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nasciturus pro iam nato habetur

Definition und Bedeutung von „nasciturus pro iam nato habetur“

Die lateinische Rechtsmaxime „nasciturus pro iam nato habetur“ bedeutet: Ein bereits gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind wird als bereits geboren behandelt, soweit dies zu seinem Vorteil ist. Es handelt sich um eine rechtliche Fiktion, die aus dem römischen Recht stammt und in vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fortwirkt. Ziel ist der Schutz künftiger Rechte des Kindes in Situationen, in denen entscheidende Ereignisse vor der Geburt eintreten, etwa beim Tod einer verwandten Person.

Wortlaut, Übersetzung und Kernidee

Wörtlich übersetzt heißt die Formel: „Der noch zu Gebärende wird als schon geboren betrachtet.“ Die Kernidee besteht darin, eine zeitliche Lücke zu überbrücken: Obwohl die volle eigene Rechtsfähigkeit erst mit der Geburt einsetzt, sollen günstige Rechtsfolgen, die an die Existenz eines Kindes anknüpfen, auch einem bereits gezeugten Kind zugutekommen, sofern es später lebend geboren wird.

Rechtliche Einordnung

Der Grundsatz ist eine Schutzfiktion. Er begründet keine allgemeine Gleichstellung ungeborener Kinder mit geborenen Personen und wirkt nicht schrankenlos. Er greift nur in ausgewählten Konstellationen und ausschließlich zugunsten des Kindes. Verpflichtungen oder Nachteile dürfen hierauf nicht gestützt werden.

Voraussetzungen der Anwendung

Gezeugtsein zum maßgeblichen Zeitpunkt

Voraussetzung ist, dass das Kind zum relevanten Zeitpunkt bereits gezeugt war. Welcher Zeitpunkt relevant ist, richtet sich nach dem jeweiligen Lebenssachverhalt (zum Beispiel der Tod eines Verwandten bei Fragen der Erbfolge oder der Abschluss eines Vertrages, der Rechte für „Kinder“ vorsieht). Das Gezeugtsein ist ein tatsächlicher Umstand, der im Zweifel festgestellt werden muss, wobei die zeitliche Einordnung medizinisch-empirischen Annahmen folgt.

Lebendgeburt als aufschiebende Bedingung

Die Begünstigung steht unter der Bedingung, dass das Kind lebend zur Welt kommt. Erst dann verfestigen sich die zuvor „vorläufig“ geschützten Vorteile zu voll wirksamen Rechten. Bleibt die Lebendgeburt aus, entfällt die Fiktion und damit die Zuerkennung der Vorteile.

Nur zugunsten des Kindes

Die Fiktion wirkt ausschließlich vorteilsbezogen. Sie dient dem Schutz und der Sicherung günstiger Rechtspositionen des Kindes. Belastungen, Pflichten oder Nachteile dürfen daraus nicht hergeleitet werden.

Typische Anwendungsfelder

Erbrecht

Erbfolge und Erbquote

Verstirbt eine Person zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Kind bereits gezeugt ist, kann dieses Kind so behandelt werden, als sei es geboren. Dadurch können Erbansprüche oder Erbteile berücksichtigt werden, obwohl die Geburt noch aussteht. Die konkrete Beteiligung richtet sich nach der jeweiligen Ordnung der gesetzlichen oder gewillkürten Erbfolge.

Nachlasssicherung bis zur Geburt

Bis zur Geburt werden die künftigen Rechte des Kindes durch Sicherungsmaßnahmen geschützt, etwa indem der betroffene Erbteil faktisch freigehalten oder die Verwaltung des Nachlasses entsprechend ausgerichtet wird. Ziel ist, die Position des ungeborenen Kindes nicht zu vereiteln.

Familien- und Unterhaltsrecht

In Konstellationen, in denen Rechtsfolgen an die Existenz von Kindern anknüpfen, kann der Grundsatz die Einbeziehung eines bereits gezeugten Kindes ermöglichen. Dies betrifft etwa die Berechnung von Quoten oder die Reichweite familienbezogener Ansprüche, soweit diese am Status als Kind ansetzen und die spätere Lebendgeburt eintritt.

Haftungs- und Schadensrecht

Werden dem bereits gezeugten Kind vor der Geburt Nachteile zugefügt, kann es nach der Geburt Rechte geltend machen, die an diese vorgeburtlichen Ereignisse anknüpfen. Die Fiktion hilft, die zeitliche Lücke zwischen schädigendem Ereignis und Geburt zu schließen, damit das Kind seine günstigen Rechtspositionen wahrnehmen kann.

Vertrags-, Versicherungs- und Leistungsbezüge

Bestimmungen, die Vorteile „für Kinder“ oder „Nachkommen“ vorsehen, können ein bereits gezeugtes Kind erfassen, wenn der maßgebliche Zeitpunkt (zum Beispiel der Versicherungsfall oder Stichtag eines Vertrags) vor der Geburt liegt. Ob und wie diese Einbeziehung erfolgt, hängt von der konkreten Klausel und den weiteren Umständen ab und setzt die spätere Lebendgeburt voraus.

Rechtsfolgen und Grenzen

Bedingte Rechtsposition bis zur Geburt

Die Rechtsposition des ungeborenen Kindes ist bis zur Lebendgeburt vorläufig und aufschiebend bedingt. Mit der Geburt werden die zuvor geschützten Vorteile endgültig wirksam. Kommt es nicht zur Lebendgeburt, entfällt die Grundlage für die Fiktion.

Keine Begründung von Nachteilen

Die Maxime begründet keine Lasten. Schulden, Verpflichtungen oder sonstige Nachteile können nicht auf sie gestützt werden. Sie dient ausschließlich dem Schutz positiver Rechtsfolgen.

Fristen, Stichtage und Verjährung

Fristen und Stichtage, die an Ereignisse vor der Geburt anknüpfen, werden unter Berücksichtigung der Fiktion so ausgelegt, dass die Position des Kindes gewahrt bleibt. Beginn und Lauf von Fristen, insbesondere Verjährung, orientieren sich daran, ab wann das Kind die geschützten Rechte tatsächlich wahrnehmen kann, regelmäßig also ab der Geburt.

Abgrenzungen und verwandte Konzepte

Abgrenzung zur allgemeinen Rechtsfähigkeit

Die Fiktion ersetzt nicht die allgemeine Rechtsfähigkeit ab der Geburt. Sie überbrückt lediglich die Zeit bis zur Geburt, um dem bereits gezeugten Kind Vorteile zu sichern.

Vergleichbare Grundsätze in anderen Rechtsordnungen

Auch außerhalb kontinentaleuropäischer Systeme existieren vergleichbare Leitlinien, die ungeborenen Kindern vorteilhafte Rechtsfolgen sichern. Inhalt, Reichweite und Voraussetzungen können je nach Rechtsordnung abweichen, der Schutzzweck ist jedoch ähnlich gelagert.

Veranschaulichende Beispiele

– Erbfall: Eine Person verstirbt, während ein Kind bereits gezeugt ist. Der Erbteil des Kindes wird berücksichtigt, sofern das Kind später lebend geboren wird.

– Leistungsversprechen: Ein Vertrag sieht Vorteile „für die Kinder“ einer Person zu einem bestimmten Stichtag vor. Ein bereits gezeugtes Kind kann erfasst sein, wenn es später lebend zur Welt kommt.

– Haftungsfall: Ein vor der Geburt verursachter Schaden wirkt sich auf das Kind aus. Nach der Geburt kann das Kind Rechte geltend machen, die den vorgeburtlichen Vorgang betreffen.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet der Grundsatz „nasciturus pro iam nato habetur“?

Er besagt, dass ein bereits gezeugtes, jedoch noch nicht geborenes Kind als schon geboren gilt, sofern dies zu seinem Vorteil ist. Die Maxime dient dazu, günstige Rechtsfolgen zu sichern, die sonst wegen der noch nicht eingetretenen Geburt verloren gehen könnten.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit der Grundsatz greift?

Erforderlich ist, dass das Kind zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits gezeugt war und später lebend zur Welt kommt. Nur dann werden die zuvor gesicherten Vorteile endgültig wirksam.

Gilt der Grundsatz in allen Rechtsgebieten gleichermaßen?

Er kommt vor allem in Bereichen zum Tragen, in denen Rechtsfolgen an die Existenz von Kindern anknüpfen, insbesondere im Erbrecht sowie bei haftungs- und leistungsbezogenen Konstellationen. Die konkrete Anwendung richtet sich nach dem jeweiligen Regelungszusammenhang.

Welche Rolle spielt die Lebendgeburt?

Die Lebendgeburt ist die Bedingung dafür, dass die zuvor nur vorläufig gesicherten Vorteile endgültig entstehen. Bleibt sie aus, entfällt die Grundlage für die Begünstigung.

Kann der Grundsatz auch zu Lasten des Kindes wirken?

Nein. Die Fiktion wirkt ausschließlich zugunsten des Kindes. Verpflichtungen, Schulden oder andere Nachteile werden daraus nicht abgeleitet.

Wie werden die Rechte des ungeborenen Kindes bis zur Geburt gesichert?

Die Rechtsordnung sieht Schutzmechanismen vor, um potenzielle Vorteile zu bewahren, etwa durch faktische Sicherung von Anteilen oder eine an den künftigen Anspruch angepasste Verwaltung. Damit soll verhindert werden, dass die künftige Position vereitelt wird.

Welche Bedeutung hat der Grundsatz im Erbrecht?

Im Erbrecht ermöglicht er, ein bereits gezeugtes Kind bei der Erbfolge zu berücksichtigen, wenn der Erbfall vor der Geburt eintritt. Der Anteil des Kindes bleibt gesichert und wird mit der Lebendgeburt endgültig.