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Organisationsdelikte


Begriff und rechtliche Einordnung von Organisationsdelikten

Organisationsdelikte bezeichnen im Strafrecht Straftatbestände, die das Bilden, Unterstützen oder Fördern einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung unter Strafe stellen. Im deutschen Recht stellen sie zentrale Instrumente dar, um die kollektive Begehung von Straftaten zu unterbinden und organisierte Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Sie setzen nicht auf die Bestrafung einzelner krimineller Handlungen ab, sondern kriminalisieren bereits die Beteiligung an einer gesetzwidrigen Struktur selbst. Organisationsdelikte sind dadurch von erheblicher Bedeutung für die Kriminalitätsprävention und den Schutz der öffentlichen Sicherheit.

Historische Entwicklung und rechtsdogmatische Grundlagen

Historische Entwicklung

Organisationsdelikte haben ihre Wurzeln im deutschen Strafrecht in den Gesetzen zur Bekämpfung politischer und krimineller Zusammenschlüsse. Bereits das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 kannte Strafen gegen verbotene Verbindungen und revolutionäre Vereinigungen. Mit dem wachsenden Phänomen organisierter Kriminalität und Terrorismus wurde das materielle Strafrecht um spezielle Regelungen zum Vereinsstrafrecht und zur Terrorismusbekämpfung erweitert.

Rechtsdogmatische Grundstruktur

Organisationsdelikte zählen zu den abstrakten Gefährdungsdelikten. Das bedeutet, dass bereits die Gründung oder Mitwirkung an einer Vereinigung strafbar ist, unabhängig davon, ob im Einzelfall bereits konkrete Straftaten begangen wurden. Die Rechtsgüter, die durch Organisationsdelikte geschützt werden, sind die öffentliche Sicherheit, Rechtsordnung und teilweise spezielle Individualinteressen, etwa bei terroristischen Vereinigungen.

Relevante gesetzliche Vorschriften

Kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)

Der zentrale Organisationsdelikt-Tatbestand im deutschen Strafgesetzbuch ist § 129 StGB („Bildung krimineller Vereinigungen“). Danach ist die Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung oder Werbung für eine Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet sind, strafbar. Bereits die Mitwirkung an der organisatorischen Struktur erfüllt den Tatbestand.

Terroristische Vereinigungen (§ 129a, § 129b StGB)

Spezielle Regelungen finden sich in § 129a StGB („Bildung terroristischer Vereinigungen“) und § 129b StGB („Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland“). Hierbei werden Vereinigungen adressiert, deren Zwecke auf besonders schwere Straftaten wie Mord, Totschlag oder Geiselnahme gerichtet sind. § 129b StGB erweitert die Geltung auf Vereinigungen im Ausland, wenn eine inländische Verbindung besteht.

Weitere einschlägige Normen

Weitere Vorschriften finden sich im Vereinsgesetz, speziell zum Verbot und zur Auflösung verfassungswidriger oder gemeingefährlicher Vereine, sowie im Völkerstrafgesetzbuch, das internationale Organisationsdelikte wie die Unterstützung terroristischer Organisationen umfasst.

Tatbestandsvoraussetzungen von Organisationsdelikten

Begriff der Vereinigung

Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, der einen gemeinsamen Willen zur Verfolgung gemeinsamer, auf strafbare Handlungen gerichteten Ziele hat. Die Struktur muss eine gewisse Festigkeit und äußere Abgrenzbarkeit besitzen. Gelegenheitsverbindungen oder lose Gruppen reichen nicht aus.

Formen der Beteiligung

Gründung

Die Gründung ist bereits mit der Schaffung einer auf Dauer angelegten Organisation zum Zwecke gemeinsamer krimineller Bestrebungen erfüllt.

Mitgliedschaft

Mitglieder sind Personen, die sich in die Struktur einordnen und aktiv an der Verfolgung der Ziele mitwirken.

Unterstützung

Unterstützer sind Personen, die die Vereinigung in der Art fördern, dass dies der Fortführung oder Förderung der Organisation objektiv dienlich ist, ohne selbst Mitglieder zu sein.

Werbung

Werbung meint das Einwerben neuer Mitglieder oder Unterstützer bzw. die Förderung des organisatorischen Zusammenhalts, beispielsweise durch Propaganda.

Spezifische Anforderungen bei terroristischen Vereinigungen

Bei terroristischen Vereinigungen ist erforderlich, dass die Ziele auf Straftaten von erheblicher Schwere gerichtet sind, etwa Mord, Totschlag, Geiselnahme, Sprengstoffverbrechen oder vergleichbare Delikte, die als terroristische Straftaten klassifiziert sind.

Strafzumessung und Rechtsfolgen

Die Strafandrohungen variieren je nach Delikt und Rolle innerhalb der Organisation. Für Mitglieder und Gründer sieht § 129 StGB Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen vor, während die Strafe nach § 129a StGB (terroristische Vereinigung) eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsieht. Für Unterstützer oder Werbende sind die Strafen milder ausgestaltet. Darüber hinaus kann das Vermögen der Organisation eingezogen sowie deren Tätigkeiten untersagt werden.

Abgrenzung zu anderen Tatbeständen

Organisationsdelikte unterscheiden sich von Teilnahme- und Beihilfedelikten dadurch, dass nicht erst die Beteiligung an einer konkreten Straftat erforderlich ist, sondern bereits die Mitwirkung an der Organisation als Grundlage künftiger Straftaten erfasst ist. Dies unterscheidet sie auch von Unternehmensdelikten oder Einzelakteuren, bei denen das Organisations-Risiko nicht besteht.

Verfassungsrechtliche und europarechtliche Bezüge

Die strafrechtliche Verfolgung von Organisationsdelikten berührt grundrechtlich geschützte Positionen, insbesondere die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) und Meinungsfreiheit. Der Gesetzgeber muss daher eine Abwägung zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und individuellen Grundrechten finden. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden StGB-Normen bestätigt, aber betont, dass die Voraussetzungen eng auszulegen sind.

Europarechtlich ergeben sich Vorgaben aus Rahmenbeschlüssen der EU zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, welche die Mitgliedstaaten zur Einführung effektiver Organizationsdelikte verpflichten. Ähnliche Vorgaben ergeben sich auch aus internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen.

Kritische Bewertung und praktische Bedeutung

Organisationsdelikte sind ein zentrales Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus. Sie ermöglichen frühzeitiges Eingreifen bereits vor der Verwirklichung konkreter Straftaten. Kritisch diskutiert werden sie im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zu grundrechtlichen Freiheiten sowie wegen der Gefahr, dass lediglich lose Zusammenschlüsse kriminalisiert werden könnten. Gerichte und Ermittlungsbehörden sind daher an eine restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale gebunden.

Literatur und Quellen

Strafgesetzbuch (StGB), §§ 129, 129a, 129b
Vereinsgesetz
Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse und Urteile zu §§ 129 ff. StGB
Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates der EU zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität
Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar zu §§ 129 ff. StGB
Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, Kommentar zu §§ 129 ff. StGB


Dieser Artikel beleuchtet umfassend die rechtlichen, dogmatischen und praktischen Dimensionen der Organisationsdelikte und bietet einen detaillierten Überblick über deren Bedeutung im deutschen und europäischen Strafrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist ein Organisationsdelikt nach deutschem Recht erfüllt?

Ein Organisationsdelikt ist nach deutschem Recht erfüllt, wenn eine Person eine kriminelle oder terroristische Vereinigung gründet, sich daran beteiligt, sie unterstützt oder für sie wirbt. Dies ist in § 129 StGB (kriminelle Vereinigung) und § 129a StGB (terroristische Vereinigung) geregelt. Erforderlich ist das Bestehen eines auf gewisse Dauer angelegten Zusammenschlusses von mindestens drei Personen mit organisatorischer Struktur, dessen Zweck oder Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, bestimmte Straftaten zu begehen. Die Beteiligung kann sich auf verschiedene Ebenen erstrecken, etwa durch Mitgliedschaft, logistische Unterstützung oder Förderung der Gruppenziele. Nicht jede lose Gruppierung oder unstrukturierte Zusammenarbeit genügt; vielmehr ist eine gewisse gefestigte Organisationsstruktur mit arbeitsteiliger Rollenzuweisung erforderlich. Zudem ist der Nachweis konkreter Straftaten einzelner Mitglieder nicht zwingend erforderlich, wenn bereits die Gründung oder Unterstützung der Organisation strafbar ist.

Wer kann im Rahmen eines Organisationsdelikts strafrechtlich verfolgt werden?

Im Rahmen eines Organisationsdelikts können sämtliche Personen strafrechtlich verfolgt werden, die eine kriminelle oder terroristische Vereinigung gründen, ihr angehören oder deren Tätigkeit unterstützen. Dies betrifft sowohl die formellen Gründer als auch alle Mitglieder, gleich welchen Grades ihrer Beteiligung. Daneben werden auch Nichtmitglieder erfasst, sofern sie durch ihre Handlungen – etwa durch Bereitstellen von Ressourcen, Finanzierung oder Propaganda – die Organisation fördern oder begünstigen. Die Strafbarkeit ist somit weit gefasst und erfordert keine aktive Teilnahme an einzelnen Delikten der Organisation. Selbst Personen, die nur am Rande unterstützend tätig werden, können nach §§ 129, 129a StGB zur Verantwortung gezogen werden, selbst wenn sie nicht sämtliche Strukturen oder Straftaten der Vereinigung kennen.

Gibt es einen Unterschied zwischen kriminellen und terroristischen Vereinigungen?

Ja, das deutsche Strafrecht unterscheidet zwischen kriminellen Vereinigungen (§ 129 StGB) und terroristischen Vereinigungen (§ 129a StGB). Der zentrale Unterschied liegt im Zweck der Organisation: Während kriminelle Vereinigungen sich auf die Begehung beliebiger Straftaten (außer Bagatelldelikten) richten, müssen terroristische Vereinigungen gezielt darauf ausgerichtet sein, schwere Straftaten – etwa Mord, Totschlag oder schwere Körperverletzung – zu begehen, um erhebliche gesellschaftliche oder politische Ziele, wie die Einschüchterung der Bevölkerung oder die Beeinflussung staatlicher Stellen, zu erreichen. Die Strafandrohung ist für terroristische Vereinigungen deutlich höher als für kriminelle Vereinigungen. Der Kreis der erfassten Unterstützungsmaßnahmen und die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden sind bei terroristischen Vereinigungen darüber hinaus erweitert, etwa durch spezifische Ermittlungsbefugnisse.

Welche Rolle spielen Beihilfe und Unterstützung bei Organisationsdelikten?

Die Strafbarkeit im Kontext von Organisationsdelikten erfasst auch unterstützende Tätigkeiten, selbst wenn eine Person nicht Mitglied der Organisation ist. Nach § 129 Abs. 1 StGB und § 129a Abs. 5 StGB macht sich bereits derjenige strafbar, der die Vereinigung unterstützt, etwa durch Bereitstellung von finanziellen Mitteln, Hilfsmitteln oder durch logistische Unterstützung. Auch das Werben um Mitglieder oder Unterstützer wird explizit mit Strafe bedroht. Die Grenze zur Beihilfe gemäß § 27 StGB ist fließend; im Falle eines Organisationsdelikts ist die bloße Unterstützung der Strukturen oder Zweckverfolgung, ohne Beitrag zur Tatvollendung einer konkreten Straftat, hinreichend für die Strafbarkeit. So kann beispielsweise ein IT-Experte, der die Kommunikationsinfrastruktur einer terroristischen Gruppe einrichtet, strafrechtlich als Unterstützer verfolgt werden.

Wie gestaltet sich der Versuch bei Organisationsdelikten?

Der Versuch ist bei den meisten Organisationsdelikten nicht strafbar, da es sich bei der Gründung oder Unterstützung einer Vereinigung um sogenannte Unternehmensdelikte handelt, bei denen die Tathandlung mit dem Unternehmen beziehungsweise der tatsächlichen Beteiligung beginnt. Eine Vorbereitungshandlung, wie etwa die Planung der Gründung einer Vereinigung, bleibt grundsätzlich straflos, solange es nicht zur Realisierung kommt. Eine Ausnahme kann jedoch bestehen, wenn der Versuch einer explizit erweiterten Tat, wie in §§ 129b StGB (kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland), gesondert unter Strafe gestellt ist. Grundsätzlich ist für die Strafbarkeit der Organisationsdelikte der tatsächliche Vollzug von Gründung oder Unterstützung maßgeblich.

Welcher Strafrahmen droht bei Organisationsdelikten?

Der Strafrahmen für Organisationsdelikte variiert je nach Schwere und Ausgestaltung der Vereinigung. Für die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Werden Waffen geführt oder handelt es sich um eine bewaffnete Organisation, kann sich die Strafe erhöhen. Bei terroristischen Vereinigungen nach § 129a StGB reicht die Strafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug, bei besonders schweren Fällen noch darüber hinaus. Die Unterstützung oder das Werben für eine solche Vereinigung wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe, je nach Schwere der Tat, geahndet. Hinzu kommen mögliche strafschärfende Umstände, etwa die Bildung von Untergruppen, wiederholte Unterstützungstaten oder internationale Bezüge nach § 129b StGB.

Welche besonderen Ermittlungsbefugnisse haben Strafverfolgungsbehörden bei Organisationsdelikten?

Im Zusammenhang mit Organisationsdelikten sind die Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden durch spezifische Regelungen erweitert. Nach §§ 100a, 100b StPO können Maßnahmen wie die Telekommunikationsüberwachung, der verdeckte Einsatz von Ermittlern, die Observation über längere Zeiträume und der Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Aufenthaltsorten angeordnet werden. Diese Maßnahmen können bereits zu einem frühen Ermittlungsstadium erfolgen, da die bloße Bildung oder Unterstützung einer Vereinigung zur Begehung von Straftaten als ausreichend schwer eingestuft wird, um den Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Auch die Durchsuchung von Räumlichkeiten und die Beschlagnahme von Beweismitteln sind erleichtert möglich. Insbesondere bei terroristischen Vereinigungen sind internationale Zusammenarbeit und grenzüberschreitende Ermittlungen häufig und gesetzlich ausdrücklich geregelt.