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Parentelensystem

Parentelensystem: Begriff und Grundprinzip

Das Parentelensystem ist ein Ordnungssystem der gesetzlichen Erbfolge. Es ordnet die Verwandten einer verstorbenen Person (Erblasserin oder Erblasser) in aufeinanderfolgende Gruppen, sogenannte Parentelen. Entscheidend ist die Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses: Angehörige einer näheren Parentel erben vor Angehörigen entfernterer Parentelen. Innerhalb einer Parentel greifen feste Verteilungsregeln, die eine gerechte Verteilung innerhalb der Familienlinien sicherstellen.

Einordnung in die gesetzliche Erbfolge

Das Parentelensystem greift, wenn keine wirksame erbrechtliche Verfügung (z. B. Testament oder Erbvertrag) existiert oder diese nicht den gesamten Nachlass erfasst. Es bestimmt, wer als gesetzliche Erbin oder gesetzlicher Erbe in Betracht kommt und in welcher Reihenfolge und Weise der Nachlass verteilt wird. Es wirkt zudem als Orientierung bei Pflichtteilsrechten und bei der Ermittlung von Erbberechtigten in komplexen Familienkonstellationen.

Parentelen und ihre Reihenfolge

Erste Parentel – Abkömmlinge

Zur ersten Parentel gehören die Kinder der verstorbenen Person sowie deren Nachkommen (Enkel, Urenkel). Sie haben den höchsten Vorrang. Leben Kinder, sind fernere Abkömmlinge nur über das Eintrittsrecht beteiligt, wenn ein Kind weggefallen ist (z. B. durch Vorversterben).

Zweite Parentel – Eltern und deren Abkömmlinge

Wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind, kommen die Eltern zum Zug. An die Stelle eines weggefallenen Elternteils treten dessen Abkömmlinge, also Geschwister der verstorbenen Person sowie Nichten und Neffen.

Dritte Parentel – Großeltern und deren Abkömmlinge

Sind weder Abkömmlinge noch Eltern oder deren Abkömmlinge vorhanden, erben die Großeltern. Tritt ein Großelternteil weg, folgen dessen Abkömmlinge nach: Onkel und Tanten sowie deren Kinder (Cousinen und Cousins).

Weitere Parentelen und Nachlass an den Staat

In der Praxis endet die Erbfolge häufig innerhalb der ersten drei Parentelen. Fehlen erbberechtigte Angehörige auch in den aufsteigenden Linien über die Großeltern und deren Abkömmlinge, gelangt der Nachlass in letzter Konsequenz an den Staat.

Zentrale Funktionsregeln des Parentelensystems

Vorrang- und Ausschlussprinzip

Eine nähere Parentel schließt alle nachfolgenden Parentelen vollständig aus. Solange Personen der ersten Parentel vorhanden sind, kommen Angehörige der zweiten und dritten Parentel nicht zum Zuge, und so fort.

Repräsentations- und Eintrittsrecht

Fällt eine Person aus einer Parentel weg (z. B. durch Vorversterben), treten deren Abkömmlinge an ihre Stelle. Dieses Eintrittsrecht sichert, dass der Anteil eines weggefallenen Familienmitglieds in dessen eigener Linie verbleibt.

Linien- und Stammprinzip

Innerhalb einer Parentel wird nach Familienlinien (Stämmen) verteilt. Jeder Stamm erhält zunächst einen gleichen Anteil, der innerhalb des Stammes weiter nach Köpfen oder wiederum nach Stämmen unterteilt wird, je nachdem, ob weitere Abkömmlinge vorhanden sind. In der zweiten und dritten Parentel wirkt zusätzlich das Linienprinzip: mütterliche und väterliche Linien werden grundsätzlich gleich behandelt.

Gleichheitsgrundsatz innerhalb der Parentel

Verwandte gleichen Grades innerhalb derselben Parentel werden gleichbehandelt. So erhalten beispielsweise mehrere Kinder derselben Eltern grundsätzlich gleich hohe Anteile, sofern keine besonderen Ausschlussgründe vorliegen.

Anwachsung bei Wegfall von Erben

Entfällt ein vorgesehener Anteil mangels Eintrittsberechtigter, wächst dieser den übrigen Erben derselben Ebene an. Die Verteilung bleibt somit innerhalb der betroffenen Parentel geschlossen.

Zusammenspiel mit Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern

Stellung neben den Parentelen

Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner erbt neben den Verwandten nach Parentelen. Sein Erbteil besteht neben der ersten, zweiten oder dritten Parentel und beeinflusst die Anteile der übrigen gesetzlichen Erben. Fehlen Verwandte, ist der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner Alleinerbe.

Güterstände und Auswirkungen auf die Erbquote

Die Höhe des Erbteils des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners hängt vom ehelichen bzw. partnerschaftlichen Güterstand und davon ab, welche Parentel berufen ist. Bestimmte Güterstände führen zu einer pauschalen Erhöhung des Anteils. Die genaue Quote richtet sich nach der konkreten familiären und vermögensrechtlichen Situation.

Kein Parentelenzugehöriger, Alleinerbfolge

Gibt es weder Abkömmlinge noch Angehörige der zweiten oder dritten Parentel, und besteht eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft, fällt der gesamte Nachlass dem überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner zu.

Sonderkonstellationen

Adoption und Stiefkinder

Durch Adoption entsteht ein rechtliches Verwandtschaftsverhältnis mit erbrechtlicher Wirkung. Adoptierte Kinder werden wie leibliche Kinder in der ersten Parentel berücksichtigt. Stiefkinder ohne Adoption gehören nicht zur Parentelenordnung; sie sind nur durch erbrechtliche Verfügungen oder besondere vertragliche Gestaltungen begünstigt.

Nichteheliche Kinder

Nichteheliche Kinder sind heute erbrechtlich den ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie gehören damit gleichermaßen zur ersten Parentel und werden gleich behandelt.

Halbverwandtschaft

Halbgeschwister und deren Abkömmlinge zählen über den gemeinsamen Elternteil zur zweiten Parentel. Bei der Aufteilung innerhalb der Linien wird berücksichtigt, aus welcher Linie die Verwandtschaft abgeleitet wird, sodass es zu einer linearen Zuordnung kommt.

Erbunwürdigkeit, Enterbung und Pflichtteil

Bestimmte schwere Verhaltensweisen können zum Ausschluss von der Erbfolge führen. Zudem kann die Erblasserin oder der Erblasser Personen von der Erbfolge ausschließen. Unabhängig davon bestehen für bestimmte nahe Angehörige Pflichtteilsrechte, die den vollständigen Ausschluss unter gesetzlich geregelten Voraussetzungen begrenzen. Das Parentelensystem dient in diesen Fällen als Bezugsrahmen für die Berechtigung und Berechnung.

Abgrenzung zu anderen Systemen

Gradualsystem

Das Gradualsystem ordnet Erben ausschließlich nach dem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser. Im Unterschied dazu berücksichtigt das Parentelensystem Stämme und Linien, wodurch Anteile innerhalb der Familie eines weggefallenen Angehörigen verbleiben.

Internationale Bezüge und Terminologie

In vielen Rechtsordnungen wird die Verteilung in der Linie der Nachkommen als per stirpes bezeichnet (Verteilung nach Stämmen). Daneben existieren Varianten wie per capita at each generation. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist maßgeblich, welches Erbrecht anwendbar ist; das kann die Frage beeinflussen, ob ein Parentelensystem zur Anwendung kommt.

Praktische Bedeutung und Nachlassabwicklung

Erbenermittlung und Nachweis

Zur Feststellung der gesetzlichen Erbfolge müssen Abstammung, Verwandtschaftslinien und gegebenenfalls Adoptionen belegt werden. Geburts-, Heirats- und Adoptionsurkunden spielen hierbei eine zentrale Rolle. Auf dieser Grundlage wird ermittelt, welche Parentel berufen ist und wer innerhalb dieser Parentel erbt.

Erbengemeinschaft und Verteilung

Mehrere berufene Erben bilden eine Erbengemeinschaft, die den Nachlass gemeinschaftlich verwaltet. Die Anteile ergeben sich aus der Parentelenzugehörigkeit, dem Stamm- und Linienprinzip sowie der Anwachsung. Innerhalb der Erbengemeinschaft erfolgt die Auseinandersetzung nach den ermittelten Erbquoten.

Einfluss von Testamenten

Eine wirksame erbrechtliche Verfügung kann die Verteilung abweichend regeln. Fehlen abweichende Anordnungen oder bleiben Teile des Nachlasses ungeregelt, ergänzt das Parentelensystem die Verteilung als Auffangordnung. Pflichtteilsrechte bleiben unberührt.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Parentelensystem?

Das Parentelensystem ist das Gliederungsprinzip der gesetzlichen Erbfolge. Es ordnet Verwandte in aufeinanderfolgende Gruppen nach Nähe zur verstorbenen Person, wobei eine nähere Parentel stets Vorrang vor einer entfernteren hat.

Welche Reihenfolge haben die Parentelen?

Erste Parentel: Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel). Zweite Parentel: Eltern und deren Abkömmlinge (Geschwister, Nichten, Neffen). Dritte Parentel: Großeltern und deren Abkömmlinge (Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins). Fehlen Angehörige auch in diesen Linien, kann der Nachlass letztlich an den Staat fallen.

Wie wirkt sich das Parentelensystem auf den Anteil des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners aus?

Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner erbt neben den Verwandten nach Parentelen. Die Höhe seines Anteils hängt vom berufenem Verwandtenkreis und vom Güterstand ab. Fehlen Verwandte in den maßgeblichen Parentelen, wird der überlebende Partner Alleinerbe.

Was passiert, wenn ein gesetzlicher Erbe vorverstorben ist?

Greift das Eintrittsrecht, treten die Abkömmlinge des vorverstorbenen Erben an dessen Stelle. Dadurch bleibt der Anteil in der betreffenden Familienlinie und wird dort weiter verteilt.

Werden adoptierte Kinder im Parentelensystem berücksichtigt?

Ja. Adoptierte Kinder sind den leiblichen Kindern erbrechtlich gleichgestellt und gehören zur ersten Parentel. Der Umfang der erbrechtlichen Bindungen richtet sich nach der Art und Ausgestaltung der Adoption.

Wie werden Halbgeschwister eingeordnet?

Halbgeschwister zählen über den gemeinsamen Elternteil zur zweiten Parentel. Bei der Verteilung wird die jeweilige Linie (mütterlich oder väterlich) gesondert betrachtet und gleichgewichtig berücksichtigt.

Wann fällt der Nachlass an den Staat?

Fehlen erbberechtigte Verwandte in den maßgeblichen Parentelen und existiert kein erbberechtigter Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner, fällt der Nachlass letztlich an den Staat.

Gilt das Parentelensystem auch bei einem Testament?

Ein Testament kann die Verteilung abweichend regeln. Das Parentelensystem gilt dann nur ergänzend, soweit keine wirksamen Anordnungen bestehen oder Teile des Nachlasses ungeregelt bleiben; Pflichtteilsrechte bleiben davon unberührt.