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Negatives Interesse


Begriff und Bedeutung des Negativen Interesses

Das negative Interesse ist ein im deutschen Zivilrecht bedeutsamer Begriff aus dem Schadensersatzrecht. Es beschreibt den Schaden, der einer Partei dadurch entsteht, dass sie auf das wirksame Zustandekommen eines Vertrages oder die Richtigkeit einer Erklärung vertraut und im Vertrauen hierauf Vermögensdispositionen getroffen hat, die sie im Nachhinein als nachteilig erweisen. Ziel des negativen Interesses ist es, den Zustand herzustellen, der bestanden hätte, wenn nie von dem Vorliegen eines bestimmten Rechtsverhältnisses ausgegangen worden wäre. Im Gegensatz hierzu steht das positive Interesse (sog. Erfüllungsinteresse), das den Schaden umfasst, der dadurch entsteht, dass der Vertrag nicht erfüllt wird.


Rechtsgrundlagen des Negativen Interesses

§ 122 BGB: Anfechtung und Vertrauensschaden

Zentrale gesetzliche Grundlage für das negative Interesse findet sich in § 122 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Er regelt den Schadensersatz bei Anfechtung einer Willenserklärung. Demnach ist derjenige, der die Anfechtung einer Willenserklärung zu vertreten hat, verpflichtet, den Vertrauensschaden zu ersetzen, d.h. das negative Interesse auszugleichen.

Wortlaut des § 122 BGB (auszugsweise):

„Hat einer einen nichtigen Vertrag im Vertrauen auf dessen Gültigkeit geschlossen und erleidet dadurch einen Schaden, so ist der andere Teil verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, den der Vertragspartner dadurch erleidet, dass er auf die Wirksamkeit des Vertrages vertraut hat.“

Weitere gesetzliche Regelungen

Neben § 122 BGB finden sich vergleichbare Regelungen und Anwendungsfälle des negativen Interesses insbesondere in:

  • § 179 Abs. 2 BGB (Vertretung ohne Vertretungsmacht)
  • § 311 Abs. 2 BGB (Schuldverhältnisse bei Vertragsverhandlungen / culpa in contrahendo)
  • § 119 Abs. 2 BGB (Irrtum und Anfechtung)
  • Vertrauenshaftung bei sonstigen Rechtsgeschäften

Typische Anwendungsbereiche des Negativen Interesses

1. Anfechtung aufgrund von Irrtum oder arglistiger Täuschung

Wird ein Vertrag aufgrund eines Irrtums (§ 119 BGB) oder arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) angefochten, kann die andere Partei Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses haben, sofern sie auf die Wirksamkeit vertraut und dadurch Aufwendungen getätigt oder Vermögen disponiert hat.

2. Vertreter ohne Vertretungsmacht

Werden Handlungen von einem Vertreter vorgenommen, der keine Vertretungsmacht besitzt, kann Schädigung des Vertrauens in das Zustandekommen eines wirksamen Geschäfts eintreten. Der Vertragspartner kann im Rahmen des negativen Interesses den Ersatz des Vertrauensschadens nach § 179 Abs. 2 BGB verlangen.

3. Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo)

Im Zuge vorvertraglicher Schuldverhältnisse (insbesondere bei Abbruch von Vertragsverhandlungen), kann ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses bestehen, wenn eine Partei berechtigterweise auf das Zustandekommen eines Vertrages vertraut hat.


Abgrenzung zum Positiven Interesse

Während das negative Interesse den Vertrauensschaden umfasst, bezieht sich das positive Interesse auf den Erfüllungsschaden. Das positive Interesse versucht, die Partei so zu stellen, als ob der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Das negative Interesse hingegen stellt die betroffene Partei so, als hätte sie nie auf das Zustandekommen des Vertrages vertraut.

Beispiel:

  • Negatives Interesse: Ersatz von Verhandlungs- oder Reiseaufwendungen, die durch das Vertrauen auf den Vertragsschluss verursacht wurden.
  • Positives Interesse: Ersatz des Gewinns, der aus der Vertragserfüllung entstanden wäre.

Umfang und Begrenzung des Negativen Interesses

1. Grundsatz der Schadensminderung

Das negative Interesse ist grundsätzlich auf den Vertrauensschaden begrenzt. Ist der Vermögensschaden jedoch geringer als der entgangene Gewinn aus einer (hypothetischen) Vertragserfüllung, so darf der Geschädigte lediglich das negative Interesse verlangen.

2. Haftungsausschluss und Höhe des Schadens

Die Höhe des zu ersetzenden Schadens wird begrenzt durch das positive Interesse. Das bedeutet, der Erstattungsbetrag darf das aus der Vertragserfüllung erwachsende wirtschaftliche Interesse nicht übersteigen.


Konkretisierung und Berechnung des Negativen Interesses

1. Ermittlung des Vertrauensschadens

Zur Berechnung sind alle Aufwendungen zu berücksichtigen, die im Vertrauen auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts oder die Richtigkeit der Erklärung gemacht wurden. Typische Posten sind:

  • Reisekosten zu Vertragsverhandlungen
  • Kosten für Erstellung von Vertragsunterlagen
  • Zeitlicher Aufwand und weitere Vermögensdispositionen
  • Entgangene Möglichkeiten zur Durchführung alternativer Geschäfte

2. Nachweispflichten

Der Anspruchsteller muss die Kausalität zwischen dem festgestellten Schaden und dem Vertrauen auf das Zustandekommen eines Vertrags bzw. einer Erklärung nachweisen können.


Nebenbereiche des Negativen Interesses

1. Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen

Die Rechtsprechung hat die Konturen des negativen Interesses in zahlreichen Entscheidungen, insbesondere zu § 122 BGB und zur culpa in contrahendo, weiter ausgestaltet. Von besonderer Relevanz sind Entscheidungen zu Schadensabgrenzungen und zur Kombination von negativem und positivem Interesse in Einzelfällen.

2. Bedeutung im internationalen Vertragsrecht

Das negative Interesse ist auch in internationalen Vertragsverhältnissen von Bedeutung, wobei im Einzelfall die Anwendbarkeit nationaler Vorschriften zu prüfen ist.


Zusammenfassung

Das negative Interesse ist ein zentraler Begriff des deutschen Vertrags- und Schadensersatzrechts. Es schützt das Vertrauen auf die Wirksamkeit von Willenserklärungen und dient dem Ausgleich von Vermögensnachteilen, die ohne das (fehlerhafte) Vertrauen nicht eingetreten wären. Rechtliche Grundlagen finden sich insbesondere im BGB (§§ 122, 179, 311 BGB). Die sorgfältige Abgrenzung und Berechnung des negativen Interesses ist in der Praxis des Schadensersatzrechts von erheblicher Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Wann entsteht ein Anspruch auf das sogenannte negative Interesse?

Ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses entsteht im deutschen Zivilrecht in der Regel dann, wenn ein Vertragspartner im Rahmen von Vertragsverhandlungen oder einer sonstigen geschäftlichen Begegnung darauf vertraut hat, dass ein Vertrag wirksam zustande kommen oder erfüllt werden würde, sich dieses Vertrauen aber im Nachhinein als unbegründet herausstellt, weil der Vertrag aus Gründen scheitert, die beim Vertragspartner liegen. Dies kann insbesondere dann relevant werden, wenn eine Partei schuldhaft falsche Angaben über ihre Vertretungsmacht gemacht hat (§ 179 BGB), bei Anfechtung wegen Irrtums (§ 122 BGB), oder ein Vertragsschluss durch Pflichtverletzungen im Rahmen der culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluss, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) scheitert. Der Anspruchsinhaber ist dann so zu stellen, als hätte er nie auf das Zustandekommen oder die Wirksamkeit des Vertrages vertraut, d.h. er bekommt diejenigen Vermögenseinbußen ersetzt, die ihm aufgrund seines Vertrauens auf das Geschäft entstanden sind. Der Ersatz umfasst etwa Aufwendungen für Vorbereitungshandlungen und den entgangenen Gewinn aus einem Alternativgeschäft, nicht jedoch den entgangenen Gewinn aus dem geplatzten Geschäft selbst (dies würde das sog. positive Interesse betreffen).

Welche konkreten Voraussetzungen müssen für einen Anspruch auf negatives Interesse vorliegen?

Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses ist zunächst das Bestehen eines gesetzlichen Anspruchstatbestands, wie zum Beispiel § 122 BGB (bei Anfechtung eines Vertrages) oder §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (bei vorvertraglichen Pflichtverletzungen). Weiterhin muss ein Vertrauensschaden beim Anspruchsinhaber kausal auf das Vertrauen in den Vertragsschluss oder die Vertragserfüllung zurückzuführen sein. Der Geschädigte muss also nachweisen, dass er Dispositionen gerade aufgrund des Vertrauens getroffen hat, die er ohne das in Aussicht gestellte Geschäft nicht vorgenommen hätte. Die Voraussetzungen unterscheiden sich im Detail je nach Anspruchsgrundlage, aber typischerweise ist ein Verschulden der Gegenseite erforderlich (bei Anfechtung nach § 122 BGB allerdings nicht; hier reicht die objektiv unzutreffende Willenserklärung). Darüber hinaus muss der Schaden adäquat kausal entstanden und ausreichend nachweisbar sein. Ein etwaiges Mitverschulden des Anspruchstellers ist zu berücksichtigen (§ 254 BGB).

Welche Schäden können im Rahmen des negativen Interesses ersetzt verlangt werden?

Im Rahmen des negativen Interesses können alle Vermögenseinbußen ersetzt verlangt werden, die dadurch entstanden sind, dass der Geschädigte auf das Zustandekommen oder die Wirksamkeit eines Vertrages vertraut hat. Hierzu zählen insbesondere Vorbereitungskosten wie Reisekosten zu Vertragsverhandlungen, Kosten für eingeholte Informationen, Gutachten oder Beratungsleistungen und unter Umständen der entgangene Gewinn aus Geschäften mit Dritten, die infolge des Vertrauens auf das nicht zustande gekommene Hauptgeschäft unterblieben sind. Nicht ersetzt werden hingegen Verbindlichkeiten oder wirtschaftliche Nachteile, die erst durch die Durchführung und Erfüllung des (nun nichtigen) Vertrages selbst entstanden wären. Das Ziel des Ersatzes ist es also, den Anspruchsteller wirtschaftlich so zu stellen, als habe er nie vom (angefochtenen oder nichtigen) Vertrag erfahren.

Wann ist statt negatives Interesse das positive Interesse zu ersetzen?

Das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) ist grundsätzlich nur zu ersetzen, wenn ein wirksamer Vertragsschluss vorliegt und es zu einer vertragswidrigen Nichterfüllung durch eine der Parteien kommt. Hierbei handelt es sich um den Schadensersatzanspruch aus §§ 280 ff. BGB, der darauf abzielt, den Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Demgegenüber ist bei unwirksamem Vertrag oder bei vorvertraglicher Pflichtverletzung regelmäßig das negative Interesse zu ersetzen. Das gilt auch, wenn die Anfechtung einer bereits abgegebenen Willenserklärung erfolgt (§ 122 BGB) oder im Falle eines Vertreterhandelns ohne Vertretungsmacht mit nicht nachträglich genehmigtem Geschäft (§ 179 Abs. 1 BGB). Somit ist die Anspruchsgrundlage maßgeblich dafür, welches Interesse zu ersetzen ist.

Gibt es Einschränkungen oder Höchstgrenzen beim Ersatz des negativen Interesses?

Der Ersatz des negativen Interesses ist auf den tatsächlich entstandenen Vertrauensschaden begrenzt und darf grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Geschädigte wirtschaftlich besser steht als bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung. Das bedeutet insbesondere, dass das negative Interesse durch das positive Interesse „gedeckelt“ wird: Übersteigt das negative Interesse das positive, ist nur Letzteres zu ersetzen. Ziel dieser Begrenzung ist es, eine Überkompensation zu verhindern und die Schadensliquidation vorhersehbar zu halten. Weitere Einschränkungen bestehen, wenn der Geschädigte die Möglichkeit gehabt hätte, den Schaden durch zumutbare Maßnahmen zu vermeiden oder zu mindern (Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB).

Welche Rolle spielt das Verschulden des Schädigers beim negativen Interesse?

Das Verschulden des Schädigers ist nicht in allen Fällen Anspruchsvoraussetzung für den Ersatz des negativen Interesses. Während bei culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB) grundsätzlich ein Verschulden erforderlich ist (auch Fahrlässigkeit genügt), ist z.B. in § 122 BGB beim Anspruch gegen den Anfechtenden ein Verschulden ausdrücklich nicht notwendig. Hier haftet der Anfechtende unabhängig von Schuld für den Vertrauensschaden. Das Verschulden kann jedoch bei Mitverschulden des Geschädigten gemäß § 254 BGB anspruchsmindernd wirken.

Gibt es besondere Anforderungen an die Darlegungspflicht des Geschädigten beim negativen Interesse?

Die Darlegung und der Nachweis des Schadens, der im Rahmen des negativen Interesses geltend gemacht werden soll, obliegen grundsätzlich dem Anspruchsteller. Er muss substantiiert darlegen, welche konkreten Vermögensdispositionen er im Vertrauen auf das Zustandekommen oder die Wirksamkeit des Vertrages vorgenommen hat und in welcher Höhe ihm hieraus tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Dazu gehören Belege über entstandene Kosten, etwaige Auftragsverluste und alle anderen relevanten finanziellen Einbußen. Die Kausalität zwischen Vertrauenshandlung und Schaden muss schlüssig und nachvollziehbar dargelegt werden. Bei Unsicherheiten obliegt es den Gerichten, gegebenenfalls den Umfang des Schadens nach § 287 ZPO zu schätzen.