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Polio


Begriff und medizinische Grundlagen der Poliomyelitis

Poliomyelitis, häufig als Polio bezeichnet, ist eine akute, durch das Poliovirus hervorgerufene Infektionskrankheit, die hauptsächlich Kinder betrifft. Die Erkrankung kann zu bleibenden Lähmungen und in schweren Fällen zum Tod führen. Polio ist in vielen Ländern durch flächendeckende Impfprogramme nahezu eliminiert, bleibt jedoch in einigen Regionen endemisch. Mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und international spielt Polio im Infektionsschutzrecht, im Impfrecht sowie in sozialrechtlichen und arbeitsrechtlichen Konstellationen eine relevante Rolle.

Rechtliche Einordnung von Polio im Infektionsschutzrecht

Meldepflicht gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG)

Nach § 6 und § 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist jede Erkrankung sowie jeder Verdachtsfall von Poliomyelitis meldepflichtig. Dies gilt für behandelnde Ärztinnen und Ärzte, Laboratorien sowie für Leitungen von Einrichtungen, in denen sich Menschen aufhalten, insbesondere Kindergärten, Schulen, Heime und ähnliche Einrichtungen. Die Meldepflicht dient dem Zweck, Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Maßnahmen bei Ausbruch und Verdacht

Im Falle des Auftretens einer Poliomyelitis-Infektion ist das Gesundheitsamt gesetzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Verhinderung einer Weiterverbreitung zu ergreifen (§ 16, § 28 IfSG). Dazu zählen Anordnungen zur Isolation von Erkrankten, Quarantänemaßnahmen, Ermittlung und Überwachung von Kontaktpersonen sowie gegebenenfalls die Schließung von Einrichtungen.

Impfpflicht und Impfempfehlung

Polio ist eine von der Ständigen Impfkommission (STIKO) ausdrücklich empfohlene Schutzimpfung. In Deutschland besteht zwar im engeren Sinne seit 1976 keine gesetzliche Polio-Impfpflicht mehr, allerdings kann gemäß § 20 Abs. 6 und Abs. 7 IfSG bei einem Ausbruch oder einer konkreten Gefährdungslage eine verbindliche Impfung angeordnet werden. In Gesundheitseinrichtungen und bei medizinischem Personal wird der Nachweis einer Polio-Impfung regelmäßig verlangt, um das Infektionsrisiko zu minimieren.

Polio im Sozialrecht

Anerkennung als Behinderung oder Schwerbehinderung

Personen, die infolge einer Polio-Infektion unter Lähmungen oder anderen anhaltenden Gesundheitseinschränkungen leiden, können einen Antrag auf Feststellung einer (Schwer-)Behinderung stellen (§ 2 SGB IX). Der Grad der Behinderung (GdB) richtet sich nach dem Ausmaß der funktionsbeeinträchtigenden Folgen und wird in der Versorgungsmedizin-Verordnung detailliert geregelt. Erhebliche Einschränkungen führen häufig zu einem GdB, der eine Anerkennung als schwerbehindert ermöglicht.

Leistungen und Ansprüche im Rahmen der Sozialgesetzgebung

Betroffene haben unter Umständen Anspruch auf Leistungen der Rehabilitation (§ 26 SGB IX), Hilfsmittelversorgung (§ 33 SGB V), Teilhabeleistungen am Arbeitsleben sowie Pflegeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch XI. Besonders hervorzuheben ist der Anspruch auf Nachteilsausgleiche (z.B. Steuererleichterungen, Zusatzurlaub, besondere Kündigungsschutzrechte) für schwerbehinderte Menschen.

Arbeitsrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Polio

Beschäftigungsschutz und Diskriminierungsverbot

Beschäftigte, die als Folge einer Polio-Infektion gesundheitlich eingeschränkt sind, unterliegen dem besonderen Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Es ist unzulässig, Beschäftigte wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen. Zudem resultieren für Arbeitgeber aus dem Sozialgesetzbuch IX besondere Pflichten, wie z.B. die behinderungsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen (§ 164 SGB IX).

Infektionsschutz und Impfstatus im Arbeitsverhältnis

In bestimmten Arbeitsbereichen – insbesondere im Gesundheitswesen, in Kitas oder Schulen – ist ein Nachweis über einen bestehenden Impfschutz Voraussetzung für die Tätigkeit. Wird der Nachweis nicht erbracht, können gemäß § 20 Abs. 9 IfSG Beschäftigungsverbote ausgesprochen werden, um Patienten und andere Schutzbefohlene vor Ansteckung zu schützen.

Polio im internationalen Recht

Internationale Gesundheitsvorschriften

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Poliomyelitis als „Public Health Emergency of International Concern“ (PHEIC) klassifiziert. Gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR) sind Mitgliedsstaaten zur Meldung von Poliofällen verpflichtet und müssen Präventions- sowie Kontrollmaßnahmen umsetzen.

Grenzüberschreitende Impfanforderungen

Für Reisen in oder aus Ländern mit Polio-Risiko fordern zahlreiche Staaten einen gültigen Nachweis über eine Polio-Impfung. Die WHO empfiehlt die Ausstellung eines Internationalen Impfpasses mit dokumentierter, gültiger Polio-Impfung als Voraussetzung für Ein- oder Ausreise aus betroffenen Staaten.

Entschädigung und Haftung bei Impfschäden

Staatliche Entschädigung für Impfschäden

Sollte es im Zusammenhang mit einer Polio-Schutzimpfung zu einem Impfschaden kommen, gewährt das Infektionsschutzgesetz staatliche Entschädigungsleistungen nach § 60 IfSG. Voraussetzung hierfür ist ein nachgewiesener ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Gesundheitsschaden.

Produkthaftung bei Impfstoffen

Hersteller von Polio-Impfstoffen unterliegen den Vorschriften zur Produkthaftung. Im Falle eines fehlerhaften Impfstoffes können Betroffene nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) Schadenersatzansprüche gegen den Hersteller geltend machen.

Quellenangaben und weiterführende Informationen

  • §§ 6, 7, 16, 20, 28, 60 Infektionsschutzgesetz (IfSG)
  • § 2, § 26, § 33, § 164 Sozialgesetzbuch (SGB) IX, V
  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
  • Versorgungsmedizin-Verordnung
  • World Health Organization (WHO): International Health Regulations
  • Robert Koch-Institut: Empfehlungen der STIKO

Dieser Beitrag erläutert die umfassende rechtliche Bedeutung der Erkrankung Poliomyelitis unter besonderer Berücksichtigung der deutschen und internationalen Rahmenbedingungen im Bereich des Infektionsschutzes, Impfregelungen, Sozialrechts und Arbeitsrechts.

Häufig gestellte Fragen

Welche Meldepflichten bestehen im Zusammenhang mit Polio gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG)?

Gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht für Poliomyelitis (Polio) eine unmittelbare Meldepflicht. Das bedeutet, dass bereits der Verdacht, die Erkrankung oder der Tod infolge einer Poliomyelitis dem zuständigen Gesundheitsamt unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von 24 Stunden, angezeigt werden muss. Meldepflichtig sind insbesondere Ärztinnen und Ärzte sowie Leiter medizinischer Einrichtungen. Ziel der Meldepflicht ist es, eine schnelle Nachverfolgung möglicher Infektionsketten zu ermöglichen und erforderliche Schutzmaßnahmen einzuleiten. Die Meldung wird personenbezogen und unter Angabe aller relevanten Daten gemäß § 6 und § 7 IfSG vorgenommen. Neben Ärzten sind auch Labore verpflichtet, den Nachweis von Polioviren zu melden (§ 7 Abs. 1 IfSG). Verstöße gegen diese Meldepflichten stellen eine Ordnungswidrigkeit dar und können mit empfindlichen Geldbußen belegt werden (§ 73 IfSG). Die erfassten Daten werden zur Überwachung der Verbreitung, Auswertung epidemiologischer Zusammenhänge und, falls notwendig, zur Umsetzung von Quarantäne- oder Impfmaßnahmen verwendet.

Welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen können für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer Polio-Diagnose entstehen?

Wird bei einer Person Polio diagnostiziert, kann dies arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – insbesondere im Hinblick auf das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Infektionsschutzgesetz sowie eventuelle tarifvertragliche Vereinbarungen. Der oder die Arbeitnehmer/in ist u. U. verpflichtet, den Arbeitgeber über die Erkrankung zu informieren, soweit eine Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz besteht (Mitteilungspflicht gemäß § 16 IfSG). Der Arbeitgeber ist dann wiederum gehalten, zum Schutz anderer Beschäftigter geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wie z. B. eine befristete Freistellung der betroffenen Person oder sofortige ärztliche Untersuchung weiterer Mitarbeiter. In Einrichtungen mit besonderem Infektionsrisiko (wie Schulen oder Kindertagesstätten) kann ein Tätigkeitsverbot gemäß § 31 IfSG ausgesprochen werden. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall richtet sich nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Zudem greifen ggf. Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (§ 167 Abs. 2 SGB IX) bei längerer oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit nach einer Polio-Erkrankung.

Inwieweit gibt es eine gesetzliche Verpflichtung zur Impfung gegen Polio in Deutschland?

Deutschland hat keine generelle Impfpflicht gegen Polio im Sinne einer zwangsweisen Durchsetzung für die gesamte Bevölkerung. Nach § 20 Absatz 6 IfSG kann das Bundesministerium für Gesundheit jedoch in besonderen Gefahrensituationen eine Impfpflicht für bedrohte Bevölkerungsgruppen vorübergehend anordnen. Faktisch gibt es seit 2020 über die Masernschutzgesetzgebung eine mittelbare Polio-Impfpflicht für Kinder und Beschäftigte in Gemeinschaftseinrichtungen: Personen, die nach dem 31. Dezember 1970 geboren wurden und in Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Gemeinschaftsunterkünften betreut, untergebracht oder tätig werden, müssen u. a. eine vollständige Grundimmunisierung gegen Polio nachweisen (§ 20 Abs. 9 IfSG i. V. m. der Schutzimpfungs-Richtlinie). Ohne diesen Nachweis darf keine Betreuung oder Beschäftigung erfolgen. Die Kontrolle und Durchsetzung der Nachweispflicht obliegt den Leitungen der Einrichtungen bzw. den Gesundheitsämtern.

Welche Haftungsrisiken bestehen für Ärztinnen und Ärzte im Umgang mit Polio(verdachts-)fällen?

Ärztinnen und Ärzte sind im Umgang mit Polio-Verdachtsfällen besonderen Haftungsrisiken ausgesetzt, die insbesondere das Unterlassen der Meldepflicht, fehlerhafte Diagnostik oder Versäumnisse bei der Information von Kontaktpersonen betreffen. Bei Verletzung der gesetzlichen Meldepflicht drohen nicht nur Bußgelder (§ 73 Abs. 2 Nr. 1a IfSG), sondern unter Umständen auch zivilrechtliche Schadensersatzforderungen oder strafrechtliche Konsequenzen (z. B. wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Unterlassung). Weiterhin besteht das Risiko eines Verstoßes gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht, wenn eine notwendige Polio-Impfung unterlassen oder nicht korrekt dokumentiert wird. Haftpflichtversicherungen übernehmen Schäden nur im Rahmen der vertraglichen Bestimmungen; grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten ist hiervon in der Regel ausgenommen. Die sorgfältige Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und ärztlicher Leitlinien ist daher für Ärztinnen und Ärzte unabdingbar.

Welche gesetzlichen Regelungen gelten für Schulen und Kindertagesstätten im Falle eines Polio-Ausbruchs?

Im Fall eines Polio-Ausbruchs greifen für Schulen und Kindertagesstätten die Regelungen des § 34 IfSG. Dieser sieht u. a. vor, dass Kinder und Beschäftigte mit Krankheitsverdacht, bestätigter Erkrankung oder nach Kontakt mit Erkrankten die Einrichtung nicht betreten dürfen, bis ein ärztliches Attest vorgelegt wird bzw. keine Weiterverbreitung mehr zu befürchten ist. Leitungen dieser Einrichtungen sind verpflichtet, das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu informieren. Das Gesundheitsamt kann weiterführende Maßnahmen wie Schließung der Einrichtung, Quarantäne einzelner Gruppen oder Zwangsimpfungen gegenüber gefährdeten Personen anordnen, um den Ausbruch einzudämmen (§ 16, § 20 IfSG). Die Leitung muss die Einhaltung dieser Maßnahmen sicherstellen; Verstöße können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Darüber hinaus müssen alle relevanten Hygienemaßnahmen entsprechend den Vorgaben der jeweiligen Landesverordnungen verschärft umgesetzt werden.

Wie ist der Datenschutz bei der Meldung von Polio-Erkrankungen geregelt?

Die Übermittlung personenbezogener Daten im Rahmen der Meldepflicht für Polio-Erkrankungen muss stets im Einklang mit dem Datenschutzrecht erfolgen, insbesondere mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Das IfSG (insbesondere § 9) regelt Art und Umfang der zu übermittelnden Daten und deren Schutz. Für die Verarbeitung und Weitergabe medizinischer Daten besteht eine gesetzliche Grundlage, sodass eine Einwilligung der betroffenen Person nicht erforderlich ist. Die erhobenen Daten dürfen ausschließlich zu Zwecken der Infektionsüberwachung und der Durchführung gesetzlicher Maßnahmen verwendet und müssen nach Erreichen des Zwecks und Ablauf gesetzlich vorgeschriebener Fristen (vgl. § 16 IfSG) gelöscht oder anonymisiert werden. Zugriffsrechte auf die Daten liegen nur bei den zuständigen Behörden; Dritte dürfen nicht ohne Weiteres informiert werden.

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten bei einem internationalen Polio-Ausbruch für Reisende?

Im Falle eines internationalen oder länderübergreifenden Polio-Ausbruchs greifen insbesondere die Vorschriften der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR – International Health Regulations) sowie entsprechende EU-Verordnungen. Reisende aus oder in betroffene Gebiete können verpflichtet werden, bei Ein- oder Ausreise einen gültigen Impfnachweis gegen Polio vorzulegen. Staaten können temporäre Ein- oder Ausreisebeschränkungen sowie Quarantänemaßnahmen anordnen. Gemäß §§ 34 und 36 IfSG können deutsche Behörden Reiserückkehrer aus betroffenen Regionen zu einer ärztlichen Untersuchung oder Impfung verpflichten, um die Einschleppung der Krankheit zu verhindern. Bei Zuwiderhandlung drohen Bußgelder, Einreiseverweigerungen oder Zwangsmaßnahmen. Die rechtliche Grundlage für solche Maßnahmen bilden nationales Recht und internationale Vereinbarungen, wobei der Schutz der öffentlichen Gesundheit stets das vorrangige Ziel darstellt.