Begriffserklärung und Definition des Oberbesitzers
Der Begriff Oberbesitzer ist im deutschen Sachenrecht von fundamentaler Bedeutung und findet insbesondere bei den Regelungen zum Besitzschutz und zum Mehrpersonenbesitz Anwendung. Oberbesitzer ist eine Person, die – als unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer – die tatsächliche Sachherrschaft entweder selbst ausübt oder durch einen Besitzmittler ausüben lässt und gegenüber dritten Besitzern eine übergeordnete rechtliche Besitzposition innehat. Die Unterscheidung des Oberbesitzes ist eng verwoben mit dem Konzept des mittelbaren Besitzes (§ 868 BGB) und des Besitzmittlungsverhältnisses.
Rechtsgrundlagen und gesetzliche Verankerung
Der Begriff Oberbesitzer selbst ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nicht ausdrücklich als eigenständige Legaldefinition enthalten. Er hat sich jedoch im Schrifttum und in der Rechtsprechung als feststehende Bezeichnung zur Differenzierung der Besitzverhältnisse durchgesetzt, insbesondere um die unterschiedlichen rechtlichen Positionen mehrerer gleichzeitig besitzender Personen an ein und derselben Sache zu kennzeichnen. Maßgebliche Normen sind insbesondere die §§ 854 bis 872 BGB (Allgemeine Vorschriften über den Besitz).
Besitzarten im BGB
Im BGB werden grundsätzlich unterschieden:
- Unmittelbarer Besitz: Die tatsächliche Gewalt über eine Sache (§ 854 BGB).
- Mittelbarer Besitz: Besitz durch einen Besitzmittler auf Basis eines Besitzmittlungsverhältnisses (§ 868 BGB).
- Oberbesitz: Die übergeordnete Besitzstellung im Rahmen des mittelbaren Besitzes.
Der Oberbesitzer ist stets der mittelbare Besitzer, der als Herr der tatsächlichen Gewalt angesehen wird, auch wenn diese aktuell von einem anderen ausgeübt wird.
Typische Konstellationen des Oberbesitzes
Besitzmittlungsverhältnis
Ein Besitzmittlungsverhältnis liegt gemäß § 868 BGB vor, wenn eine Person (Oberbesitzer) einem Besitzmittler die tatsächliche Sachherrschaft überträgt, wobei letzterer den Besitz für den Oberbesitzer ausübt. Typische Beispiele sind das Miet- und das Leihverhältnis, aber auch Verwahrung oder Pacht.
Beispiel: Mietverhältnis
Im Falle eines Mietverhältnisses bleibt der Vermieter Oberbesitzer der Sache, weil der Mieter den Besitz auf Grundlage eines Besitzmittlungsverhältnisses ausübt und zur Rückgabe verpflichtet ist.
Mehrstufiger Besitz (Besitzkette)
In einer Besitzkette können mehrere Ebenen von mittelbaren Besitzern bestehen. Hier ist der Oberbesitzer stets die Person, die an der Spitze dieser Kette steht und das Besitzmittlungsverhältnis zu allen nachgeordneten Besitzern kontrolliert. Dies ist praktisch häufig im Untermietverhältnis der Fall.
Beispiel: Untermiete
Im Untermietverhältnis ist der Eigentümer häufig Oberbesitzer, der Hauptmieter agiert als Besitzmittler zum Untermieter.
Abgrenzung zu anderen Besitzarten
Oberbesitz versus unmittelbarer Besitz
- Oberbesitzer ist immer mittelbarer Besitzer, er steht in einem Besitzmittlungsverhältnis zum unmittelbaren Besitzer (z.B. Mieter, Entleiher).
- Unmittelbarer Besitzer hat die tatsächliche Gewalt über die Sache vor Ort.
Oberbesitz versus Besitzdiener (§ 855 BGB)
Ein Besitzdiener übt die tatsächliche Gewalt für einen anderen (den Besitzherrn) aus, jedoch ohne eigenes Besitzmittlungsverhältnis. Der Besitzdiener gilt gem. § 855 BGB nicht als Besitzer, sodass der Besitzherr hier die einzige beachtliche Eigentumsposition innehat (kein Oberbesitz).
Rechte und Pflichten des Oberbesitzers
Im deutschen Recht ist die Stellung des Oberbesitzers von mehreren Rechten und Pflichten geprägt:
Rechtspositionen
- Schutz des Besitzes: Der Oberbesitzer kann sich gegenüber Besitzstörungen und Besitzentziehungen ebenso wehren wie der unmittelbare Besitzer (§§ 859 ff. BGB).
- Eigene Herausgabeansprüche: Dem Oberbesitzer stehen im Rahmen des § 985 BGB (Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer) Ansprüche auf Herausgabe bei Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses zu.
- Ausschluss fremder Besitzrechte: Der Oberbesitzer kann mit Wirkung gegen Dritte über die Herausgabe- oder Besitzrechte bestimmen.
Pflichten
- Rücksichtnahme auf den Besitzmittler: Im Rahmen des Besitzmittlungsverhältnisses muss der Oberbesitzer die Rechte des Besitzmittlers beachten, insbesondere soweit der Besitzmittler im Rahmen des ihm übertragenen Besitzes Schutz genießt.
- Wahrung der Besitzkette: Bei mehrstufigem Besitz trägt der Oberbesitzer die Verantwortung für die rechtmäßige Organisation und Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses.
Besitzschutz und Rechtsprechung
Besitzschutzinstrumente
Das deutsche Recht kennt für den Oberbesitzer ebenso wie für den unmittelbaren Besitzer spezielle Besitzschutzinstrumente:
- Rechtsbehelfe bei Besitzstörung: §§ 861, 862 BGB gewähren dem Oberbesitzer Unterlassungs- und Wiedereinräumungsansprüche.
- Eigentumsherausgabe: Der Oberbesitzer kann im eigenen Namen gegenüber dem mittelbaren oder unmittelbaren Besitzer Ansprüche geltend machen oder, soweit ein rechtliches Interesse besteht, auch eigene Rechtsbehelfe einsetzen.
Leitsätze und Rechtsprechung
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) erkennt die Klagebefugnis und Schutzrechte des Oberbesitzers ausdrücklich an und betont die zivilrechtliche Eigenständigkeit der Position des Oberbesitzers gegenüber dem unmittelbaren Besitzer oder Besitzmittler.
Bedeutung und Praxisrelevanz
Die Figur des Oberbesitzers ist in der rechtspraktischen Anwendung insbesondere bei Miet-, Pacht-, Leih- und Verwahrungsverhältnissen weit verbreitet. Sie ist von erheblicher Bedeutung für die Durchsetzung von Besitz- und Herausgabeansprüchen und für den Schutz der Besitzrechte im Mehrpersonenverhältnis.
Zusammenfassung
Der Oberbesitzer nimmt im deutschen Sachenrecht eine übergeordnete Besitzposition ein, die sich vor allem im Rahmen des mittelbaren Besitzes und des Besitzmittlungsverhältnisses manifestiert. Er ist Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft, auch wenn diese faktisch einem Dritten zusteht, und genießt umfassenden Besitzschutz. Die differenzierte Kenntnis der Rechtsstellung des Oberbesitzers und deren Konsequenzen ist sowohl im privaten wie im gewerblichen Rechtsverkehr von hoher praktischer Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechte und Pflichten hat der Oberbesitzer im deutschen Sachenrecht?
Der Oberbesitzer hat im deutschen Sachenrecht eine besondere rechtliche Stellung, die sich dadurch auszeichnet, dass er zwar den Besitz vermittelt und ausübt, jedoch diesen Besitz nicht selbständig innehat, sondern als Oberherr des Besitzers (sog. Fremdbesitzer). Typischerweise wird dieses Verhältnis bei Besitzmittlungsverhältnissen, wie dem Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 BGB, relevant: Der Oberbesitzer überlässt dem unmittelbaren Besitzer (z.B. Mieter, Entleiher, Verwahrer) die tatsächliche Sachherrschaft aufgrund eines rechtlichen Besitzmittlungsverhältnisses und behält sich gleichzeitig den sogenannten mittelbaren Besitz vor. Zu seinen Rechten zählt insbesondere das Besitzrecht und die Möglichkeit, Ansprüche aus Besitzstörungen gem. § 861, § 862 BGB geltend zu machen. Gleichzeitig verpflichtet ihn dieses Verhältnis dazu, das Besitzmittlungsverhältnis aufrechtzuerhalten und den unmittelbaren Besitzer nicht grundlos vom Besitz auszuschließen, solange das Verhältnis besteht. Darüber hinaus muss der Oberbesitzer bei der Ausübung des Besitzes die Rechte des unmittelbaren Besitzers sowie gegebenenfalls Rechte Dritter beachten. Bei Besitzverlust – etwa durch Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses – kann der Oberbesitzer analog zum Eigentümer auch Herausgabeansprüche nach §§ 985, 986 BGB geltend machen, sofern eine Herausgabeanspruchsgrundlage besteht.
Wann endet die Stellung des Oberbesitzers?
Die Rechtsstellung des Oberbesitzers endet, wenn das Besitzmittlungsverhältnis zwischen ihm und dem unmittelbaren Besitzer beendet wird oder der Oberbesitzer die rechtliche Möglichkeit verliert, mittelbaren Besitz an der Sache auszuüben. Dies kann z.B. durch Zeitablauf beim Leihverhältnis, durch Kündigung oder durch einseitige Besitzaufgabe (derivate Besitzaufgabe) geschehen. Außerdem kann die Stellung des Oberbesitzers verloren gehen, wenn der Besitzmittler eigenmächtig die Sachherrschaft aufgibt, jemand anderes den unmittelbaren Besitz neuerlangt (Besitzverlust durch Besitzentziehung), oder wenn dem Oberbesitzer die Möglichkeit fehlt, das Besitzmittlungsverhältnis rechtlich durchzusetzen (z.B. wenn eine Sache endgültig abhanden kommt). In besonderen Fällen, wie etwa bei Besitzübertragung durch Übereignung, entfällt ebenfalls der Oberbesitz und geht gegebenenfalls auf den Erwerber über.
Welche Ansprüche kann der Oberbesitzer bei einer Besitzstörung verfolgen?
Wird die mittelbare Sachherrschaft des Oberbesitzers durch Dritte gestört – etwa, wenn ein Dritter die Sache unbefugt an sich nimmt – steht dem Oberbesitzer die sogenannte Besitzschutzklage gemäß § 862 BGB zu, sofern die Störung nicht lediglich die Person des unmittelbaren Besitzers betrifft. Darüber hinaus kann der Oberbesitzer, wenn er noch zum Besitz berechtigt ist, auch den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB geltend machen, sofern er zugleich Eigentümer ist. Weiterhin besteht die Möglichkeit, aus dem Besitzmittlungsverhältnis zivilrechtliche Ansprüche gegen den unmittelbaren Besitzer geltend zu machen, etwa Herausgabe- oder Unterlassungsansprüche, wenn dieser die Rechte des Oberbesitzers verletzt. All diese Ansprüche setzen jedoch voraus, dass das Besitzmittlungsverhältnis wirksam besteht und der Oberbesitzer seine Stellung noch nicht verloren hat.
Kann der Oberbesitzer auch gegen den unmittelbaren Besitzer Ansprüche geltend machen?
Ja, der Oberbesitzer kann auch gegen den unmittelbaren Besitzer Ansprüche geltend machen, insbesondere wenn das Besitzmittlungsverhältnis beendet wurde oder der unmittelbare Besitzer den Besitz ohne rechtlichen Grund verweigert. In diesem Fall kann der Oberbesitzer – insbesondere bei Herausgabeansprüchen nach § 985 BGB in Verbindung mit § 868 BGB – auf Rückgabe der Sache klagen. Zudem können deliktische Ansprüche oder Ansprüche auf Schadensersatz entstehen, wenn der unmittelbare Besitzer schuldhaft das Eigentum oder den Besitz des Oberbesitzers verletzt (etwa nach §§ 280 ff. BGB bei schuldhafter Vertragsverletzung). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass das rechtliche Verhältnis zwischen Oberbesitzer und unmittelbarem Besitzer (z. B. Leihe, Miete, Verwahrung) wirksam beendet ist oder ein Anspruchsgrund besteht.
Welche Bedeutung hat der Oberbesitz bei Sicherungsübereignung?
Im Rahmen der Sicherungsübereignung nach §§ 929, 930 BGB spielt der Oberbesitz eine zentrale Rolle. Hier wird die Besitzposition an einer beweglichen Sache auf den Sicherungsnehmer (z.B. Bank) übertragen, während der Sicherungsgeber (z. B. Kreditnehmer) weiterhin unmittelbarer Besitzer bleibt und die Sache weiter nutzen darf. Der Sicherungsnehmer erhält als Oberbesitzer den mittelbaren Besitz, gestützt auf ein Besitzmittlungsverhältnis (Sicherungsabrede), welches durch einen Besitzmittlungsvertrag i.S.v. § 868 BGB begründet wird. Dies ermöglicht es der Bank, ihre Rechte an der Sache ohne deren physische Inbesitznahme auszuüben. Kommt es allerdings zu einer Vertragsverletzung (z. B. Zahlungsverzug), kann der Oberbesitzer (Sicherungsnehmer) die Herausgabe der Sache verlangen und so seine Sicherungsrechte durchsetzen.
Wie verhält sich das Verhältnis zwischen Oberbesitz, Eigentum und unmittelbarem Besitz?
Das Verhältnis zwischen Oberbesitz, Eigentum und unmittelbarem Besitz ist von zentraler Bedeutung im Sachenrecht. Oberbesitz bedeutet nicht automatisch Eigentum: Der Oberbesitzer ist nicht zwingend Eigentümer der Sache, sondern hält lediglich den mittelbaren Besitz, der in bestimmten Konstellationen auch von Nicht-Eigentümern (z.B. Vermieter ohne Eigentum, aber mit einem vertraglichen Herausgabeanspruch) ausgeübt werden kann. Der unmittelbare Besitzer hat die physische Sachherrschaft, ist aber oft zur Rückgabe oder zum Besitzmittlungsverhältnis verpflichtet. Eigentümer wiederum sind jene, welche das umfassende Herrschaftsrecht an der Sache haben. In der Praxis ist das Zusammenspiel dieser Positionen besonders relevant für die Rechtsanwendung beim Herausgabeverlangen, bei der Gutgläubigkeit Dritter und bei der Abgrenzung der jeweiligen Rechte im Falle von Besitzstörungen oder Verfügungen über die Sache.