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Missbrauch der Vertretungsmacht


Definition und Grundlagen des Missbrauchs der Vertretungsmacht

Der Missbrauch der Vertretungsmacht beschreibt im Zivilrecht einen Fall, in dem ein Vertreter im Namen des Vertretenen handelt, dabei jedoch die ihm eingeräumten Befugnisse überschreitet oder gegen interne Weisungen verstößt. Von einem echten Handeln ohne Vertretungsmacht – etwa der „falsus procurator“ nach § 177 BGB – ist der Missbrauch der Vertretungsmacht abzugrenzen, da der Vertreter im Außenverhältnis zum Rechtsverkehr formal zur Vertretung befugt ist, aber im Innenverhältnis Weisungen, Beschränkungen oder Zwecke der Vertretung verletzt. Die rechtliche Relevanz ergibt sich insbesondere im Zusammenhang mit der rechtsgeschäftlichen Vertretung im Schuld- und Sachenrecht.

Abgrenzung: Missbrauch der Vertretungsmacht und Handeln ohne Vertretungsmacht

Der Missbrauch der Vertretungsmacht ist vom Fall der fehlenden Vertretungsmacht abzugrenzen. Liegt ein Ermächtigungsdefizit, also überhaupt keine Vertretungsmacht vor (Handeln ohne Vertretungsmacht), wird das durch §§ 177 ff. BGB geregelt. Beim Missbrauch existiert eine rechtlich wirksame Vertretungsmacht, wird allerdings aufgrund von Weisungsverstößen oder Überschreitungen zweckgebundener Vollmachten inkorrekt genutzt.

Formen des Missbrauchs der Vertretungsmacht

Überschreitung von Innenverhältnisvorgaben

Eine klassische Fallgestaltung ist die Verletzung von Beschränkungen, die dem Vertreter im Innenverhältnis auferlegt wurden (sogenannte Innenvollmacht mit Beschränkungen). Der Vertreter darf nach außen zwar handeln, missachtet jedoch Pflichten oder Grenzen, welche im Verhältnis zum Vertretenen bestehen.

Überschreitung des Umfangs der Vertretungsmacht

Eine weitere Variante ist die Überschreitung des Umfangs der Vertretungsmacht. Dies betrifft etwa den Vertreter, der für Vorgänge eingesetzt ist, die Vertretungsmacht aber für ein Rechtsgeschäft einsetzt, das nicht mehr vom Umfang umfasst ist. Bleibt das Dritte, mit dem der Vertrag geschlossen wird, innerhalb des erkennbaren Rahmens, ist regelmäßig von einer wirksamen Vertretung auszugehen; andernfalls ist die Rechtslage differenziert zu bewerten.

Handeln zu eigenen oder zu Drittinteressen

Missbrauch der Vertretungsmacht wird auch dann relevant, wenn der Vertreter im eigenen Namen, zu eigenen Zwecken oder im Kollusionsfall mit einem Dritten handelt (§ 138 BGB, „Insichgeschäft“, § 181 BGB). Hier spielt vor allem die Schädigungsabsicht oder die zielgerichtete Vorteileinräumung für Dritte eine Rolle.

Rechtliche Konsequenzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht

Wirkung des Rechtsgeschäfts

Die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, das der Vertreter im Namen des Vertretenen vornimmt, richtet sich maßgeblich nach der sogenannten Gutglaubenschutzregelung:

  • Ist der Vertragspartner (Dritter) gutgläubig, das heißt, er kennt weder die Weisungsüberschreitung noch hätte er sie kennen müssen, so wirkt das Geschäft regelmäßig gegenüber und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs. 1 BGB).
  • Ist der Dritte jedoch bösgläubig, erkennt also den Missbrauch oder hätte nach den Umständen davon ausgehen müssen, dass der Vertreter seine Befugnisse missbraucht, findet der sog. Missbrauchsfall statt. Hier kann der Vertretene die Wirksamkeit des Geschäfts ablehnen.

„Missbrauchsregeln“ nach der Rechtsprechung

Nach der sogenannten „Missbrauchsrechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs wird differenziert:

  • Handelt der Vertreter im Rahmen der ihm nach außen erkennbaren Vertretungsmacht, ist ein vom Dritten erkanntes oder grob fahrlässig übersehenes Überschreiten der Innenvorgaben für den Vertretenen nicht verbindlich.
  • Ist der Dritte allerdings gutgläubig und der Missbrauch lag für ihn nicht offen zutage, bleibt der Vertretene an das Rechtsgeschäft gebunden.

Ausnahmefälle: Kollusion und Evidenz

Besondere Beachtung finden Fälle der Kollusion (bewusstes Zusammenwirken Vertreter und Dritter zum Schaden des Vertretenen) und der Evidenz (offensichtlicher Missbrauch). In diesen Fällen wird regelmäßig das Geschäft als unwirksam angesehen bzw. dem Vertretenen das Recht eingeräumt, sich auf die Unwirksamkeit zu berufen.

Verhältnis zu § 242 BGB (Treu und Glauben)

Die Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist für die Rechtsfolgenentscheidung beim Missbrauch der Vertretungsmacht zentral. Insbesondere wird dem Dritten der Einwand verwehrt, dass er das Überschreiten der Vollmacht nicht erkannt habe, wenn die Umstände klare Missbrauchsanzeichen geliefert haben.

Missbrauch der Vertretungsmacht im Gesellschaftsrecht

Organvertreter von Gesellschaften

Im Gesellschaftsrecht, etwa bei Handelsgesellschaften oder der GmbH, spielen der Umfang der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertretungsbefugnisse und deren (Miss-)Brauch zentrale Rollen. So sind gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG und § 126 HGB Beschränkungen der Vertretungsmacht im Innenverhältnis im Außenverhältnis grundsätzlich unbeachtlich, es sei denn, der Geschäftspartner weiß vom Missbrauch.

Rechtsprechung und Beispiele in der Praxis

Insbesondere das Handeln von Geschäftsführern, Prokuristen und Vorständen wird in der Praxis häufig an der Grenze zwischen wirksamem Geschäft und Missbrauch der Vertretungsmacht gemessen. Die Abgrenzung ist insbesondere dann relevant, wenn es um bindende oder rechtsschädigende Geschäfte im Namen einer Gesellschaft geht.

Schutzmechanismen und Haftung

Schutz des Vertretenen

Dem Vertretenen stehen verschiedene rechtliche Mittel zur Verfügung, um sich gegen Missbrauchsfälle zu schützen. Dazu gehören unter anderem die Anfechtung des Geschäfts wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB), die Einrede der Unwirksamkeit bei Evidenz- und Kollusionsfällen oder der Schadensersatzanspruch gegen den Vertreter.

Haftung des Vertreters

Verletzt der Vertreter seine Pflichten und schädigt dadurch den Vertretenen, haftet er oft persönlich auf Schadensersatz (§ 280 BGB, ggf. auch deliktische Ansprüche). Regressforderungen kommen dabei in besonderem Maße bei vorsätzlichem Missbrauch oder grober Fahrlässigkeit zum Tragen.

Zusammenfassung

Der Missbrauch der Vertretungsmacht ist ein vielschichtiger Begriff des allgemeinen und besonderen Zivilrechts, mit weitreichenden Folgen für Vertretene, Vertreter und Dritte. Die rechtliche Beurteilung hängt maßgeblich davon ab, ob der Dritte den Missbrauch erkennen konnte, von besonderen Schutzregeln und gesetzlichen Ausnahmen. In der Praxis ist besonders das Zusammenspiel von Innen- und Außenverhältnis, Treu und Glauben sowie gegebenenfalls gesellschaftsrechtlichen Sonderregelungen zu beachten.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • Palandt, Kommentar zum BGB, § 164 ff.
  • Münchener Kommentar zum BGB, Schuldrecht Allgemeiner Teil
  • BGH-Rechtsprechung zum Missbrauch der Vertretungsmacht
  • BeckOK BGB, § 164
  • Großkommentar HGB, Gesellschaftsrecht

Hinweis: Die Darstellung dieses Beitrags orientiert sich an den juristischen Grundlagen und stellt keine individuelle Rechtsberatung dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsfolgen ergeben sich, wenn ein Vertreter seine Vertretungsmacht im Außenverhältnis überschreitet?

Überschreitet ein Vertreter seine Vertretungsmacht im Außenverhältnis, handelt er außerhalb der ihm durch Gesetz, Rechtsgeschäft oder organschaftliche Stellung eingeräumten Befugnisse. Nach deutschem Zivilrecht, insbesondere §§ 177 ff. BGB, ist das durch den Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft zunächst schwebend unwirksam. Das bedeutet, dass das Rechtsgeschäft erst durch eine Genehmigung des Vertretenen rückwirkend wirksam wird. Lehnt der Vertretene die Genehmigung ab, bleibt das Geschäft endgültig unwirksam. In einem solchen Fall kann der Vertragspartner nach § 179 BGB vom Vertreter Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen („Vertreter ohne Vertretungsmacht“), es sei denn, der Vertreter war minderjährig oder die andere Partei kannte den Mangel der Vertretungsmacht.

Wann gilt ein Missbrauch der Vertretungsmacht als für den Vertretenen wirksam?

Ein Missbrauch der Vertretungsmacht im rechtlichen Kontext liegt vor, wenn der Vertreter im Außenverhältnis im Rahmen seiner Macht handelt, diese aber im Innenverhältnis überschreitet (Insichgeschäft, Kollusion, Interessenkollision). Rechtlich ist das Verhalten des Vertreters dem Vertretenen grundsätzlich zuzurechnen (Lehre vom offenen Handeln im Rahmen der Vertretungsmacht). Eine Ausnahme gilt nach der „Dreiecksbeziehung“ bei Kollusion, arglistigem Zusammenwirken des Vertreters mit dem Dritten zu Lasten des Vertretenen, oder bei evidenter Missbrauchslage („Missbrauch der Vertretungsmacht“ nach der Rechtsprechung, § 242 BGB). In solchen Fällen kann das Geschäft auch im Außenverhältnis wirkungslos sein.

Welche Bedeutung hat das „Gutglaubensschutz-Prinzip“ beim Missbrauch der Vertretungsmacht?

Das Gutglaubensschutz-Prinzip, insbesondere bei der Prokura und anderen rechtsgeschäftlichen Vertretungsmachten, schützt den Rechtsverkehr. Nach §§ 170-173 BGB kann sich ein Dritter auf die Vertretungsmacht verlassen, solange der Vertreter im Rahmen einer nach außen bekanntgemachten Vollmacht handelt. Wird die Vertretungsmacht missbräuchlich genutzt, aber im Rahmen des Kundgegebenen gehandelt, bleibt das Rechtsgeschäft gegenüber gutgläubigen Dritten grundsätzlich wirksam. Ein gutgläubiger Dritter ist regelmäßig geschützt, es sei denn, er erkennt die Überschreitung der Vertretungsmacht oder hätte sie erkennen müssen.

Wie haftet der Vertreter bei Missbrauch seiner Vertretungsmacht?

Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht, haftet er nach § 179 BGB dem Vertragspartner auf Erfüllung oder, bei Unmöglichkeit, auf Schadensersatz, sofern der Vertretene das Geschäft nicht genehmigt. Ist die Vertretungsmacht missbraucht worden, aber nach außen hin wirksam, kann eine Haftung des Vertreters gegenüber dem Vertretenen für Pflichtverletzungen im Innenverhältnis (z.B. infolge eines Geschäftsführungs- oder Dienstvertrags) nach §§ 280 ff. BGB in Betracht kommen. Bei arglistigem Handeln oder Verletzung der Treuepflicht ist eine darüber hinausgehende Haftung denkbar.

Was ist der Unterschied zwischen einem Insichgeschäft und einem sonstigen Missbrauch der Vertretungsmacht?

Ein Insichgeschäft liegt gem. § 181 BGB vor, wenn der Vertreter im eigenen Namen mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten ein Geschäft abschließt. Solche Geschäfte sind grundsätzlich unzulässig, es sei denn, der Vertretene hat dies ausdrücklich gestattet oder das Geschäft besteht ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht hingegen betrifft nicht zwangsläufig ein Insichgeschäft, sondern auch andere Fälle, in denen der Vertreter die ihm erteilte Macht im Außenverhältnis ordnungsgemäß, aber im Widerspruch zu den Vorgaben des Innenverhältnisses nutzt.

Welche Rolle spielt die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Dritten beim Missbrauch der Vertretungsmacht?

Die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Dritten ist maßgeblich, wenn es um die Wirksamkeit und Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts geht. Weiß der Dritte oder hätte er bei gehöriger Sorgfalt erkennen können, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht überschreitet oder missbraucht, ist Gutglaubensschutz ausgeschlossen. In kollusiven Fällen oder bei offensichtlicher Überschreitung greift der Schutz der Privatautonomie des Vertretenen; das Geschäft ist ihm gegenüber unwirksam, und der Dritte kann keine Rechte daraus herleiten.

Wie ist die Rechtslage, wenn eine Generalvollmacht missbraucht wird?

Bei Missbrauch einer Generalvollmacht ist zu unterscheiden, ob der Missbrauch im Rahmen des Außenverhältnisses liegt. Die Generalvollmacht berechtigt den Vertreter zwar zu regelwidrigen, aber nach außen hin meist wirksamen Geschäften, sofern der Dritte gutgläubig ist und keine Kenntnis vom Missbrauch hat. Bei eindeutigem Missbrauch ohne schützenswertes Vertrauen des Dritten, wie etwa im Fall grober Pflichtverletzungen oder Rechtsmissbrauchs, kann das Geschäft trotz Generalvollmacht unbeachtlich sein. Die Rechtsprechung verlangt für die Unwirksamkeit allerdings meist das Hinzutreten besonderer Umstände wie kollusives Zusammenwirken (§ 242 BGB).