere Rechtsposition (z. B. Gesundheit, Leben oder eine andere Sache) betreffen. Zudem erfordert die Haftung nach § 1 ProdHaftG einen ursächlichen Zusammenhang (Kausalität) zwischen Produktfehler und eingetretenem Schaden. Schließlich trifft den Geschädigten die Beweislast für Produktfehler, Schaden und Kausalität, allerdings ist die Haftung grundsätzlich verschuldensunabhängig, das heißt, sie setzt kein Verschulden des Produzenten voraus.

Welcher Unterschied besteht zwischen der verschuldensunabhängigen und der deliktischen Produzentenhaftung?

Die verschuldensunabhängige Produzentenhaftung nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) verpflichtet den Hersteller unabhängig von einem eigenen Verschulden, sofern die gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind. Demgegenüber steht die deliktische Haftung, insbesondere nach § 823 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), die ein schuldhaftes Verhalten des Herstellers, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit, voraussetzt. Die deliktische Produzentenhaftung kommt insbesondere bei sogenannten Organisationspflichtverletzungen in Betracht, etwa wenn der Hersteller seiner Sorgfaltspflicht bei der Produktüberwachung oder Instruktion nicht nachkommt. Im Ergebnis bestehen daher zwei parallele Haftungssysteme mit unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen und teils unterschiedlichen Rechtsfolgen, wobei die verschuldensunabhängige Haftung regelmäßig weiter reicht.

Welche Arten von Produktfehlern werden rechtlich unterschieden?

Im rechtlichen Kontext wird zwischen drei Hauptarten von Produktfehlern unterschieden: Konstruktionsfehler, Fabrikationsfehler und Instruktionsfehler. Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn das Produkt bereits im Entwurfsstadium unsicher ist, etwa weil auf eine sichere Gestaltung verzichtet wurde. Ein Fabrikationsfehler tritt auf, wenn bei der Herstellung von einzelnen Exemplaren vom Standard abgewichen und dadurch das Produkt fehlerhaft wurde. Instruktionsfehler schließlich beziehen sich auf mangelhafte oder fehlende Bedienungsanleitungen, Warnhinweise oder Gebrauchsinformationen, die zu einer Gefahr für den Anwender führen können. Jede dieser Fehlerarten begründet eigene Pflichten für den Hersteller und kann jeweils Grundlage für eine Haftung sein.

Kann sich ein Hersteller von der Haftung freistellen?

Das Produkthaftungsgesetz sieht einige spezifische Haftungsausschlüsse vor. Ein Hersteller kann sich insbesondere dann von der Haftung befreien, wenn er nachweisen kann, dass der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG; sogenannter Entwicklungsrisikoverteidigung). Weitere Haftungsbefreiungsgründe bestehen, wenn das Produkt nicht für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs im geschäftlichen Verkehr hergestellt wurde oder wenn der Fehler durch die Einhaltung verbindlicher behördlicher Vorschriften unvermeidbar war. Die Beweislast für das Vorliegen der Haftungsausschlussgründe trägt der Hersteller, wobei der Entlastungsbeweis hohe Anforderungen stellt.

Welche Ansprüche können Geschädigte geltend machen?

Geschädigte können im Rahmen der Produzentenhaftung insbesondere Schadensersatzansprüche geltend machen. Im Falle eines Personenschadens besteht ein Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall, gegebenenfalls Schmerzensgeld sowie im Todesfall auch auf Unterhaltsleistungen an Hinterbliebene (§ 8 ProdHaftG). Zudem kann Sachschaden an privat genutzten Gegenständen ersetzt verlangt werden, wobei allerdings eine Selbstbeteiligung von 500 Euro für Sachschäden gilt (§ 11 ProdHaftG). Weitergehende Ansprüche können sich aus der deliktischen Haftung oder aus vertraglichen Gewährleistungsrechten ergeben, je nach Sachverhalt und Parteikonstellation.

Gibt es Haftungsbeschränkungen oder Höchstbeträge bei der Produzentenhaftung?

Das Produkthaftungsgesetz sieht bestimmte Haftungsobergrenzen vor, insbesondere bei Sachschäden. Der maximale Haftungsbetrag für durch ein und dasselbe fehlerhafte Produkt verursachte Schäden an Sachen beträgt 85 Millionen Euro (§ 10 ProdHaftG). Eine entsprechende Begrenzung gilt für Personenschäden allerdings nicht; hier haftet der Hersteller grundsätzlich unbegrenzt. Für Arzneimittel gelten weitere Sonderregelungen nach dem Arzneimittelgesetz. Zudem dürfen vertragliche Haftungsbeschränkungen zum Nachteil des Verbrauchers im Rahmen der Produkthaftung generell nicht vereinbart werden (§ 14 ProdHaftG), sodass der gesetzliche Schutz der Verbraucher nicht unterlaufen werden kann.