Begriff und rechtlicher Rahmen des ÖPNV
Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) umfasst die im Linienverkehr regelmäßig erbrachten Beförderungsleistungen von Personen mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb eines begrenzten räumlichen Bereichs (Nahbereich), typischerweise innerhalb einer Gemeinde oder eines Verkehrsverbunds. Rechtlich gesehen ist der ÖPNV in Deutschland ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge und unterliegt vielfältigen, überwiegend öffentlich-rechtlichen, aber auch privatrechtlichen Regelungen.
Gesetzliche Grundlagen des ÖPNV
Grundsätzliche Einordnung
Der ÖPNV fällt unter das Personenbeförderungsrecht und ist vor allem im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) geregelt. Daneben finden sich maßgebliche Vorgaben im Grundgesetz (GG), im Regionalisierungsgesetz (RegG), im Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in den Ländern sowie im europäischen Recht, namentlich in der VO (EG) Nr. 1370/2007.
Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
Das PBefG bildet die gesetzliche Grundlage für die Personenbeförderung im Linienverkehr einschließlich des ÖPNV. Es regelt die Erteilung von Konzessionen, Anforderungen an Verkehrsunternehmen, Pflichten und Rechte der Fahrgäste sowie die Zuständigkeiten der Behörden.
Grundgesetz (GG)
Das Prinzip der Daseinsvorsorge für den ÖPNV ergibt sich mittelbar aus Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) und Art. 28 Abs. 2 GG (kommunale Selbstverwaltungsgarantie). Damit kommt Ländern und Kommunen die Verantwortung zu, einen angemessenen ÖPNV sicherzustellen.
Regionalisierungsgesetz (RegG)
Das Regionalisierungsgesetz regelt die Übertragung der Verantwortung für den ÖPNV von Bund auf die Länder. Dieser Rechtsakt ist maßgeblich für die Finanzierung des ÖPNV, da er die Zuweisungen des Bundes an die Länder bestimmt.
Europarechtliche Vorgaben
Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 stellt europaweit einheitliche Mindeststandards für öffentliche Personenverkehrsdienste sicher. Schwerpunkte sind die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge und die gewährte Daseinsvorsorge.
Rechtsbeziehungen und Verantwortlichkeiten
Trägerschaft und Aufgabenträger
Die Trägerschaft des ÖPNV liegt in der Regel bei den Ländern, während die konkrete Organisation und Durchführung den Gemeinden und kommunalen Zweckverbänden übertragen ist. Diese werden als Aufgabenträger bezeichnet.
Kommunale Zuständigkeit
Kommunen sind gemäß den Landes-ÖPNV-Gesetzen verpflichtet, den ÖPNV innerhalb ihres Gemeindegebiets zu organisieren und bedarfsgerecht zu gestalten. Die Bindung an den öffentlichen Zweck stellt eine Kernverpflichtung der Gemeinden im Rahmen der Daseinsvorsorge dar.
Landesweite Rahmenplanung
Bundesweit können die Länder durch Landesnahverkehrspläne oder ÖPNV-Gesetze Vorgaben zur Planung, Organisation, Finanzierung und Qualitätssicherung des ÖPNV machen.
Verkehrsunternehmen und Verkehrsdienstleister
Die Durchführung des ÖPNV erfolgt durch Verkehrsunternehmen, die entweder kommunale oder private Gesellschaften sein können. Diese Unternehmen benötigen für die Erbringung von Linienverkehren im ÖPNV eine Genehmigung nach dem PBefG.
Genehmigungsrecht und Vergaberecht
Genehmigungsverfahren
Die Genehmigung zur Durchführung des ÖPNV wird nach §§ 8 ff. PBefG auf Antrag erteilt und setzt unter anderem die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die Erfüllung ordnungsrechtlicher Auflagen voraus. Die Genehmigung wird regelmäßig befristet und kann mit Auflagen verbunden werden.
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge
Durch die europarechtlichen Vorgaben der VO (EG) 1370/2007 ist die Vergabe von Verträgen über öffentliche Verkehrsdienstleistungen grundsätzlich auszuschreiben, sofern nicht Ausnahmetatbestände (wie Eigenbetrieb oder Inhouse-Vergabe) greifen.
Ausschreibungsverfahren
Im Rahmen des Vergaberechts (GWB, VgV) werden Leistungen, die über einen bestimmten Schwellenwert hinausgehen, im offenen oder nicht offenen Verfahren ausgeschrieben. Ziel ist es, einen wirtschaftlichen und transparenten Wettbewerb sicherzustellen.
Direktvergaben und Inhouse-Vergabe
Unter engen gesetzlichen Voraussetzungen kann die unmittelbare Vergabe an verbundenen Unternehmen oder kommunale Eigenbetriebe erfolgen. Hierbei sind die Grenzen aus dem Europarecht strikt zu beachten.
Finanzierung und Tarifrecht
Finanzierungsstrukturen
Die Finanzierung des ÖPNV erfolgt überwiegend aus drei Quellen: Fahrgelderlöse, öffentliche Zuschüsse der Länder und Kommunen sowie Zuweisungen aus dem Regionalisierungsgesetz. Defizite werden größtenteils durch öffentliche Zuschüsse ausgeglichen.
Tarifsystem und Fahrgastrechte
ÖPNV-Tarife werden von den Aufgabenträgern oder in Verkehrsverbünden in Abstimmung mit den Verkehrsunternehmen festgelegt. Tarifbestimmungen regeln insbesondere Preise, Fahrausweise, Mitnahmeregelungen und Erstattungsmodalitäten.
Fahrgastrechte betreffen vorwiegend Ansprüche bei Leistungsstörungen (Verspätungen, Ausfällen), Haftungsfragen und Erstattungsansprüche gemäß EU-Verordnung 181/2011 sowie nationalen Regelungen.
ÖPNV und Umweltrecht
Der ÖPNV hat umweltpolitische Bedeutung, da er zur Reduzierung des Individualverkehrs beiträgt. Umweltrechtliche Vorgaben, beispielsweise im Immissionsschutz- oder Klimaschutzrecht, nehmen Einfluss auf die Gestaltung und Förderung des ÖPNV (z. B. durch gesetzliche Programme zur Beschaffung emissionsarmer Fahrzeuge).
ÖPNV-Planung und Erschließungspflicht
Planungspflichten
Aufgabenträger sind verpflichtet, den ÖPNV so zu planen, dass eine angemessene, flächendeckende, barrierefreie und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. Diese Planungspflichten sind in Landesgesetzen und Nahverkehrsplänen konkretisiert.
Erschließungsgrundsatz
Es besteht die Pflicht zur Grunderschließung, wobei Umfang und Dichte des Angebots nach Wirtschaftlichkeitsaspekten und dem Verkehrsbedarf ausgerichtet werden.
Rechtsschutz im ÖPNV
Streitigkeiten im ÖPNV-Bereich können sich beispielsweise auf die Erteilung von Genehmigungen, Vergabeverfahren, Tarifstreitigkeiten oder Fahrgastrechte beziehen. Zuständig sind im Regelfall die Verwaltungsgerichte beziehungsweise je nach Sachverhalt Zivil- oder Kartellgerichte.
Zusammenfassung
Der ÖPNV bildet einen rechtlich eng regulierten Bereich der kommunalen und regionalen Daseinsvorsorge mit komplexen Schnittstellen zwischen Bundes- und Landesrecht, Europarecht, Verwaltungsrecht, Vergaberecht und Privatrecht. Die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen finden sich im Personenbeförderungsgesetz, den einschlägigen Landesgesetzen und europäischen Regelwerken. Wesentliche Rechtsfragen betreffen Zuständigkeiten, Genehmigungs- und Vergabeverfahren, Finanzierung, Fahrgastrechte und Umweltschutzvorgaben. Der ÖPNV ist damit ein zentraler Baustein einer nachhaltigen und gleichwertigen Mobilitätsstruktur in Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechte haben Fahrgäste bei Verspätungen oder Ausfällen im ÖPNV?
Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) besitzen bei Verspätungen oder vollständigen Ausfällen grundsätzlich bestimmte Rechte, die sich primär aus der EU-Verordnung Nr. 1371/2007 (über Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr), dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) und den jeweiligen Beförderungsbedingungen der Verkehrsbetriebe ergeben. Auch § 280 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Leistungserbringung spielt eine Rolle. Bei erheblichen Verspätungen (häufig wird eine Wartezeit ab 20 Minuten als erheblich angenommen) steht Fahrgästen zumeist das Recht auf Preiserstattung oder auf die Nutzung alternativer Verkehrsmittel zu. In vielen Verkehrsverbünden gelten Sonderregelungen, nach denen Taxikosten bis zu einem bestimmten Höchstbetrag erstattet werden, falls keine zumutbare Alternative besteht und die Verspätung erheblich ist. Anspruch auf weitere Schadenersatzleistungen besteht grundsätzlich nur, wenn der Beförderer für den Schaden verantwortlich ist. Bei Ausfall der letzten Verbindung des Tages stehen Fahrgästen besondere Rechte auf Ersatzbeförderung zu. Die genauen Bedingungen unterscheiden sich in den einzelnen Bundeländern und Verkehrsverbünden. Ein genereller Rechtsanspruch auf Entschädigung bei Verspätungen besteht jedoch meist nur im Schienenpersonennahverkehr oder im Fernverkehr, nicht aber im Busverkehr.
Ist die Mitnahme von Tieren im ÖPNV rechtlich verpflichtend vom Verkehrsunternehmen zu akzeptieren?
Die Mitnahme von Tieren im ÖPNV richtet sich nach den Beförderungsbedingungen des jeweiligen Verkehrsunternehmens und den Vorschriften des PBefG. Grundsätzlich sind Verkehrsunternehmen nicht verpflichtet, Tiere uneingeschränkt zu befördern. Lediglich Blindenführhunde oder andere offiziell anerkannte Assistenzhunde müssen laut § 145 Abs. 2 SGB IX kostenfrei und ohne Maulkorbpflicht befördert werden. Für andere Tiere können Unternehmen die Mitnahme beschränken, etwa durch Maulkorb- oder Leinenpflicht oder durch das Erfordernis eines eigenen Tickets. In Ausnahmefällen (z. B. bei Belästigung anderer Fahrgäste oder bei Gefahren für Leib und Leben) kann die Mitnahme von Tieren auch vollständig untersagt werden.
Dürfen ÖPNV-Betriebe Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein sofort aus dem Fahrzeug verweisen?
Nach § 10 Abs. 1 PBefG sowie den spezifischen Beförderungsbedingungen der Verkehrsunternehmen dürfen Kontrolleure grundsätzlich verlangen, dass Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein das Fahrzeug an der nächsten Haltestelle verlassen. Ein sofortiger Verweis während der Fahrt ist aus Sicherheitsgründen in der Regel nicht zulässig. Die Verkehrsunternehmen sind angehalten, die Sicherheit der betroffenen Person und anderer Fahrgäste nicht zu gefährden. Minderjährige, Schutzbedürftige oder Personen in Notlagen dürfen in der Regel nicht aus dem Fahrzeug verwiesen werden, ohne dass ihre sichere Weiterreise gewährleistet ist. Darüber hinaus besteht gegen das sogenannte Erhöhte Beförderungsentgelt (EBE) bei unrechtmäßiger Forderung ein Widerspruchsrecht, das fristgerecht geltend gemacht werden muss.
Welche rechtlichen Vorgaben gelten für die Barrierefreiheit im ÖPNV?
Barrierefreiheit ist gesetzlich im Personenbeförderungsgesetz (PBefG), im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sowie in diversen Verordnungen (z.B. in der Verordnung über die Barrierefreiheit der öffentlichen Personenverkehrsdienste – ÖPNVBarrierefreiV) geregelt. Gemäß § 8 Abs. 3 PBefG sind alle ÖPNV-Angebote bis spätestens 2022 grundsätzlich barrierefrei zu gestalten. Ausnahmen sind nur über begründete Zielabweichungsverfahren möglich. Zur Barrierefreiheit zählen bauliche Voraussetzungen (z.B. Niederflurfahrzeuge, Rampen, taktile Leitsysteme) sowie akustische und visuelle Fahrgastinformationen. Darüber hinaus existiert für Menschen mit Behinderungen ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr gemäß § 145 SGB IX bei Vorlage eines gültigen Schwerbehindertenausweises mit entsprechendem Merkzeichen.
Wer haftet im Falle eines Unfalls im ÖPNV?
Die Haftung für Unfälle im ÖPNV ist im Haftpflichtrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und – für Schienenverkehre – im Eisenbahnverkehrsrecht geregelt. Grundsätzlich haftet das Verkehrsunternehmen bei Körperschäden, die aus der Benutzung des Fahrzeugs resultieren, unabhängig von Verschulden (Gefährdungshaftung). Im Busverkehr greift diese Haftung ebenfalls, wobei der Fahrgast im Rahmen der Schadensminderungspflicht nur entschädigt wird, wenn er nicht gegen Sicherheitsanweisungen verstößt (z. B. Verstoß gegen Gurtpflicht). Im Falle eines Mitverschuldens des Fahrgasts kann ein Mitverschuldensanteil angerechnet werden (§ 254 BGB). Bei Sachschäden wird regelmäßig geprüft, ob ein Verschulden des Unternehmens oder dessen Personals vorliegt.
Kann der Zugang zum ÖPNV rechtlich eingeschränkt oder verweigert werden?
Der Zugang zum ÖPNV kann aus rechtlichen Gründen nach Maßgabe des Hausrechts und der Beförderungsbedingungen für bestimmte Personengruppen oder in bestimmten Situationen eingeschränkt oder verweigert werden. Gründe hierfür sind insbesondere sicherheitsrelevante Gründe (z. B. stark alkoholisierte Personen, aggressives Verhalten), Verstöße gegen die Beförderungsbedingungen oder Hygiene- und Infektionsschutzvorgaben (z. B. fehlende Mund-Nasen-Bedeckung in Pandemielagen). Hierbei gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ein vollständiger Ausschluss von der Beförderung bedarf jedoch stets einer individuellen Prüfung; eine dauerhafte Beförderungssperre ist nur in Ausnahmefällen und nach vorheriger schriftlicher Ankündigung zulässig, unter anderem zum Schutz anderer Fahrgäste oder des Personals.
Welche rechtlichen Grundlagen gelten für Datenschutz und Videoüberwachung im ÖPNV?
Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen des ÖPNV unterliegt den Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Die Installation von Videoüberwachungsanlagen in Fahrzeugen oder an Bahnhöfen ist erlaubt, sofern sie dem Schutz legitimer Interessen, insbesondere der Sicherheit von Fahrgästen und Personal, dient. Die Verarbeitung und Speicherung der Videodaten muss auf das notwendige Maß beschränkt und Betroffene müssen über die Überwachung (z. B. durch Hinweisschilder) informiert werden. Die Speicherdauer ist zu begrenzen und muss regelmäßig geprüft werden. Ein Zugriff auf die Daten ist nur befugten Personen gestattet, und es bestehen weitgehende Auskunfts- und Löschungsansprüche für Betroffene gemäß Art. 15 und 17 DSGVO.