Nachlassverbindlichkeiten: Bedeutung und Einordnung
Nachlassverbindlichkeiten sind alle Schulden, Verpflichtungen und Ansprüche, die beim Tod einer Person mit dem Nachlass verbunden sind. Sie gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erbinnen und Erben über und werden grundsätzlich aus dem Nachlass erfüllt. Der Begriff umfasst zum einen bestehende Schulden der verstorbenen Person und zum anderen Verpflichtungen, die erst durch den Erbfall entstehen. Nachlassverbindlichkeiten beeinflussen die Höhe des verteilbaren Vermögens und bestimmen, ob und in welchem Umfang Erbinnen und Erben Werte erhalten.
Rechtlich betrachtet tritt die Erbengemeinschaft oder die einzelne Erbin/der einzelne Erbe in die Stellung der verstorbenen Person ein. Gläubiger können ihre Forderungen grundsätzlich gegenüber den Erbinnen und Erben geltend machen. Soweit eine Testamentsvollstreckung angeordnet ist, richtet sich die Abwicklung regelmäßig über die Verwaltung des Testamentsvollstreckers. Der Nachlass bildet ein gesondertes Vermögenssubstrat, aus dem die Nachlassverbindlichkeiten vorrangig zu begleichen sind.
Arten der Nachlassverbindlichkeiten
Schulden der verstorbenen Person (Erblasserschulden)
Hierzu zählen alle zu Lebzeiten begründeten Verpflichtungen, die beim Tod noch bestehen. Typische Fälle sind Darlehen, Mietrückstände, Kaufpreisforderungen, offene Rechnungen, Schadenersatzansprüche, Steuern aus Lebzeiten sowie betriebliche Verbindlichkeiten. Auch dinglich gesicherte Forderungen (z. B. durch Grundpfandrechte oder Pfandrechte) bleiben bestehen und betreffen das verhaftete Nachlassvermögen.
Verbindlichkeiten, die erst durch den Erbfall entstehen (Erbfallschulden)
Bestattung und Grab
Kosten der Bestattung, der vorläufigen Sicherung des Nachlasses sowie übliche Grabkosten zählen regelmäßig zu den durch den Erbfall entstehenden Verbindlichkeiten. Umfang und Angemessenheit orientieren sich an den Umständen des Einzelfalls.
Nachlassabwicklung und -verwaltung
Aufwendungen für die Sicherung, Ermittlung, Bewertung und Verwaltung des Nachlasses können Nachlassverbindlichkeiten sein. Dazu gehören beispielsweise Kosten für Nachlassverzeichnisse, Gerichtskosten im Erbverfahren, Vergütung einer angeordneten Testamentsvollstreckung, notwendige Verwahrung oder Versicherung von Nachlassgegenständen sowie übliche Verwertungskosten.
Pflichtteils- und Vermächtnisansprüche
Pflichtteilsansprüche naher Angehöriger sowie Vermächtnisse sind im Grundsatz aus dem Nachlass zu erfüllen. Sie mindern den verteilbaren Nachlass. Solche Ansprüche richten sich regelmäßig gegen die Erbinnen und Erben und sind typischerweise Geldansprüche. Auch Auflagen, die der Erblasser angeordnet hat (z. B. Geldauflagen für bestimmte Zwecke), können zu erfüllende Verpflichtungen darstellen.
Güterrechtliche Ausgleichsforderungen
Ansprüche aus dem ehelichen Güterrecht oder aus einer eingetragenen Lebenspartnerschaft können im Erbfall zu Verbindlichkeiten führen, die die Höhe des Nachlasses beeinflussen. Sie sind im Rahmen der Nachlassabwicklung zu berücksichtigen.
Abgrenzung zu Erbenschulden
Verbindlichkeiten, die erst die Erbinnen und Erben nach dem Erbfall selbst eingehen (z. B. neue Verträge, Ausgaben außerhalb der Nachlassverwaltung), sind grundsätzlich keine Nachlassverbindlichkeiten. Dagegen können Verbindlichkeiten, die unmittelbar der Erhaltung, Sicherung oder ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses dienen, dem Nachlass zugeordnet sein. Die Abgrenzung erfolgt nach Zweck und Ursache der Verpflichtung.
Haftung für Nachlassverbindlichkeiten
Wer haftet?
Grundsätzlich haften die Erbinnen und Erben als Gesamtrechtsnachfolger. Gibt es mehrere Erbende, haften sie gegenüber Gläubigern in der Regel als Gesamtschuldner. Intern erfolgt ein Ausgleich entsprechend den Erbquoten. Bei angeordneter Testamentsvollstreckung ist der Testamentsvollstrecker für die Erfüllung aus dem Nachlass zuständig; Gläubiger wenden sich häufig an ihn als Verwalter des Nachlasses.
Umfang der Haftung
Die Haftung kann sich auf den Nachlass beschränken oder darüber hinausgehen. Eine Beschränkung auf das Nachlassvermögen ist unter bestimmten rechtlichen Gestaltungen möglich, insbesondere wenn eine besondere Verwaltung oder ein geordnetes Verfahren über den Nachlass durchgeführt wird. Ohne solche Beschränkung kann die Haftung der Erbinnen und Erben grundsätzlich auch ihr eigenes Vermögen erfassen.
Haftung bei mehreren Erbenden
Mehrere Erbinnen und Erben haften Gläubigern gegenüber gemeinschaftlich. Im Innenverhältnis trägt jede Person die Verbindlichkeiten entsprechend ihrer Erbquote. Hat eine Person mehr gezahlt, als ihrem Anteil entspricht, kann ein interner Ausgleich beansprucht werden.
Pflichtteilsrechte und Vermächtnisse
Pflichtteils- und Vermächtnisansprüche sind regelmäßig gegen die Erbinnen und Erben gerichtet. Sie werden aus dem Nachlass erfüllt und mindern dessen Wert. Sind Nachlasswerte bereits verteilt, kann eine Haftung der Erbinnen und Erben in Betracht kommen, soweit der Anspruch nicht anderweitig erfüllt wurde.
Verwaltung und Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten
Reihenfolge und Rang
Eine starre gesetzliche Reihenfolge für die Erfüllung sämtlicher Nachlassverbindlichkeiten besteht im Grundsatz nicht. Gesicherte Forderungen haben Vorrang in dem Umfang, in dem Sicherheiten haften (z. B. Grundpfandrechte am Nachlassgrundstück). Bestattungskosten und notwendige Abwicklungskosten sind regelmäßig vor einer Verteilung des Nachlasses zu begleichen. Bei angeordneter Testamentsvollstreckung darf eine Verteilung an Erbinnen und Erben erst erfolgen, wenn die Nachlassverbindlichkeiten erfüllt sind.
Durchsetzung und Vollstreckung
Gläubiger machen ihre Ansprüche gegenüber den Erbinnen und Erben geltend; bei Testamentsvollstreckung ist die Verwaltung des Nachlasses zu beachten. Für die Zwangsvollstreckung kommen Nachlassgegenstände in Betracht; gesicherte Gläubiger können in belastete Gegenstände vollstrecken. Je nach Konstellation sind Nachweise über die Erbenstellung beziehungsweise die Verwaltungsbefugnis erforderlich.
Nachlassinsolvenz und Nachlassverwaltung
Ist der Nachlass überschuldet oder droht Zahlungsunfähigkeit, kommen besondere Verfahren in Betracht, die den Nachlass vom Privatvermögen der Erbinnen und Erben trennen und eine geordnete Befriedigung der Gläubiger aus dem Nachlass ermöglichen. In solchen Verfahren gelten besondere Regeln zu Anmeldung, Prüfung und Rang der Forderungen sowie zur Verwertung der Nachlassgegenstände.
Sicherheiten, Aufrechnung und sonstige Besonderheiten
Sach- und Realsicherheiten
Dingliche Sicherheiten, die an Nachlassgegenständen bestehen (z. B. Grundschulden, Hypotheken, Pfandrechte), bleiben grundsätzlich wirksam. Die gesicherten Gläubiger können ihre Rechte nach den allgemeinen Regeln aus der Sicherheit verfolgen, was den Vorrang gegenüber ungesicherten Forderungen begründen kann.
Aufrechnung und Zurückbehaltung
Eine Aufrechnung zwischen Forderungen gegen den Nachlass und Ansprüchen des Nachlasses ist unter den allgemeinen Voraussetzungen möglich. Zurückbehaltungsrechte an Nachlasssachen können die Durchsetzung von Herausgabeansprüchen beeinflussen, solange offene Forderungen im Zusammenhang mit dem Gegenstand bestehen.
Bedingte, befristete und streitige Forderungen
Auch bedingte oder noch nicht fällige Verbindlichkeiten gehören zum Nachlass. Sie sind bei der Abwicklung zu berücksichtigen, etwa durch Rückstellungen oder vorbehaltene Auskehrung. Streitig gestellte Forderungen werden nach Klärung oder in geordneten Verfahren berücksichtigt; soweit erforderlich, kann eine Quotelung erfolgen.
Verjährung
Für Nachlassverbindlichkeiten gelten die allgemeinen Verjährungsregeln. Bestehende Fristen laufen weiter; für Ansprüche, die erst durch den Erbfall entstehen, beginnt die Verjährung regelmäßig mit dem auslösenden Ereignis. Hemmung und Neubeginn der Verjährung richten sich nach allgemeinen Grundsätzen (z. B. durch Verhandlungen oder Anerkenntnis).
Internationale Bezüge und Sonderkonstellationen
Bei grenzüberschreitenden Erbfällen kann anderes Erbrecht maßgeblich sein. Nachlassverbindlichkeiten werden dann nach dem anwendbaren Recht eingeordnet, einschließlich Fragen der Haftung, der Rangfolge und der Verwaltung. Unternehmensnachfolge, Beteiligungen oder land- und forstwirtschaftliche Betriebe können zusätzliche Besonderheiten aufweisen, etwa hinsichtlich Fortführung, Haftung und Bewertung.
Abgrenzung: Was sind keine Nachlassverbindlichkeiten?
- Persönliche Schulden der Erbinnen und Erben, die keinen Bezug zum Nachlass haben.
- Erbschaftsteuer des einzelnen Erben; sie trifft regelmäßig die empfangende Person und nicht den Nachlass.
- Reine moralische Verpflichtungen ohne rechtliche Bindung.
- Freiwillige Zuwendungen, die nicht auf einer rechtsverbindlichen Anordnung beruhen.
Beispiele zur Einordnung
- Ein Offertendarlehen der verstorbenen Person ist als Nachlassverbindlichkeit zu bedienen; besteht eine Grundschuld am Nachlassgrundstück, hat der gesicherte Gläubiger vorrangigen Zugriff auf dieses Objekt.
- Die Kosten einer schlichten, ortsüblichen Beerdigung und die Vergütung eines angeordneten Testamentsvollstreckers werden vor einer Verteilung an die Erbinnen und Erben beglichen.
- Ein Pflichtteilsanspruch eines Kindes mindert den verteilbaren Nachlass; er richtet sich gegen die Erbinnen und Erben als Gesamtschuldner.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Nachlassverbindlichkeiten
Was zählt zu Nachlassverbindlichkeiten?
Nachlassverbindlichkeiten umfassen alle zu Lebzeiten bestehenden Schulden der verstorbenen Person sowie Verbindlichkeiten, die durch den Erbfall entstehen. Dazu gehören insbesondere Darlehen, offene Rechnungen, Schadenersatzansprüche, Steuern aus Lebzeiten, Bestattungs- und Abwicklungskosten, Pflichtteils- und Vermächtnisansprüche sowie güterrechtliche Ausgleichsforderungen.
Haften Erbinnen und Erben mit dem Privatvermögen?
Grundsätzlich haften Erbinnen und Erben für Nachlassverbindlichkeiten. Der Umfang kann das Privatvermögen erfassen, sofern keine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass greift. Unter bestimmten rechtlichen Gestaltungen ist eine Trennung zwischen Nachlass und Privatvermögen möglich.
Sind Pflichtteilsansprüche Nachlassverbindlichkeiten?
Pflichtteilsansprüche gehören regelmäßig zu den durch den Erbfall entstehenden Verbindlichkeiten. Sie richten sich gegen die Erbinnen und Erben, werden in der Regel in Geld erfüllt und mindern den verteilbaren Nachlass.
In welcher Reihenfolge werden Nachlassverbindlichkeiten beglichen?
Eine starre einheitliche Reihenfolge besteht nicht. Vor einer Verteilung an die Erbinnen und Erben sind Bestattungskosten und notwendige Abwicklungskosten zu begleichen. Gesicherte Forderungen werden aus der jeweiligen Sicherheit bedient. Im Übrigen gilt der Grundsatz gleichmäßiger Befriedigung; bei unzureichendem Nachlass erfolgt häufig eine anteilige Bedienung.
Gehören Beerdigungskosten zu den Nachlassverbindlichkeiten?
Ja. Übliche Bestattungskosten zählen regelmäßig zu den durch den Erbfall entstandenen Verbindlichkeiten und sind grundsätzlich vorrangig aus dem Nachlass zu begleichen.
Was passiert, wenn der Nachlass überschuldet ist?
Bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Nachlasses kommen besondere Verfahren in Betracht, die den Nachlass vom Privatvermögen der Erbinnen und Erben trennen und die Befriedigung der Gläubiger ordnen. In diesen Verfahren gelten besondere Regeln zu Anmeldung, Prüfung und Rang von Forderungen.
Ist Erbschaftsteuer eine Nachlassverbindlichkeit?
Die Erbschaftsteuer trifft in der Regel die empfangende Person und ist keine Nachlassverbindlichkeit. Demgegenüber können Steuern aus der Zeit vor dem Tod der verstorbenen Person oder Abschlusssteuern aus der letzten Veranlagungsperiode Nachlassverbindlichkeiten sein.