Begriff und Bedeutung des Ordentlichen Rechtswegs
Der ordentliche Rechtsweg ist ein zentraler Begriff im deutschen Rechtssystem und bezeichnet den Zugang zu den ordentlichen Gerichten, deren sachliche Zuständigkeit sich insbesondere auf zivilrechtliche und strafrechtliche Streitigkeiten erstreckt. Er bildet einen wesentlichen Bestandteil der Gewaltenteilung und gewährleistet die Rechtsdurchsetzung für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen sowie den Staat. Die Abgrenzung zum sog. besonderen Rechtsweg ist hierbei von großer Bedeutung.
Rechtsgrundlagen des Ordentlichen Rechtswegs
Verfassungsrechtliche Verankerung
Der ordentliche Rechtsweg stützt sich auf das Rechtsstaatsprinzip gemäß Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) sowie auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes gem. Artikel 19 Abs. 4 GG. Artikel 92 GG ordnet ihn den unabhängigen Gerichten zu: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch unabhängige Gerichte ausgeübt.“
Einfachgesetzliche Regelung
Die einfache gesetzliche Regelung erfolgt insbesondere durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). § 13 GVG legt fest, dass der ordentliche Rechtsweg in Angelegenheiten der bürgerlichen Streitigkeiten, der Familiensachen, der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie der strafrechtlichen und bußgeldrechtlichen Angelegenheiten eröffnet ist.
Abgrenzung zum Besonderen Rechtsweg
Der ordentliche Rechtsweg unterscheidet sich vom besonderen Rechtsweg, zu dem Arbeitsgerichte, Verwaltungsgerichte, Sozialgerichte und Finanzgerichte gehören. Während der ordentliche Rechtsweg primär für Zivil- und Strafsachen vorgesehen ist, behandelt der besondere Rechtsweg Angelegenheiten besonderer Materien mit eigenen Verfahrensordnungen.
Beispiele:
- Verwaltungsrechtsweg: öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art (§ 40 VwGO).
- Arbeitsrechtsweg: Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sowie aus Tarifverträgen (§ 2 ArbGG).
- Sozialrechtsweg: Angelegenheiten der gesetzlichen Sozialversicherung und der staatlichen Fürsorge (§ 51 SGG).
- Finanzrechtsweg: Steuerliche Angelegenheiten (§ 33 FGO).
Zuständigkeit und Instanzenzug der ordentlichen Gerichte
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit im ordentlichen Rechtsweg richtet sich nach dem Streitgegenstand und dem Streitwert, geregelt durch das GVG und die Zivil- bzw. Strafprozessordnung (ZPO, StPO).
- Amtsgerichte (§§ 23, 24 GVG): für Zivilstreitigkeiten bis zu 5.000 EUR und bestimmte Familiensachen sowie strafrechtliche Sachverhalte mit geringerer Strafandrohung.
- Landgerichte (§ 71 GVG): für Zivilstreitigkeiten mit höherem Streitwert und schwere Straftaten.
- Oberlandesgerichte (§ 119 GVG): für Berufungen und Beschwerden gegen Urteile der Landgerichte.
- Bundesgerichtshof (§ 133 GVG): für Revisionen und Beschwerden in letzter Instanz.
Instanzenzug
Das deutsche Rechtssystem sieht im ordentlichen Rechtsweg typischerweise einen drei- bis vierstufigen Instanzenzug vor:
- Erste Instanz (Amtsgericht/Landgericht)
- Zweite Instanz/Berufung (Landgericht/Oberlandesgericht)
- Revision (Bundesgerichtshof)
Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, gerichtliche Entscheidungen im Wege der Berufung und Revision überprüfen zu lassen.
Anwendungsbereiche des Ordentlichen Rechtswegs
Zivilsachen
Im Rahmen der Zivilsachen behandelt der ordentliche Rechtsweg unter anderem Vertragsstreitigkeiten, Deliktsrecht (unerlaubte Handlungen), Sachenrecht, Erbrecht, Familienrecht, Handelsrecht und Gesellschaftsrecht. Verfahren sind in der Zivilprozessordnung (ZPO) normiert.
Strafsachen
Im Bereich der Strafsachen umfasst der ordentliche Rechtsweg sämtliche strafrechtlichen Verfahren gegen Einzelpersonen und Unternehmen. Relevante Vorschriften finden sich in der Strafprozessordnung (StPO).
Freiwillige Gerichtsbarkeit
Auch Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (z. B. Betreuungs-, Nachlasssachen, Grundbuchsachen) werden dem ordentlichen Rechtsweg zugeordnet. Die Verfahrensordnung ist im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) geregelt.
Prozessuale Besonderheiten
Rechtsschutzgarantie
Ein zentrales Prinzip im ordentlichen Rechtsweg ist die Rechtsschutzgarantie: Jeder hat das Recht, gerichtlichen Rechtsschutz gegen Eingriffe und Beeinträchtigungen in rechtlich geschützte Interessen zu suchen. Der Zugang zu den ordentlichen Gerichten darf nur in Ausnahmefällen durch Gesetz ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Klagearten und Verfahren
Im ordentlichen Rechtsweg existieren unterschiedliche Klagearten und Verfahrensarten:
- Leistungsklage
- Feststellungsklage
- Gestaltungsklage
- Einstweilige Verfügung
- Einstweiliger Rechtsschutz
Je nach Parteienkonstellation, Rechtsnatur und Streitgegenstand finden besondere Verfahren Anwendung.
Ausschluss und Überleitung des Ordentlichen Rechtswegs
In einigen Fällen kann der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen werden, etwa wenn besondere Gerichte sachlich zuständig sind (vgl. § 17a GVG). Das Gericht prüft in solchen Fällen von Amts wegen die Zulässigkeit des Rechtswegs. Bei Unzuständigkeit erfolgt eine Überleitung zum zuständigen Gericht, um einen effektiven Rechtsschutz sicherzustellen.
Bedeutung im deutschen Rechtsstaat
Der Zugang zum ordentlichen Rechtsweg gewährleistet eine unabhängige, neutrale Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten. Er dient dem Schutz individueller und gesellschaftlicher Rechte und der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung. Seine Verankerung in Verfassung und Gesetzgebung garantiert eine einheitliche, überprüfbare und transparente Durchsetzung des Rechts.
Literatur und weiterführende Hinweise
Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
Zivilprozessordnung (ZPO)
Strafprozessordnung (StPO)
Grundgesetz (GG), insbesondere Art. 19 Abs. 4 und Art. 92
* BGH-Entscheidungen zur Zuständigkeit im ordentlichen Rechtsweg
Dieser Lexikoneintrag bietet eine umfassende, systematische Darstellung des Begriffs „Ordentlicher Rechtsweg“ im deutschen Recht und erläutert dessen Bedeutung, Aufbau, Zuständigkeiten und praktische Relevanz für das Zusammenspiel der Rechtspflege in Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Welche Instanzen sind im ordentlichen Rechtsweg vorgesehen?
Im ordentlichen Rechtsweg wird das gerichtliche Verfahren typischerweise durch mehrere Instanzen geführt. Die erste Instanz ist in Zivilsachen grundsätzlich das Amtsgericht oder das Landgericht (§§ 23, 71 GVG), abhängig vom Streitwert und dem Streitgegenstand. In Strafsachen entscheiden in der ersten Instanz ebenfalls die Amtsgerichte (Strafrichter oder Schöffengericht) oder Landgerichte (kleine oder große Strafkammern), je nach Schwere und Art der Tat. Die zweite Instanz bildet das Berufungsgericht, welches das Urteil der ersten Instanz überprüft; dies sind meist das Landgericht (in Zivilsachen gegen Urteile des Amtsgerichts) oder das Oberlandesgericht (gegen Urteile des Landgerichts in bestimmten Fällen). Die Revision als dritte Instanz kann beim Bundesgerichtshof eingelegt werden, der ausschließlich über Rechtsfragen entscheidet und keine neue Tatsacheninstanz bildet. Die Instanzenfolge dient der Kontrolle der Entscheidungen sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht, wobei jeder Instanz spezifische Prüfungsrechte und -pflichten zukommen.
Wann ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet?
Der ordentliche Rechtsweg ist immer dann eröffnet, wenn eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Streitigkeit vorliegt und nicht ausdrücklich ein anderer Rechtsweg gesetzlich vorgeschrieben oder vorgesehen ist. Maßgeblich ist dabei die Abgrenzung zu den besonderen Fachgerichtsbarkeiten wie der Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- oder Arbeitsgerichtsbarkeit. Die Zuständigkeit des ordentlichen Rechtswegs wird durch § 13 GVG geregelt, wonach die ordentliche Gerichtsbarkeit für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sowie Strafsachen zuständig ist, soweit nicht eine Ausnahme wie beispielsweise in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vorliegt. Die Prüfung, ob der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist, erfolgt durch das angerufene Gericht von Amts wegen; eine unzutreffende Zuordnung kann zur Verweisung an das zuständige Gericht führen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und anderen Gerichtsbarkeiten?
Die ordentliche Gerichtsbarkeit unterscheidet sich von anderen Gerichtsbarkeiten, insbesondere der Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- und Arbeitsgerichtsbarkeit, durch ihren Zuständigkeitsbereich, ihre Zusammensetzung und Verfahrensordnungen. Während die ordentliche Gerichtsbarkeit Zivil- und Strafsachen abdeckt und durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geregelt wird, behandeln die anderen Gerichtsbarkeiten spezielle Materien (z. B. öffentliches Recht bei Verwaltungssachen, sozialrechtliche Ansprüche bei Sozialgerichten). Darüber hinaus weisen die jeweiligen Verfahrensrechte, wie die Zivilprozessordnung (ZPO) oder die Strafprozessordnung (StPO), besondere Regeln auf, wohingegen Fachgerichte eigene gerichtliche Verfahrensordnungen besitzen (etwa die Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO). Weiterhin unterscheiden sich die Beteiligungsrechte der Parteien und die Besetzung der Spruchkörper, beispielsweise durch die Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter in spezialisierten Gerichtsbarkeiten.
Welche Bedeutung hat der Begriff der Rechtswegverweisung im ordentlichen Rechtsweg?
Kommt das angerufene Gericht zu dem Schluss, dass der ordentliche Rechtsweg nicht eröffnet ist, verweist es den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit. Diese sogenannte Rechtswegverweisung (§ 17a GVG) ist bindend, sofern sie nicht offensichtlich unhaltbar ist. Die Verweisung erfolgt durch Beschluss und stellt sicher, dass das Verfahren im Interesse des Rechtsschutzes ohne neuen Antrag und Verfahrensverluste weitergeführt wird. Gleichzeitig wird durch diese Regelung das Risiko widersprechender Entscheidungen über die Zulässigkeit des Rechtswegs minimiert. Ein solcher Verweisungsbeschluss ist grundsätzlich unanfechtbar, sodass der Rechtsstreit vor dem verweisenden Gericht weiterzuverhandeln ist.
Können im ordentlichen Rechtsweg auch einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen beantragt werden?
Ja, im Rahmen des ordentlichen Rechtswegs besteht die Möglichkeit, zur vorläufigen Sicherung von Rechten oder zur Regelung eines vorläufigen Zustandes einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen zu beantragen. Im Zivilprozess ist dies insbesondere durch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935 ff. ZPO) oder eines Arrests (§§ 916 ff. ZPO) möglich. Im Strafverfahren existieren vergleichbare Eilmaßnahmen, wie der Erlass eines Haftbefehls oder anderer strafprozessualer Maßnahmen. Die Gerichte entscheiden meist ohne mündliche Verhandlung im summarischen Verfahren auf Basis der Glaubhaftmachung des Anspruchs und eines Verfügungsgrundes, da Eilbedürftigkeit besteht. Diese einstweiligen Regelungen sind auf eine schnelle und effektive Rechtssicherung ausgelegt und können die Vollstreckung einer Hauptsacheentscheidung vorbereiten oder vorwegnehmen.
Welche Rolle spielt der Bundesgerichtshof im Rahmen des ordentlichen Rechtswegs?
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland und nimmt in erster Linie die Funktion eines Revisionsgerichts wahr. Er überprüft als letzte Instanz die Entscheidungen der unteren Instanzen (zumeist der Oberlandesgerichte oder der Landgerichte) auf Rechtsfehler. Der BGH entscheidet dabei ausschließlich über Rechtsfragen und greift nicht in die Tat- oder Sachverhaltswürdigung ein, es sei denn, letztere sind mit Rechtsfehlern behaftet. Die Urteile und Beschlüsse des BGH haben maßgebliche Bedeutung für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Fortentwicklung des Rechts. Zudem können Grundsatzentscheidungen des BGH bindende Wirkung auch für die nachgeordneten Gerichte entfalten. Neben seiner Revisionsfunktion ist der BGH auch in besonderen Verfahren, wie der Sprungrevision oder bestimmten Ablehnungen von Richtern, angerufen.