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Offene Vermögensfragen


Begriff und rechtliche Einordnung der Offenen Vermögensfragen

Unter Offene Vermögensfragen versteht man im deutschen Recht die Gesamtheit der Rechtsprobleme, die aus der Durchführung der Wiedervereinigung Deutschlands resultieren und sich insbesondere auf das in der DDR entzogene bzw. zurückgegebene Vermögen beziehen. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Klärung der Eigentumsverhältnisse ehemaliger Eigentümer, deren Vermögenswerte während der Zeit der sowjetischen Besatzungszone sowie der DDR enteignet, überführt oder umgewandelt wurden. Die Behandlung dieser Vermögensfragen stellt einen wesentlichen Aspekt im Prozess der deutschen Einheit dar.

Rechtsgrundlagen

Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG)

Mit dem am 23. September 1990 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) schuf der deutsche Gesetzgeber ein zentrales Instrument zur Abwicklung von Rückübertragungs- und Entschädigungsansprüchen ehemaliger Eigentümer. Ziel des Gesetzes ist die „Beseitigung oder Ausgleichung der durch die Enteignung entstandenen Vermögensverluste in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone bzw. in der DDR“.

Weitere Regelwerke

Die Regelung der offenen Vermögensfragen erfolgt zudem im Zusammenspiel mit weiteren Bundesgesetzen:

  • Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG)
  • Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG)
  • Verwaltungsrechtliche Vorschriften aus dem Umwandlungsgesetz und Schuldrechtsanpassungsgesetz
  • Verfahrensverordnungen wie die Vermögenszuordnungsverordnung (VermZOV)

Anwendungsbereich

Das Vermögensgesetz findet Anwendung auf vermögensrechtliche Ansprüche bezüglich:

  • Grundstücken und Gebäuden
  • Betriebs- und Geschäftsausstattungen
  • Unternehmen und Anteilen an Unternehmen
  • Sonstige Vermögenswerte (z. B. Kunstgegenstände, Bankguthaben, Wertpapiere)

Rückübertragungs- und Entschädigungsansprüche erfassen insbesondere Fälle, bei denen Vermögenswerte durch Enteignung, Bodenreform, Sequestrierung, Nationalisierung oder staatliche Verwaltung verloren gingen (sogenannte „unrechtmäßige Entziehungen“).

Anspruchsberechtigte und Anspruchsgegner

Anspruchsberechtigte

Anspruchsberechtigt sind primär die ehemaligen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger. Das umfasst:

  • natürliche Personen (auch im Wege der Erbschaft)
  • juristische Personen des Privatrechts (Unternehmen, Vereine etc.)
  • Kirchen und Religionsgemeinschaften

Anspruchsgegner

Anspruchsgegner sind in der Regel die Stellen, die das Vermögen unrechtmäßig erworben haben oder über das entzogene Vermögen verfügen:

  • Bundesrepublik Deutschland
  • Bundesländer
  • Gemeinden und Gemeindeverbände
  • sonstige Gebietskörperschaften
  • Privatpersonen oder Unternehmen, die als Erwerber in den Rechtskreis eintraten

Verfahrensrechtliche Grundlagen

Antragsverfahren

Die Geltendmachung von Ansprüchen erfolgt grundsätzlich durch schriftlichen Antrag bei der jeweils zuständigen Behörde (in der Regel die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen, kurz ARoV). Hier sind strenge Fristen einzuhalten; maßgeblich war insbesondere die Ausschlussfrist zur Anmeldung zum 31. Dezember 1992.

Verwaltungstechnische Abwicklung

Das Verfahren stellt hohe Anforderungen an die Nachweisführung:

  • Grundbuchauszüge zum Nachweis früherer Eigentumsrechte
  • Enteignungsbescheide, nationalisierungsrechtliche Anordnungen oder ähnliche Dokumente
  • Nachweise über Rechtsnachfolge (z. B. Erbschein, Testamente)

Zur Entscheidung berufen sind Verwaltungsbehörden, deren Verfügungen im Verwaltungsrechtsweg überprüft werden können.

Rechtsmittel und gerichtlicher Rechtsschutz

Gegen ablehnende oder als fehlerhaft empfundene Entscheidungen steht der Verwaltungsrechtsweg offen. Klagen sind vor den Verwaltungsgerichten statthaft. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts hat das Rechtsgebiet maßgeblich geprägt.

Inhalt und Umfang der Rückübertragung oder Entschädigung

Rückgabe in Natur (Restitution) und Ausnahmen

Das gesetzliche Leitbild sieht die Rückgabe entzogenes Eigentums in Natur („Naturalrestitution“) vor, soweit dies möglich und rechtlich zulässig ist. Ausgenommen sind insbesondere Fälle, in denen

  • Grundstücke mit Rechten Dritter belastet sind,
  • öffentliche Interessen, wie die Versorgung mit Wohnraum oder Infrastruktur, entgegenstehen,
  • bereits Rechte erworben wurden, die schutzwürdig sind.

Entschädigungsleistungen

Ist eine Rückgabe nicht möglich, sieht das Gesetz einen angemessenen Ausgleich in Geld vor. Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach dem Wert des entschädigten Vermögens zum Zeitpunkt der Enteignung, modifiziert durch gesetzliche Bewertungsmaßstäbe.

Besondere Problemfelder

Konfliktlagen mit Dritterwerben

Im Rahmen der Privatisierung in den neuen Bundesländern wurden Liegenschaften, Unternehmen und Vermögenswerte oftmals an gute Gläubige Dritte übertragen („redlicher Erwerb“). Hier bestehen komplexe Rechtsfragen hinsichtlich des Vertrauensschutzes und der Prioritätensetzung zwischen ehemaligen Eigentümern und Erwerbern.

Restitutionsausschlüsse und Bodenreform

Mit Blick auf die Bodenreformmaßnahmen der sowjetischen Besatzungszone erfolgte ein expliziter Ausschluss von Rückübertragungsansprüchen im gesamtdeutschen Einigungsprozess. Hier greift, von (sehr engen) Ausnahmen abgesehen, die Regelung des Ausgleichs über das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz.

Verjährung und Ausschlussfristen

Verfahrensanträge unterlagen strikten Fristenregelungen. Versäumte Antragstellungen führen regelmäßig zum endgültigen Ausschluss der Geltendmachung von Ansprüchen.

Bedeutung der Offenen Vermögensfragen im Kontext der deutschen Wiedervereinigung

Die Klärung der offenen Vermögensfragen war eine zentrale Voraussetzung sowohl für die Herstellung der Rechtssicherheit in Ostdeutschland als auch für das Vertrauen in Eigentum und wirtschaftliche Betätigung nach der deutschen Einheit. Aufgrund des Umfangs und der historischen Komplexität stellen die offenen Vermögensfragen bis heute einen der bedeutendsten Rechtskomplexe der deutschen Nachkriegs- und Einheitspolitik dar.

Literatur und Rechtsprechung

Wesentliche Urteile und Leitsätze finden sich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, die immer wieder generelle Maßstäbe für die Auslegung und Anwendung des Vermögensgesetzes gesetzt haben. Umfangreiche Kommentarliteratur und weiterführende Gesetzestexte sind ergänzend zu konsultieren.


Hinweis: Dieser Beitrag stellt eine umfassende rechtliche Darstellung zu den offenen Vermögensfragen im Sinne eines Rechtslexikons dar und bietet eine strukturierte Übersicht zur rechtlichen Behandlung ehemaliger Enteignungsfälle in Ostdeutschland seit 1990.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen gelten für die Bearbeitung Offener Vermögensfragen in Deutschland?

Die Bearbeitung Offener Vermögensfragen in Deutschland basiert primär auf dem Vermögensgesetz (VermG), das am 29. September 1990 im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erlassen wurde. Dieses Gesetz dient der Rückübertragung oder Entschädigung des in der Zeit der sowjetischen Besatzungszone und der DDR enteigneten Vermögens. Ergänzend kommt das Sachenrechtsbereinigungsgesetz (SachenRBerG) sowie eine Vielzahl weiterer Gesetze und Verordnungen zum Tragen, darunter die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetze, die Ausführungsbestimmungen der Länder und verschiedene Verwaltungsvorschriften. Zentrale Bedeutung haben zudem Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, welche die Auslegung der gesetzlichen Vorschriften vorgeben. Außerdem sind europarechtliche Vorgaben sowie völkerrechtliche Verträge zu berücksichtigen, insbesondere im Verhältnis zu Staaten und ihren Bürgern, die Ansprüche geltend machen.

Wer ist antragsberechtigt bei Offenen Vermögensfragen und wie wird ein Antrag gestellt?

Antragsberechtigt sind sowohl natürliche als auch juristische Personen, deren Vermögenswerte im Zeitraum zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 2. Oktober 1990 in dem Gebiet der ehemaligen DDR oder Ost-Berlin durch hoheitliche Maßnahmen entzogen worden sind. Zu den begünstigten Gruppen zählen Erben, Rechtsnachfolger sowie Gesellschaften, sofern sie einen gültigen Rechtsanspruch nachweisen können. Ein Antrag kann bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde – meist die Vermögensämter oder Landesämter zur Regelung offener Vermögensfragen – gestellt werden. Der Antrag muss formgebunden erfolgen und hinreichende Angaben und Nachweise zum Eigentum und Verlust enthalten. Die Frist für die Antragstellung lief in der Regel bis zum 31. Dezember 1992, jedoch gibt es Ausnahmen für Sonderfälle, beispielsweise bei späterem Kenntniserwerb. Verzögerte Anträge können nur unter bestimmten Voraussetzungen Berücksichtigung finden, insbesondere wenn der Antragsteller glaubhaft machen kann, dass der Grund der Versäumung nicht in seinem Einfluss lag.

Wie ist das Verfahren zur Rückübertragung oder Entschädigung ausgestaltet?

Das Verfahren unterteilt sich in mehrere Phasen: Nach der Antragstellung prüft die zuständige Behörde zunächst die Zulässigkeit und Vollständigkeit des Antrags. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens wird geklärt, ob eine Rückübertragung (Naturalrestitution) möglich ist, das heißt, ob das entzogene Vermögen noch existiert und in welcher Form es zurückübertragen werden kann. Ist eine Naturalrestitution nicht möglich oder wird diese abgelehnt (z.B. bei im öffentlichen Interesse stehender Weiternutzung), setzt die Behörde eine Entschädigungsleistung fest. Das Verfahren ist stark dokumentationslastig; es sind umfangreiche Nachweise sowohl zum früheren Eigentum als auch zum Verlustvorgang vorzulegen. Beteiligte Dritte, insbesondere aktuelle Nutzer oder Eigentümer (z.B. Gemeinden oder Privatinvestoren), sind zum Verfahren beizuladen und haben ebenfalls eine Stellungnahmemöglichkeit. Gegen Bescheide ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, so dass gegenüber der Entscheidung der Behörde Klage eingereicht werden kann.

Welche Einschränkungen und Ausschlusstatbestände bestehen bei der Geltendmachung von Ansprüchen?

Das Vermögensgesetz sowie flankierende Gesetze sehen zahlreiche Rückübertragungsausschlüsse und Einschränkungen vor. Ansprüche sind beispielsweise ausgeschlossen, wenn eine Rückübertragung aus Gründen des Gemeinwohls, z.B. wegen besonderer Nutzung für öffentliche Zwecke, nicht möglich ist oder das Eigentum im Bereich land- oder forstwirtschaftlicher Flächen liegt und eine Sachenrechtsbereinigung vorrangig durchgeführt wird. Auch internationalrechtliche Bindungen, wie etwa Enteignungen auf der Grundlage von alliierten Besatzungsbefugnissen nach dem zweiten Weltkrieg oder Regelungen betreffend Kontingentflüchtlinge, können den Anspruch ausschließen. Weiterhin werden solche Ansprüche nicht mehr berücksichtigt, deren Antragstellung erst nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfristen erfolgt oder die durch einen anderweitigen gesonderten Rechtsweg bereits abschließend entschieden wurden.

Welche Rolle spielen öffentliche und private Interessen im Verfahren und wie werden diese abgewogen?

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Regelung Offener Vermögensfragen ist eine umfassende Interessenabwägung vorgeschrieben. Dabei werden die Rechte der ehemaligen Eigentümer den Interessen der derzeitigen Nutzer oder Eigentümer gegenübergestellt. Bei im öffentlichen Interesse stehender Nutzung (z.B. Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktureinrichtungen) kann dem Rückübertragungsanspruch ein Vorrang des Allgemeinwohls entgegenstehen, sodass eine Naturalrestitution ausgeschlossen und stattdessen eine Entschädigungsleistung festgelegt wird. Bei privaten Interessen, insbesondere bei Eigenheimnutzern oder Investoren, wird abgewogen, ob eine Rückabwicklung möglich und zumutbar ist. Die maßgeblichen Kriterien ergeben sich aus Gesetzesvorgaben, aber auch aus der einschlägigen Rechtsprechung, insbesondere im Hinblick auf den Vertrauensschutz Dritter, investive Maßnahmen und spezielle Schutzregelungen wie das Investitionsvorranggesetz.

Wie werden Streitigkeiten im Zusammenhang mit Offenen Vermögensfragen rechtlich beigelegt?

Für Streitigkeiten im Bereich Offener Vermögensfragen ist in der Regel der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Nach Erlass eines ablehnenden oder teilablehnenden Bescheides durch die zuständige Behörde können Antragsteller innerhalb einer bestimmten Frist Widerspruch einlegen. Wird diesem nicht abgeholfen, besteht die Möglichkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht. Das Verfahren unterliegt den allgemeinen Regeln der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Besonderheiten bestehen bezüglich der Beweislast, die weitgehend beim Antragsteller liegt, sowie bezüglich der Amtsermittlungspflicht der Behörden und Gerichte. In höherer Instanz können das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. In bestimmten Fällen kann auch der Zivilrechtsweg – beispielsweise bei streitigen Eigentumsverhältnissen oder schuldrechtlichen Ansprüchen zwischen Privatpersonen – eröffnet sein.

Welche Besonderheiten gelten bei der Vermögensrückgabe an ausländische Antragsteller?

Handelt es sich bei Antragstellern um ausländische natürliche oder juristische Personen, sind sowohl völkerrechtliche wie auch europäische Vorgaben zu berücksichtigen. Internationale Abkommen, insbesondere bilaterale Verträge zur Regelung von Restitutions- oder Entschädigungsansprüchen, haben vorrangige Bedeutung. Die Antragstellung und die Nachweispflichten erfordern häufig eine enge Zusammenarbeit mit Behörden des Herkunftsstaates, gerade wenn Nachweise aus ausländischem Grundbuchwesen oder Archivmaterial zu erbringen sind. Die Behandlung ausländischer Ansprüche erfolgt grundsätzlich nach Gleichbehandlungsgrundsätzen, kann aber durch nationale Vorbehalte, gegenseitige Vereinbarungen oder durch spezielle Einzelfalllösungen eingeschränkt oder ausgestaltet werden. Auch politische Erwägungen und Beschlüsse auf europäischer Ebene beeinflussen die Behandlung entsprechender Verfahren.