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Mehrstimmrechtsaktie


Begriff und Definition der Mehrstimmrechtsaktie

Die Mehrstimmrechtsaktie ist eine besondere Form der Aktie, die ihrem Inhaber mehr als eine Stimme pro Aktie bei der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (AG) gewährt. Während bei ordentlichen Stammaktien der Grundsatz „one share – one vote“ gilt, durchbrechen Mehrstimmrechtsaktien dieses Prinzip, indem einzelne Aktien mit mehrfachen Stimmrechten ausgestattet werden. Der Zweck solcher Aktien liegt üblicherweise in der Sicherstellung von Einflussmöglichkeiten bestimmter Aktionäre, insbesondere von Groß- oder Gründungsaktionären, trotz einer möglichen Minderheit bei Kapitalanteilen.

Rechtliche Grundlagen in Deutschland

Gesetzliche Regelungen

Die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien war in Deutschland durch das Aktiengesetz (AktG) geregelt, ist jedoch seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im Jahre 1998 (§ 12 Abs. 2 AktG a.F.) nicht mehr zulässig. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Unternehmen Mehrstimmrechtsaktien ausgeben, sofern die Satzung dies ausdrücklich vorsah und die gesetzlichen Anforderungen im Rahmen der Gründung oder einer satzungsändernden Hauptversammlung eingehalten wurden. Bereits bestehende Mehrstimmrechtsaktien unterlagen jedoch Bestands- und Ausnahmeregelungen.

Bestandsschutz und Übergangsregelungen

Für am Stichtag des Gesetzes bereits existierende Mehrstimmrechtsaktien gelten Sondervorschriften. Nach § 12 Abs. 3 AktG wurde ein umfassender Bestandsschutz für vor dem 1. Mai 1998 emittierte Mehrstimmrechtsaktien gewährt. Diese dürfen weiterhin bestehen, ein Neuemission oder eine Umwandlung von weiteren Aktien in Mehrstimmrechtsaktien seit diesem Datum ist hingegen ausgeschlossen.

Zweck und Funktion von Mehrstimmrechtsaktien

Einflusswahrung bestimmter Aktionärsgruppen

Das Hauptziel der Mehrstimmrechtsaktie besteht darin, bestimmten Aktionärsgruppen, meist den Gründern oder Großaktionären, Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der Gesellschaft zu sichern. Dies kann auch dann von Vorteil sein, wenn diese Anleger ihren Kapitalanteil durch beispielsweise eine Kapitalerhöhung verringern, jedoch weiterhin maßgebliche strategische Entscheidungen treffen möchten.

Unternehmenssteuerung und Übernahmeabwehr

Mehrstimmrechtsaktien werden auch genutzt, um die Kontrolle über ein Unternehmen zu sichern und eine feindliche Übernahme zu erschweren. Sie verleihen bestimmten Aktionären überproportionale Stimmrechte und erhöhen dadurch die Schwelle für eine erfolgreiche Übernahme durch Dritte.

Mehrstimmrechtsaktie im internationalen Kontext

Europäische Rechtslage

In zahlreichen europäischen Ländern sind Mehrstimmrechtsaktien bekannt und teilweise nach wie vor zulässig. Beispielsweise erlauben Frankreich, die Niederlande und Schweden die Ausstattung von Aktien mit Mehrstimmrechten, wenngleich in unterschiedlichem Umfang und unter verschieden strengen Voraussetzungen. Dies führt zu einer gewissen Divergenz in der europäischen Rechtspraxis, auch vor dem Hintergrund der Kapitalmobilität und EU-weit tätiger Konzerne.

Vergleich zu Dual-Class-Shares

International werden Mehrstimmrechtsaktien auch als Dual-Class-Shares bezeichnet. Vor allem in den USA sind solche Aktienklassen in Technologieunternehmen weitverbreitet, mit dem Ziel, die Gründer ans Unternehmen zu binden und ihnen nachhaltige Kontrolle einzuräumen, ungeachtet ihrer Kapitalbeteiligung.

Rechte und Pflichten der Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien

Stimmrechte

Das zentrale Merkmal ist das überproportionale Stimmrecht hinsichtlich der Teilnahme und Abstimmung in der Hauptversammlung. Die Anzahl der Stimmen je Aktie kann sich aus der Satzung ergeben oder gesetzlich vorgegeben sein. Andere mit dem Aktionärsstatus verbundene Rechte, wie Informations-, Dividenden- oder Bezugsrechte, bleiben im Grundsatz unverändert.

Ausgleichsmaßnahmen

Zum Schutz der Minderheitsaktionäre setzen gesetzliche und satzungsmäßige Regelungen häufig Grenzen oder Ausgleichsmaßnahmen fest. Dazu gehören beispielsweise Sperrminoritäten, Zustimmungserfordernisse für strukturelle Änderungen oder die Möglichkeit einer Kompensation für insbesondere nachteilig betroffene Stammaktionäre.

Steuerliche Behandlung von Mehrstimmrechtsaktien

Für die steuerliche Behandlung gelten grundsätzlich die Vorschriften über Dividendenzahlungen und Transaktionen mit Beteiligungen wie bei regulären Stamm- oder Vorzugsaktien. Es bestehen keine eigenen Besteuerungsnormen für Mehrstimmrechtsaktien.

Mitbestimmung und Corporate Governance

Die Verwendung von Mehrstimmrechtsaktien hat erhebliche Auswirkungen auf die Corporate Governance, insbesondere auf Fragen der Kontrolle, Transparenz und Minderheitenschutz. In Hauptversammlungen können Mehrstimmrechtsaktionäre Beschlüsse maßgeblich prägen oder verhindern, was sowohl positive Steuerungsaspekte als auch potenzielle Risiken wie die Entmachtung der eigentlichen Anteilseigner beinhalten kann.

Abschaffung und Umwandlung von Mehrstimmrechtsaktien

Die Umwandlung von Mehrstimmrechtsaktien in einfache Stammaktien bedarf regelmäßig einer qualifizierten Mehrheit in der Hauptversammlung sowie der Anpassung der Satzung. Bestandsaktien können gegen Abfindung oder im Rahmen eines Aktientauschs umgewandelt werden, wobei die Zustimmung der betroffenen Aktionäre und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche zu beachten sind.

Zusammenfassung

Mehrstimmrechtsaktien sind Aktien, die ihrem Inhaber mehr als eine Stimme pro Aktie gewähren und primär zur Sicherung von Einfluss und Kontrolle innerhalb einer Aktiengesellschaft konzipiert sind. In Deutschland ist die Neuemission seit 1998 unzulässig, im Ausland dagegen sind sie weiter verbreitet. Die rechtliche Behandlung betrifft insbesondere aktienrechtliche, gesellschaftsrechtliche und kapitalmarktrechtliche Aspekte sowie Fragen der Unternehmensführung und des Aktionärsschutzes.


Weiterführende Stichworte: Aktienart, Stimmrechte, Aktiengesetz, Aktionärsschutz, Corporate Governance, Satzungsregelung, Übernahmeschutz

Häufig gestellte Fragen

Wie erfolgt die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien in einer Aktiengesellschaft rechtlich?

Die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien in einer Aktiengesellschaft ist ein komplexer gesellschaftsrechtlicher Vorgang, der mehreren strengen rechtlichen Anforderungen unterliegt. Zunächst ist zu beachten, dass die Einführung oder Änderung solcher aktienrechtlichen Privilegien grundsätzlich eine Satzungsänderung darstellt. Diese Änderung muss von der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft beschlossen werden. Das deutsche Aktiengesetz (AktG) sieht vor, dass für derartige Satzungsänderungen eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist (in der Regel mindestens eine Dreiviertelmehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals, vgl. § 179 Abs. 2 AktG). Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass alle formellen Voraussetzungen, wie ordnungsgemäße Einladung und Ankündigung der Tagesordnungspunkte, eingehalten werden. Nach entsprechender Beschlussfassung muss die geänderte Satzung zum Handelsregister angemeldet und dort eingetragen werden, da die Satzungsänderung erst mit Eintragung wirksam wird. Zudem sind in einigen Konstellationen, beispielsweise beim Börsengang oder bei bereits börsennotierten Gesellschaften, zusätzliche kapitalmarktrechtliche oder börsenrechtliche Vorschriften zu beachten.

Welche besonderen Schranken setzt das deutsche Aktiengesetz der Einführung von Mehrstimmrechtsaktien?

Das deutsche Aktiengesetz verbietet in § 12 Abs. 2 AktG grundsätzlich die Ausgabe neuer Mehrstimmrechtsaktien. Es gilt seit 1998 ein Mehrstimmrechtsverbot, das mit wenigen engen Ausnahmen ausgestaltet ist. Bereits bestehende Mehrstimmrechtsaktien, die vor Inkrafttreten des Verbots ausgegeben wurden (sogenannte „Altfälle“), unterliegen Bestandsschutz, genießen aber keinen perpetuierenden Schutz, sondern sind in bestimmten Fällen umwandelbar in einfache Aktien. Das Ziel dieser Regelung ist, den Grundsatz der Kapitalmehrheit in der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung zu sichern und eine übermäßige Machtkonzentration Einzelner zu verhindern. Lediglich durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften oder über Ausnahmebestätigungen (z. B. in Spezialgesetzen) können Mehrstimmrechte noch Anwendung finden.

Welche rechtlichen Folgen hat das Bestehen von Mehrstimmrechtsaktien für die Mitbestimmungsrechte der Aktionäre?

Das Vorhandensein von Mehrstimmrechtsaktien hat erhebliche Auswirkungen auf die Stimmrechtsverteilung und die Machtbalance innerhalb der Gesellschaft. Das Stimmrecht in der Hauptversammlung richtet sich dann nicht mehr ausschließlich nach dem Nennwert beziehungsweise dem rechnerischen Anteil am Grundkapital, sondern kann durch Mehrstimmrechte – je nach Ausgestaltung – in erheblichem Maße zugunsten bestimmter Aktionäre verschoben werden. Dies hat zur Folge, dass Inhaber von Mehrstimmrechtsaktien mit vergleichsweise geringem Kapitalanteil entscheidenden Einfluss auf Beschlussfassungen ausüben können, etwa bei der Bestellung oder Abberufung von Aufsichtsräten, Satzungsänderungen oder grundlegenden Unternehmensentscheidungen.

Wie wirken sich Mehrstimmrechtsaktien auf Übernahmeverfahren und Pflichtangebote aus gesellschaftsrechtlicher Sicht aus?

Im Kontext öffentlicher Übernahmen und Pflichtangebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) sind Mehrstimmrechtsaktien besonders relevant, da sie die Kontrolle über eine Gesellschaft verzerren können. Bei der Beurteilung, ob ein Kontrollerwerb im Sinne des § 29 WpÜG vorliegt, ist nicht allein der Anteil am Grundkapital, sondern das entsprechende Stimmrecht maßgeblich. Mehrstimmrechtsaktien können dazu führen, dass ein Erwerber bereits mit einem geringeren Anteil am Grundkapital die Kontrollschwelle (z. B. 30 % der Stimmrechte) überschreitet und damit zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet ist. Umgekehrt kann es auch sein, dass ein erheblicher Anteil am Kapital erworben wird, ohne die Kontrolle im Sinne des Gesetzes zu erhalten, wenn Mehrstimmrechte bei anderen Aktionären verbleiben.

Welche Publizitäts- und Transparenzpflichten sind bei Mehrstimmrechtsaktien zu beachten?

Die Gesellschaft ist verpflichtet, sämtliche mit Mehrstimmrechtsaktien verbundenen Rechte und Besonderheiten im Handelsregister und gegebenenfalls im Unternehmensregister offenzulegen. Darüber hinaus sind Informationen über die Stimmrechte und deren Ausgestaltung im Rahmen von Stimmrechtsmitteilungen gemäß §§ 33 ff. Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) zu veröffentlichen, sobald relevante Schwellenwerte überschritten werden. Auch der jährliche Geschäftsbericht und die Einladung zur Hauptversammlung müssen entsprechende Angaben enthalten, um Transparenz für alle Aktionäre und potenzielle Investoren zu schaffen. Bei börsennotierten Gesellschaften sind zudem weitergehende Publizitätsanforderungen der Börsenordnung und der EU-Transparenzrichtlinie zu beachten.

Unterliegen Mehrstimmrechtsaktien besonderen Beschränkungen im Erb- oder Schenkungsfall?

Mehrstimmrechtsaktien unterliegen im Falle einer Übertragung durch Erbschaft oder Schenkung denselben formalen Übertragungsanforderungen wie andere Aktiengattungen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Mehrstimmrechte personenbezogen oder statutenmäßig beschränkt sein können. Es kann z. B. in der Satzung geregelt sein, dass bei Übertragung der Aktie auf Dritte (einschließlich Erben oder Beschenkten) das Mehrstimmrecht entfällt oder nur mit Zustimmung eines bestimmten Organs übertragen werden kann. Solche Übertragungsbeschränkungen sind nach § 68 AktG zulässig und müssen ausdrücklich in der Satzung verankert sein.

Welche Möglichkeiten bestehen für Aktionäre, sich gegen die Einführung oder Beibehaltung von Mehrstimmrechtsaktien zu wehren?

Aktionäre, die durch die Einführung oder Fortführung von Mehrstimmrechtsaktien in ihren Rechten beeinträchtigt werden, können eine Anfechtungsklage gegen entsprechende Hauptversammlungsbeschlüsse gemäß § 243 AktG erheben. Die Anfechtung ist insbesondere dann erfolgversprechend, wenn das Mehrstimmrecht gegen zwingende Vorschriften des Aktienrechts, insbesondere gegen das Mehrstimmrechtsverbot gemäß § 12 Abs. 2 AktG, verstößt oder der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) verletzt wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Beschwerde im Handelsregisterverfahren, wenn eine Eintragung zu Unrecht erfolgt ist. Bleibt die Maßnahme dennoch bestehen, können betroffene Aktionäre ihre Beteiligung veräußern, sind jedoch an die gesetzlichen und satzungsmäßigen Fristen sowie Bedingungen gebunden.