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ordre public


Begriff und Bedeutung des ordre public

Der Begriff ordre public (im Deutschen häufig „öffentliche Ordnung“ oder „öffentliche Ordnung und Sicherheit“) bezeichnet einen wesentlichen Grundsatz des öffentlichen und privaten Rechts, der die grundlegenden Prinzipien einer Rechtsordnung zum Schutz des Gemeinwohls umfasst. Ursprünglich aus dem französischen Recht stammend, findet der ordre public in zahlreichen nationalen und internationalen Zusammenhängen Anwendung und dient als Schranke für abweichende Normen, etwa im Vertragsrecht, internationalen Privatrecht, Arbeitsrecht oder Verfahrensrecht.

Historische Entwicklung und Herkunft

Der Terminus ordre public entstammt dem französischen Recht des 19. Jahrhunderts und ist eng mit der Entwicklung des modernen Rechtsstaats verbunden. Bereits in den Kodifikationen wie dem französischen Zivilgesetzbuch (Code civil) wurde mit ordre public ein Schutzmechanismus geschaffen, um fundamentale Staatsinteressen und ethische Mindeststandards zu sichern. Im 20. und 21. Jahrhundert wandelte sich das Verständnis teilweise, wurde jedoch in vielen europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen ausdrücklich beibehalten und weiterentwickelt.

Anwendungsbereiche

Im nationalen Recht

Zivilrecht

Im Zivilrecht bezeichnet ordre public die Gesamtheit jener Grundsätze, die für die Rechtsordnung und das Zusammenleben in einer Gesellschaft von elementarer Bedeutung sind. Verträge oder Rechtsgeschäfte, die gegen den ordre public verstoßen – etwa durch Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder Gesetzesverstoß (§ 134 BGB) – sind nichtig. Der Begriff betrifft somit all jene Normen, die nicht zur Disposition der Parteien stehen.

Strafrecht und öffentliches Recht

Im Strafrecht und im öffentlichen Recht dient der ordre public als Rechtfertigung für behördliche Maßnahmen, etwa zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Gemeinwesen. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, Polizeigesetze und Vorschriften zum Versammlungsrecht referenzieren häufig explizit das Bedürfnis, den ordre public zu schützen.

Im internationalen Privatrecht (IPR)

Eine herausragende Bedeutung kommt dem ordre public bei der Anwendung ausländischen Rechts im internationalen Privatrecht zu. Gemäß Art. 6 EGBGB (Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch) ist eine ausländische Rechtsnorm nicht anzuwenden, sofern deren Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung unvereinbar wäre. Damit fungiert der ordre public als „Auffangtatbestand“, um Werte wie Menschenwürde, Gleichbehandlung oder Verfahrensrechte zu wahren. Dies findet sich ähnlich in Art. 21 Rom I-VO sowie in zahlreichen internationalen Abkommen.

Im internationalen öffentlichen Recht

Im internationalen Kontext wird der ordre public insbesondere beim Anerkennung und der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen relevant. Internationale Abkommen (z. B. das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, Art. V Abs. 2 lit. b) sehen einen Vorbehalt vor, wonach Urteile oder Schiedssprüche, die der öffentlichen Ordnung widersprechen, nicht anerkannt werden müssen.

Inhaltliche Reichweite des ordre public

Der Inhalt und Umfang des ordre public sind nicht fest umrissen und unterliegen dem Wandel gesellschaftlicher Grundüberzeugungen. Typischerweise umfasst er

  • Schutz der Menschenwürde und Grundrechte
  • Rechtsstaatliche Prinzipien (z. B. effektiver Rechtsschutz, Verfahrensfairness)
  • Gleichbehandlung und Antidiskriminierung
  • Verbot sittenwidriger oder extremistischer Inhalte
  • Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung

Die Definition des ordre public richtet sich stets nach dem Einzelfall und orientiert sich an den maßgeblichen Überzeugungen des jeweiligen Staates.

Schrankenwirkungen und Abgrenzung

Der ordre public wirkt als absolute Schranke gegenüber Rechtsakten, die ansonsten aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen, Kollisionsnormen oder autonomer Entscheidungen wirksam oder anwendbar wären. So wird beispielsweise ein im Ausland geschlossener Vertrag, der gegen fundamentale Grundsätze wie das Verbot von Kinderarbeit verstößt, in der Bundesrepublik Deutschland als nichtig angesehen. Es ist jedoch zwischen dem sogenannten internationalen ordre public – also den unentbehrlichen, universalen Grundsätzen – und dem nationalen ordre public zu unterscheiden, der weiter ausgestaltet sein kann.

Bedeutung in der Rechtsvergleichung und harmonisierten Rechtsordnungen

Mit der fortschreitenden europäischen Integration und der Entstehung einer supranationalen Rechtsordnung (z. B. Europäische Union) treten Fragen des ordre public zunehmend in den Vordergrund. Der EU-ordre public beeinflusst mittlerweile die Auslegung nationaler Schranken, etwa im Rahmen der Niederlassungsfreiheit oder der Kapitalverkehrsfreiheit. Dabei ist stets ein Gleichgewicht zwischen nationalen Grundwerten und gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien zu wahren.

Zusammenfassung

Der ordre public stellt einen grundlegenden Rechtsbegriff dar, der sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext zur Wahrung essentieller Grundsätze der Rechtsordnung dient. Er fungiert als unverzichtbare Schranke gegenüber sittenwidrigen, diskriminierenden oder anderweitig grundrechtsverletzenden Rechtsakten, deren Anwendung oder Durchsetzung mit den wesentlichen Wertvorstellungen und dem Schutz des Allgemeinwohls nicht in Einklang zu bringen wäre. Die inhaltliche Ausgestaltung des ordre public ist einem stetigen gesellschaftlichen Wandel unterworfen und verlangt stets eine differenzierte Abwägung im Einzelfall.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt der ordre public im internationalen Privatrecht?

Im internationalen Privatrecht fungiert der ordre public als zentrale Schranke für die Anwendung ausländischen Rechts. Kommt nach den Kollisionsnormen das Recht eines anderen Staates zur Anwendung, wird dieses nicht uneingeschränkt übernommen. Vielmehr prüft das entscheidende Gericht, ob das ausländische Recht oder dessen Ergebnis fundamentalen Prinzipien der eigenen nationalen Rechtsordnung widerspricht. Solche Prinzipien können etwa die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Menschenwürde oder der Schutz besonders schutzwürdiger Interessen sein. Wird ein Verstoß festgestellt, wird das ausländische Recht insoweit nicht angewandt, und es greift stattdessen das Recht des eigenen Staates. Dieser Mechanismus stellt sicher, dass grundlegende Wertvorstellungen und Rechtsprinzipien, die als unverzichtbar gelten, trotz internationaler Bezüge gewahrt bleiben.

In welchen Rechtsgebieten findet der ordre public besonders häufig Anwendung?

Der ordre public spielt insbesondere im Familienrecht, Erbrecht, Gesellschaftsrecht sowie im Vertragsrecht und im gerichtlichen Anerkennungsverfahren eine bedeutende Rolle. Im Familienrecht wird zum Beispiel bei der Anerkennung ausländischer Ehen oder Scheidungen geprüft, ob diese mit grundlegenden Wertvorstellungen des eigenen Landes vereinbar sind (z. B. Verbot von Vielehen). Im Erbrecht werden Testamente oder Erbfolgeregelungen an den fundamentalen Regeln des eigenen Rechts gemessen, etwa beim Pflichtteilsrecht. Auch im Gesellschaftsrecht kann der ordre public relevant werden, wenn Gesellschaftsformen oder -praktiken ausländischer Herkunft den Grundwerten des heimischen Rechts widersprechen. Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der Vollstreckung ausländischer Urteile stellt der ordre public eine mögliche Versagungsgrundlage dar, falls das Urteil elementare Prinzipien des anerkennenden Staates verletzt.

Welche materiellen Werte werden durch den ordre public geschützt?

Ordre public schützt in erster Linie fundamentale Wertentscheidungen und Prinzipien innerhalb einer Rechtsordnung. Dazu zählen die Menschenrechte, Grundfreiheiten, der Schutz der öffentlichen Sicherheit, Sittlichkeit sowie die Verfassungstreue. Auch das Diskriminierungsverbot, Recht auf faires Verfahren, Schutz der Familie und Individualrechte gehören hierzu. Besonders wichtig sind die Wahrung der Rechtssicherheit und die Verhinderung von offensichtlichem Unrecht. Der ordre public zieht eine Grenze dort, wo die Anerkennung oder Anwendung ausländischen Rechts zu Ergebnissen führen würde, die mit diesen zentralen rechtlichen und ethischen Grundwerten unvereinbar sind.

Wie wird die ordre-public-Klausel durch Gerichte konkret geprüft?

Die gerichtliche Prüfung des ordre public erfolgt stets einzelfallbezogen und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Gericht analysiert zunächst, ob und in wie weit das anzuwendende ausländische Recht zu einem Ergebnis führt, welches mit der nationalen Rechtsordnung nicht vereinbar ist. Dies betrifft sowohl die Regelungen selbst als auch das im konkreten Einzelfall entstehende Resultat. Dabei wird insbesondere das Ausmaß des Widerspruchs bewertet: Ein bloßer Unterschied reicht nicht aus, erforderlich ist ein Verstoß gegen elementare Gerechtigkeitsvorstellungen oder verfassungsrechtlich geschützte Rechte. Zudem muss berücksichtigt werden, wie stark der Bezug zum eigenen Staat ist – je größer dieser ist, desto strenger kann der ordre public wirken.

Gibt es Unterschiede zwischen dem materiellen und internationalen ordre public?

Ja, es wird zwischen dem materiellen und dem internationalen ordre public unterschieden. Der materielle ordre public bezieht sich auf inländische, nationale Grundwerte und zwingende Normen, die auch im rein innerstaatlichen Kontext gelten. Der internationale ordre public hingegen ist auf grenzüberschreitende Sachverhalte zugeschnitten und kommt insbesondere im internationalen Privatrecht zur Anwendung. Er umfasst nur solche Grundprinzipien, die auch gegenüber ausländischem Recht und in internationalen Fällen als unverzichtbar angesehen werden. Der internationale ordre public ist somit eher restriktiv zu verstehen und konzentriert sich auf jenen Kernbereich nationaler Wertentscheidungen, die in keiner Konstellation kompromittiert werden dürfen.

Können auch Teile eines ausländischen Rechtsgeschäfts wegen ordre public unwirksam sein?

Ja, es ist möglich, dass nicht das gesamte ausländische Rechtsgeschäft, sondern nur einzelne Bestandteile oder einzelne Rechtsfolgen aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public von der Anerkennung oder Anwendung ausgenommen werden. In der Praxis bedeutet dies, dass das Gericht vorrangig zu prüfen hat, ob eine Teilunwirksamkeit ausreicht, um die mit dem ordre public kollidierenden Folgen zu beseitigen. Nur wenn dies nicht möglich ist oder der Kern des Rechtsgeschäfts betroffen wird, wird das gesamte Geschäft für unwirksam erklärt. Dieses Vorgehen dient dem Grundsatz der effektiven Rechtsanwendung und trägt dazu bei, dass internationale Sachverhalte so weit wie möglich anerkannt werden, ohne die grundlegenden Interessen der heimischen Rechtsordnung zu gefährden.