Legal Lexikon

Nachtrunk


Begriff und Definition: Nachtrunk

Der Begriff Nachtrunk bezeichnet im rechtlichen Kontext die nach der Begehung einer Straftat erfolgte Aufnahme von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln. Besonders relevant ist der Term im Strafrecht, wenn es darum geht, die Schuldfähigkeit eines Beschuldigten zum Tatzeitpunkt zu bestimmen, sofern nach der Tat noch Alkohol oder ähnliche Substanzen konsumiert wurden.

Die genaue Bewertung des Nachtrunks hat maßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung strafrechtlicher Verantwortlichkeit, insbesondere bei Delikten, bei denen eine verminderte oder aufgehobene Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) oder Beweisschwierigkeiten bezüglich des Blutalkoholgehalts zum Tatzeitpunkt eine Rolle spielen.


Relevanz im Strafrecht

Nachtrunk und Schuldfähigkeit

Die Feststellung der Schuldfähigkeit im Strafrecht richtet sich nach dem Zustand des Täters zur Tatzeit. Der Nachtrunk bringt Schwierigkeiten mit sich, da eine anschließend durchgeführte Blutalkoholkonzentrationsmessung die tatsächliche BAK zum Zeitpunkt der Tat verfälschen kann. Um den Alkoholkonsum nach der Tat, den so genannten Nachtrunk, kriminalistisch und gerichtlich korrekt zu bewerten, wird der Konsum nach Deliktsvollzug von den Strafverfolgungsbehörden umfassend geprüft und dokumentiert.

Bedeutung bei Fahruntüchtigkeit

Insbesondere im Verkehrsrecht findet der Nachtrunk bei der Bewertung von Alkohol- sowie Betäubungsmitteldelikten im Straßenverkehr starke Beachtung (§§ 316, 315c StGB). Der Kernpunkt liegt darin, eine möglichst genaue Rückrechnung des Alkoholgehalts zum Zeitpunkt der Tat vorzunehmen. Hierbei wird der in der Zeit zwischen dem Tatereignis und der der amtlichen Feststellung konsumierte Alkohol rechnerisch und in der rechtlichen Würdigung herausgerechnet bzw. differenziert bewertet.


Beweislast, Nachweis und Bewertung des Nachtrunks

Anforderungen an die Glaubhaftmachung

Die Behauptung eines Nachtrunks muss nachvollziehbar, konkret und plausibel sein. Dem Beschuldigten obliegt die Darlegungslast, wobei die Strafverfolgungsbehörden die Behauptung jedoch nicht bloß widerspruchslos zu übernehmen haben, sondern kritisch zu prüfen, ob die Angaben des Beschuldigten mit den festgestellten Fakten, Zeugenaussagen und forensischen Gutachten im Einklang stehen.

Erforderlich sind Informationen zu Art, Menge, Zeitpunkt und Umstände des Nachtrunks. Die Behörden untersuchen, ob Raum, Möglichkeit und Motivation für einen Nachtrunk bestanden. Fehlen hierzu nachvollziehbare Angaben oder bestehen Zweifel an der Darstellung, wirkt sich dies zum Nachteil des Täters aus (Grundsatz: „in dubio pro reo” gilt mit Einschränkungen).

Rückrechnung des Blutalkoholwertes

Zur Rekonstruktion der Blutalkoholkonzentration im Tatzeitpunkt werden Rückrechnungsverfahren angewendet. Dabei berücksichtigt man:

  • Alkoholverbrauchsmengen
  • Körpergewicht
  • Zeitraum zwischen Tat und Blutentnahme
  • Resorptionsverzögerung und -zeitraum

Nach der allgemein anerkannten Widmark-Formel sowie den Richtlinien der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh) und ständiger Rechtsprechung (z.B. BGHSt 46, 358), erfolgt eine genaue Berechnung. Wird ein Nachtrunk glaubhaft gemacht, ist dieser alkoholmengenmäßig abzuziehen.


Rechtsprechung zum Nachtrunk

Zentrale Entscheidungen

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat Grundsätze zur Beurteilung von Nachtrunk festgelegt:

  • BGH, Urteil v. 19.01.2001, Az. 2 StR 508/00: Die bloße Behauptung eines Nachtrunks durch den Beschuldigten reicht nicht aus. Konkrete und nachvollziehbare Angaben sind erforderlich.
  • OLG Hamm, Beschluss v. 31.03.2008, Az. 2 Ss OWi 203/08: Nachtrunk ist zu berücksichtigen, wenn Zweifel an der Unrichtigkeit nicht auszuräumen sind. Wegen des Zweifelsgrundsatzes ist im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden, sofern die Nachtrunkhypothese ernstlich in Betracht gezogen werden kann.

Nachtrunk bei Ordnungswidrigkeiten

Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, vor allem bei alkoholbedingten Verkehrsordnungswidrigkeiten (§ 24a StVG), findet der Nachtrunk seine Anwendung. Der Betroffene hat die Möglichkeit, den Nachtrunk als Entlastung anzugeben. Die Ordnungsbehörde hat dann individuell zu prüfen und zu würdigen, ob der Vorwurf aufrechterhalten werden kann.


Folgen und Rechtsfolgen bei Nachweis eines Nachtrunks

Vollständiger Ausschluss der Tatbegehung im Rausch

Führt die Überzeugungsbildung zum Ergebnis, dass der Alkoholkonsum in vollem Umfang nach der Tat erfolgt ist, kann ein Tatnachweis nicht geführt werden. Dies kann zu einem Freispruch führen.

Teilweiser Nachweis der Tatzeit-BAK

Wird nur ein Teilkonsum nachgewiesen, gilt für den verbleibenden Rest, dass die Höhe der BAK nur für den konsumierten Alkohol vor der Tat angenommen werden kann. Ein rechtswidriger und schuldhafter Alkoholeinfluss am Steuer ist dann nur in dieser Größe zu ahnden.


Nachtrunk: Abgrenzung und praktische Relevanz

Unterscheidung zu Tatzeitkonsum

Der Nachtrunk unterscheidet sich von dem herkömmlichen Tatzeitkonsum dadurch, dass er allein der Verschleierung des tatsächlichen Zustands zur Tatzeit dient. Die Feststellung eines Nachtrunks kann somit zu einem vollständigen oder teilweisen Entfallen straf- oder ordnungsrechtlicher Konsequenzen führen.

Praktische Bedeutung

Die Aufklärung des Nachtrunks verursacht erhebliche Beweisprobleme sowohl bei Ermittlungsbehörden als auch Gerichten. Es ist daher üblich, nach Unfällen oder Tatverdacht so bald wie möglich eine Blutprobe sicherstellen und festzuhalten, ob nach der Tat Alkohol konsumiert wurde.


Literatur und Quellen

Zur weiteren Vertiefung werden einschlägige Kommentierungen und Handbücher des Straf- und Verkehrsrechts empfohlen, beispielsweise:

  • Fischer, Strafgesetzbuch (Kommentierung zu §§ 20, 21 StGB)
  • Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht
  • Diverse Rechtsprechungsdatenbanken

Zusammenfassung

Der Nachtrunk stellt einen komplexen rechtlichen Begriff dar, der im Kontext der Zuschreibung von Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt von erheblicher Bedeutung ist. Die Beurteilung erfolgt anhand konkreter Angaben, forensischer Nachweise und im Zweifelsfall durch Anwendung des Rückrechnungsprinzips. Die Glaubhaftmachung des Nachtrunks kann maßgeblich Einfluss auf Schuldfähigkeit, Strafzumessung und die strafrechtliche Verantwortlichkeit haben.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt die Beweislast für einen behaupteten Nachtrunk im Straßenverkehrsrecht?

Im straf- und bußgeldrechtlichen Kontext des Straßenverkehrs trägt grundsätzlich der Betroffene beziehungsweise der Beschuldigte die Beweislast für einen behaupteten Nachtrunk. Das bedeutet, dass eine Person, die nach einer Fahrt unter Alkoholeinfluss von sich behauptet, den Großteil des Alkohols erst nach der Fahrt konsumiert zu haben, in der Pflicht steht, diesen Vortrag glaubhaft zu machen. Das Gericht muss von der Darstellung überzeugt werden, wobei an die Glaubhaftmachung keine mathematisch exakten Anforderungen gestellt werden, aber doch eine nachvollziehbare, schlüssige und durch ggf. Zeugen oder Indizien untermauerte Darstellung erforderlich ist. Häufig wird im Rahmen eines sogenannten “Nachtrunk-Einwands” ein Sachverständigengutachten zur Rückrechnung des Blutalkoholwertes eingeholt. Das Gericht beurteilt dann im Einzelfall, ob der Nachtrunkvortrag ausreichend belegt oder als reine Schutzbehauptung zu werten ist.

Welche Rolle spielt ein Nachtrunk bei der Strafzumessung oder der Ordnungswidrigkeit?

Ein plausibel nachgewiesener Nachtrunk kann im Verfahren wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) oder einer entsprechenden Ordnungswidrigkeit erheblichen Einfluss auf die Strafzumessung oder den Schuldspruch haben. Gelingt die Glaubhaftmachung eines Nachtrunks, ist gegebenenfalls der für die Tatzeit maßgebliche Blutalkoholwert zu errechnen und nicht der zum Zeitpunkt der Blutentnahme oder Atemalkoholmessung festgestellte Wert. Dies kann zur Unterschreitung gesetzlicher Schwellenwerte (etwa 0,5 Promille-Grenze) führen, was maßgeblich die Frage der Sanktionierung beeinflusst. Fällt der Blutalkoholwert durch Berücksichtigung eines Nachtrunks unter die Grenze, kann eine Strafbarkeit oder Ahndung entfallen.

Wie beurteilen Gerichte die Glaubwürdigkeit eines Nachtrunkvortrags?

Gerichte begegnen Nachtrunkbehauptungen mit besonderer Skepsis, da der Vortrag eines Nachtrunks eine häufige Schutzbehauptung im Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren ist. Sie prüfen daher insbesondere, ob der Vortrag zum Nachtrunk schlüssig, widerspruchsfrei und durch Beweismittel oder Zeugenaussagen gestützt ist. Indizien wie die Art und Menge des angeblich nach der Fahrt konsumierten Alkohols, der genaue Zeitpunkt und die Umstände des Konsums sowie die Reaktion gegenüber Polizeibeamten (z.B. sofortige Einlassung) werden bei der Beurteilung herangezogen. Fehlen stichhaltige Beweise oder sind Widersprüche vorhanden, wird der Nachtrunk regelmäßig als unglaubwürdig bewertet und nicht berücksichtigt.

Was sind typische Beweismittel beim Nachtrunk-Einwand?

Zu den zulässigen und typischen Beweismitteln für den Nachtrunk zählen in erster Linie Zeugenaussagen von anwesenden Personen, die den Alkoholkonsum nach der Fahrt beobachtet haben. Auch Quittungen oder Videoaufnahmen, aus denen der Nachweis des Alkoholkaufs und -konsums vor Ort hervorgeht, können herangezogen werden. Weiterhin kann ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zur Rückrechnung des Blutalkoholwerts zur Klärung herangezogen werden. Wichtig ist, dass sämtliche Umstände, die den Nachtrunk plausibel erscheinen lassen, umfassend und detailliert dargelegt werden.

Welche Bedeutung hat die polizeiliche Belehrung beim Nachtrunk?

Die polizeiliche Belehrung des Beschuldigten nach § 163a Abs. 4 StPO oder § 46 OWiG spielt insofern eine Rolle, als dass ein Beschuldigter das Recht hat, zur Sache keine Angaben zu machen. Gibt er dennoch spontan – noch vor Belehrung – den Hinweis auf Nachtrunk oder verweist er erst später nach Beratung darauf, kann dies die Bewertung der Glaubhaftigkeit seines Nachtrunkvortrags beeinflussen. Außerdem sollte die Polizei stets die zeitliche Abfolge zwischen Fahrtende, festgestelltem Alkoholkonsum und Blutentnahme dokumentieren, um eine spätere Auswertung im Verfahren zu ermöglichen.

Bis wann kann ein Nachtrunk geltend gemacht werden?

Ein Nachtrunk kann grundsätzlich bis zum Abschluss der gerichtlichen Verhandlung in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren geltend gemacht werden. Allerdings wird die Glaubwürdigkeit des Vortrags beeinträchtigt, wenn der Betroffene den Nachtrunk erst sehr spät im Verfahren, etwa erst in der Hauptverhandlung, behauptet. Frühzeitige und widerspruchsfreie Angaben erhöhen hingegen die Erfolgsaussichten eines solchen Vortrags erheblich.

Können Alkoholdelikte bei erfolgreichem Nachtrunk vollständig entfallen?

Wenn der Nachtrunk ausreichend nachgewiesen und der zurückgerechnete Blutalkoholwert unterhalb der jeweiligen gesetzlichen Schwellen (z.B. 0,5 ‰ oder 1,1 ‰) lag, kann die Ahndung entfallen. Besteht jedoch trotz Nachtrunkvortrags weiterhin mindestens relative Fahruntüchtigkeit oder sind alkoholbedingte Ausfallerscheinungen dokumentiert, kann auch ein gültiger Nachtrunkvortrag nicht zur vollständigen Straffreiheit führen. In diesen Fällen kommt es auf die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls an.

Welche Auswirkungen hat ein Nachtrunk auf fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen?

Selbst wenn ein strafbares Verhalten wegen Nachtrunks im Einzelfall entfällt, kann die Fahrerlaubnisbehörde auf Grundlage der getroffenen Feststellungen im Straf- oder Bußgeldverfahren Maßnahmen nach dem Fahrerlaubnisrecht ergreifen. Dies betrifft insbesondere die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU), wenn Zweifel an der Fahreignung weiter bestehen oder Alkoholmissbrauch im Raum steht. Die Bewertung orientiert sich dabei an der Gesamtwürdigung, ob der Nachtrunkvortrag auch für die Beurteilung der Fahreignung ausreicht.