Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Parteiverrat

Parteiverrat


Definition und rechtliche Einordnung des Parteiverrats

Parteiverrat bezeichnet die unzulässige Vertretung widerstreitender Interessen durch einen Rechtsanwalt und ist in Deutschland ein strafrechtlich relevantes Verhalten. Nach § 356 des Strafgesetzbuches (StGB) macht sich eine zur Rechtsberatung zugelassene Person strafbar, wenn sie in derselben Rechtssache widerstreitende Interessen vertritt und dadurch einem Mandanten einen Nachteil zufügt. Ziel dieser Vorschrift ist der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Rechtsbeistand sowie die Sicherstellung einer unabhängigen, interessenkonformen Vertretung.

Gesetzliche Grundlagen

§ 356 StGB – Parteiverrat

Die maßgebliche gesetzliche Vorschrift bildet § 356 StGB. Demnach ist es verboten, in derselben Rechtssache beide Seiten mit widerstreitenden Interessen zu beraten oder zu vertreten. Die Norm richtet sich vor allem an Rechtsanwälte, Steuerberater sowie Notare und stellt eine Sondervorschrift zur allgemeinen Strafbarkeit wegen Untreue dar.

Wortlaut des § 356 Absatz 1 StGB:

„Ein Rechtsanwalt oder ein anderer berufsmäßiger Parteivertreter, der in derselben Rechtssache beiden Parteien, denen widerstreitende Interessen obliegen, dient und dadurch einer Partei einen Nachteil zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Schutzrichtung und Strafbarkeitszweck

Der strafrechtliche Schutz richtet sich auf das Individualinteresse des Mandanten, nicht nur auf das allgemeine Interesse an einer geordneten Rechtspflege. Im Kern geht es darum, das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und rechtsberatender Person zu sichern und die Unparteilichkeit der Rechtsvertretung zu gewährleisten.

Tatbestand des Parteiverrats

Täterkreis

Die Vorschrift richtet sich an zur Rechtsberatung befugte Personen, insbesondere Rechtsanwälte, Steuerberater und Notare. Andere Personengruppen sind nicht Tatadressaten dieser Norm.

„Dieselbe Rechtssache“

Parteiverrat setzt voraus, dass die widerstreitenden Interessen innerhalb derselben Rechtssache vertreten werden. Als „dieselbe Rechtssache“ gilt ein einheitlicher Lebenssachverhalt oder Verfahrensgegenstand, in welchem die Möglichkeit des Interessenkonflikts tatsächlich besteht.

Abgrenzung zu ähnlichen Sachverhalten

Die bloße Kenntnisnahme von Interessen der Gegenseite durch frühere Mandate stellt für sich genommen keinen Parteiverrat dar, soweit nicht dieselbe Rechtssache betroffen ist. Besondere Vorsicht ist allerdings geboten, wenn Mandatierungen thematisch oder sachlich eng verzahnt sind.

Widerstreitende Interessen

Von widerstreitenden Interessen wird gesprochen, wenn zwei Mandanten in einem Sachverhalt objektiv unterschiedliche rechtliche, wirtschaftliche oder sonstige Interessen verfolgen, die nicht miteinander in Einklang gebracht werden können. Dies ist klassischerweise bei der gleichzeitigen Vertretung von Kläger und Beklagtem in einem Zivilprozess der Fall.

Dienen beider Parteien

Ein aktives „Dienen“ liegt vor, wenn die zur Rechtsberatung befugte Person beide Parteien in der Rechtssache rechtlich unterstützt. Das umfasst sowohl die Beratung als auch die Vertretung, sei es vor Gericht oder außergerichtlich. Bereits die Annahme des Mandats für eine Partei bei bestehender Mandatierung der anderen kann ausreichend sein.

Nachteilszufügung

Der Gesetzgeber verlangt, dass einer Partei durch das Verhalten des Rechtsberaters ein Nachteil entsteht. Der Nachteil muss sich nicht zwingend materiell oder finanziell auswirken; ausreichend ist jede Verschlechterung der Rechtsposition, auch bloßer Verlust an Möglichkeiten oder rechtlicher Sicherheit.

Folgen und Sanktionen

Strafrechtliche Konsequenzen

Ein nachgewiesener Parteiverrat wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Schwere der Sanktion richtet sich nach dem Umfang des Schadens und der Schwere des Vergehens.

Berufsrechtliche Folgen

Neben der strafrechtlichen Ahndung kann Parteiverrat zu berufsrechtlichen Maßnahmen führen. Diese reichen von Verwarnungen bis zu berufsständischen Verboten und tragen dem besonderen Vertrauensverhältnis Rechnung, das durch das beanstandete Verhalten schwer beschädigt sein kann.

Zivilrechtliche Haftung

Unabhängig von straf- und berufsrechtlichen Folgen besteht die Möglichkeit zivilrechtlicher Haftung des Rechtsberaters gegenüber dem geschädigten Mandanten. Schadensersatzansprüche können insbesondere bei nachgewiesenem Vermögensschaden durch Verletzungen der Pflichten aus dem Mandatsverhältnis entstehen.

Abgrenzung zu Interessenkollisionen im Berufsrecht

Schon unabhängig von einer strafrechtlichen Bewertung kann eine Doppelvertretung im Bereich widerstreitender Interessen einen Berufsrechtsverstoß darstellen. Die Berufsordnung für Rechtsanwälte und entsprechende Vorschriften untersagen die Vertretung kollidierender Interessen. In manchen Fällen sind hier die Grenzen noch enger gezogen als im Strafrecht, so dass bereits eine abstrakte Interessenkollision handlungsleitend ist.

Präventive Maßnahmen

Mandatsprüfung und Interessenkontrolle

Bereits bei Übernahme eines Mandats ist sorgfältig zu prüfen, ob und inwieweit mit möglichen Alt-Mandaten oder bestehenden Mandaten ein Konflikt bestehen könnte. Technische Hilfsmittel wie Mandatslisten, Kontrollsysteme oder IT-gestützte Prüfsysteme dienen dazu, potentielle Fälle von Interessenkollision und damit möglichem Parteiverrat frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

Aufklärungspflicht und Mandatsablehnung

Rechtsberater sind verpflichtet, Mandanten unverzüglich zu informieren, wenn die Gefahr einer Doppelvertretung mit widerstreitenden Interessen besteht. Eine Mandatsübernahme oder Fortführung ist in solchen Fällen zwingend zu unterlassen.

Internationale Aspekte

Vergleichbare Regelungen zum Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und entsprechende Sanktionen finden sich in zahlreichen anderen Rechtssystemen. Das Prinzip der parteilichen Unabhängigkeit gilt international als grundlegendes Leitbild rechtsberatender Berufe.

Literaturhinweise und weiterführende Informationen

  • Strafgesetzbuch (StGB), insbesondere § 356 StGB
  • Literatur zum Berufsrecht der rechtsberatenden Berufe
  • Leitfäden zum Umgang mit Interessenkollisionen

Zusammenfassung:
Parteiverrat bezeichnet einen schwerwiegenden Verstoß gegen das für die rechtsberatenden Berufe zwingend vorgeschriebene Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen in derselben Rechtssache. Die Vorschriften des § 356 StGB bilden den zentralen strafrechtlichen Rahmen und dienen dem Schutz des individuellen Mandanteninteresses und der Integrität rechtsberatender Tätigkeiten. Die Einhaltung der zwingenden Kontrollmechanismen und berufsrechtlichen Vorgaben ist unerlässlich, um Doppelvertretungen und damit Konflikte sowie die Gefahr des Parteiverrats zu vermeiden.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt im rechtlichen Sinne Parteiverrat vor?

Parteiverrat liegt nach deutschem Recht vor, wenn ein Rechtsanwalt in derselben Rechtssache widerstreitende Interessen vertritt (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 356 StGB). Dies bedeutet konkret, dass der Anwalt nicht nur in faktisch identischen Verfahren, sondern auch bei einer engen wirtschaftlichen, persönlichen oder rechtlichen Verknüpfung zweier Mandanten tätig wird, deren Interessen sich widersprechen. Formal genügt dabei bereits die beratende, also außergerichtliche Tätigkeit. Auch der Versuch, wechselnde Interessen zu vertreten, reicht aus. Entscheidend ist stets eine konkrete Rechtssache, ein abstrakter Interessengegensatz reicht nicht aus. Die Beurteilung ist stets einzelfallbezogen, wobei auch mittelbare Vorteile für eine Gegenpartei einen Verstoß darstellen können.

Welche gesetzlichen Vorschriften regeln den Parteiverrat?

Das strafbare Verhalten im Zusammenhang mit Parteiverrat ist in § 356 StGB geregelt. Demnach macht sich ein Rechtsanwalt strafbar, der in derselben Rechtssache beiden Parteien dient, obwohl diese widerstreitende Interessen haben. Daneben besteht ein berufsrechtliches Verbot in § 43a Abs. 4 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung). Weitere Konkretisierungen finden sich in § 3 BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte) und im Strafprozessrecht, wo die Beteiligung an widerstreitenden Interessen zur Mandatsniederlegung und zum Tätigkeitsverbot führen kann. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von den Anwaltskammern sowie von der Staatsanwaltschaft überwacht.

Welche Konsequenzen drohen bei einem nachgewiesenen Parteiverrat?

Im Falle eines festgestellten Parteiverrats drohen dem beteiligten Anwalt sowohl strafrechtliche als auch standesrechtliche Sanktionen. Strafrechtlich ist gemäß § 356 StGB eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vorgesehen. Berufsrechtlich kann dies zu einem anwaltsgerichtlichen Verfahren führen, welches mit Maßnahmen wie Rüffel, Geldbuße, Berufsverbot oder im Extremfall dem Ausschluss aus der Anwaltschaft enden kann. Darüber hinaus können Abmahnungen, Schadensersatzforderungen und eine zivilrechtliche Haftung entstehen. Auch Mandate können entzogen und Kosten nicht erstattet werden. Wiederholte oder besonders schwere Verstöße führen regelmäßig zur Überprüfung der gesamten Berufsausübung.

Wie wird in der Praxis das Vorliegen widerstreitender Interessen geprüft?

Die Frage, ob widerstreitende Interessen im Sinne des Parteiverrats vorliegen, ist hochgradig einzelfallabhängig. Geprüft wird zunächst, ob überhaupt eine Identität oder jedenfalls eine Nähe der Rechtssache besteht, also ob der Anwalt in einem Sachzusammenhang beide Seiten berät oder vertritt. Sodann wird analysiert, ob objektiv ein tatsächlicher oder nur potenzieller Interessenkonflikt besteht. Auch mittelbare Berührungspunkte – etwa durch Weitergabe interner Informationen – werden erfasst. Maßgeblich ist das Risiko, dass vertrauliche Informationen zum Nachteil einer Partei verwendet werden könnten oder die Loyalität des Anwalts beeinträchtigt wird. Geringfügige Überschneidungen ohne Sachzusammenhang reichen hingegen nicht aus.

Welche Rolle spielt das Einverständnis der Mandanten?

Das schriftliche oder mündliche Einverständnis beider Mandanten kann in bestimmten Fällen zwar berufsrechtlichen Vorwürfen entgegenwirken, hebt jedoch die Strafbarkeit gemäß § 356 StGB nicht auf. Selbst wenn beide Parteien ausdrücklich zustimmen, wird die objektive Rechtsgutsverletzung – Schutz vor Geheimnisverrat und Wahrung parteilicher Interessen – durch das Gesetz höher bewertet. Ein etwaiges Einverständnis kann in zivilrechtlicher Hinsicht Auswirkungen auf mögliche Schadensersatzansprüche haben, nicht aber auf die straf- oder berufsrechtliche Bewertung des Parteiverrats.

Gibt es Ausnahmen vom Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen?

Das Verbot kennt nur wenige, klar umrissene Ausnahmen. Eine Ausnahme liegt etwa vor, wenn es sich nicht um dieselbe Rechtssache, sondern um verschiedene Sachverhalte handelt, die keinerlei rechtlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Bezug zueinander aufweisen. Verletzen die beteiligten Interessen sich nicht real, sondern bestehen lediglich abstrakte Gegensätze – etwa bei der Vertretung von Personen, deren Interessen zufällig voneinander abweichen -, ist kein Parteiverrat gegeben. Ebenso kann bei offenkundig nebensächlichen Berührungspunkten oder bei eindeutig lediglich beratender Tätigkeit ohne Informationsaustausch ein Verstoß ausgeschlossen sein. Im Zweifel bleibt jedoch stets ein striktes Gebot zur Zurückhaltung für den Anwalt bestehen.

Wie wirken sich Verstöße gegen das Parteiverratsverbot auf die Wirksamkeit von Verträgen oder gerichtlichen Entscheidungen aus?

Ein Verstoß gegen das Parteiverratsverbot kann weitreichende Folgen auf zivil- und prozessrechtlicher Ebene haben. Rechtsgeschäftliche Erklärungen des Anwalts können wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB nichtig sein, sofern das gesetzliche Schutzinteresse dies gebietet. In gerichtlichen Verfahren können abgeschlossene Vergleiche oder Anerkenntnisse angefochten oder für unwirksam erklärt werden, sobald ein Parteiverrat Glaubhaft gemacht wird. Darüber hinaus kann ein Mandatsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet werden und Ansprüche auf Vergütung oder Kostenerstattung entfallen gegebenenfalls vollständig. Derartige Auswirkungen dienen dem Schutz der Integrität des anwaltlichen Berufsstandes und der rechtssuchenden Bürger.