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Passing-On-Einwand


Begriff und Grundzüge des Passing-On-Einwands

Der Passing-On-Einwand ist ein Begriff aus dem Zivilrecht, der bei Schadensersatzansprüchen eine bedeutende Rolle spielt. Er bezeichnet den Einwand des Schädigers, der geltend macht, der Geschädigte habe den von ihm verursachten Schaden ganz oder teilweise auf Dritte überwälzt, sodass dem Geschädigten ein entsprechender Schaden letztlich nicht oder nur eingeschränkt verblieben sei. Die dogmatische Grundlage und die praktischen Auswirkungen des Passing-On-Einwands sind insbesondere im Kartellrecht, aber auch in weiteren Schadensersatzkonstellationen relevant.

Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich

Nationales Recht

Im deutschen Recht ist der Passing-On-Einwand gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Er wird auf allgemeine schadensersatzrechtliche Grundsätze gestützt, insbesondere auf das Bereicherungsverbot und das Prinzip des vollständigen Schadensausgleichs gemäß § 249 BGB. Ziel ist es, eine Überkompensation des Geschädigten zu verhindern und das strikte Kompensationsprinzip zu wahren. Besonders in Fällen von Preisüberwälzungen, wie sie bei Kartellabsprachen häufig sind, wird der Passing-On-Einwand relevant.

Europarechtlicher Kontext

Im europäischen Kartellrecht findet sich die Thematik im Kontext der Richtlinie 2014/104/EU (Kartellschadensersatz-Richtlinie). Diese hat Regelungen zum cartel damages passing-on eingeführt und dem Einwand somit auch unionsrechtliche Bedeutung verliehen. Insbesondere Artikel 12 der Richtlinie befasst sich mit dem Passing-On-Einwand und sieht dessen grundsätzliche Zulässigkeit vor, während Artikel 13 klarstellt, dass der Schutz des Geschädigten vor Beweisnachteilen im Fokus stehen muss.

Voraussetzungen des Passing-On-Einwands

Um den Passing-On-Einwand erfolgreich zu erheben, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Eintritt eines ersatzfähigen Schadens

Zunächst ist ein ersatzfähiger Schaden beim Anspruchsteller erforderlich. Dies ist regelmäßig bei kartellrechtswidrigen Preisabsprachen der Fall, bei denen Zwischenhändler oder Endkunden überhöhte Preise gezahlt haben.

2. Weitergabe des Schadens („Passing-On“)

Der ursprünglich durch einen Rechtsverstoß bei einer Person entstandene Nachteil, meist ein Preisaufschlag, muss durch eine wirtschaftliche Transaktion ganz oder teilweise auf nachgelagerte Marktstufen übertragen worden sein. Dies geschieht in der Regel in Form weitergegebener Kosten über die Preiskalkulation des Geschädigten.

3. Ursächlicher Zusammenhang

Zwischen dem Schadensereignis und der Preisweitergabe muss ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang bestehen. Der Schädiger hat darzulegen, dass die Weitergabe tatsächlich erfolgte und in welcher Höhe sich der Schaden beim Geschädigten dementsprechend verringert hat.

4. Darlegungslast und Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächliche Schadensweitergabe obliegt grundsätzlich dem Schädiger. Aufgrund informationeller Asymmetrien kann sich diese Last im gerichtlichen Verfahren aber im Rahmen abgestufter Darlegungspflichten und sekundärer Feststellungslasten verschieben.

Dogmatische Einordnung

Die dogmatische Einordnung des Passing-On-Einwands ist Gegenstand umfangreicher rechtswissenschaftlicher Diskussionen. Teilweise wird argumentiert, dass die Überwälzung des Schadens eine Schadensminderung im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB darstellt, teilweise wird der Einwand unter dem Aspekt einer Vorteilsausgleichung betrachtet. Hierbei ist entscheidend, ob die Schadensüberwälzung zwingend und unmittelbar mit dem schädigenden Ereignis verbunden ist oder ob sie auf freien Willensentscheidungen oder wirtschaftlichen Zwängen des Geschädigten beruht.

Anwendungsfelder

Kartellrecht

Der Passing-On-Einwand ist besonders relevant bei Klagen auf Kartellschadensersatz. Kartellbeteiligte können sich darauf berufen, dass Kläger etwaige Kartellaufschläge an Abnehmer weitergegeben und somit keinen eigenen Vermögensnachteil mehr erlitten haben. Die tatsächliche Durchsetzbarkeit dieses Einwands ist wegen komplexer wirtschaftlicher und rechtlicher Rahmenbedingungen umstritten und erfordert oft detaillierte ökonomische Analysen.

Mehrstufige Lieferketten

Auch außerhalb des Kartellrechts, insbesondere in Fällen von Lieferkettenbetrug oder fehlerhafter Produkte, kann die Frage aufkommen, ob und in welchem Umfang ein Schaden auf nachgelagerte Handelsstufen weitergereicht wurde.

Rechtsprechung

Die Rechtsprechung, sowohl national als auch auf europäischer Ebene, hat die Zulässigkeit und Grenzen des Passing-On-Einwands in zahlreichen Urteilen präzisiert:

  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwar die grundsätzliche Möglichkeit eines Passing-On-Einwands anerkannt, aber gleichzeitig hohe Anforderungen an die Darlegung und den Beweis gestellt.
  • Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Rechtssache „Kone“ (Rs. C-557/12) zentrale Aussagen zum Passing-On-Einwand getroffen, darunter die Zulässigkeit des Einwands und die Voraussetzungen für dessen erfolgreichen Nachweis.

Kritik und Probleme in der Praxis

Die praktische Anwendung des Passing-On-Einwands ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Kritiker bemängeln, dass die vollständige Durchsetzung des Einwands häufig mit komplexen ökonomischen Nachweisen verbunden ist, die eine erhebliche prozessuale Belastung darstellen. Außerdem wird auf Schwierigkeit der sachgerechten Abgrenzung von Schaden und Vorteilsanrechnung hingewiesen, insbesondere da Märkte und Preisbildungsmechanismen unterschiedlich funktionieren.

Internationale Einordnung

Auch internationale Rechtsordnungen, etwa im US-amerikanischen Recht, kennen den Passing-On-Einwand („Passing On Defense“). Seine Zulässigkeit und dogmatische Reichweite sind allerdings sehr unterschiedlich ausgestaltet. In den USA etwa wird der Einwand traditionell restriktiv gehandhabt, um die Effektivität privaten Rechtsschutzes nicht zu unterminieren.

Zusammenfassung

Der Passing-On-Einwand ist ein grundlegendes Instrument zur Vermeidung von Überkompensation im Schadensersatzrecht, insbesondere bei kartellrechtlichen Schadensfällen und in mehrstufigen Lieferketten. Seine Geltendmachung ist an enge Voraussetzungen geknüpft, und seine praktische Durchsetzung ist durch erhebliche rechtliche und tatsächliche Hürden gekennzeichnet. Die genaue Anwendung bleibt weiterhin Gegenstand intensiver rechtswissenschaftlicher, ökonomischer und gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen im deutschen Recht für den Passing-On-Einwand erfüllt sein?

Im deutschen Recht wird der Passing-On-Einwand insbesondere im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Schadensersatzklagen diskutiert. Voraussetzung für den erfolgreichen Einwand ist, dass der Täter nachweist, dass der geschädigte unmittelbare Abnehmer den durch das kartellrechtswidrige Verhalten entstandenen Schaden ganz oder teilweise auf nachgelagerte Marktstufen weitergegeben hat. Rechtlich ist dieser Einwand durch § 33c Abs. 2 GWB und Art. 12 der EU-Kartellschadensersatz-Richtlinie (2014/104/EU) geregelt. Der Schädiger trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass und in welchem Umfang ein weitergegebener Schaden vorliegt. Dabei sind insbesondere die Preisbildung in der betreffenden Marktstufe sowie die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse zu berücksichtigen. Zudem darf durch die Berücksichtigung des Passing-On-Einwands keine Aushöhlung des effektiven Rechtsschutzes und keine unbillige Entlastung des Schädigers erfolgen.

Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast für den Passing-On-Einwand?

Im Rahmen des deutschen Zivilprozessrechts trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich denjenigen, der sich auf den Passing-On-Einwand beruft, also regelmäßig den Schädiger (Kartellteilnehmer). Nach § 33c Abs. 2 Satz 2 GWB wird ausdrücklich geregelt, dass der Beklagte zu beweisen hat, dass und inwieweit der Schaden tatsächlich weitergegeben wurde. Allerdings werden die Anforderungen an die Darlegung und den Nachweis durch die besonderen Schwierigkeiten bei der Feststellung ökonomischer Kausalzusammenhänge etwas erleichtert („flexible Beweismaßstand“, § 287 ZPO). Gerichtliche Schätzungen auf Grundlage plausibler Annahmen und angemessener Indizien, wie Marktstruktur oder Preiselastizität, sind hierbei zulässig.

Können mittelbare Abnehmer eigene Schadensersatzansprüche trotz Passing-On-Einwand geltend machen?

Mittelbare Abnehmer, die durch das Kartell geschädigt wurden, können im deutschen Recht Schadensersatzansprüche gegen Kartellteilnehmer geltend machen, auch wenn der Passing-On-Einwand erhoben wird. Nach § 33c Abs. 3 GWB und Art. 13 der Kartellschadensersatz-Richtlinie ist ausdrücklich vorgesehen, dass auch Abnehmer auf nachgelagerter Marktstufe Klage erheben können. Voraussetzung ist, dass der Schaden tatsächlich an sie weitergegeben wurde. Um eine doppelte Kompensation (Kumulation von Schadensersatzansprüchen) zu vermeiden, müssen dabei Ansprüche in der Lieferkette aufeinander abgestimmt werden. Das Gericht kann bei konkurrierenden Klagen eine Aussetzung oder Bündelung der Verfahren anordnen.

Welche Rolle spielen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse beim Passing-On-Einwand?

Die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse sind bei der Prüfung des Passing-On-Einwands von zentraler Bedeutung. Maßgeblich ist die wirtschaftliche Möglichkeit des Geschädigten, den Schaden durch Weitergabe erhöhter Preise auf nachgelagerte Marktstufen tatsächlich zu übertragen. Dabei werden Faktoren wie die Marktstruktur, vorhandener Wettbewerb, Preiselastizitäten sowie gegebenenfalls Regulierungen berücksichtigt. Ist zum Beispiel der Markt stark wettbewerbsorientiert, ist eine Weitergabe plausibler als in monopolistischen oder regulierten Märkten. Die Gerichte müssen stets im Einzelfall prüfen, ob und inwieweit die Schädigung weitergegeben wurde. Es besteht keine automatische Vermutung der Weitergabe, sondern es bedarf einer konkreten, auf den Sachverhalt abgestimmten Prüfung.

Wie geht das Gericht mit Unsicherheiten und Schätzungen im Zusammenhang mit dem Passing-On-Einwand um?

Angesichts der oft komplexen ökonomischen Sachverhalte nutzt das Gericht regelmäßig die Möglichkeit der Schätzung nach § 287 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht sowohl das Vorliegen als auch den Umfang eines weitergegebenen Schadens auf Basis von Indizien und plausiblen Annahmen schätzen, sofern eine exakte Feststellung nicht möglich oder zumutbar ist. Unsicherheiten gehen dabei grundsätzlich zu Lasten des Schädigers, der den Einwand erhebt. Zugleich verlangt das Gericht eine substantielle Darlegung konkreter Anhaltspunkte, etwa durch betriebswirtschaftliche Auswertungen, Marktanalysen oder ggf. Sachverständigengutachten, um die Möglichkeit der Weitergabe des Schadens zu untermauern.

Gibt es Beschränkungen des Passing-On-Einwands im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes?

Ja, das Recht auf effektiven Schadensersatz darf nicht durch exzessive oder unangemessene Anwendung des Passing-On-Einwands ausgehöhlt werden. Die Rechtsprechung sowie die Kartellschadensersatz-Richtlinie betonen, dass der Geschädigte in der Durchsetzung seines Anspruchs nicht unzumutbar behindert werden darf. Der Einwand darf nicht dazu führen, dass der Schädiger ungerechtfertigt entlastet wird oder die Anspruchsdurchsetzung durch Beweislastverschiebungen faktisch unmöglich gemacht wird. Vielmehr ist es Ziel, Doppelkompensation zu vermeiden und zugleich sicherzustellen, dass der tatsächlich Geschädigte einen wirksamen Schadensersatz erhält.

Wie werden Ansprüche entlang der Lieferkette koordiniert, um doppelte Kompensation zu vermeiden?

Um doppelte Kompensation zu verhindern, greifen Koordinationsmechanismen nach § 33c Abs. 4 GWB und Art. 15 der Kartellschadensersatz-Richtlinie. Danach kann das Gericht laufende und anhängige Verfahren entlang der Lieferkette berücksichtigen und erforderlichenfalls aussetzen oder zusammenführen. Außerdem besteht die Möglichkeit, Ausgleichszahlungen an mittelbare Abnehmer im Urteil anzuordnen oder bestehende Ansprüche gegeneinander aufzurechnen. Die Koordination zielt darauf, dass der Schädiger in der Summe nicht mehr als den tatsächlich verursachten Gesamtschaden zu ersetzen hat und zugleich jeder Geschädigte eine Kompensation seines tatsächlichen Schadens erhält.