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Politische Straftaten


Definition und rechtliche Einordnung politischer Straftaten

Politische Straftaten sind im Recht ein eigenständiger Begriff, der eine besondere Gruppe von Straftaten beschreibt, deren Zielsetzung, Motivation oder Wirkung Bezüge zum Schutz staatlicher oder gesellschaftlicher Grundordnungen aufweist. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht vorrangig gegen individuelle Rechtsgüter gerichtet sind, sondern sich gegen die politische Ordnung, die innere oder äußere Sicherheit eines Staates oder gegen seine Repräsentanten wenden. Die genaue Begriffsbestimmung und rechtliche Behandlung politischer Straftaten unterscheidet sich sowohl im nationalen wie im internationalen Recht und hat weitreichende Konsequenzen für das Strafverfahren, das Strafmaß und das Auslieferungsrecht.

Abgrenzung zu anderen Delikten

Politische Straftaten sind insbesondere von gemeinrechtlichen Delikten, also typischen Alltagsstraftaten, abzugrenzen. Während beim Diebstahl, Betrug oder Körperverletzung meist individuelle Interessen betroffen sind, zielen politische Straftaten häufig auf Kollektivrechtsgüter ab. In der Praxis ist die Abgrenzung jedoch schwierig, da Handlung und Motivation einer Tat nicht immer eindeutig politischer Natur zuzuordnen sind. Problematisch ist zudem die Grauzone zu politischen Meinungsäußerungen, die unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen, aber unter Umständen als politische Straftat bewertet werden können.

Politische Straftaten im deutschen Recht

Allgemeine gesetzliche Grundlagen

Im deutschen Recht gibt es keine abschließende Legaldefinition politischer Straftaten. Die Klassifizierung erfolgt vielmehr nach ihrem Angriffsziel oder dem politischen Kontext. Maßgeblich ist hierbei § 129a Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO), der für bestimmte verfahrensrechtliche Besonderheiten den Begriff der politischen Straftat verwendet. Auch das Auslieferungsrecht gemäß den §§ 6 und 7 Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) kennt den Terminus, insbesondere in Zusammenhang mit der Strafverfolgung durch ausländische Behörden.

Typische politische Straftaten

Typische Deliktgruppen, die den Charakter der politischen Straftat im deutschen Recht tragen, sind insbesondere:

  • Staatschutzdelikte: Dazu zählen Hochverrat (§§ 81 ff. StGB), Landesverrat (§§ 94 ff. StGB), Angriffe auf Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§§ 102 ff. StGB), Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84 ff. StGB) sowie Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB).
  • Propagandadelikte: Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB), Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB).
  • Straftaten mit politischer Motivation: Etwa schwere Brandstiftung oder Körperverletzung, soweit sie auf politische Beweggründe und Ziele zurückgehen (zum Beispiel bei Tätlichkeiten während politischer Demonstrationen).

Erschwerte Verfolgung und verfahrensrechtliche Besonderheiten

Politische Straftaten führen im deutschen Strafprozess zu einigen Abweichungen von der üblichen Vorgehensweise. Besonders relevante Regelungen sind:

  • Ausschluss der Auslieferung: Gemäß § 6 Abs. 1 IRG dürfen Personen für politische Straftaten nicht ausgeliefert werden. Dies soll politisch motivierte Strafverfolgung verhindern.
  • Wegfall der doppelten Strafbarkeit: Bestimmte politische Straftaten unterliegen nicht der Pflicht, dass die Tat in beiden beteiligten Staaten strafbar sein muss (§ 7 Abs. 1 IRG).
  • Zuständigkeit der Generalbundesanwaltschaft: Bei schwerwiegenden, das Staatswohl bedrohenden Taten übernimmt die Bundesanwaltschaft regelmäßig die Ermittlungen (§ 120 GVG).
  • Verjährung: Einzelne politische Delikte, insbesondere Hochverrat und Landesverrat (§ 78 Abs. 2 StGB), unterliegen längeren oder geänderten Verjährungsfristen.

Ausschluss als politische Straftat

Nicht jede Straftat im politischen Kontext ist eine politische Straftat im Sinne des Gesetzes. Im deutschen Recht werden schwere Gewaltstraftaten, etwa Mord oder Totschlag im Zusammenhang mit politischen Konflikten, regelmäßig als gemeinrechtliche Straftaten betrachtet und unterliegen vollumfänglich der Strafverfolgung.

Internationale Einordnung politischer Straftaten

Bedeutung im Auslieferungsrecht

Im internationalen Kontext erhalten politische Straftaten vor allem im Auslieferungsrecht erhebliche Bedeutung. Viele Auslieferungsabkommen schließen die Auslieferung für politische Straftaten ausdrücklich aus, um die Verfolgung politischer Gegner durch autoritäre Staaten zu verhindern. So wird einem Angeklagten, dem in einem anderen Staat ausschließlich eine politische Straftat vorgeworfen wird, regelmäßig Schutz vor Auslieferung geboten.

Politische vs. gemeinrechtliche Delikte im internationalen Maßstab

Die im internationalen Recht verbreitete Zweiteilung kennt neben politischen Straftaten gemeinrechtliche Delikte (sog. „common law crimes“), für deren Verfolgung regelmäßig ausgeliefert wird. Als politisch gelten aber nur solche Straftaten, die bei objektiver Betrachtung gegen die staatliche oder gesellschaftliche Ordnung gerichtet sind und nicht lediglich im Zusammenhang mit politischen Ereignissen begangen werden.

Relativierung des politischen Charakters bei besonders schweren Verbrechen

Das internationale Recht und viele nationale Gesetze schließen bestimmte schwere, menschenverachtende Straftaten (Völkermord, schwere Gewaltstraftaten, Terrorismus) von der Privilegierung als politische Straftat aus. Insbesondere im Zusammenhang mit Terrorismus wird zunehmend anerkannt, dass diese Handlungen nicht als politische Straftaten gelten sollen und daher auslieferungsfähig sind.

Motivations- und Zielelement politischer Straftaten

Die Abgrenzung politischer Straftaten hängt im internationalen wie nationalen Recht maßgeblich von der politischen Motivation des Täters ab. Nicht bereits die Tatbegehung während politischer Unruhen, sondern das spezifisch gegen die politische Ordnung oder gegen die Grundprinzipien des Staates gerichtete Ziel macht die Tat zur politischen Straftat. Die Rechtsprechung stellt dabei auf folgende Elemente ab:

  • Intention: Die zielgerichtete Beeinträchtigung von staatlichen Strukturen, Demokratie, Öffentliche Funktionsträger oder Grundrechte.
  • Kontext: Zusammenhang mit politischen Bewegungen, Unruhen, Opposition oder Systemkonflikten.
  • Wirkung: Ausrichtung der Handlung auf die Öffentlichkeit, Destabilisierung oder Systemveränderung.

Sonderregelungen und Schutzvorschriften

Asylrechtlicher Schutz

Politisch motivierte Strafverfolgung ist in vielen Staaten ein Asylgrund. Das Asylrecht schützt Personen, die wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden und denen in ihrem Herkunftsstaat die Verfolgung durch politische Straftatvorwürfe droht.

Schutz der politischen Meinungsäußerung

Die Grenzen zwischen politischer Meinungsäußerung, die durch das Grundgesetz und internationale Konventionen geschützt wird, und politischer Straftat sind fließend. Die Rechtsprechung achtet sorgfältig darauf, dass eine bloße regimekritische Haltung nicht zur Verfolgung als politische Straftat führt, sofern keine weiteren strafrechtlich relevanten Handlungen hinzutreten.

Bedeutung politischer Straftaten für Rechtspflege und Gesellschaft

Politische Straftaten nehmen im demokratischen Rechtsstaat eine Sonderstellung ein, da ihre Verfolgung zu massiven Grundrechtseingriffen führen kann und stets im Spannungsfeld von öffentlicher Sicherheit und Freiheit steht. Gleichzeitig sind sie ein Gradmesser für die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung und der Schutzmechanismen gegen staatliche Willkür oder Machtmissbrauch.

Zusammenfassung

Politische Straftaten sind rechtlich komplexe Tatbestände, die sich durch ihre Ausrichtung gegen die staatliche, gesellschaftliche oder öffentliche Ordnung von gemeinrechtlichen Delikten unterscheiden. Sie ziehen zahlreiche verfahrensrechtliche und auslieferungsrechtliche Besonderheiten nach sich, sind Gegenstand internationaler Rechtshilfeabkommen und haben besondere Auswirkungen auf den Schutz politisch Verfolgter. Die genaue Definition, Einordnung und rechtliche Behandlung politischer Straftaten sind von zentraler Bedeutung für die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Umgangs mit oppositionellem oder systemkritischem Verhalten im demokratischen Gemeinwesen.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt bei einer Straftat ein politisches Motiv vor?

Ein politisches Motiv im Sinne des deutschen Strafrechts liegt vor, wenn die Tat mit dem Ziel begangen wird, den Bestand oder die Sicherheit des Staates, seiner Einrichtungen oder Repräsentanten zu beeinträchtigen, die öffentliche Ordnung zu stören oder politische Entscheidungen zu beeinflussen. Dies kann sowohl explizit durch Bekennerschreiben, Parolen oder die Auswahl des Angriffsziels erfolgen, als auch implizit durch die gesellschaftliche Einordnung der Tat. Die Einordnung als politisch motivierte Straftat erfolgt regelmäßig durch die Ermittlungs- oder Polizeibehörden und basiert oftmals auf der Auswertung von Tatmerkmalen, dem Umfeld des Täters und eventueller Bezüge zu verbotenen Vereinigungen oder politischen Bewegungen. Der rechtliche Kontext ist insbesondere im § 46 Abs. 2 StGB zu finden, wonach Beweggründe und Ziele des Täters im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Eine politisch motivierte Straftat kann sich sowohl gegen Personen (z. B. Politiker, Angehörige ethnischer Gruppen) als auch gegen Sachen (z. B. Denkmäler, Parteibüros) richten.

Welche Delikte werden besonders häufig als politische Straftaten erfasst?

Typische Delikte, die im Kontext politischer Straftaten auftreten, sind Sachbeschädigungen (z. B. Schmierereien, Graffitis mit politischen Aussagen), Körperverletzungen bei Demonstrationen, Landfriedensbruch, Volksverhetzung, das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) sowie Brandstiftungen oder Sprengstoffvergehen mit politischem Hintergrund. Auch Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, wie etwa Aufrufe zu nicht genehmigten Kundgebungen, sowie Fälle der Beleidigung oder Bedrohung von Amts- und Mandatsträgern werden dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität zugerechnet. In besonders schweren Fällen können auch Terrorismusdelikte mit politischer Zielsetzung hinzukommen.

Welche strafrechtlichen Besonderheiten gelten für politische Straftaten im Strafprozess?

Politische Straftaten unterliegen im Strafprozess teils speziellen Regelungen: So kann gemäß § 120 GVG die Zuständigkeit auf das Oberlandesgericht übergehen, insbesondere bei Delikten, die den Bestand des Staates oder die innere Sicherheit gefährden. Die Strafverfolgung politischer Straftaten erfolgt oft unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit und der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, vor allem bei Terrorismus und staatsgefährdenden Delikten. Teilweise gibt es Einschränkungen bei Auslieferungs- und Ausweisungsverfahren gemäß § 6 Abs. 2 IRG und § 54 Aufenthaltsgesetz, da niemand wegen einer politischen Straftat ausgeliefert oder ausgewiesen werden darf.

Welche Bedeutung hat die politische Motivation bei der Strafzumessung?

Die politische Motivation wird im Rahmen der Strafzumessung als strafschärfender Umstand gemäß § 46 Abs. 2 StGB bewertet. Das Gesetz stellt explizit auf „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Motive oder Ziele ab, aber auch generelle politische Beweggründe können berücksichtigt werden. Liegt eine solche Motivation vor, kann dies insbesondere bei Übergriffen auf politische Gegner oder bei Gewalttaten in politischem Kontext zu einer Erhöhung der Strafe führen. Bei politisch motivierten Straftaten ist daher eine ausführliche Motivprüfung und Wertung durch das Gericht unerlässlich.

Welche Behörden sind speziell für politisch motivierte Straftaten zuständig?

Für politisch motivierte Kriminalität gibt es bei der Polizei spezialisierte Abteilungen, wie etwa bei den Landeskriminalämtern (LKA) die Staatsschutz-Dezernate, und auf Bundesebene das Bundeskriminalamt (BKA). Diese Stellen übernehmen die Ermittlungen bei politisch motivierten Straftaten, etwa im Bereich des Extremismus und Terrorismus. Im Fall besonders schwerwiegender Delikte kann die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen leiten. Auch der Verfassungsschutz erhebt Daten zu politisch motivierten Straftaten, ist jedoch keine Strafverfolgungs-, sondern eine Nachrichtendienstbehörde.

Wann gelten politische Straftaten als verjährt?

Für politische Straftaten gelten grundsätzlich die gleichen Verjährungsfristen wie für andere Straftaten, mit Ausnahme politischer Morde oder bestimmter staatsgefährdender Delikte, für die zum Teil keine Verjährung eintritt (vgl. § 78 StGB). Insbesondere Mord weist keine Verjährungsfrist auf, auch wenn er politisch motiviert ist. Staatsgefährdende Handlungen wie Hoch- und Landesverrat (§§ 81 ff. StGB) unterliegen verlängerten oder aufgehobenen Verjährungsfristen, was der besonderen Schwere solcher Taten Rechnung trägt. Die Rechtslage zur Verjährung kann sich jedoch je nach Einzelfall und Art der Straftat unterscheiden.

Können politische Straftaten auch als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden?

Bestimmte politische Handlungen können auch Ordnungswidrigkeiten darstellen, etwa die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung nach dem Versammlungsgesetz oder das öffentliche Tragen von Symbolen, die nicht strafrechtlich, aber ordnungsrechtlich sanktioniert werden können. Häufig wird jedoch, wenn ein strafbares Verhalten vorliegt, staatsanwaltschaftlich ermittelt und ein Ordnungswidrigkeitenverfahren tritt zurück. Es obliegt dem Ermessen der Behörden, das jeweilige Verhalten rechtlich zu bewerten und entsprechend einzuordnen.