Definition und rechtliche Grundlagen des Negativzins
Unter dem Begriff Negativzins (auch Negativzinssatz oder Minuszins) wird ein Zinssatz verstanden, der unterhalb von null Prozent liegt. Negativzinsen bezeichnen somit Gebühren, welche Gläubiger – in der Regel Sparer, Anleger oder Kreditgeber – an Schuldner, typischerweise Banken oder andere Finanzinstitute, zahlen müssen, anstatt wie üblich Zinsen auf ihre Einlagen oder Forderungen zu erhalten. Rechtlich ist der Negativzins insbesondere im Kontext vertraglicher Vereinbarungen über Geldanlagen, Darlehen und Kreditgeschäfte von Bedeutung, da er in Abweichung vom Regelfall einer Verzinsung eintritt.
Negativzinsen finden insbesondere im Kontext der Geldpolitik von Zentralbanken als Instrument zur Steuerung der Wirtschaft sowie im Rahmen der Konto- und Depotführung bei Kreditinstituten statt. Die rechtliche Beurteilung hängt maßgeblich von der vertraglichen Ausgestaltung und den gesetzlichen Rahmenbedingungen ab.
Entstehung und wirtschaftlicher Hintergrund
Die Einführung von Negativzinsen erfolgt meist durch Zentralbanken im Rahmen der Offenmarktpolitik, um ökonomische Ziele wie die Anregung von Investitionen und den Konsum zu fördern. Kreditinstitute geben diese Negativzinsen oftmals an ihre Endkunden weiter, indem auf Einlagen bestimmter Höhe „Verwahrentgelte“ oder „Guthabengebühren“ erhoben werden.
Vertragliche Gestaltung und zivilrechtliche Einordnung
Bankeinlagen und Giroverträge
Rechtlich erfolgt die Führung eines Bankkontos in der Bundesrepublik Deutschland meist als sogenannter unregelmäßiger Verwahrungsvertrag (vgl. § 700 BGB) oder als Kontokorrentvertrag. Grundsätzlich schuldet die Bank dem Kunden die Rückgabe des eingezahlten Betrages samt vereinbarter Zinsen. Traditionell handelte es sich dabei um Habenzinsen. Im Fall von Negativzinsen kehrt sich dieses Verhältnis jedoch um: Der Bankkunde erhält für seine Guthaben keinen Zins mehr, sondern muss gegebenenfalls einen negativen Zins als Entgelt zahlen.
Vertragsänderung und Zustimmungserfordernis
Die Einführung oder Erhebung von Negativzinsen bei bestehenden Verträgen stellt grundsätzlich eine Vertragsänderung oder einen Entgeltanspruch der Bank für die Verwahrung des Guthabens dar. Für Vertragsänderungen ist nach den §§ 305 ff. BGB eine wirksame Einbeziehung in den Vertrag erforderlich, welche regelmäßig eine aktive Zustimmung des Kunden voraussetzt. Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einseitig Negativzinsen einführen, unterliegen der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB auf Transparenz und unangemessene Benachteiligung.
Rechtsprechung zu Negativzinsen
Diverse deutsche Gerichte, darunter das Landgericht Berlin (Az. 16 O 43/21), haben etwa entschieden, dass Negativzinsen für Bestandskunden nicht ohne ausdrückliche Zustimmung eingeführt werden dürfen. Die bloße Information über eine vorliegende Änderung der AGB genügt dabei nicht. Die Rechtsprechung unterscheidet zudem zwischen Privat- und Geschäftskunden, wobei gegenüber Verbrauchern gesteigerte Transparenz- und Hinweispflichten bestehen.
Kreditverträge
Im klassischen Kreditvertrag schuldet der Darlehensnehmer der darlehensgebenden Bank regelmäßig die Zahlung von Zinsen. Bei Vorliegen von Negativzinsen – etwa im Rahmen von variabel verzinsten Darlehen mit einem als Referenzzinssatz vereinbarten Index (z. B. EURIBOR) – stellt sich die Frage, wie ein negativer Referenzzinssatz berücksichtigt wird. Die Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB ist hierbei maßgeblich. Fehlt eine sogenannte „Floor“-Klausel (Zinsuntergrenze), kann sich der Darlehenszins auf den negativen Referenzwert reduzieren. In der Praxis wird ein Negativzins jedoch häufig auf null Prozent begrenzt.
Verbraucherschutzrechtliche Aspekte
Erhebliche Bedeutung kommt dem Verbraucherschutzrecht zu: Negativzinsen dürfen nicht einseitig und unangekündigt, insbesondere nicht zu Lasten von Verbrauchern eingeführt werden. Ein Verstoß kann zur Unwirksamkeit entsprechender Klauseln gemäß §§ 305c, 307 BGB führen. Die Rechtsprechung verlangt eine klare und verständliche Information über die Einführung und Berechnung von Minuszinsen.
Öffentlich-rechtliche Regelungen und aufsichtsrechtliche Vorgaben
Vorgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
Die BaFin überwacht die Vertragsgestaltung und willkürliche Berechnung von Negativzinsen durch Banken und Finanzdienstleister. In ihrer Verwaltungspraxis betont die BaFin die Einhaltung zivilrechtlicher Vorgaben sowie Transparenz- und Informationspflichten nach dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) und dem Kreditwesengesetz (KWG).
Steuerrechtliche Behandlung von Negativzinsen
Steuerlich sind Negativzinsen als sonstige Aufwendungen zu klassifizieren. Die Finanzverwaltung sowie die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs differenzieren dabei, ob Negativzinsen als laufende Kosten der Vermögensverwaltung oder als „Gegenleistung“ für die Verwahrung von Geldern gelten. Für Privatpersonen können sie sich etwa mindernd auf Kapitalerträge nach § 20 EStG auswirken; eine Verrechnung mit Kapitalerträgen ist jedoch begrenzt möglich.
Europarechtliche Aspekte und internationale Einordnung
Negativzinsen sind nicht nur ein deutsches, sondern ein europaweites Phänomen. Die Europäische Zentralbank (EZB) nutzt Negativzinsen als geldpolitisches Instrument. Die rechtliche Behandlung im deutschen Recht orientiert sich an den Vorgaben der europäischen Bankenunion, der Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) sowie einschlägigen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zur Vertragsfreiheit und zum Verbraucherschutz im europäischen Binnenmarkt. Unterschiede bestehen insbesondere bei der zivilrechtlichen Durchsetzung und bei aufsichtsrechtlichen Anforderungen.
Streitigkeiten, AGB-Kontrolle und Rechtsschutz
Kunden haben die Möglichkeit, unberechtigt erhobene Negativzinsen gerichtlich oder außergerichtlich (z. B. via Ombudsmannverfahren oder Verbraucherzentrale) anzufechten. Zentral ist hierbei die AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB sowie die Prüfung, ob und wie die Negativzinsen wirksam Vertragsinhalt geworden sind.
Sollte eine Vertragsänderung ohne Zustimmung des Kunden erfolgt sein oder eine unangemessene Benachteiligung vorliegen, besteht ein Anspruch auf Rückzahlung bereits gezahlter Negativzinsen sowie gegebenenfalls auf Unterlassung weiterer Forderungen.
Zusammenfassung
Negativzinsen sind ein bedeutendes rechtliches Konstrukt im modernen Finanz- und Bankwesen. Sie beruhen auf der vertraglichen Vereinbarung zwischen Bank und Kunde, dürfen jedoch nicht einseitig erhoben werden und unterliegen strengen Transparenz- und Zustimmungspflichten. Die rechtliche Bewertung erstreckt sich über das Zivilrecht, Verbraucherschutzrecht, Aufsichtsrecht und das Steuerrecht. Die Rechtsprechung verlangt eine explizite Vereinbarung und umfassende Information der betroffenen Vertragspartner, insbesondere bei Verbrauchern. Die Einführung und Ausgestaltung von Negativzinsen bleibt weiterhin ein dynamisches Feld im Bank- und Finanzrecht.
Häufig gestellte Fragen
Ist die Einführung von Negativzinsen durch Banken rechtlich zulässig?
Die rechtliche Zulässigkeit von Negativzinsen – also die Forderung von Banken, dass Kunden für ihre Einlagen zahlen müssen – ist in Deutschland nicht eindeutig geregelt und war Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen. Grundsätzlich können Kreditinstitute in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sogenannte Verwahrentgelte (oft als „Negativzinsen“ bezeichnet) einführen, sofern dies transparent und klar kommuniziert wurde. Nach § 307 BGB dürfen solche Klauseln jedoch nicht unangemessen benachteiligend sein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu bislang keine abschließende Entscheidung gefällt, doch verschiedene Landgerichte (z.B. Landgericht Berlin, LG Köln) haben bereits einzelne Klauseln für unwirksam erklärt, wenn diese pauschal formuliert waren oder Bestandskunden betrafen. Bei Neukundenverträgen hingegen ist eine Vereinbarung von Negativzinsen eher zulässig, solange diese als individuelle Vereinbarung getroffen wird. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überwacht die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen, greift jedoch grundsätzlich nicht in die Vertragsgestaltung ein, sofern keine Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften vorliegen.
Müssen Bestandskunden der Einführung von Negativzinsen ausdrücklich zustimmen?
Für Bestandskunden gilt nach deutschem Vertragsrecht grundsätzlich, dass Vertragsänderungen – einschließlich der Einführung von Negativzinsen – einer aktiven Zustimmung der Kunden bedürfen. Nach § 305 Abs. 2 BGB werden Allgemeine Geschäftsbedingungen nur Bestandteil eines Vertrages, wenn der Kunde ausdrücklich zustimmt. Eine einseitige Einführung von Verwahrentgelten durch die Bank ist ohne Zustimmung nicht wirksam. Eine einfache Information oder nachträgliche Veröffentlichung reicht nicht aus. Die Bank kann ihren Bestandskunden zwar eine Änderung vorschlagen und diesen um Zustimmung bitten (sogenannte Änderungsvereinbarung), solange dabei aber die Transparenz- und Informationspflichten (§§ 355, 675g BGB) eingehalten werden. Lehnt der Kunde ab, besteht grundsätzlich kein Recht für die Bank, diese Konditionen einseitig durchzusetzen. Einige Banken versuchen, diese Frage durch sogenannte „Zustimmungsfiktionen“ zu umgehen, jedoch hat der BGH 2021 (Urteil vom 27. April 2021, XI ZR 26/20) derartig formularmäßige Zustimmungsfiktionen in AGB für unwirksam erklärt.
Welche rechtlichen Grundlagen greifen bei Klagen gegen Negativzinsen?
Klagen von Verbrauchern oder Verbraucherschutzverbänden gegen die Erhebung von Negativzinsen stützen sich in der Regel auf das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere auf die AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB). Zentral ist dabei die Frage, ob die Negativzinsklausel eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 BGB darstellt. Darüber hinaus spielt die europäische Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2), umgesetzt im Zahlungsdiensteumsetzungsgesetz (ZAG), eine Rolle bei der Transparenz von Vertragsbedingungen. Bei Sammelklagen richtet sich die Zulässigkeit nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG). Gerichte prüfen dabei auch, ob die Vereinbarung ausreichend individuell getroffen wurde oder als Standardklausel der Bank einseitig auferlegt wurde.
Dürfen Negativzinsen auch für Girokonten oder Sparbücher verlangt werden?
Rechtlich ist es Banken grundsätzlich möglich, Negativzinsen sowohl für Guthaben auf Girokonten als auch auf Sparbüchern zu verlangen, sofern dies vertraglich vereinbart wurde. Die Unterscheidung, ob es sich um ein Giro- oder Sparkonto handelt, ist juristisch nicht entscheidend. Allerdings bestehen bei klassischen Sparverträgen oftmals schriftliche Altverträge, deren Konditionen keine Negativzinsen vorsehen; eine nachträgliche Änderung ist hier nur mit Zustimmung des Kunden möglich. Bei Neuabschlüssen von Giro- oder Anlagekonten kann die Bank hingegen in den Vertragsbedingungen Negativzinsen aufnehmen. Verbraucherschützer verweisen jedoch regelmäßig auf die Zweckbindung von Sparverträgen und mögliche Schutzwirkungen, dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Möglichkeit der Vereinbarung von Verwahrentgelten, sofern dies transparent verläuft.
Gibt es gesetzliche Obergrenzen oder Einschränkungen für Negativzinsen?
Das deutsche Recht sieht derzeit keine expliziten gesetzlichen Ober- oder Untergrenzen für die Höhe von Negativzinsen vor. Allerdings dürfen Negativzinsen nicht zu einer sittenwidrigen Benachteiligung des Kunden führen (§ 138 BGB) oder gegen das Transparenzgebot (§ 307 BGB) verstoßen. Die BaFin und die Bundesbank beobachten die Praxis, greifen jedoch nicht bei jeder beliebigen Höhe ein, sofern keine offensichtlichen Missbräuche oder Verstöße gegen Allgemeine Geschäftsbedingungen oder das Wettbewerbsrecht vorliegen. Die faktische Begrenzung ergibt sich derzeit vor allem durch Marktwettbewerb und richterliche Überprüfung, nicht aber durch spezifische gesetzliche Vorgaben.
Kann gegen die Erhebung von Negativzinsen rechtlich vorgegangen werden?
Kunden können sich sowohl individuell als auch unterstützt durch Verbraucherzentralen gegen die Erhebung von Negativzinsen wehren, insbesondere, wenn diese einseitig oder ohne ausdrückliche Zustimmung erhoben werden. Ein einzelner Kunde kann Widerspruch gegen die Vertragsänderung einlegen oder rechtlich gegen die Bank vorgehen. Sammelklagen oder Musterfeststellungsklagen nach dem UKlaG sind ebenfalls möglich. Die Gerichte prüfen, ob die Vertragsänderung wirksam und unter Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben erfolgte. In der Vergangenheit waren solche Klagen teilweise erfolgreich, etwa wenn die Bank eine pauschale Klausel in den AGB ohne individuelle Vereinbarung zugrunde legte. Bei neuen Verträgen ist die Erfolgsaussicht jedoch geringer, sofern der Kunde klar über die Entgelte informiert wurde und diesen zustimmte.
Welche Informationspflichten haben Banken bei der Einführung von Negativzinsen?
Die Banken unterliegen strengen Informationspflichten gemäß §§ 675l, 675m BGB und Art. 247 EGBGB. Das bedeutet, jede Änderung von Entgelten – dazu zählen auch Negativzinsen – muss dem Kunden in Textform mitgeteilt und erläutert werden, bevor sie wirksam wird. Bei Bestandskunden müssen alle Änderungen rechtzeitig, klar und verständlich kommuniziert werden, sodass dem Kunden ausreichend Zeit für eine Entscheidung bleibt. Fehlende Transparenz oder eine nicht nachvollziehbare Gestaltung der Angaben (zum Beispiel durch versteckte Gebühren in Preisaushängen) können zur Unwirksamkeit der Negativzinsklausel führen. Zudem ist die Belehrung über das Widerspruchsrecht obligatorisch. Verstößt die Bank gegen diese Pflichten, ist die Einführung der Negativzinsen rechtlich angreifbar.