Legal Lexikon

Nötigung


Begriff und Grundlagen der Nötigung

Die Nötigung ist ein zentraler Straftatbestand im deutschen Strafrecht und zählt zu den Delikten gegen die persönliche Freiheit. Sie ist in § 240 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt und umfasst Handlungen, durch die eine Person einen anderen mithilfe von Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem bestimmten Verhalten, Dulden oder Unterlassen zwingt. Die Nötigung ist sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht von Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit Willenserklärungen und Vertragsabschlüssen.


Gesetzliche Regelung

Wortlaut von § 240 StGB

Die gesetzliche Grundlage der Nötigung findet sich in § 240 StGB:

„(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.”

Geschütztes Rechtsgut

Das durch die Nötigung geschützte Rechtsgut ist primär die individuelle Willensfreiheit des Betroffenen. Es sollen insbesondere selbstbestimmte Entschlüsse vor unzulässigen Beeinträchtigungen geschützt werden.


Tatbestandsmerkmale der Nötigung

Um eine Strafbarkeit wegen Nötigung zu begründen, müssen folgende objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:

Objektiver Tatbestand

1. Täter und Opfer

  • Täter: Jede natürliche, strafmündige Person kann Täter einer Nötigung sein.
  • Opfer: Betroffen ist jede natürliche Person, deren Willensentschluss durch die Tat beeinflusst wird.

2. Gewalt

Der Begriff der Gewalt wird in der Rechtsprechung definiert als jede unmittelbar oder mittelbar gegen eine Person gerichtete Kraftentfaltung, die nach dem Täterwillen dazu bestimmt und geeignet ist, die freie Willensentschließung oder -betätigung zumindest zu erschweren. Hierunter fallen sowohl physische Gewaltanwendungen (z. B. Festhalten, Schlagen) als auch Gewaltandrohungen.

3. Drohung mit einem empfindlichen Übel

Eine Nötigung kann alternativ auch durch das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels erfolgen. Darunter versteht man das Ankündigen eines Nachteils, dessen Eintritt der Genötigte als erheblich empfinden muss und welcher geeignet ist, das Opfer zur gewünschten Handlung, Duldung oder Unterlassung zu veranlassen.

4. Nötigungserfolg

Der Täter muss das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt haben. Ein tatsächlicher Erfolg, also die tatsächlich bewirkte Verhaltensänderung, ist für die Vollendung erforderlich.

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss vorsätzlich handeln, also wissentlich und willentlich die Merkmale des Tatbestandes erfüllen. Ein bedingter Vorsatz ist ausreichend.


Rechtswidrigkeit

Die bloße Verwirklichung des Tatbestandes der Nötigung reicht nicht für eine Strafbarkeit aus. Die Tat muss auch „rechtswidrig” sein, was in § 240 Abs. 2 StGB besonders geregelt ist. Die Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit dem angedrohten Übel zu dem vom Täter angestrebten Ziel als „verwerflich” anzusehen ist. Die Verwerflichkeit erfolgt nach einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall.


Versuch und Vollendung

Versuch

Eine versuchte Nötigung ist gemäß § 240 Abs. 2 StGB strafbar. Der Versuch beginnt mit der Einwirkenwollens auf die Entscheidungsfreiheit des Opfers durch Gewalt oder Drohung.

Vollendung

Vollendet ist die Tat, wenn das Opfer aufgrund von Gewalt oder Drohung zu einem Verhalten, einer Duldung oder einem Unterlassen gezwungen wurde.


Strafzumessung und Strafrahmen

Die Strafandrohung für eine vollendete Nötigung beträgt Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. In besonders schweren Fällen, etwa wenn das Opfer zu einer sexuellen Handlung gezwungen wird oder eine Nachtat schwerwiegend ist, kann der Strafrahmen erhöht werden. Die Strafzumessung erfolgt unter Berücksichtigung der Schwere der Tat, der Intensität der Gewaltanwendung oder Drohung, der Folgen der Tat sowie eventueller Vorstrafen des Täters.


Qualifikationen und besonders schwere Fälle

§ 240 StGB enthält keine ausdrücklichen Qualifikationstatbestände, jedoch werden besonders schwere Fälle gemäß Abs. 4 besonders hart bestraft. In der Praxis hat sich daher eine Vielzahl von Fallgruppen herausgebildet, in denen Gerichte eine erhöhte Strafwürdigkeit festgestellt haben, beispielsweise bei Nötigungen mit erheblicher Gewaltanwendung, gemeinschaftlich begangenen Taten oder wiederholten Taten.


Abgrenzung zu anderen Tatbeständen

Erpressung (§ 253 StGB)

Eine häufige Abgrenzung muss zwischen Nötigung und Erpressung erfolgen. Während die Nötigung auf die Erzwingung eines bestimmten Verhaltens gerichtet ist, beinhaltet die Erpressung zugleich eine Bereicherungsabsicht des Täters.

Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)

Im Gegensatz zur Nötigung, bei der es um die Beeinflussung des Willens geht, stellt die Freiheitsberaubung eine unmittelbare Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Opfers dar.


Nötigung im Straßenverkehr

Ein bedeutsames Anwendungsgebiet des Nötigungstatbestands ist der Straßenverkehr, zum Beispiel beim sogenannten „Drängeln” oder „Ausbremsen” anderer Verkehrsteilnehmer. Das Verhalten muss nach höchstrichterlicher Rechtsprechung mit Anwendung von Gewalt im Sinne einer physischen Behinderung der Entschließungsfreiheit einhergehen.


Zivilrechtliche Aspekte der Nötigung

Auch im Zivilrecht ist die Nötigung von Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit der Anfechtung von Willenserklärungen (§ 123 BGB). Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch Nötigung bestimmt wurde, kann diese anfechten, sodass der entsprechende Vertrag unter Umständen unwirksam wird.


Internationale Perspektiven

Das Delikt der Nötigung ist nicht nur im deutschen Recht bekannt, sondern in vergleichbarer Form auch in den Strafgesetzgebungen vieler anderer Länder geregelt. Die Ausgestaltungen differieren jedoch im Detail insbesondere hinsichtlich des Gewaltbegriffs und der Strafhöhe.


Fazit

Die Nötigung schützt die freie Willensbildung und -betätigung des Menschen vor unzulässigen Beeinträchtigungen. Als flexibel ausgestalteter Straftatbestand findet sie in vielfältigen Lebensbereichen Anwendung. Eine exakte und einzelfallbezogene Prüfung ist für die rechtliche Bewertung unabdingbar, insbesondere im Hinblick auf das Zusammenspiel von Gewalt, Drohung, Zweck-Mittel-Relation sowie die Verwerflichkeit der Tat.


Siehe auch:

Quellen:

  • Strafgesetzbuch (StGB), § 240
  • Bundesgerichtshof (BGH), Rechtsprechung zur Nötigung
  • Kommentarliteratur zum Strafrecht

Dieser Artikel steht im Kontext eines Rechtslexikons und dient der umfassenden Information über den Begriff und die Rechtslage zur Nötigung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Strafen drohen bei einer Verurteilung wegen Nötigung?

Die Strafandrohung für Nötigung richtet sich nach § 240 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB). Die Grundform der Nötigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. In besonders schweren Fällen, die in § 240 Abs. 4 StGB näher beschrieben werden, kann die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren betragen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Gewalt gegen eine Person verübt oder eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben androht. Es ist zu beachten, dass die konkrete Strafzumessung von vielen Faktoren abhängt, wie z.B. den Umständen der Tat, den Beweggründen des Täters, sowie eventuellen Vorstrafen und dem Nachtatverhalten. Auch der Versuch der Nötigung ist gemäß § 240 Abs. 3 StGB strafbar.

Was sind typische Beispiele für Nötigung im Alltag?

Nötigung tritt häufig in Situationen auf, in denen ein Mensch in seinem freien Willen beeinflusst wird, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Beispiele sind das Erzwingen einer Unterschrift unter einem Vertrag durch Androhung von Gewalt, das Blockieren von Straßen durch Demonstranten, um Autofahrer an der Weiterfahrt zu hindern, oder das Androhen der Veröffentlichung kompromittierender Informationen, um eine Person zu einer Handlung zu zwingen. Auch im familiären oder beruflichen Umfeld kann Nötigung vorkommen, etwa wenn ein Vorgesetzter einem Untergebenen mit Kündigung droht, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Die Grenze zur strafbaren Nötigung wird jedoch erst überschritten, wenn Gewalt oder eine rechtswidrige Drohung eingesetzt wird.

Welche Rolle spielt die Rechtswidrigkeit bei der Nötigung?

Die Rechtswidrigkeit ist ein zentrales Tatbestandsmerkmal der Nötigung. Das bedeutet, dass nicht jede Anwendung von Gewalt oder Drohung automatisch strafbar ist. Die Handlung ist nur dann rechtswidrig, wenn die angewendeten Mittel oder der angestrebte Zweck zu einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen oder der Zweck selbst rechtswidrig ist. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen – sogenannte Verwerflichkeitsprüfung – ist hierbei unerlässlich. Gerichte prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Beeinflussung im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen und ob das Verhalten des Täters unter Berücksichtigung aller Umstände als verwerflich erscheint. Nicht selten führen solche Abwägungen dazu, dass vermeintliche Nötigungsfälle als nicht rechtswidrig anerkannt werden, etwa im Rahmen von Arbeitskämpfen oder unter bestimmten Notwehrsituationen.

Welche Abgrenzungen gibt es zur Erpressung oder Bedrohung?

Obwohl Nötigung, Erpressung (§ 253 StGB) und Bedrohung (§ 241 StGB) teilweise ähnliche Merkmale aufweisen, unterscheiden sie sich im Detail deutlich. Bei der Nötigung steht das Erzwingen eines bestimmten Verhaltens durch Gewalt oder Drohung im Vordergrund, ohne dass eine Vermögensverschiebung zwingend eintreten muss. Bei der Erpressung ist zusätzlich eine Bereicherungsabsicht des Täters und ein Vermögensschaden beim Opfer erforderlich. Die Bedrohung ist schlichter, denn hier genügt bereits das In-Ausicht-Stellen eines schweren Übels, wobei es nicht zwingend zur Handlung, Duldung oder Unterlassung des Opfers kommen muss. Die konkrete Einstufung im Einzelfall ist für die Strafbarkeit und das Strafmaß von entscheidender Bedeutung.

Wer kann Opfer einer Nötigung werden und gibt es Einschränkungen?

Grundsätzlich kann jede natürliche Person Opfer einer Nötigung werden, unabhängig von Alter, Geschlecht oder gesellschaftlichem Status. Auch juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts können betroffen sein, etwa wenn Angestellte im Namen eines Unternehmens oder einer Behörde genötigt werden. Wichtig ist allerdings, dass die Nötigung auf das Verhalten einer Person abzielt; die bloße Beeinflussung von Sachen (z. B. Beschädigung eines Gegenstandes ohne Bezug zu einer Person) genügt nicht. Das Opfer muss eine Handlung, Duldung oder Unterlassung gegen oder ohne seinen Willen vornehmen.

Kann Nötigung auch im Internet oder per Telefon begangen werden?

Ja, Nötigung kann auch über moderne Kommunikationsmittel wie Internet oder Telefon verübt werden. Entscheidend ist, dass das Opfer durch tätliche Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird. Typische Beispiele sind Bedrohungen per E-Mail, soziale Netzwerke oder Messenger-Dienste, um jemanden zu einer Handlung zu bewegen. Auch die sogenannte Cyber-Nötigung, bei der kompromittierende Fotos oder Informationen als Druckmittel genutzt werden, ist in den letzten Jahren vermehrt Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Die Strafbarkeit hängt dabei maßgeblich von der Art der angewendeten Gewalt oder Bedrohung sowie deren Eignung ab, den Willen des Opfers zu beeinflussen.

Wie kann sich ein Beschuldigter gegen den Vorwurf der Nötigung verteidigen?

Ein Beschuldigter hat verschiedene Verteidigungsmöglichkeiten gegen einen Vorwurf der Nötigung. Häufig bestreiten Angeklagte, eine Drohung ausgesprochen oder Gewalt angewendet zu haben. In anderen Fällen wird argumentiert, dass das angewendete Mittel angesichts des verfolgten Zwecks nicht rechtswidrig sei – insbesondere bei bereits bestehenden Streitigkeiten oder zivilrechtlichen Auseinandersetzungen. Es kann gegebenenfalls geltend gemacht werden, dass die Aussage des Opfers nicht glaubhaft ist oder dass keinerlei Zwang vorlag. Ferner kann sich der Beschuldigte auf einen Rechtfertigungsgrund wie Notwehr (§ 32 StGB) oder rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) berufen. Die Verteidigung wird stets im Einzelfall geprüft und ist abhängig vom gesamten Tathergang und den vorhandenen Beweismitteln.