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Öffentlicher Personennahverkehr


Öffentlicher Personennahverkehr: Rechtliche Grundlagen und Definition

Begriff und Abgrenzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)

Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) bezeichnet die regelmäßige, allgemein zugängliche Personenbeförderung auf kurzen, meist städtischen oder regionalen Strecken. Der Begriff ist von zentraler Bedeutung im deutschen Verkehrsrecht und betrifft hauptsächlich den Betrieb von Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen, sowie teilweise Fähren und Seilbahnen im Nahbereich. Der ÖPNV ist gemäß § 8 Abs. 1 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) in Abgrenzung zum Personenfernverkehr als die Beförderung von Personen im Linienverkehr in Gemeinden und zwischen benachbarten Gemeinden definiert, wobei die Verkehrsleistung überwiegend dem örtlichen Bedarf dient.

Gesetzliche Grundlagen des ÖPNV

Personenbeförderungsgesetz (PBefG)

Das Personenbeförderungsgesetz bildet die zentrale rechtliche Grundlage für den ÖPNV in Deutschland. Das Gesetz regelt sowohl den Linienverkehr (§ 42 PBefG) als auch Sonderformen wie Anrufsammeltaxis (§ 47 PBefG) und stellt Anforderungen an die Genehmigung und den Betrieb von ÖPNV-Betrieben. Das PBefG unterscheidet zwischen Linienverkehr und Gelegenheitsverkehr und regelt insbesondere die Genehmigungsvoraussetzungen, Beförderungspflichten und Rechte der Verkehrsunternehmen sowie die Gewährleistung des öffentlichen Interesses.

Regionalisierungsgesetz (RegG) und ÖPNV-Gesetze der Länder

Mit der Einführung des Regionalisierungsgesetzes infolge der Föderalismusreform wurden die Aufgaben und die Verantwortung für den ÖPNV gemäß Art. 87e GG auf die Länder übertragen. Die Bundesländer erlassen auf dieser Grundlage eigene ÖPNV-Gesetze, regeln Zuständigkeiten, Finanzierungsmodalitäten und Standards. Die Landesgesetzgebung konkretisiert die Aufgabenverteilung und legt zentrale Konzepte wie Nahverkehrspläne und Verkehrsverträge fest.

Europarechtliche Grundlagen

Das europäische Recht beeinflusst den ÖPNV insbesondere durch die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße. Diese regelt die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, führt Vorgaben für die Organisation, Finanzierung und Vergabeverfahren ein und zielt darauf ab, einen diskriminierungsfreien Zugang und Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sicherzustellen.

Organisation und Aufgabenträgerschaft

Aufgabenträger des ÖPNV

Die Organisation des ÖPNV erfolgt nach dem sogenannten „Aufgabenträgerprinzip“. Aufgabenträger sind gemäß PBefG und landesrechtlicher Vorgaben meist Landkreise, kreisfreie Städte oder kommunale Zweckverbände. Sie sind verantwortlich für die Planung, Ausgestaltung, Sicherstellung und Finanzierung eines bedarfsgerechten ÖPNV. Die Aufgabenträger beauftragen Verkehrsunternehmen, die Beförderungsleistungen zu erbringen.

Verkehrsunternehmen

Verkehrsunternehmen sind die tatsächlichen Betreiber von Bus-, Bahn- und sonstigen ÖPNV-Diensten. Ihre Tätigkeit bedarf einer Genehmigung nach dem PBefG. Die Unternehmen sind verpflichtet, die von den Aufgabenträgern definierten Anforderungen an den öffentlichen Verkehr zu erfüllen, darunter auch Vorgaben zur Barrierefreiheit (§ 8 Abs. 3 PBefG).

Genehmigungsverfahren und Vergabe

Genehmigungsrecht

Der Betrieb eines Linienverkehrs im ÖPNV setzt eine Genehmigung voraus. Die Voraussetzungen dafür sind im PBefG geregelt (§§ 13 ff.), etwa Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und das öffentliche Interesse an der konkreten Verkehrsleistung. Die Genehmigung wird für eine bestimmte Strecke, Verkehrsart und Zeitspanne erteilt und steht im Kontext der Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung.

Vergabe öffentlicher Verkehrsleistungen

Die Vergabe von ÖPNV-Leistungen erfolgt häufig im Wettbewerbsverfahren in Form eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gemäß der EU-Verordnung 1370/2007. Hierbei können Verkehrsunternehmen in einem transparenten Ausschreibungsverfahren Verkehrsleistungen übernehmen. Alternativ sind auch Direktvergaben unter bestimmten Voraussetzungen möglich, insbesondere an interne Betreiber oder bei überwiegend eigenwirtschaftlichen Verkehren (§ 8 Abs. 4 PBefG).

Finanzierung und Tarife

Finanzierung des ÖPNV

Die Finanzierung des ÖPNV erfolgt aus einem Mix unterschiedlicher Quellen: Fahrgeldeinnahmen der Nutzerinnen und Nutzer, öffentliche Zuschüsse der Länder und Kommunen, sowie spezifische Fördermittel. Die Regionalisierungsmittel des Bundes (§ 5 Regionalisierungsgesetz) stellen einen maßgeblichen Teil der öffentlichen Finanzierung dar. Weitere Finanzierungsbestandteile können Landesmittel, kommunale Zuschüsse und Sondertöpfe etwa für den Ausbau der Infrastruktur sein.

Tarifrechtliche Regelungen

Die Tarifgestaltung im ÖPNV ist durch § 39 PBefG geregelt. Die Tarife bedürfen in vielen Fällen der Genehmigung durch die zuständige Genehmigungsbehörde. Zweckverbünde organisieren in Ballungsräumen oft einheitliche Tarif- und Vertriebssysteme. Tarifverträge für Beschäftigte im ÖPNV werden zwischen Verkehrsunternehmen und Gewerkschaften abgeschlossen und durch landesrechtliche Vorgaben begleitet.

Rechte und Pflichten der Nutzer und des Betreibers

Beförderungspflicht und Beförderungsbedingungen

Verkehrsunternehmen im ÖPNV unterliegen grundsätzlich einer Beförderungspflicht (§ 22 PBefG). Sie müssen alle Personen zu den festgelegten Bedingungen, Tarif- und Beförderungsbestimmungen befördern, sofern keine Ausschließungsgründe (z.B. Gefährdung der Sicherheit) vorliegen. Die Beförderungsbedingungen werden von den Unternehmen aufgestellt und unterliegen der Genehmigung.

Fahrgastrechte

Fahrgäste im ÖPNV haben Anspruch auf einen sicheren und ordnungsgemäßen Transport sowie auf Informations-, Erstattungs- und Unterstützungsleistungen im Fall von Verspätungen oder Ausfällen. Die EU-Verordnung 1371/2007 (Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr) kann auf Schienenverkehrsleistungen des ÖPNV zur Anwendung kommen.

Barrierefreiheit

Gemäß § 8 Abs. 3 PBefG sind die Aufgabenträger verpflichtet, die Belange von mobilitätseingeschränkten Menschen bei Planung und Betrieb des ÖPNV zu berücksichtigen und eine vollständige Barrierefreiheit bis spätestens 2022 anzustreben. Die praktische Umsetzung erfolgt durch spezielle Fahrzeuge, Haltestellen und Informationsdienste.

Spezielle Rechtsbereiche im Zusammenhang mit dem ÖPNV

Haftung und Versicherung

Verkehrsunternehmen haften für Schäden, die im Zusammenhang mit der Beförderung von Personen entstehen, nach allgemeinen Haftungsregeln und speziellen Vorschriften im PBefG sowie nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Sie sind verpflichtet, eine entsprechende Haftpflichtversicherung zu unterhalten (§ 22a PBefG).

Umwelt- und Klimaschutzvorgaben

Die Organisation und Finanzierung des ÖPNV folgt zunehmend den Vorgaben des Umweltrechts, etwa zur Förderung von emissionsarmen und barrierefreien Verkehrsangeboten. Förderprogramme und landesrechtliche Vorgaben zielen auf eine Reduzierung der verkehrsbedingten Umweltbelastungen und die Einhaltung von Klimaschutzzielen ab.

Weitere Entwicklung und Rechtsfragen

Aktuelle Herausforderungen

Der ÖPNV steht vor Herausforderungen wie Digitalisierung, Mobilitätswandel, Integration neuer Mobilitätsformen (z. B. On-Demand-Verkehre, Sharing-Angebote), Anpassung an demografische Entwicklungen und die Umsetzung der Klimaschutzziele. Diese Trends bedingen fortlaufende Anpassungen auf Ebene der Gesetzgebung, Organisation und Finanzierung.

Rechtsbeziehungen zu anderen Verkehrsarten

Der ÖPNV grenzt sich rechtlich vom Fernverkehr und dem Gelegenheitsverkehr ab. Die genaue Abgrenzung hat vielfältige Auswirkungen auf Fragen der Pflichten, der Finanzierung und der staatlichen Förderung.

Zusammenfassung

Der Öffentliche Personennahverkehr bildet einen zentralen Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge und unterliegt einer Vielzahl von gesetzlichen Regelungen auf bundes-, landes- und europäischer Ebene. Rechtlich definiert, organisiert und reguliert das PBefG zusammen mit landesrechtlichen und europäischen Vorschriften die Genehmigung, Finanzierung, Organisation und Durchführung des ÖPNV. Besondere Bedeutung kommt der Sicherstellung eines leistungsfähigen, barrierefreien und nachhaltigen Angebots zu, wobei die Rechte der Nutzer, die Pflichten von Verkehrsunternehmen sowie die Aufgaben der Aufgabenträger umfassend geregelt sind. Die Entwicklung des ÖPNV steht im Spannungsfeld neuer Mobilitätsanforderungen sowie des Umwelt- und Klimaschutzes und erfordert eine kontinuierliche Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Fahren ohne gültigen Fahrschein?

Fahren ohne gültigen Fahrschein im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gilt in Deutschland gemäß § 265a Strafgesetzbuch (StGB) als Erschleichen von Leistungen und wird grundsätzlich als Straftat behandelt. Wer beim Fahren ohne Ticket erwischt wird, muss mit einer Vertragsstrafe (sog. erhöhtes Beförderungsentgelt, meist 60 Euro, § 9 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz (PBefG)) rechnen. Darüber hinaus kann die Verkehrsgesellschaft Strafanzeige erstatten. Je nach Einzelfall kann dies zu einer Geldstrafe führen, in Wiederholungsfällen oder bei erheblichen Vorstrafen sogar zu einer Freiheitsstrafe. Auch der Versuch des Erschleichens – z. B. wenn jemand beim Betreten des Verkehrsmittels ohne Ticket kontrolliert wird – ist strafbar. Neben dem Strafverfahren kann ein Zivilverfahren folgen, wenn der Beförderungsvertrag durch das Schwarzfahren nicht zustande kommt. Dies kann Schadensersatzforderungen seitens des Beförderungsunternehmens nach sich ziehen.

Welche Rechte habe ich als Fahrgast bei einer Verspätung im ÖPNV?

Fahrgäste im ÖPNV haben bei erheblichen Verspätungen Anspruch auf bestimmte Entschädigungen, die sich aus der sogenannten Fahrgastrechteverordnung (EU-VO 1371/2007 für Eisenbahnverkehr und § 17a PBefG für Busse und Straßenbahnen) ergeben. Bei mehr als zwanzig Minuten Verspätung am Ziel dürfen Fahrgäste etwa höherwertige Züge (z. B. ICE statt RE) nutzen und sich die Mehrkosten später erstatten lassen. Im Nahverkehr können Regelungen regional variieren, aber häufig sind Ansprüche auf Erstattung eines Teils des Fahrpreises, Bereitstellung von Getränke- und Snackgutscheinen oder Übernahme von Übernachtungskosten bei sehr starker Verzögerung vorgesehen. Der Anspruch ist in der Regel binnen eines Jahres unter Beifügung des Fahrscheins geltend zu machen. Eine Verspätung muss außerdem nachweisbar sein, beispielsweise durch eine schriftliche Bestätigung des Verkehrsunternehmens.

In welchen Fällen besteht ein Anspruch auf Schadenersatz bei Unfällen im ÖPNV?

Kommt es im Rahmen der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu einem Unfall, haften die Verkehrsunternehmen gemäß § 15 Haftpflichtgesetz für Personen- und Sachschäden, sofern der Unfall im Zusammenhang mit dem Betrieb des Verkehrsmittels steht. Für Personenschäden gibt es keine Haftungsobergrenzen, Sachschäden sind häufig auf 1.000 Euro begrenzt. Der Fahrgast muss nachweisen, dass der Schaden auf ein Verschulden des Unternehmens oder dessen Angestellten zurückzuführen ist, etwa mangelnde Wartung oder fehlerhaftes Fahrverhalten. Eine Ausnahme bildet die sogenannte Gefährdungshaftung: Schon das Betreiben eines Verkehrsmittels begründet eine verschuldensunabhängige Haftung bei Verletzungen, es sei denn, es liegt höhere Gewalt vor. Der Anspruch sollte möglichst schnell beim Verkehrsunternehmen angemeldet und durch Zeugen oder ärztliche Atteste belegt werden.

Gibt es besondere Schutzrechte für Menschen mit Behinderung im ÖPNV?

Menschen mit Behinderung genießen im ÖPNV durch das Sozialgesetzbuch IX (insb. § 145 SGB IX) und zahlreiche landesrechtliche Vorschriften besondere Rechte. Sie haben Anspruch auf unentgeltliche Beförderung, sofern dies auf dem Schwerbehindertenausweis mit entsprechendem Beiblatt und Wertmarke vermerkt ist. Unternehmen sind verpflichtet, Barrierefreiheit zu gewährleisten, was sowohl Zugang zu Verkehrsmitteln als auch Mobilitätsservice (z. B. Hilfe beim Ein- und Aussteigen) umfasst. Sollte die Nutzung des ÖPNV aufgrund mangelnder Barrierefreiheit nicht möglich oder erschwert sein, können Betroffene auf Nachbesserung klagen und Schadenersatz oder eine Entschädigung beanspruchen. Auch Begleitpersonen und Hilfsmittel wie Rollstühle dürfen kostenfrei befördert werden, sofern dies aus dem Ausweis hervorgeht.

Welche Pflichten haben Fahrgäste im ÖPNV?

Neben der Pflicht zur Zahlung des Fahrpreises unterliegen Fahrgäste weiteren Obliegenheiten, welche in den Beförderungsbedingungen und den landesrechtlichen Vorschriften (meist AGB der Verkehrsunternehmen und § 13 PBefG) geregelt sind. Hierzu zählen insbesondere das Ein- und Aussteigen nur an den vorgesehenen Haltestellen, das Verbot von Rauchen, Alkoholkonsum oder erheblicher Lärmbelästigung, sowie das Mitführen von gefährlichen oder sperrigen Gegenständen nur nach Erlaubnis der Verkehrsbetriebe. Im Falle eines Verstoßes drohen Vertragsstrafen, Beförderungsausschluss sowie zivil- und ordnungsrechtliche Sanktionen. Weiterhin gilt die Sorgfaltspflicht, eigene Gesundheit sowie Eigentum und das anderer Fahrgäste nicht zu gefährden; ein grob fahrlässiges Verhalten kann Haftungsansprüche gegen den Fahrgast begründen.

Wie ist das Vorgehen bei Verlust oder Diebstahl von Monats- oder Jahreskarten geregelt?

Im Falle des Verlusts oder Diebstahls einer Zeitkarte (Monats- oder Jahreskarte) können betroffene Fahrgäste in der Regel eine Ersatzkarte gegen eine Bearbeitungsgebühr beantragen. Die rechtlichen Grundlagen hierzu finden sich in den jeweiligen Tarifbestimmungen der Verkehrsunternehmen. Eine Anzeige bei der Polizei ist insbesondere bei Diebstahl ratsam, da viele Unternehmen dies als Voraussetzung für die Ausstellung eines Ersatzdokuments fordern. Während der Bearbeitungszeit für die Ersatzkarte besteht meist die Möglichkeit, eine vorläufige Ersatzbescheinigung zu erhalten, sodass die Nutzung des ÖPNV rechtlich abgesichert bleibt. Für den Zeitraum zwischen Anzeige des Verlusts und Ausstellung des Ersatzdokuments haftet der ursprüngliche Inhaber jedoch für Missbrauch durch Dritte, sofern kein grob fahrlässiges Verhalten (z. B. ungesicherte Verwahrung der Karte) vorliegt.