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Originärer Erwerb

Originärer Erwerb: Begriff, Bedeutung und Systematik

Originärer Erwerb bezeichnet den Erwerb eines Rechts ohne Rechtsnachfolge von einer vorherigen berechtigten Person. Das Recht entsteht neu oder wird kraft Gesetzes, tatsächlicher Handlung oder hoheitlicher Entscheidung unmittelbar dem Erwerber zugeordnet. Im Gegensatz dazu steht der derivative Erwerb, bei dem ein Recht von einem Vorgänger abgeleitet und übertragen wird.

Anwendungsbereiche des originären Erwerbs

Sachenrecht: Bewegliche Sachen

Bei beweglichen Sachen tritt originärer Erwerb insbesondere in folgenden Konstellationen auf:

  • Aneignung: Erwerb von bisher herrenlosen Sachen durch Besitzergreifung und Aneignungswillen.
  • Verarbeitung: Herstellung einer neuen Sache aus fremden oder gemischten Stoffen, mit Zuordnung der neuen Sache an den Hersteller je nach Voraussetzungen.
  • Verbindung und Vermischung: Untrennbares Verbinden oder Vermengen mehrerer Sachen, wodurch ein neuer Eigentumszustand entsteht und Anteile originär zugeordnet werden können.
  • Fruchterwerb: Erwerb von Erzeugnissen und Erträgen (Früchten) durch ihre Trennung von der Muttersache; der Erwerb erfolgt kraft Gesetzes und unabhängig von einem Übertragungsvorgang.
  • Fund und Schatzfund: Je nach Voraussetzungen kann das Eigentum an einer gefundenen Sache oder einem aufgefundenen Schatz originär übergehen oder geteilt entstehen.

Grundstücksrecht

Im Bereich von Grundstücken kommt originärer Erwerb vor allem vor, wenn ein Recht neu begründet oder ein Grundstück neu gebildet wird. Typische Fälle sind:

  • Entstehung neuer Grundstücksflächen (z. B. natürliche Landzunahme), die rechtlich zugeordnet werden.
  • Begründung selbstständiger dinglicher Rechte (z. B. beschränkte dingliche Rechte), wenn sie erstmalig entstehen.
  • Eigentumsneubegründung durch hoheitliche Maßnahmen wie Enteignung oder Bodenordnungsakte, bei denen das Eigentum originär zugeteilt wird.

Auch wenn Eintragungen in öffentliche Register regelmäßig erforderlich sind, bleibt der Charakter als originärer Erwerb erhalten, wenn das Recht nicht von einem Vorgänger abgeleitet wird.

Forderungsrechte

Ansprüche entstehen häufig originär. Beispiele:

  • Vertragliche Ansprüche: Durch wirksamen Vertrag wird ein neuer Anspruch begründet; er entsteht originär und nicht durch Übernahme eines bestehenden Anspruchs.
  • Ansprüche aus unerlaubter Handlung oder ungerechtfertigter Bereicherung: Diese entstehen infolge eines Ereignisses unmittelbar beim Berechtigten.

Im Unterschied dazu steht die Abtretung (Zession), bei der eine bestehende Forderung derivativ von einem bisherigen Gläubiger übergeht.

Immaterialgüterrecht

Viele Rechte des geistigen Eigentums entstehen originär, weil sie nicht von einem Vorgänger abgeleitet werden:

  • Urheberrecht: Entsteht mit der persönlichen Schöpfung des Werkes durch den Urheber.
  • Marken- und Kennzeichenrechte: Entstehen je nach System durch Eintragung oder Benutzung, wobei die Rechtsposition erstmalig begründet wird.
  • Patent- und Schutzrechte: Entstehen mit Erteilung/Eintragung; die Rechtsposition ist neu und nicht abgeleitet.
  • Lizenzen: Werden in der Regel derivativ eingeräumt, da sie aus einem bereits bestehenden Ausschließlichkeitsrecht abgeleitet werden.

Gesellschaftsrecht

Mitgliedschaftsrechte können originär entstehen, wenn sie neu begründet werden, etwa bei:

  • Gründung einer Gesellschaft: Die Rechte der Gründungsmitglieder entstehen mit der Errichtung.
  • Kapitalerhöhung: Neue Anteile werden erstmalig ausgegeben; der Erstwerb ist originär.

Die spätere Übertragung bereits bestehender Anteile erfolgt dagegen derivativ.

Öffentliches Recht

Originärer Erwerb findet sich auch bei hoheitlichen Akten, etwa:

  • Enteignung: Zuweisung von Eigentum an einen neuen Träger durch Verwaltungsakt.
  • Einziehung, Verfall und ähnliche Maßnahmen: Rechtspositionen werden kraft hoheitlicher Anordnung neu zugeordnet.
  • Fiskalischer Erwerb herrenloser Sachen: Der Staat erwirbt Eigentum unmittelbar aufgrund gesetzlicher Anordnung.

Abgrenzung zum derivativen Erwerb

Derivativer Erwerb beruht auf Rechtsnachfolge von einem bisherigen Berechtigten. Beispiele sind Kauf und Übereignung einer Sache, Abtretung einer Forderung, Übertragung von Gesellschaftsanteilen sowie Erbfolge. Beim derivativen Erwerb setzt die Wirksamkeit grundsätzlich voraus, dass der Veräußerer berechtigt ist. Der gutgläubige Erwerb von beweglichen Sachen oder Rechten gilt trotz fehlender Berechtigung des Veräußerers als derivativ, da er an eine Veräußerung anknüpft und nicht an eine Neubegründung des Rechts.

Rechtsfolgen und Besonderheiten des originären Erwerbs

Rechtsbeständigkeit und Rechtslasten

Originär erworbene Rechte sind nicht von persönlichen Einreden oder vertraglichen Bindungen eines Vorgängers abhängig. Sie können jedoch bestehenden gesetzlichen Beschränkungen und bereits vorher entstandenen, wirksam fortbestehenden dinglichen Belastungen unterliegen, sofern der jeweilige Erwerbstatbestand diese nicht verdrängt. Öffentlich-rechtliche Vorgaben (z. B. Genehmigungen, Eintragungen) können für Wirksamkeit und Publizität maßgeblich sein.

Schutz des bisherigen Inhabers und Ausgleich

Originärer Erwerb kann Rechte bisheriger Inhaber verdrängen. In bestimmten Konstellationen sind Ausgleichsmechanismen vorgesehen, etwa Entschädigungen bei hoheitlichen Eingriffen oder Ausgleich unter Beteiligten bei Verarbeitung, Verbindung oder Vermischung. Der Erwerb selbst ist davon unabhängig.

Publizität, Register und Besitz

Je nach Rechtsgebiet sind für Entstehung, Wirksamkeit und Nachweis unterschiedliche Publizitätsformen bedeutsam: Besitz als Sichtbarkeitsmerkmal bei beweglichen Sachen, Eintragungen in öffentliche Register bei Grundstücken und Immaterialgüterrechten sowie Urkunden bei gesellschaftsrechtlichen und schuldrechtlichen Positionen. Diese dienen der Rechtssicherheit und erleichtern den Rechtsverkehr.

Typische Konstellationen im Überblick

  • Originär: Aneignung herrenloser Sache; Verarbeitung einer neuen Sache; Vermischung/Verbindung; Fruchterwerb durch Trennung; erstmalige Eintragung/Erteilung eines Schutzrechts; Gründung und erstmalige Ausgabe neuer Anteile; hoheitliche Zuweisung.
  • Nicht originär: Kauf und Übereignung; Abtretung einer Forderung; Übertragung von Gesellschaftsanteilen im Sekundärmarkt; gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten; Erbfolge.

Nachweis und Dokumentation

Die Belegung eines originären Erwerbs stützt sich auf die für den jeweiligen Erwerbstatbestand typischen Nachweise: Besitzlage und tatsächliche Herrschaftsausübung, Registereinträge und Eintragungsmitteilungen, Urkunden zu Entstehungstatbeständen (z. B. Gründungsunterlagen, Zuteilungs- oder Verwaltungsakte) sowie Belege für Herstellung, Trennung oder Fund. Diese Nachweise fördern Klarheit und Verkehrsschutz.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet originärer Erwerb?

Originärer Erwerb ist der Erwerb eines Rechts ohne Rechtsnachfolge von einem Vorgänger. Das Recht entsteht neu oder wird unmittelbar zugeordnet, etwa durch Herstellung, Registrierung, Aneignung oder hoheitliche Entscheidung.

Worin liegt der Unterschied zum derivativen Erwerb?

Beim derivativen Erwerb leitet der Erwerber sein Recht von einem bisherigen Inhaber ab (z. B. Kauf, Abtretung). Beim originären Erwerb gibt es keinen Rechtsvorgänger; das Recht wird neu begründet oder ohne Übertragung zugeordnet.

Ist der gutgläubige Erwerb originär?

Nein. Trotz fehlender Berechtigung des Veräußerers knüpft der gutgläubige Erwerb an einen Übertragungsvorgang an und gilt daher als derivativ, nicht originär.

Kann ein Recht auch durch Vertrag originär entstehen?

Ja. Ein Vertrag kann neue Forderungen begründen, die originär entstehen. Die Übereignung bereits vorhandener Rechte oder Sachen über Vertrag ist hingegen derivativ, weil sie von einem Vorgänger abgeleitet wird.

Welche Rolle spielen Register beim originären Erwerb?

Register schaffen Publizität und sind für die Entstehung und den Nachweis vieler originärer Erwerbstatbestände maßgeblich, etwa bei Grundstücken, Marken oder Patenten. Sie dokumentieren die erstmalige Zuteilung oder Entstehung eines Rechts.

Ist ein originär erworbenes Recht frei von Belastungen?

Es ist unabhängig von persönlichen Bindungen eines Vorgängers. Gesetzliche Beschränkungen, bestehende dingliche Lasten oder öffentlich-rechtliche Vorgaben können gleichwohl fortwirken, soweit der jeweilige Erwerbstatbestand sie nicht ausschließt.

Entsteht das Urheberrecht originär?

Ja. Das Urheberrecht entsteht mit der Schöpfung des Werkes unmittelbar beim Urheber. Eine Übertragung dieses Rechts ist grundsätzlich nicht erforderlich, damit es entsteht.

Welche Bedeutung hat originärer Erwerb im öffentlichen Recht?

Hoheitliche Akte können Eigentum oder andere Rechtspositionen originär zuweisen, etwa durch Enteignung, Einziehung oder fiskalischen Erwerb. Hier entsteht die Rechtsposition unmittelbar aufgrund des hoheitlichen Aktes.