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Niederschlagung von Strafverfahren


Begriffsdefinition und Allgemeines zur Niederschlagung von Strafverfahren

Die Niederschlagung von Strafverfahren ist ein Begriff aus dem deutschen Strafprozessrecht und bezeichnet die behördliche Entscheidung, ein bereits eingeleitetes Strafverfahren zunächst nicht weiter zu betreiben beziehungsweise den Verfolgungsvorgang ruhen zu lassen. Anders als die Einstellung eines Strafverfahrens endet das Verfahren hierbei nicht formell, sondern verbleibt bis auf weiteres in einer Art Schwebezustand. Die Niederschlagung gilt als verwaltungsinterne Maßnahme und ist in verschiedenen Verfahrensstadien möglich.

Im Regelfall erfolgt die Niederschlagung, wenn eine weitere Verfolgung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen vorerst aussichtslos erscheint, das Verfahren aber nicht endgültig beendet werden soll. Sie stellt insbesondere in Abgrenzung zur Verfahrenseinstellung und zum Strafklageverbrauch eine eigenständige strafprozessuale Kategorie dar.


Rechtsgrundlagen

Gesetzliche Verankerung

Anders als andere Maßnahmen im Strafprozessrecht ist die Niederschlagung von Strafverfahren nicht ausdrücklich im Gesetz (z. B. der Strafprozessordnung, kurz StPO) geregelt. Ihre Existenz ergibt sich vielmehr aus Verwaltungspraxis und behördlichen Dienstanweisungen, etwa aus der Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV), die Vorgaben für die Handhabung durch Strafverfolgungsbehörden enthält.

Abgrenzung zur Einstellung und zum Strafklageverbrauch

Die Entscheidung, ein Strafverfahren niederzuschlagen, unterscheidet sich von folgenden Konzepten:

Einstellung des Verfahrens nach §§ 170, 153 ff. StPO: Führt zu einem förmlichen, den Rechtsfrieden wiederherstellenden Abschluss des Verfahrens.
Strafklageverbrauch: Die Strafverfolgung ist endgültig ausgeschlossen (ne bis in idem).
Niederschlagung: Lediglich faktisch keine weitere Bearbeitung. Das Verfahren verbleibt abbruchbereit und kann nach Wegfall der Hemmnisse jederzeit wieder aufgenommen werden.


Voraussetzungen und Gründe für die Niederschlagung

Praktische Anwendungsfälle

Die Niederschlagung erfolgt insbesondere dann, wenn:

Ein Täter unbekannt ist und die Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden, aber weitere Anhaltspunkte durch neue Erkenntnisse erwartet werden könnten.
Von einer Auslieferung im Ausland abgesehen wird, solange der Beschuldigte nicht greifbar ist.
Der Aufenthaltsort des Beschuldigten langfristig unbekannt ist und keine sinnvollen Ermittlungsansätze verbleiben.
Die Strafverfolgung aus politischen oder diplomatischen Gründen vorrangig zurückgestellt wird (z. B. bei zwischenstaatlichen Komplikationen).

Wiederaufnahme nach Niederschlagung

Die Niederschlagung bedeutet keine endgültige Aufhebung des Strafanspruchs. Bei neuen, belastbaren Erkenntnissen, einer Änderung der Sach- oder Rechtslage oder dem Wegfall des Behinderungsgrundes kann das Verfahren jederzeit fortgeführt werden, ohne dass hierfür die Hürden einer Wiederaufnahme gelten.


Wirkungen der Niederschlagung

Rechtswirkungen

Die Niederschlagung von Strafverfahren zieht keine formellen Rechtswirkungen im Sinne eines abschließenden Verfahrensendes nach sich:

Für den Beschuldigten: Es bestehen weiterhin alle in der Strafprozessordnung vorgesehenen Möglichkeiten einer Wiederaufnahme der Ermittlungen.
Für das Verfahren: Das Verfahren bleibt behördenintern „offen”, wird aber nicht aktiv betrieben.

Verjährung

Die Niederschlagung hemmt grundsätzlich nicht die Verjährung, sofern keine weiteren Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung oder Strafverfolgung geführt werden. Die Verjährungsfristen laufen somit während der Niederschlagung weiter. Ein etwaiger Wiederbeginn der Verfolgung setzt voraus, dass die Tat noch nicht verjährt ist.


Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Innerdienstliche Verfügung

Die Niederschlagung erfolgt durch eine sogenannte innerdienstliche Verfügung. Diese wird in der Akte dokumentiert und bedarf keiner Bekanntmachung an den Beschuldigten oder beteiligte Personen.

Kein Rechtsanspruch auf Niederschlagung

Betroffene haben keinen Anspruch auf die Niederschlagung eines gegen sie geführten Strafverfahrens. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Staatsanwaltschaft oder der ermittelnden Behörde. Die Maßnahme dient ausschließlich verwaltungspraktischer Handhabbarkeit.

Mitteilungs- und Akteneinsichtsrechte

Da keine förmliche Beendigung des Verfahrens gegeben ist, begründet die Niederschlagung keine spezifischen Mitteilungsrechte an Verteidiger oder Beschuldigte. Akteneinsicht bleibt unter den allgemeinen Bestimmungen der Strafprozessordnung möglich, soweit ein berechtigtes Interesse festgestellt wird.


Abgrenzung zu anderen behördlichen Maßnahmen

Ruhen des Verfahrens

Das Ruhen eines Verfahrens kann verschiedentlich mit der Niederschlagung verwechselt werden. Während das Ruhen zumeist eine vorübergehende Aussetzung (etwa bei Zivilverfahren oder bei tiefgreifenden gesundheitlichen Problemen des Beschuldigten) bezeichnet, bildet die Niederschlagung einen Zustand dauerhafter Untätigkeit ohne formalen Beschluss.

Praktische Bedeutung und Statistik

Die tatsächliche Zahl der niedergeschlagenen Strafverfahren ist nicht bundeseinheitlich erfasst, da es sich um eine verwaltende Maßnahme handelt. In der Praxis wird sie vor allem bei unbekannten Tätern, fehlender Auslieferungsmöglichkeiten sowie bei vorläufig nicht lösbaren rechtlichen Hemmnissen eingesetzt.


Literatur und weiterführende Hinweise

Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV)
Löwe-Rosenberg, StPO-Großkommentar
Karlsruher Kommentar zur StPO


Zusammenfassung:
Die Niederschlagung von Strafverfahren bezeichnet eine behördlich-administrative Entscheidung, ein Ermittlungs- oder Strafverfahren vorläufig nicht weiterzuführen, ohne es rechtskräftig einzustellen oder abzuschließen. Sie ist überall dort von Bedeutung, wo das Verfahren nach aktueller Lage nicht aussichtsreich betrieben werden kann, aber eine formelle Einstellung nicht sinnvoll oder möglich erscheint. Die Niederschlagung begründet keine rechtlichen Bindungen und kann jederzeit aufgehoben werden. Verjährungsfristen bleiben hiervon unberührt, so dass ein späterer Neubeginn des Verfahrens zeitlich begrenzt bleibt.

Häufig gestellte Fragen

Unter welchen Voraussetzungen kommt eine Niederschlagung von Strafverfahren in Betracht?

Die Niederschlagung von Strafverfahren kann grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen und in nach dem Gesetz abschließend geregelten Fällen erfolgen. Sie erfolgt in der Regel durch die Staatsanwaltschaft, seltener durch das Gericht. Die wichtigsten Voraussetzungen sind regelmäßig das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung, die Geeignetheit der Maßnahme zur Erreichung des Verfahrenszwecks und das Fehlen von besonderem Verfolgungsinteresse, etwa bei Geringfügigkeit der Schuld oder mangelnder Aussicht auf Erfolg der weiteren Verfolgung. Darüber hinaus kann eine Niederschlagung auch angezeigt sein, wenn die Rechtsverfolgung aus tatsächlichen Gründen (z.B. Tod des Beschuldigten oder unbekannter Aufenthalt) nicht weitergeführt werden kann. Im Gegensatz zur Einstellung eines Verfahrens erfolgt die Niederschlagung insbesondere dann, wenn ein förmlicher Abschluss des Verfahrens (z.B. durch Urteil) aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich oder sinnvoll erscheint.

Wer ist für die Niederschlagung eines Strafverfahrens zuständig?

Die Zuständigkeit für die Niederschlagung eines Strafverfahrens liegt meist bei der Staatsanwaltschaft. Nach den staatsanwaltlichen Richtlinien kann die Staatsanwaltschaft unter den gesetzlichen Voraussetzungen das Verfahren niederlegen, sofern das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung fehlt oder andere Gründe für eine Niederschlagung vorliegen. In einigen besonderen Fällen, etwa bei laufenden Gerichtsverfahren oder bereits erhobener Anklage, obliegt die Entscheidung dem zuständigen Gericht. In Verfahren, die den Strafbefehlsweg betreffen, kann ebenfalls die Staatsanwaltschaft eine Niederschlagung beim zuständigen Amtsgericht anregen. Die Entscheidung über eine Niederschlagung wird stets schriftlich dokumentiert und die Beteiligten entsprechend informiert.

Gibt es eine Möglichkeit der Rechtsbehelfe gegen die Niederschlagung eines Strafverfahrens?

Gegen die Niederschlagung eines Strafverfahrens bestehen grundsätzlich nur sehr eingeschränkte Rechtsbehelfe. Da die Niederschlagung selbst keinen förmlichen strafprozessualen Abschluss darstellt, sondern vielmehr einen rein verwaltungsinternen Akt zur Beendigung der Verfahrensbearbeitung, sieht das Gesetz keine unmittelbare Anfechtungsmöglichkeit durch Betroffene oder Drittbeteiligte vor. In Ausnahmefällen kann jedoch eine gerichtliche Überprüfung im Rahmen der Dienstaufsicht oder mittels einer (selten erfolgreichen) Beschwerde bei der vorgesetzten Behörde erfolgen. Sofern der Verletzte jedoch ein besonderes Interesse an der Strafverfolgung hat, kann er unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren mittels Klageerzwingungsverfahren beziehungsweise im Wege der Privatklage weiterbetreiben.

Welche Auswirkungen hat die Niederschlagung eines Strafverfahrens auf die Betroffenen?

Die Niederschlagung eines Strafverfahrens führt dazu, dass das Verfahren nicht weiter betrieben und keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden. Für den Beschuldigten bedeutet dies häufig eine faktische Erledigung der Strafverfolgung ohne formellen Freispruch oder rechtskräftigen Abschluss. Allerdings bleibt das Verfahren auf verwaltungsinternen Listen weiterhin als niedergeschlagen verzeichnet, was ggf. bei neuen Erkenntnissen oder relevanten Folgevorwürfen eine Wiederaufnahme ermöglichen kann. Für Nebenkläger oder Geschädigte bedeutet die Niederschlagung im Regelfall das Ende einer strafrechtlichen Verfolgung und gegebenenfalls die Notwendigkeit, zivilrechtliche Ansprüche gesondert geltend zu machen.

Kann ein niedergeschlagenes Verfahren wieder aufgenommen werden?

Ja, eine Wiederaufnahme eines niedergeschlagenen Strafverfahrens ist grundsätzlich möglich, wenn neue Tatsachen oder Beweise bekannt werden, die eine weitere Verfolgung rechtfertigen oder erforderlich erscheinen lassen. Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren unter Beachtung der gesetzlichen Verjährungsvorschriften und unter Berücksichtigung des Grundsatzes ne bis in idem (keine Doppelbestrafung) erneut aufnehmen. Der Grundsatz der materiellen Rechtskraft, wie er nach einer Einstellung oder einem Urteil gilt, ist bei der Niederschlagung nicht anwendbar, da sie keinen rechtskräftigen Abschluss bedeutet. Eine erneute Aufnahme nach Niederschlagung ist damit jederzeit möglich, sofern keine prozessualen Sperrwirkungen oder Verjährung eingetreten sind.

Welche Unterschiede bestehen zwischen der Einstellung und der Niederschlagung eines Strafverfahrens?

Auch wenn beide Begriffe eine Beendigung des Strafverfahrens außerhalb einer förmlichen Verurteilung bedeuten, bestehen gravierende Unterschiede. Die Einstellung eines Verfahrens erfolgt auf der Grundlage strafprozessualer Vorschriften, insbesondere der §§ 153 ff. StPO und führt zu einem formellen Verfahrensabschluss, gegebenenfalls mit Nebenfolgen (z.B. Auflagen oder Weisungen). Sie wird den Beteiligten förmlich bekanntgegeben und entfaltet je nach Rechtsgrund vollständige oder beschränkte Sperrwirkung für eine erneute Verfolgung. Die Niederschlagung hingegen ist ein verwaltungsinterner Vorgang der Staatsanwaltschaft (oder des Gerichts), der insbesondere bei nicht weiter aufklärbaren oder geringfügigen Fällen Anwendung findet. Sie beendet das Verfahren faktisch, ohne formellen Abschluss oder ausdrückliche Rechtsmittelbelehrung, erlaubt aber eine jederzeitige Wiederaufnahme bei tatsächlichem Anlass.