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Nicht-offenes Verfahren


Begriff und grundsätzliche Bedeutung des Nicht-offenen Verfahrens

Das Nicht-offene Verfahren ist eine im Vergaberecht der Europäischen Union sowie der Bundesrepublik Deutschland geregelte Form des Vergabeverfahrens für öffentliche Aufträge. Es dient der Auswahl von Unternehmen zur Vergabe öffentlicher Liefer-, Dienstleistungs- oder Bauaufträge und gehört zu den sogenannten förmlichen Vergabeverfahren. Das Nicht-offene Verfahren ist insbesondere durch eine vorangestellte Auswahlphase und eine anschließende Angebotsphase gekennzeichnet und folgt spezifischen rechtlichen Vorgaben, die eine transparente und diskriminierungsfreie Vergabe sicherstellen sollen.

Rechtliche Grundlagen

Europarechtliche Regelungen

Das Nicht-offene Verfahren ist in den europäischen Vergaberichtlinien normiert, namentlich in der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe und der Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe durch Auftraggeber im Bereich Wasser, Energie, Verkehrs- und Postdienste. Die Vorgaben dieser Richtlinien wurden in nationales Recht, insbesondere in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabeverordnung (VgV), umgesetzt.

Nationales Recht in Deutschland

In Deutschland ist das Nicht-offene Verfahren für öffentliche Auftraggeber insbesondere in § 119 Abs. 5 GWB, § 15 VgV (für Liefer- und Dienstleistungen ab den Schwellenwerten) sowie § 3a Abs. 2 VOB/A (für Bauaufträge) geregelt. Die Vorschriften finden Anwendung auf Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte, wobei ähnliche Verfahren auch im Unterschwellenbereich existieren.

Ablauf des Nicht-offenen Verfahrens

Zwei-Stufen-Modell: Teilnahmewettbewerb und Angebotsabgabe

Das Nicht-offene Verfahren unterscheidet sich vom Offenen Verfahren durch die Einteilung in zwei Verfahrensabschnitte:

  1. Teilnahmewettbewerb:

Zunächst werden Unternehmen öffentlich zur Abgabe eines Teilnahmeantrags aufgefordert. In dieser Stufe prüft der Auftraggeber die Eignung der Bewerber auf Basis festgelegter Eignungskriterien. Am Ende dieser Phase wählt der Auftraggeber eine bestimmte Anzahl geeigneter Bewerber aus. Die Mindestanzahl ist in den Rechtsgrundlagen festgelegt (mindestens fünf bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, mindestens acht bei Bauaufträgen).

  1. Angebotsphase:

Nur die im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Bewerber werden zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Die Angebotsunterlagen werden geprüft und bewertet, anschließend erfolgt die Zuschlagserteilung.

Transparenz und Gleichbehandlung

Im gesamten Verfahrensablauf ist der Auftraggeber verpflichtet, die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung sowie die Wettbewerbsoffenheit zu wahren. Die Auswahl der Bewerber im Teilnahmewettbewerb muss anhand objektiver, nichtdiskriminierender und im Vorhinein bekannt gemachter Kriterien erfolgen.

Zulässigkeit und Anwendungsbereich

Das Nicht-offene Verfahren steht grundsätzlich als Regelverfahren neben dem Offenen Verfahren für alle Auftragsarten ab den jeweiligen Schwellenwerten offen. Auftraggeber können zwischen beiden Verfahren wählen, sofern keine Ausnahmevorschriften greifen. Im Bereich der Bauaufträge ist das Nicht-offene Verfahren regelmäßig das anzuwendende Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte.

Eine Einschränkung besteht darin, dass im Nicht-offenen Verfahren in der Angebotsphase keine Verhandlungen mit den Bietern zulässig sind. Dies unterscheidet das Verfahren maßgeblich vom Verhandlungsverfahren, das unter bestimmten Voraussetzungen zur Anwendung kommt.

Rechtliche Besonderheiten und Abgrenzungen

Abgrenzung zum Offenen Verfahren

Im Offenen Verfahren können alle interessierten Unternehmen gleichzeitig Angebote abgeben; es gibt keine Teilnahmestufe. Im Gegensatz dazu beschränkt das Nicht-offene Verfahren die Teilnahme an der Angebotsabgabe auf vorausgewählte Unternehmen.

Abgrenzung zum Verhandlungsverfahren

Im Verhandlungsverfahren sind – anders als im Nicht-offenen Verfahren – Verhandlungen über Angebote grundsätzlich erlaubt. Das Nicht-offene Verfahren sieht keine Verhandlungsmöglichkeiten vor; Angebote müssen so abgegeben werden, dass sie sofort wertbar sind.

Anzahl der Bewerber

Für die Auswahl der Bewerber im Teilnahmewettbewerb existieren Mindestzahlen, die nicht unterschritten werden dürfen, sofern entsprechend viele geeignete Bewerber zur Verfügung stehen. Wird diese Mindestzahl nicht erreicht, darf der Auftraggeber das Verfahren auch mit weniger Teilnehmern fortsetzen oder ein anderes Verfahren wählen.

Rechtsschutz und Kontrolle

Bei der Durchführung des Nicht-offenen Verfahrens besteht ein effektives Rechtsschutzsystem. Unternehmen, die sich durch Verstöße gegen Vergaberecht benachteiligt sehen, können Nachprüfungsanträge bei den Vergabekammern stellen. Die Anforderungen an Transparenz und Dokumentation sind erhöht, um eine gerichtliche oder vergaberechtliche Kontrolle zu ermöglichen.

Praxisrelevanz und Bewertung

Das Nicht-offene Verfahren ist vor allem in Fällen angezeigt, in denen die Anzahl der geeigneten Bewerber erfahrungsgemäß hoch ist und eine Vorauswahl zur Effizienzsteigerung sowie zur Qualitätssicherung des Vergabeverfahrens dient. Es bietet Auftraggebern die Möglichkeit, den Aufwand der Angebotsauswertung zu begrenzen und die fachliche Eignung potenzieller Auftragnehmer zu prüfen.

Durch die zweistufige Struktur wird ein angemessenes Maß an Wettbewerb gewährleistet, während gleichwohl die administrative Belastung reduziert wird. Die Auswahl der geeigneten Bewerber schafft zudem eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit für passende, wertbare Angebote.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere § 119
  • Vergabeverordnung (VgV), insbesondere § 15
  • Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), insbesondere § 3a
  • Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe
  • Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe durch Auftraggeber im Bereich Wasser, Energie, Verkehrs- und Postdienste
  • Praxisleitfäden und Kommentare zum Vergaberecht

Hinweis: Dieser Beitrag dient ausschließlich der Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Die aktuellen Fassungen der genannten Rechtsgrundlagen sind zu beachten.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Durchführung eines Nicht-offenen Verfahrens erfüllt sein?

Das Nicht-offene Verfahren ist eines der zentralen Vergabeverfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung (VgV). Eine ausschreibende Stelle ist grundsätzlich berechtigt, das Nicht-offene Verfahren zu wählen, wenn kein Verhandlungsverfahren vorgeschrieben ist und die nationalen sowie europäischen Wertgrenzen überschritten sind. Zwingend einzuhalten ist, dass bei EU-weiten Vergaben die Regeln der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gelten. Das Verfahren darf zudem nicht willkürlich gewählt werden; es ist zu begründen, warum kein offenes Verfahren möglich oder zweckmäßig ist. Im Anwendungsbereich des GWB sollte die Entscheidung dokumentiert werden. Gründe für die Wahl können zum Beispiel ein begrenzter Teilnehmerkreis aufgrund technischer, innovativer, rechtlicher oder finanzieller Aspekte, oder eine damit erzielbare höhere Qualität der Angebote sein. Zudem muss nach § 119 Abs. 4 GWB erst ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden, um geeignete Unternehmen für die Angebotsabgabe zu ermitteln.

Wie läuft das Nicht-offene Verfahren im Detail ab?

Das Nicht-offene Verfahren gliedert sich in zwei Hauptphasen: Zunächst erfolgt der Teilnahmewettbewerb, bei dem alle interessierten Unternehmen ihre Eignung belegen und einen Teilnahmeantrag stellen können. Die öffentlichen Auftraggeber stellen die notwendigen Mindestanforderungen auf und veröffentlichen die Ausschreibung. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist prüft die Vergabestelle die Eignung der Bewerber anhand transparenter Kriterien wie Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Die besten, geeigneten Bewerber werden ausgewählt (oftmals zwischen fünf und maximal zwanzig, je nach EU-Recht), und nur diese werden zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert. In der zweiten Phase reichen die ausgewählten Bieter ihre Angebote ein. Eine Verhandlung der Angebote ist hier – anders als im Verhandlungsverfahren – grundsätzlich nicht gestattet, außer es bestehen unklare Sachverhalte oder Nachforderungen, die gemäß § 56 VgV rechtlich zulässig sind.

Welche Pflichten haben Auftraggeber hinsichtlich der Dokumentation?

Die Dokumentationspflicht ist im Nicht-offenen Verfahren besonders ausgeprägt. Die Vergabestelle muss alle wesentlichen Schritte und Erwägungen festhalten (§ 8 VgV, § 20 VOB/A). Dazu zählen insbesondere die Festlegung und Begründung der Auswahlkriterien im Teilnahmewettbewerb, die Benennung und Auswahl der geeigneten Unternehmen sowie Abwägungen, warum bestimmte Bewerber ausgeschlossen wurden. Auch die Entscheidung für das Verfahren und deren dokumentierte Rechtfertigung ist rechtlich unabdingbar. Der gesamte Vergabevorgang muss nachprüfbar und revisionssicher nachvollzogen werden können, um bei einer möglichen Überprüfung durch Vergabekammern oder Gerichte Bestand zu haben. Verstöße gegen die Dokumentationspflicht können zu Vergabeverstößen führen und bieten potenziellen Rechtschutzinteressenten eine Angriffsfläche.

Welche Rechte haben Bewerber und Bieter während des Nicht-offenen Verfahrens?

Unternehmen steht das Recht zu, im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs einen Antrag zur Teilnahme zu stellen und damit ihre Eignung nachzuweisen. Wird ein Unternehmen nicht zur Angebotsabgabe zugelassen, hat es Anspruch auf eine entsprechende Mitteilung inkl. Begründung (§ 62 Abs. 2 VgV). Bieter können auf Gleichbehandlung, Transparenz sowie Einhaltung der festgelegten Kriterien pochen und haben die Möglichkeit, bei vermuteten Rechtsverstößen ein Nachprüfungsverfahren nach § 160 GWB anzustrengen. Während des Verfahrens besteht das Recht auf Akteneinsicht im Umfang des rechtlich Zulässigen, insbesondere nach Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Auch können Informationen über den Ausgang des Verfahrens verlangt werden.

Wann ist ein Ausschluss eines Bewerbers im Nicht-offenen Verfahren rechtlich zulässig?

Ein Ausschluss von Bewerbern kann erfolgen, wenn diese die Eignungskriterien nicht erfüllen, fehlerhafte oder unvollständige Angaben, insbesondere zu Ausschlussgründen gemäß § 123 und § 124 GWB, gemacht haben, oder die Mindestanforderungen nicht einhalten. Auch können Unternehmen ausgeschlossen werden, wenn sie aufgrund von wirtschaftlichen, rechtlichen oder technischen Unzulänglichkeiten als ungeeignet gelten. Zu beachten ist zudem die Verhältnismäßigkeit: Nur schwere und relevante Verstöße bzw. Defizite dürfen zum Ausschluss führen; die Gründe müssen nachvollziehbar dokumentiert werden. Die Bewerber müssen außerdem gemäß § 62 VgV unverzüglich über den Ausschluss informiert werden, inklusive Angabe der wesentlichen Gründe.

Inwiefern ist die Bekanntmachung im Nicht-offenen Verfahren zu gestalten?

Die Bekanntmachungspflicht ist im Nicht-offenen Verfahren strikt geregelt. Sowohl nach § 37 VgV als auch unionsrechtlich ist eine EU-weite Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union (TED) verpflichtend, sofern die Schwellenwerte überschritten sind. Die Bekanntmachung muss alle notwendigen Angaben enthalten, darunter eine genaue Beschreibung des Auftrags, Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen sowie Fristen für Bewerbung und Angebotsabgabe. Die Veröffentlichung in nationalen Vergabeplattformen kann zusätzlich vorgeschrieben sein. Die Bekanntmachung stellt sicher, dass alle interessierten Unternehmen die gleichen Informationen bekommen und sich um die Teilnahme bewerben können. Verstöße gegen diese Anforderungen können zur Unwirksamkeit des Vergabeverfahrens führen.

Welche Fristen gelten im Nicht-offenen Verfahren?

Die Fristen im Nicht-offenen Verfahren sind detailliert geregelt: Für den Teilnahmewettbewerb ist gemäß § 15 Abs. 3 VgV eine Mindestfrist von 30 Kalendertagen ab Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung zur Stellung des Teilnahmeantrags vorgesehen. Anschließend folgt eine Angebotsfrist von mindestens 30 Tagen nach Aufforderung zur Angebotsabgabe, wobei unter bestimmten Umständen auch eine Verkürzung nach § 15 VgV, z. B. bei Dringlichkeit oder elektronischer Angebotsabgabe, möglich ist. Die Einhaltung dieser Fristen ist rechtlich verpflichtend und ein Verstoß kann zur Anfechtbarkeit des Verfahrens führen. Alle Fristen müssen in der Bekanntmachung klar angegeben werden.