Begriff und Rechtsnatur des Nebentäters
Der Begriff Nebentäter bezeichnet im deutschen Strafrecht eine bestimmte Form der Täterschaft, die sich insbesondere nach der Lehre von Täterschaft und Teilnahme abgrenzt. Nebentäterschaft liegt vor, wenn mehrere Personen unabhängig voneinander, jedoch ohne bewusstes Zusammenwirken, objektiv gemeinsam einen Straftatbestand verwirklichen. Im Gegensatz zum Mittäter oder Teilnehmer handelt der Nebentäter dabei nicht arbeitsteilig, sondern vielmehr jeweils selbstständig, wobei die einzelnen Tatbeiträge jedoch zu einer rechtlichen Einheit führen können.
Allgemeine Definition
Ein Nebentäter ist eine Person, die neben weiteren Tätern eine Straftat materiell-rechtlich eigenständig, jedoch im gleichen Zeitraum und in Bezug auf das gleiche Tatobjekt begeht, ohne dass mit den anderen ein gemeinsamer Tatentschluss oder ein bewusstes Zusammenwirken besteht. Die jeweils einzelnen Täter handeln parallel, wobei der jeweilige Tatbeitrag für den Erfolg der Tat ausreicht oder sich zum Erfolg summiert. Die Abgrenzung zu Mittäterschaft, Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe) und Täterschaft ist präzise vorzunehmen.
Historische Entwicklung
Das Konzept der Nebentäterschaft wurde vor allem mit Einführung und Ausformung der Täterlehre im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt, um Fallgestaltungen zu erfassen, in denen kein bewusstes Zusammenwirken zwischen mehreren Tatbeteiligten vorliegt, die Tat aber dennoch von mehreren unabhängig Handelnden begangen wird. Die Rechtsprechung und Literatur haben die Figur des Nebentäters zur differenzierten Zurechnung der Verantwortlichkeit in Konstellationen ohne abgestimmtes Zusammenwirken erschlossen.
Abgrenzung zu Mittäterschaft und Teilnahme
Ein zentrales Anliegen bei der Bestimmung des Nebentäterbegriffs ist die Abgrenzung zu anderen Mehr-Personen-Konstellationen bei der Deliktsbegehung.
Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB)
Bei der Mittäterschaft agieren mehrere Personen auf Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses arbeitsteilig, wobei jeder einen wesentlichen Tatbeitrag leistet und die Tat als eigene zurechnet. Im Unterschied dazu fehlt es beim Nebentäter am gemeinsamen Tatplan und der bewussten Kooperation; die Beiträge der einzelnen Täter sind strikt voneinander getrennt und beruhen auf unabhängig gefassten Entschlüssen.
Teilnahme (Anstiftung und Beihilfe, §§ 26, 27 StGB)
Die Teilnahme zeichnet sich durch eine Förderung oder Veranlassung der Haupttat durch eine andere Person aus. Der Teilnehmer selbst führt die Tat nicht aus, sondern unterstützt oder verleitet einen anderen zu der Tat (Anstifter oder Gehilfe). Nebentäter hingegen handeln ohne gegenseitige Förderung unmittelbar selbst.
Konkurrenzverhältnis bei Nebentätern
Keine Mittäterschaft, sondern Nebentäterschaft liegt beispielsweise vor, wenn zwei Brände gleichzeitig an unterschiedlichen Stellen eines Gebäudes gelegt werden, ohne gegenseitige Absprache, das Gebäude durch beide Taten zerstört wird und die jeweiligen Handlungen für sich genommen bereits gefährlich sind.
Voraussetzungen und typische Fallgestaltungen
Voraussetzungen des Nebentäters
- Subjektive Selbstständigkeit: Jeder Nebentäter verwirklicht seine Tat aufgrund einer individuellen Entschlussfassung.
- Fehlendes Zusammenwirken: Es besteht keine vorherige Absprache oder gemeinsamer Tatplan.
- Objektive Beteiligung: Mehrere Einzelhandlungen wirken sich auf dasselbe Rechtsgut aus oder summieren sich zum tatbestandlichen Erfolg.
Typische Fallkonstellationen
- Zwei Personen verabreichen unabhängig voneinander einer dritten Person jeweils eine tödliche Dosis Gift; beide Gaben führen zum Tode.
- Zwei Autofahrer verletzen im Rennmodus nacheinander denselben Passanten schwer, wobei beide Handlungen für sich genommen gefährlich sind.
- Zwei Diebe stehlen von zwei Seiten aus gleichzeitig durch eigenständige Handlungen Wertgegenstände aus demselben Laden.
In diesen Fällen ist das Fehlen eines gemeinsamen Tatentschlusses maßgeblich.
Rechtsfolgen der Nebentäterschaft
Zurechnung des Erfolgs
Jeder Nebentäter ist für den gesamten tatbestandlichen Erfolg strafrechtlich verantwortlich, soweit sein eigener Tatbeitrag den Erfolg verursachen konnte oder zur (Mit-)Ursache wurde. Im Rahmen der Kausalität und objektiven Zurechnung wird geprüft, inwieweit die individuelle Handlung des Einzelnen zum tatbestandlichen Erfolg beigetragen hat.
Konkurrenzen
Im Hinblick auf die Konkurrenzlehre ist entscheidend, ob die Tatbeiträge sich wechselseitig ausschließen oder kumulativ wirken. In der Regel liegt bei Nebentätern eine gleichzeitige Begünstigung (Tateinheit) vor, können jedoch auch Tatmehrheiten entstehen, falls die Einzelhandlungen abgegrenzt werden können.
Abgrenzung zur Mittäterschaft im Einzelfall
Die Dogmatik der Nebentäterschaft verlangt eine sorgfältige Einzelfallanalyse. In Grenzfällen kann eine Abgrenzung schwierig sein, insbesondere wenn:
- keine ausdrückliche Absprache, aber faktisches Zusammenwirken besteht,
- die Handlungen sich überschneiden oder ergänzen,
- die Kenntnis der anderen Tatbegehung möglicherweise vorliegt.
Hier muss anhand von Indizien zur inneren Willensrichtung und dem äußeren Tatverlauf gewissenhaft geprüft werden.
Nebentäterschaft im materiellen und prozessualen Recht
Materiell-rechtliche Bedeutung
Materiell-rechtlich ist jeder Nebentäter eigenständig zu bestrafen, wobei die individuellen Tatbeiträge und Vorsatz zu werten sind. Die Tatbeteiligten werden nicht wie Mittäter haftbar gemacht, sondern nach Maßgabe ihrer eigenen Handlungen und subjektiven Tatseite.
Prozessuale Aspekte
Im Strafprozess bestehen keine besonderen Verfahrensregeln für Nebentäter. Sofern eine Sachverhaltsaufklärung nicht gemeinsam – wie etwa bei Mittätern – erfolgen kann, sind die Beteiligten individuell zu befragen und zu beurteilen. Der Schuldspruch und das Strafmaß richten sich nach der individuellen Tat und Schuld.
Literaturhinweise und weiterführende Informationen
- Claus Roxin: Strafrecht – Allgemeiner Teil
- Wolfgang Joecks: Studienkommentar StGB
- BGH, Entscheidung vom 21.03.2002 – 1 StR 420/01
Dieser umfassende Lexikonartikel bietet eine detaillierte, strukturierte und rechtlich fundierte Darstellung des Begriffs „Nebentäter“ im deutschen Strafrecht und dient der exakten Begriffsabgrenzung und rechtsdogmatischen Einordnung von Mehrpersonenbeziehungen bei Straftaten.
Häufig gestellte Fragen
Können Nebentäter unterschiedlich bestraft werden, obwohl sie gemeinsam gehandelt haben?
Ja, Nebentäter können unabhängig voneinander unterschiedlich bestraft werden, selbst wenn sie die Straftat gemeinschaftlich begangen haben. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der individuellen Schuld (§ 46 StGB) und der persönlichen Strafzumessung. Jeder Tatbeteiligte wird gemäß seiner eigenen Schuld und den konkreten Umständen, die ihn persönlich betreffen, beurteilt. Entscheidend ist dabei, welchen Beitrag jeder Nebentäter zur Tat geleistet hat, in welchem Maße er die Tat gewollt hat und ob beispielsweise strafmildernde oder strafschärfende Umstände (wie Geständnis, Vorstrafen, Beweggründe, etc.) bei ihm gegeben sind. Auch persönliche Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgründe (z. B. Notwehr) können bei einzelnen Nebentätern vorliegen und zur Straflosigkeit dieses Täters führen, während andere trotzdem verurteilt werden.
Welche Rolle spielt der Wille zur Tatherrschaft bei der Abgrenzung zu Mittäter oder Teilnehmer?
Im deutschen Strafrecht ist die Tatherrschaft das maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) und Nebentäterschaft bzw. Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe). Nebentäter handeln zwar gemeinsam zur Verwirklichung eines Straftatbestandes, jedoch fehlt ihnen die bewusst abgestimmte arbeitsteilige Zusammenarbeit („gemeinsamer Tatplan“), die Kennzeichen der Mittäterschaft ist. Für Nebentäter ist vielmehr typisch, dass jeder aus selbstständigen Motiven und unabhängig sowie ohne koordinierten Plan eintritt, aber objektiv einen Tatbeitrag leistet. Beim Teilnehmer hingegen fehlt es an einer eigenen Tatherrschaft, er hilft lediglich bei der Ausführung mit (Beihilfe) oder bestimmt einen anderen zur Tat (Anstiftung).
Muss ein Nebentäter die Tat vollständig überblicken, um strafrechtlich belangt werden zu können?
Nein, ein vollständiger Überblick über die gesamte Tat ist für die Strafbarkeit als Nebentäter nicht erforderlich. Es genügt, wenn jeder Nebentäter die wesentlichen Umstände seines eigenen Tatbeitrags und die daraus resultierende tatsächliche Handlung erkennt und will. Der Nebentäter muss vorsätzlich handeln, wobei sich der Vorsatz auf seine eigene Tat und die entscheidenden Tatumstände beziehen muss. Über die genauen Absichten oder Handlungen der anderen Beteiligten muss er hingegen keine detaillierte Kenntnis haben, sofern sich sein Tatbeitrag auf den gemeinsamen Erfolg bezieht.
Wie erfolgt die strafrechtliche Beurteilung, wenn einer der Nebentäter den Tatentschluss erst später fasst?
Betritt ein Beteiligter das Geschehen zu einem späteren Zeitpunkt und bringt ab dann einen eigenen Tatbeitrag, so wird er strafrechtlich für seinen Anteil als Nebentäter verantwortlich gemacht. Eine Rückwirkung seines Tatentschlusses vor Beginn seines eigenen Handelns ist jedoch nicht möglich. Das bedeutet, seine Strafbarkeit setzt erst ab dem Moment ein, in dem er aktiv am Tatgeschehen teilnimmt und einen relevanten, objektiven Beitrag zur Tatverwirklichung liefert. Für Tathandlungen, die vor seinem Entschluss begangen wurden, haftet er grundsätzlich nicht (Ausnahme bleibt die nachträgliche Mittäterschaft, welche jedoch höchst problematisch ist und im Schrifttum überwiegend abgelehnt wird).
Welche Delikte eignen sich in der Regel für die Begehung durch Nebentäterschaft?
Nebentäterschaft ist grundsätzlich bei allen Delikten möglich, die keine echten Sonderdelikte sind, also bei Taten, die jedermann begehen kann. Bei echten Sonderdelikten (Straftaten, bei denen nur bestimmte Personengruppen Täter sein können, z. B. Amtsdelikte) kommt Nebentäterschaft nur unter den Voraussetzungen in Betracht, dass alle Beteiligten die erforderliche Täterqualifikation besitzen. In der Praxis findet sich Nebentäterschaft häufig bei Eigentums- und Vermögensdelikten (wie Diebstahl und Betrug), aber auch bei Körperverletzungsdelikten oder Sachbeschädigungen, sofern das Tatbestandsmerkmal „gemeinsam“ nicht ausdrücklich auf eine Mittäterschaft abstellt.
Können Nebentäter auch für den Versuch bestraft werden?
Ja, Nebentäter können grundsätzlich auch für einen Versuch gemäß §§ 22, 23 StGB bestraft werden, sofern sie mit Vorsatz und – was den Tatbeitrag betrifft – mit unmittelbar ansetzender Handlung zur Tat beitragen. Voraussetzung ist, dass mindestens einer der Nebentäter eine Handlung vornimmt, die nach der Vorstellung des Täters unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands führt. Der Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 StGB ist auch für Nebentäter möglich, allerdings nur soweit der jeweilige Nebentäter seinen eigenen Tatbeitrag freiwillig und wirksam aufgibt.
Wie wirkt sich das Verhalten eines Nebentäters nach der Tat auf die Strafzumessung aus?
Das Verhalten eines Nebentäters nach der Tatausführung kann sich strafmildernd oder strafschärfend auswirken. Wird beispielsweise durch tätige Reue der Schaden wiedergutgemacht oder die Tat gestanden, kann dies zu einer Strafmilderung führen. Anderseits kann das Ergreifen von Fluchtmaßnahmen, die Behinderung der Ermittlungsarbeit oder das Bedrohen von Zeugen straferschwerend berücksichtigt werden. Die individuelle Beurteilung der Nachtatphase berücksichtigt die Persönlichkeit des Täters und sein Verhältnis zur Tat und den Tatfolgen.
Müssen Nebentäter anwesend sein, um eine Straftat gemeinsam zu begehen?
Die Anwesenheit am Tatort ist kein zwingendes Erfordernis für Nebentäterschaft. Entscheidend ist der objektive Tatbeitrag, der zur Verwirklichung des Tatbestandes geleistet wird, unabhängig davon, ob sich ein Nebentäter am Tatort befindet oder nicht. Ein Nebentäter kann beispielsweise durch Vorbereitungshandlungen oder das Schaffen von Tatgelegenheiten auch ohne physische Präsenz vor Ort einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Zurechnung hängt maßgeblich davon ab, ob der Beitrag des Nebentäters adäquat kausal für die Tatbestandsverwirklichung war und mit Vorsatz erfolgte.