Legal Lexikon

Notanwalt


Begriff und rechtliche Einordnung des Notanwalts

Der Notanwalt ist ein Begriff aus dem deutschen Recht und bezeichnet eine besondere Form der anwaltlichen Vertretung, die einer Partei den Zugang zum Recht auch dann ermöglicht, wenn diese kurzfristig keinen eigenen Rechtsanwalt finden kann. Der Notanwalt steht somit im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Die Beauftragung eines Notanwalts ist ein gesetzlich normiertes Instrument zur Verhinderung gravierender Rechtsnachteile infolge fehlender anwaltlicher Vertretung, insbesondere in Fristsachen.


Gesetzliche Grundlagen

Zivilprozessordnung (ZPO)

Die maßgeblichen Regelungen zum Notanwalt finden sich in der Zivilprozessordnung (ZPO), konkret in § 78b ZPO. Die ZPO regelt damit explizit die Fälle, in denen Parteien im Anwaltsprozess kurzfristig keinen Anwalt beauftragen können und ansonsten erhebliche Rechtsnachteile – insbesondere Fristversäumnisse – drohen.

Weitere Rechtsgebiete

Das Notanwaltsverfahren findet nicht nur im Zivilprozess Anwendung, sondern besteht – mit vergleichbarer Zielsetzung – auch in anderen gerichtlichen Verfahren, etwa in bestimmten Verwaltungs-, Arbeits- und Familiensachen. Entsprechende Vorschriften finden sich unter anderem in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) sowie im Sozialgerichtsgesetz (SGG).


Voraussetzungen und Beantragung des Notanwalts

Zulässigkeit und berechtigtes Interesse

Ein Notanwalt kann nur dann bestellt werden, wenn die betroffene Partei

  • zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung verpflichtet ist, sich anwaltlich vertreten zu lassen
  • keinen eigenen Rechtsanwalt innerhalb der gebotenen Frist findet (sogenannte „Notlage“)
  • die Gründe für das Nichtfinden eines Anwalts glaubhaft macht

Zudem muss eine gewisse Erfolgsaussicht des anstehenden Rechtsbehelfs dargelegt werden, um missbräuchliche Inanspruchnahme des Notanwalts auszuschließen.

Verfahren und zuständiges Gericht

Der Antrag auf Bestellung eines Notanwalts ist beim zuständigen Gericht einzureichen, das für das Hauptverfahren zuständig ist. Das Gericht prüft daraufhin die Voraussetzungen und bestimmt, sofern diese erfüllt sind, einen Rechtsanwalt aus dem Bezirk zum Notanwalt. Die Auswahl des Notanwalts erfolgt durch das Gericht; Wünsche der Partei können, müssen aber nicht berücksichtigt werden.


Rechte und Pflichten des Notanwalts

Die Bestellung als Notanwalt ist keine dauerhafte Mandatsübernahme, sondern auf die konkrete, unaufschiebbare Prozesshandlung beschränkt. Der Notanwalt muss die Grundrechte der Partei wahren und ist insbesondere verpflichtet, die Handlung vorzunehmen, die zur Fristwahrung erforderlich ist. Nach Erledigung dieser Aufgabe endet das Mandat grundsätzlich automatisch.

Zu den wichtigsten Pflichten gehört:

  • die fristgerechte Einreichung von Schriftsätzen,
  • die Beratung der Partei im Zusammenhang mit der gebotenen Prozesshandlung.

Finanzielle Interessen des Notanwalts sind zurückgestellt gegenüber dem Recht auf rechtliches Gehör.


Kostentragung und Vergütung

Gebühren

Die Tätigkeit des Notanwalts wird in der Regel nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) vergütet. Auch im Falle der Beiordnung eines Notanwalts gelten die üblichen Gebühren und Auslagen.

Kostenerstattung

Wird der Notanwalt im Rahmen von Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe tätig, trägt die Staatskasse die Vergütung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften, sofern die wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind. In allen anderen Fällen hat die Partei die Kosten selbst zu tragen; sie kann im Obsiegensfall einen Kostenersatzanspruch gegen die Gegenseite geltend machen, analog zur Kostenerstattung im ordentlichen Verfahren.


Abgrenzungen

Unterschied zu Pflichtverteidiger und Prozessbevollmächtigten

Der Notanwalt ist von einem Pflichtverteidiger im Strafverfahren abzugrenzen; letzterer wird vom Gericht im Strafprozess bestellt, wenn eine notwendige Verteidigung vorliegt. Der Notanwalt wird hingegen ausschließlich zur Fristwahrung im Verfahren mit notwendigem Anwaltszwang bestellt und nur dann, wenn ohne sein Eingreifen erhebliche Rechtsnachteile drohen.


Bedeutung und praktische Relevanz

Der Notanwalt dient dem effektiven Rechtsschutz und stellt einen bedeutenden Pfeiler der Rechtsstaatlichkeit dar. Die Möglichkeit der kurzfristigen Bestellung eines Notanwalts gewährleistet, dass der Zugang zu Gericht nicht durch tatsächliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten bei der Anwaltssuche versperrt wird. In der Praxis ist die Bestellung eines Notanwalts zwar die Ausnahme, sie ist jedoch bei Auftreten anwaltlicher Notlagen für den Schutz elementarer Verfahrensrechte von zentraler Bedeutung.


Literaturhinweise und weiterführende Informationen

  • Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere § 78b ZPO
  • Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)
  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
  • Begründungen und Kommentare zu den jeweiligen Verfahrensordnungen

Häufig gestellte Fragen

Wann sollte ich einen Notanwalt kontaktieren?

Ein Notanwalt sollte insbesondere dann kontaktiert werden, wenn eine Rechtsangelegenheit besondere Eilbedürftigkeit aufweist und ein sofortiges Eingreifen notwendig ist, um wesentliche rechtliche Nachteile zu vermeiden. Dies betrifft beispielsweise Situationen, in denen Fristen unmittelbar ablaufen und der eigene Anwalt kurzfristig nicht erreichbar ist, etwa am Wochenende, an Feiertagen oder außerhalb regulärer Kanzleizeiten. Ein typischer Anwendungsfall ist die drohende Versäumung einer Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels (zum Beispiel Berufung oder Beschwerde), deren Versäumen gravierende irreparable Konsequenzen wie Rechtskraft eines Urteils oder Verlust von Rechtspositionen nach sich ziehen kann. Auch in familienrechtlichen oder strafrechtlichen Notlagen, beispielsweise bei einstweiligen Verfügungen, Haftbefehlen oder einstweiligen Anordnungen, ist die Hinzuziehung eines Notanwalts dringend zu erwägen. Während der Notanwalt die Fristeinhaltung sicherstellt, wird erwartet, dass der eigentliche Prozessbevollmächtigte die reguläre Vertretung übernimmt, sobald dies wieder möglich ist.

Welche Voraussetzungen müssen für die Bestellung eines Notanwalts vorliegen?

Voraussetzung für die Bestellung eines Notanwalts ist das Vorliegen eines sogenannten Anwaltsnotstands. Dieser besteht, wenn der Beteiligte glaubhaft macht, dass er trotz zumutbarer Bemühungen keinen Rechtsanwalt für die notwendige fristwahrende Handlung auffinden kann. Zumutbar ist beispielsweise die Kontaktaufnahme mit mehreren Rechtsanwälten in zumutbarer räumlicher Nähe oder per Fernkommunikation. Es genügt nicht, wenn ein Antragsteller lediglich einen einzigen Anwalt kontaktiert. Der Nachweis dieser Bemühungen ist dem Gericht gegenüber darzulegen, sei es durch Dokumentation der Kontaktversuche oder Vorlage von Ablehnungsschreiben. Erst wenn die Unmöglichkeit der sonstigen Vertretung feststeht und eine Fristversäumung droht, kann das Gericht einen Notanwalt bestellen.

Wer bestellt den Notanwalt, und wie wird dieser ausgewählt?

Die Bestellung eines Notanwalts erfolgt stets durch das zuständige Gericht, bei dem die fristwahrende Handlung vorgenommen werden soll. Die Auswahl des Notanwalts liegt im Ermessen des Gerichts. In der Regel wird ein Rechtsanwalt gewählt, der am Gerichtsort ansässig ist und kurzfristig zur Verfügung steht. Dabei kann das Gericht auf eigene Listen zurückgreifen oder den örtlichen Anwaltsverein beziehungsweise die Rechtsanwaltskammer einschalten, um einen geeigneten Rechtsanwalt zu benennen oder zu vermitteln. Es besteht kein Anspruch des Beteiligten auf einen bestimmten Anwalt. Der bestellte Notanwalt ist verpflichtet, das Mandat im Übrigen zur Fristwahrung zu übernehmen. Sobald der ursprüngliche (oder ein anderer selbst gewählter) Anwalt verfügbar ist, endet regelmäßig das Mandatsverhältnis mit dem Notanwalt.

In welchen Verfahren kann ein Notanwalt tätig werden?

Ein Notanwalt kann in allen gerichtlichen Verfahren tätig werden, in denen Anwaltszwang herrscht oder die Mitwirkung eines Anwalts zur Einhaltung bestimmter Fristen rechtlich vorgeschrieben ist. Dies betrifft sowohl Zivilprozesse, insbesondere vor Landgerichten oder Oberlandesgerichten, als auch arbeitsgerichtliche, familiengerichtliche oder teilweise verwaltungsgerichtliche Verfahren. Ausgeschlossen ist die Bestellung eines Notanwalts beispielsweise in Verfahren ohne Anwaltszwang oder bei Angelegenheiten, in denen die Fristversäumung nicht zu rechtlichen Nachteilen führen würde. Auch in Strafsachen kann ein Notanwalt im Rahmen der notwendigen Verteidigung oder zur Einlegung fristgebundener Rechtsmittel bestellt werden.

Welche Befugnisse hat ein Notanwalt?

Die Befugnisse eines Notanwalts beschränken sich in der Regel auf die Vornahme der zur Fristwahrung notwendigen verfahrensrechtlichen Handlungen, wie zum Beispiel die Einlegung eines Rechtsmittels, die Abgabe eines bestimmten Antrags oder die Stellung einer Klage. Der Notanwalt ist jedoch nicht verpflichtet, in der Sache selbst umfassend tätig zu werden, etwa durch die umfassende Prozessführung oder Vertretung in allen Verfahrensabschnitten. Seine Tätigkeit endet normalerweise, sobald ein regulärer Prozessbevollmächtigter die Vertretung übernimmt oder keine weitere Eilbedürftigkeit besteht. Der Notanwalt handelt stets im Interesse der Partei, unterliegt jedoch bei der Ausgestaltung seines Mandats den standesrechtlichen und berufsrechtlichen Vorgaben.

Wer trägt die Kosten der Notanwaltsbestellung?

Die Kosten für die Tätigkeit des Notanwalts richten sich nach den allgemeinen gebührenrechtlichen Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Die Partei, für die der Notanwalt bestellt wird, hat dessen Vergütung grundsätzlich selbst zu tragen, es sei denn, es besteht ein Anspruch auf Prozess- beziehungsweise Verfahrenskostenhilfe. In einem solchen Fall erhält der Notanwalt seine Vergütung aus der Staatskasse. Im Falle eines Obsiegens im Hauptverfahren können die entstandenen Kosten als erstattungsfähig gegenüber der Gegenseite geltend gemacht werden. Die Bestellung eines Notanwalts führt zu keiner gebührenrechtlichen Sonderstellung; sie wird hinsichtlich der Kostenbehandlung wie ein reguläres Mandatsverhältnis behandelt.

Welche rechtlichen Folgen hat die Bestellung eines Notanwalts für das Verfahren?

Durch die Bestellung eines Notanwalts wird die fristwahrende Handlung als ordnungsgemäß vorgenommen angesehen, sodass rechtliche Nachteile, wie das Versäumen von Klage-, Rechtsmittel- oder Antragsfristen, vermieden werden. Das Verfahren wird somit trotz vorübergehender Anwaltlosigkeit der Partei ordnungsgemäß fortgeführt. Rechte und Pflichten des Beteiligten bleiben durch die Bestellung eines Notanwalts unberührt, insbesondere hinsichtlich Nachweis- und Mitwirkungspflichten im Verfahren. Der Notanwalt ist verpflichtet, dem Gericht nach Wegfall des Notstands anzuzeigen, dass ein regulärer anwaltlicher Vertreter die Vertretung übernommen hat. Die Bestellung ist immer auf die konkrete Verfahrenssituation beschränkt und greift nicht dauerhaft in die Parteirechte oder -pflichten ein.