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Parteiherrschaft


Begriff und Bedeutung der Parteiherrschaft

Parteiherrschaft ist ein zentraler Begriff des Zivilprozessrechts und bezeichnet das rechtliche Prinzip, nach dem die Parteien eines gerichtlichen Verfahrens maßgeblichen Einfluss auf den Gang, den Inhalt und teilweise das Ergebnis des Prozesses ausüben. Sie steht im Gegensatz zur richterlichen Verfahrensherrschaft und verdeutlicht insbesondere die Autonomie sowie die prozessuale Verantwortung der Verfahrensbeteiligten, insbesondere in dispositiven Verfahren.

Rechtsgrundlagen der Parteiherrschaft

Kodifizierung in der Zivilprozessordnung

Die Parteiherrschaft ist im deutschen Zivilprozessrecht in mehreren Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) verankert. Zu den wichtigsten Bestimmungen zählen:

  • § 308 Abs. 1 ZPO: Der Grundsatz „ne ultra petita“ (auch als Antragsgrundsatz bekannt) besagt, dass das Gericht nicht über das hinausgehen darf, was von einer Partei beantragt wurde.
  • § 263 ZPO: Regelung der Klageänderung durch die Parteien.
  • § 269 ZPO: Die Partei kann ihre Klage, unter bestimmten Voraussetzungen, ganz oder teilweise zurücknehmen.
  • § 306 ZPO: Das Anerkenntnis und der Verzicht durch die Parteien.
  • Dispositionsmaxime: Teilweise auch bloß als Leitsatz im Prozessrecht festgehalten, bildet sie den prozessualen Überbau der Parteiherrschaft.

Bedeutung in anderen Prozessordnungen

Auch in anderen Verfahrensarten, etwa im Verwaltungsprozess (§ 88 VwGO), im Arbeitsgerichtsprozess (§ 46 ArbGG), im Familiensachenverfahren, oder im Schiedsverfahren, kommt diesem Grundsatz – wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen und Einschränkungen – erhebliche Bedeutung zu.

Ausprägungen und Grenzen

inhaltliche Disposition

Die Parteien bestimmen, ob und in welchem Umfang ein gerichtliches Verfahren geführt wird. Beispielsweise liegt es in ihrem Ermessen, ob ein Klageantrag gestellt, verändert, erweitert, beschränkt oder zurückgenommen wird.

verfahrensbestimmende Verfügung

Der Ablauf des Prozesses wird maßgeblich durch die Parteiinteressen und -handlungen gelenkt. So entscheiden die Parteien, welche Tatsachen und Beweismittel sie in das Verfahren einbringen beziehungsweise auf welche sie verzichten (Verhandlungsmaxime).

Beschränkungen und Ausnahmen

Die Parteiherrschaft findet dort ihre Grenzen, wo zwingende prozessuale Vorgaben greifen. Insbesondere im Bereich der öffentlichen Ordnung, in Verfahren mit einer überwiegend öffentlichen oder kinderschützenden Zielrichtung (z.B. Kindschaftssachen, Betreuungssachen), kann das Gericht auch ohne ausdrückliche Initiative der Parteien tätig werden (Amtswegenprinzip, Offizialmaxime).

Parteiherrschaft im Spannungsfeld zur richterlichen Verfahrenslenkung

Abgrenzung zur richterlichen Sachverhaltsaufklärung

Während die Parteiherrschaft die inhaltliche und dispositive Herrschaft über das Verfahren definiert, bleibt dem Gericht die Aufgabe, das Verfahren sachgemäß zu leiten und eine umfassende rechtliche Würdigung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen vorzunehmen. Der Grundsatz der richterlichen Unparteilichkeit sowie das gerichtliche Fragerecht gemäß § 139 ZPO bleiben hierbei unberührt.

Ausnahmen: Offizialmaxime

In Verfahren mit besonderem öffentlichem Interesse, etwa einigen Familiensachen, Strafverfahren oder Verwaltungsverfahren, steht die Parteiherrschaft zurück und wird von der Offizial- oder Untersuchungsmaxime überlagert. Das Gericht wird dann von Amts wegen tätig, unabhängig von Parteianträgen.

Praktische Relevanz

Konsequenzen für die Rechtsdurchsetzung

Die Parteiherrschaft sichert die Interessenwahrung und Selbstbestimmung der Parteien im Rechtsstreit, da sie maßgeblich darüber bestimmen, welche Streitgegenstände in das Verfahren eingebracht und in welchem Umfang Ansprüche geltend gemacht werden. Sie ermöglicht ferner prozessökonomische Lösungen durch Verzicht, Anerkenntnis oder vergleichsweise Regelungen (§§ 278 ff. ZPO).

Rolle im Zivilprozess

Insbesondere im Zivilprozess ist ein effektiver Rechtsschutz an die prozessuale Mitarbeit und das eigenverantwortliche Handeln der Parteien geknüpft. Unzureichende Antragstellung, Nichterhebung von Einreden oder verspätetes Vorbringen können zum Rechtsverlust führen, da das Gericht seinem Entscheidungsumfang nach an Parteihandlungen gebunden ist.

Parteiherrschaft im internationalen Vergleich

Kontinentaleuropäische Systeme

Die Parteiherrschaft ist in vielen europäischen Verfahrensordnungen, etwa in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Deutschland, strukturbestimmendes Element des Zivilprozesses.

Common Law-Systeme

Demgegenüber wird im anglophonen Rechtskreis nach dem adversatorischen Verfahren vorgegangen, das gleichsam auf die Dispositionsfreiheit und Selbstverantwortung der Parteien abstellt, jedoch im Detail zum Teil andere Schwerpunkte setzt.

Bedeutung für den Rechtsschutz

Die Parteiherrschaft gewährleistet, dass der Rechtsschutz im Wesentlichen Sache der Parteien bleibt. Die Prozessführungsbefugnis ist daher eng mit dem materiell-rechtlichen Anspruchsinhaber verknüpft, wobei Ausnahmen etwa bei gewillkürter oder gesetzlicher Prozessstandschaft denkbar sind.

Literaturhinweise (Auswahl)

  • Musielak/Voit, ZPO
  • Zöller, ZPO
  • Thomas/Putzo, ZPO
  • Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung

Fazit

Die Parteiherrschaft ist ein tragendes Prinzip des Zivilverfahrensrechts, das die Selbstverantwortung, Autonomie und Gestaltungsfreiheit der Parteien bei der Durchsetzung und Bestimmung von Rechten im Prozess garantiert. Ihre Ausgestaltung ist durch die rechtlichen Rahmenbedingungen präzise abgesteckt und sie steht in Wechselwirkung mit der richterlichen Verfahrenslenkung sowie den prozessualen Maximen. Sie unterliegt zudem in Einzelfällen gesetzlichen Einschränkungen im Interesse des Allgemeinwohls.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Mechanismen existieren in Deutschland zur Begrenzung der Parteiherrschaft?

Das Grundgesetz (GG) setzt der Parteiherrschaft enge juristische Schranken und sieht zahlreiche Instrumente zur Machtbegrenzung vor. Gemäß Artikel 21 GG wirken Parteien „an der politischen Willensbildung des Volkes mit“, sie sollen diese jedoch nicht dominieren oder ersetzen. Das Grundgesetz verbietet eine Parteiendemokratie, in der Parteien Staatsorgane unmittelbar kontrollieren oder die demokratische Ordnung aushebeln. Die zentrale Sicherung liegt im Demokratieprinzip (Art. 20 GG) und der Gewaltenteilung, die eine strikte Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative gewährleisten, sodass Parteiorgane keinen alleinigen Zugriff auf diese Staatsgewalten entwickeln können. Das Parteiengesetz (PartG) regelt explizit die interne Demokratie der Parteien, die Transparenz bei der Finanzierung (z.B. Rechenschaftspflicht nach § 23 PartG) und die Verantwortlichkeit für Verstöße (z.B. Sanktionen bei Verstößen gegen das Parteiengesetz). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann auf Antrag politische Parteien für verfassungswidrig erklären (Parteiverbot, Art. 21 Abs. 2 GG), falls sie die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährden. Darüber hinaus gibt es das Prinzip der freien Mandatsausübung (Art. 38 GG), das Abgeordneten untersagt, an Weisungen der Partei gebunden zu sein. Diese rechtlichen Mechanismen sichern den Pluralismus und schützen das Staatswesen vor einer einseitigen parteilichen Vereinnahmung.

Inwiefern ist das freie Mandat ein Schutz vor Parteiherrschaft?

Das freie Mandat gemäß Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG schreibt vor, dass Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind“. Diese Regelung dient zur Sicherung der Unabhängigkeit der Volksvertreterinnen und -vertreter vom direkten Einfluss der Parteien und somit als wirksames Korrektiv gegen Parteiherrschaft. Obwohl Parteien als zentrale Akteure im parlamentarischen System Fraktionsdisziplin ausüben können, bleiben Abgeordnete juristisch befugt, jederzeit eigenständig und entgegen der Parteilinie abzustimmen, ohne hierfür rechtliche Sanktionen befürchten zu müssen. Versuche, Abgeordnete zu parteipolitischem Gehorsam zu zwingen, sind rechtlich unzulässig und können zur Nichtigkeit entsprechender Vereinbarungen führen. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass die Bindung des Mandats an eine Partei gegen das Demokratieprinzip verstößt. Im Ergebnis bietet das freie Mandat daher einen wirkmächtigen Schutz vor einer Entmachtung des Parlaments durch Parteiorganisationen und ermöglicht pluralistisch-demokratische Entscheidungsprozesse.

Welche Rolle spielt das Parteiengesetz bei der Regulierung der Parteiherrschaft?

Das Parteiengesetz (PartG) konkretisiert den Rahmen des Grundgesetzes für die Tätigkeit politischer Parteien. Es regelt in § 1 bis § 37 die Gründung, Finanzierung, innere Ordnung und öffentliche Kontrolle politischer Parteien. Besonders erheblich zur Begrenzung möglicher Parteiherrschaft sind die Vorschriften zur innerparteilichen Demokratie (§ 6 PartG), die Transparenz- und Veröffentlichungspflichten bezüglich der Finanzen (§§ 23-31b PartG) sowie Regelungen über die Kontrolle und ggf. Auflösung verfassungswidriger Parteien (§ 18 PartG). Das Gesetz stellt klar, dass Parteien keine staatlichen Funktionen usurpieren dürfen, sondern primär Mittler zwischen Staat und Gesellschaft sind. Zudem wird die parteieninterne Machtkonzentration durch die Pflicht zu demokratischen Organisationsstrukturen und durch die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung innerparteilicher Willensbildungsprozesse beschränkt. Verstöße gegen das Parteiengesetz können vom Bundesverwaltungsgericht oder durch das Bundesverfassungsgericht sanktioniert werden.

Wie schützt die richterliche Gewalt den Staat vor Parteiherrschaft?

Die Judikative ist ausdrücklich als von Parteiinteressen unabhängige Gewalt ausgestaltet. Nach Artikel 97 GG sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Eine Übernahme oder wesentliche Einflussnahme durch Parteien ist rechtlich ausgeschlossen. Stellenbesetzungen in der Justiz erfolgen mit Ausnahme weniger „politischer“ Ämter (wie Bundesverfassungsrichter, die durch parlamentarische Gremien gewählt werden) nach streng festgelegten, transparenten Kriterien. Bei Anhaltspunkten für eine politische Einflussnahme auf Gerichtsverfahren oder Entscheidungen greifen die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen-z.B. durch Rechtsmittel und gegebenenfalls das Dienstrecht für die Richter. Die richterliche Unabhängigkeit ist durch zahlreiche gesetzliche und verfassungsrechtliche Normen abgesichert, wodurch die Zwecke, Funktionsfähigkeit und Neutralität der Gerichte gegen parteipolitische Instrumentalisierung gesichert sind.

Welche Kontrolle besteht über die Parteienfinanzierung und wie wird eine „Finanzherrschaft“ verhindert?

Parteien unterliegen im Hinblick auf ihre Finanzierung umfassenden gesetzlichen Offenlegungspflichten, um die Gefahr einer unrechtmäßigen finanziellen Machtkonzentration („Finanzherrschaft“) zu verhindern. Das PartG (§§ 23 ff.) verpflichtet Parteien zu einer jährlichen Rechenschaftslegung gegenüber dem Bundestagspräsidenten, der die Angaben prüft und die Veröffentlichung dieser Rechenschaftsberichte anordnet. Verstöße gegen Transparenz- oder Annahmegrenzen (z.B. Annahme von Spenden über den gesetzlichen Betrag hinaus, § 25 PartG) führen zu empfindlichen Sanktionen, wie Rückführung der Spenden oder Geldbußen (§ 31c PartG). Staatliche Parteienfinanzierung nach festen Kriterien (§ 18 PartG) mindert die Abhängigkeit der Parteien von einzelnen Großspendern und sichert eine gleichmäßigere Wettbewerbsgrundlage. Die Kontrolle erfolgt durch die Bundestagsverwaltung und auf Einspruch durch das Bundesverfassungsgericht. Dadurch soll die Unabhängigkeit des politischen Willensbildungsprozesses von partikularen Geldinteressen gewährleistet bleiben.

Wie kann das Bundesverfassungsgericht Parteiherrschaft unterbinden?

Als Verfassungshüter hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) weitreichende Befugnisse zur Kontrolle von Parteiaktivitäten. Gemäß Art. 21 Abs. 2 GG kann es auf Antrag des Bundestages, Bundesrates oder der Bundesregierung eine Partei als verfassungswidrig erklären und sie verbieten, falls sie durch ihre Ziele oder das Verhalten ihrer Anhänger die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen oder beeinträchtigen will. Neben Parteiverboten kann das BVerfG auch das Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung (§ 18 Abs. 4 PartG) aussprechen. Klagen wegen parteienrechtswidrigen Verhaltens (etwa Verstöße gegen innere Demokratie oder das Parteiengesetz) sind beim Bundesverfassungsgericht anhängig zu machen. Die Verfahren sind darauf ausgelegt, durch präventive und repressive Entscheidungen verfassungswidrige Parteienherrschaft effektiv und dauerhaft zu verhindern.

Welche Rolle spielen die Landesverfassungen und das Bundesstaatsprinzip im Kontext der Parteiherrschaft?

Im föderalistischen System Deutschlands (Art. 20 Abs. 1 GG, Bundesstaatsprinzip) regeln auch die einzelnen Bundesländer die Rolle der Parteien im Rahmen ihrer Landesverfassungen. Diese orientieren sich jedoch inhaltlich am Grundgesetz und sehen ähnliche Beschränkungen und Kontrollmechanismen vor. Parteien dürfen auch auf Landesebene keine Staatsorgane vereinnahmen oder rechtswidrige Einflussnahmen organisieren. Die föderale Struktur selbst dient als zusätzlicher Schutzmechanismus gegen zentralistische Parteiherrschaft; Machtkonzentration wird durch Aufteilung und gegenseitige Kontrolle der Länder und des Bundes verhindert. Besonders relevant ist die landesgesetzliche Umsetzung des Parteiengesetzes, die Sicherstellung der pluralistischen Zusammensetzung im Landtag sowie die Kontrolle der Parteienfinanzierung auf Landesebene.