Begriffserklärung und Ursprung: nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest
Der lateinische Rechtsgrundsatz nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest bedeutet übersetzt: „Niemand kann teilweise als Testierender und teilweise als Intestat (gesetzlich Erbender) versterben.“ Dieser Grundsatz hat eine zentrale Bedeutung im Erbrecht, insbesondere im Kontext der Gestaltung von letztwilligen Verfügungen und dem Zusammentreffen von Testament und gesetzlicher Erbfolge.
Die Formulierung stammt aus dem römischen Recht und diente dort der Klarstellung, dass Testamente unbedingt und für das gesamte Vermögen Geltung beanspruchen sollten. Dieser Gedanke wurde in viele kontinentaleuropäische Rechtssysteme, darunter das deutsche und österreichische Erbrecht, übernommen und hat dort weiterhin Bedeutung.
Systematik des Grundsatzes im modernen Erbrecht
Funktion und Zweck
Der Grundsatz verfolgt das Ziel, Rechtsklarheit über die Erbfolge zu schaffen. Er soll verhindern, dass ein Erblasser unwissentlich oder absichtlich hinsichtlich eines Teils seines Vermögens eine testamentarische und hinsichtlich eines anderen Teils die gesetzliche Erbfolge anordnet. In der Praxis verhindert dies potentielle Auseinandersetzungen und Unsicherheiten darüber, welche Regelung in welchem Umfang anzuwenden ist.
Abgrenzung zur Teiltestierung
Die oft anzutreffende Begriffsverwechslung betrifft die Abgrenzung zur sogenannten Teiltestierung. Während Teiltestierung bedeutet, dass lediglich über einen Teil des Nachlasses verfügt wird (sogenanntes „partielles Testament“), besagt der Grundsatz nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest explizit, dass der Erblasser nicht für einen Teil des Nachlasses testiert und für einen anderen Teil nicht verfügen und damit die gesetzliche Erbfolge zulassen kann, sofern die Verfügung nicht widersprüchlich ist oder Lücken im Testament entstehen.
Bedeutung im deutschen Erbrecht
Gesetzliche Grundlage
Im deutschen Erbrecht ist der Grundsatz nicht gesetzlich kodifiziert, jedoch von der Rechtsprechung anerkannt und Bestandteil der Auslegung bestehender Vorschriften, v.a. im Zusammenhang mit den §§ 1922 ff., 1937 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Die Rechtsprechung folgt dem Prinzip, dass ein Testament für den Nachlass eine Gesamtwirkung entfaltet. Das heißt: Soweit der Erblasser testiert, tritt die gesetzliche Erbfolge zurück. Soweit Lücken bestehen, gilt die gesetzliche Erbfolge.
Ausnahmen und Durchbrechungen
In bestimmten Konstellationen wird der Grundsatz eingeschränkt:
- Bei der Teiltestierung: Verfügt der Erblasser durch Testament nur über einen Teil seines Vermögens, gilt für den restlichen Nachlass die gesetzliche Erbfolge (§ 2088 BGB). Das bedeutet, die gesetzliche Erbfolge greift subsidiär hinsichtlich der nicht testamentarisch erfassten Nachlassteile.
- Bei unwirksamen oder nichtigen Testamentsteilen: Fallen testamentarische Verfügungen weg, leben gesetzliche Ansprüche wieder auf.
Rechtsfolgen bei gemischten Nachlassregelungen
Letztwillige Verfügungen, die scheinbar widersprüchlich sind oder nicht den ganzen Nachlass erfassen, werden im Sinne einer möglichst weitgehenden Testamentsauslegung interpretiert. Soweit Klarheit besteht, kommt der Grundsatz zur Anwendung. Dabei wird angestrebt, die Verfügung des Testierenden vollständig umzusetzen, ohne dass eine parallele Anwendung gesetzlicher und testamentarischer Erbfolge auf denselben Nachlassteil möglich wäre.
Praktische Auswirkungen und Streitfragen
Typische Konfliktfelder
Konflikte entstehen häufig, wenn Testamente missverständlich formuliert sind, etwa durch die Benennung von Erben nur für klar abgegrenzte Vermögensbestandteile. Hier können Unklarheiten zur Aufteilung des verbleibenden Nachlasses Anlass zu Streitigkeiten geben. In solchen Fällen kommt dem Prinzip der Testamentsauslegung (§ 2084 BGB) besondere Bedeutung zu.
Verhältnis zu Sondererbfolgen und Vermächtnissen
Sondererbfolgen wie Vermächtnisse, Auflagen oder die Anordnung von Nacherbfolge können Einfluss darauf nehmen, ob das Prinzip nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest zur Anwendung gelangt. Vermächtnisse stellen keine testamentarische Verteilung des Vermögens sondern Ansprüche auf Zuwendungen dar – sie lassen die Erbfolge unberührt, weswegen diesbezüglich keine „Teiltestiersituation“ im Sinne des Grundsatzes vorliegt.
Anwendung in anderen Rechtsordnungen
Österreich
Auch im österreichischen Erbrecht findet sich der Grundsatz. Er ist eng mit dem Prinzip der Universalsukzession (§ 797 ABGB) verknüpft, wobei auch nach österreichischem Recht die Möglichkeit verbleibt, über Teiltestamente subsidiär die gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen, sofern das Testament nicht abschließend ist.
Schweiz
Im schweizerischen Erbrecht wird das Prinzip anerkannt, spielt jedoch aufgrund der spezifischen Ausgestaltung des Schweizer Zivilgesetzbuchs (ZGB) eine geringere Rolle, da dort die Regelungen zur Teiltestierung und zur gesetzlichen Erbfolge klar ausdifferenziert sind.
Historische Entwicklung
Römisches Recht
Im römischen Recht hatte dieser Grundsatz fundamentale Bedeutung, da der Wille des Erblassers als unteilbar erachtet wurde. Das römische Recht verlangte, dass ein Testament das gesamte Erbe erfasst oder andernfalls als unwirksam galt (Universalsukzession). Dieses Prinzip wurde abgeschwächt mit der Einführung von Teiltestierungsmöglichkeiten im neuzeitlichen Recht.
Rezeption im deutschen Recht
Durch die Rezeption des römischen Rechts in das deutsche und kontinentaleuropäische Privatrecht wurde das Prinzip übernommen, wenngleich es in der Praxis durch moderne gesetzliche Regelungen bezüglich lückenhafter Testamente abgemildert wurde.
Zusammenfassung
Der Grundsatz nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest sichert die Eindeutigkeit der Nachfolgeregelung im Erbfall. Er besagt, dass für den Nachlass entweder die testamentarische oder – subsidiär für nicht geregelte Teile – die gesetzliche Erbfolge eintritt. Im deutschen und österreichischen Erbrecht ist der Grundsatz anerkannt, erfährt jedoch durch die Möglichkeit der Teiltestierung und durch Auslegungsregelungen eine pragmatische Relativierung. Damit verbleibt seine Bedeutung vor allem darin, die klare Trennung der Erbfolgeregelungen zu gewährleisten und Unsicherheiten hinsichtlich konkurrierender Erbfolgen zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Kann der Erblasser über einen Teil seines Vermögens ein Testament errichten und über den anderen Teil keine Verfügung treffen?
Im deutschen Erbrecht besteht grundsätzlich Testierfreiheit, das heißt, der Erblasser kann nach eigenem Ermessen über seinen Nachlass verfügen. Der Grundsatz „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ besagt, dass eine Person sowohl hinsichtlich eines Teils des Nachlasses testiert (also durch Testament oder Erbvertrag Verfügungen trifft) als auch hinsichtlich des übrigen Teils untestiert – mithin nach gesetzlicher Erbfolge – versterben kann. Dies ist etwa der Fall, wenn der Erblasser nur über einzelne Vermögensgegenstände oder Quoten testiert und im Übrigen keine testamentarischen Verfügungen getroffen hat. Der verbleibende Teil des Nachlasses fällt dann der gesetzlichen Erbfolge zu. Dabei ist zu beachten, dass ein sogenannter „Teiltestament“ möglich ist und rechtliche Wirksamkeit entfaltet, solange der Umfang der getroffenen Verfügungen hinreichend bestimmbar ist. Die gesetzliche Erbfolge kommt insoweit zur Anwendung, als die erbrechtlichen Verfügungen des Erblassers keine Regelung getroffen haben.
Welche praktische Bedeutung hat der Grundsatz im deutschen Erbrecht?
Die Möglichkeit, teilweise testiert und teilweise intestat zu versterben, führt in der Praxis dazu, dass Nachlässe häufig gemischt – also teils aufgrund testamentarischer Verfügung, teils nach gesetzlichen Bestimmungen – verteilt werden. Diese Konstellation ist insbesondere dann bedeutsam, wenn der Erblasser nur einzelne Vermögenswerte zuwendet (z. B. ein bestimmtes Grundstück oder einen Geldbetrag) und keine umfassende Regelung für das gesamte Vermögen trifft. Dies erfordert eine genaue Nachlassauseinandersetzung, bei der die vom Erblasser bedachten Personen (Vermächtnisnehmer oder Erben) zunächst ihre Rechte aus dem Testament erhalten, während der Restnachlass an die gesetzlichen Erben fällt. Kommt es zu Überschneidungen, greifen die Vorschriften zur Auslegung des Testaments (§§ 2087, 2088 BGB) und zur Erbquotenbestimmung.
Wie verhält sich die Teiltestierung zu Pflichtteilsansprüchen?
Die Teiltestierung berührt grundsätzlich nicht die Pflichtteilsansprüche enterbter oder benachteiligter gesetzlicher Erben. Unabhängig davon, ob der Erblasser über das gesamte Vermögen oder nur Teile davon verfügt hat, bleibt der Anspruch der pflichtteilsberechtigten Personen bestehen. Der Pflichtteilsanspruch berechnet sich aus dem gesamten Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls, einschließlich derjenigen Teile, die testamentarisch zugewandt oder von der gesetzlichen Erbfolge erfasst sind. Auch bei einer Teiltestierung ist daher sicherzustellen, dass die Pflichtteilsrechte nicht umgangen werden können.
Welche Abgrenzungsprobleme können bei teilweiser Testierung auftreten?
Probleme entstehen insbesondere dann, wenn nicht eindeutig zu erkennen ist, welche Teile des Vermögens vom Testament und welche von der gesetzlichen Erbfolge erfasst werden sollen. Zweifel an der Auslegungsbedürftigkeit des Testaments können auftreten, wenn etwa ein Erblasser eine Person als Erben einsetzt, ohne den Umfang der Erbeneinsetzung genau zu bestimmen, oder nur einzelne Vermögenspositionen (Vermächtnisse) zuweist. Die Praxis muss in diesen Fällen klären, ob eine (quotal beschränkte) Erbeinsetzung oder lediglich ein Vermächtnis vorliegt, und wie sich dies auf den übrigen Nachlass auswirkt (§§ 2087 f. BGB). Hier kommt es auf den genauen Wortlaut und die Auslegungsregeln an.
Ist die Teiltestierung im internationalen Erbrecht ebenfalls zulässig?
Die Zulässigkeit und Ausgestaltung der Teiltestierung richtet sich nach dem anwendbaren nationalen Erbrecht. In vielen europäischen Rechtsordnungen, etwa dem deutschen, österreichischen oder französischen Recht, ist eine Teiltestierung anerkannt, teils aber an besondere Voraussetzungen gebunden oder durch andere erbrechtliche Grundsätze eingeschränkt (z. B. durch ein Einheitsprinzip bei der Universalsukzession). Im internationalen Kontext kann über die EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) das maßgebliche Erbrecht bestimmt werden, das über die Zulässigkeit einer Teiltestierung entscheidet. Der Grundsatz „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ findet mithin nicht in jedem Rechtskreis in gleicher Form Anwendung.
Wie beeinflusst ein eröffnetes Nachlassinsolvenzverfahren die Teiltestierung?
Wird nach dem Tod des Erblassers ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet, so beeinflusst dies die Verteilung des Nachlasses sowohl hinsichtlich des testierten als auch des untestierten Teils. Da im Insolvenzverfahren die Nachlassgläubiger zur gleichmäßigen Befriedigung berufen sind, können sowohl Vermächtnisse als auch gesetzliche Erbteile reduziert werden, wenn die Masse hierfür nicht ausreicht. Die Unterscheidung nach testierten und untestierten Quoten verliert im Rang hinter den Rechten der Nachlassgläubiger an Bedeutung, so dass die praktische Durchsetzbarkeit testamentarischer und gesetzlicher Ansprüche durch das Insolvenzrecht überlagert werden kann.
Können beim Tode eines Erblassers internationale Bezüge die Anwendbarkeit des Grundsatzes beeinflussen?
Internationale Bezüge (zum Beispiel Wohnsitz des Erblassers im Ausland, Vermögenswerte in mehreren Ländern, unterschiedliche Staatsangehörigkeiten) führen dazu, dass kollisionsrechtliche Fragestellungen sowohl hinsichtlich der Testierfähigkeit als auch bezüglich der zulässigen Nachlassregelungen zu prüfen sind. Die Anwendbarkeit des Grundsatzes „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ richtet sich deshalb nach dem international maßgeblichen Erbrecht. Dieses wird nach verschiedenen Anknüpfungspunkten (wie letzter Aufenthaltsort, Staatsangehörigkeit, Lageort des Vermögens) bestimmt und kann dazu führen, dass eine Teiltestierung entweder vollumfänglich, beschränkt oder gar nicht zulässig ist. Auch die einheitliche Nachlassspaltung beziehungsweise -einheit nach deutschem und europäischem Recht kann dadurch betroffen sein.