Begriff und Grundprinzip der Masseverbindlichkeiten
Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten, die nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch die Verwaltung, Sicherung, Fortführung oder Verwertung des Vermögens des Schuldners entstehen. Sie werden aus der sogenannten Insolvenzmasse beglichen und genießen einen Vorrang gegenüber den gewöhnlichen Forderungen der Gläubiger, die aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung stammen. Der Zweck dieses Vorrangs ist es, die geordnete Durchführung des Verfahrens sicherzustellen und die dafür notwendigen Aufwendungen und Verpflichtungen verlässlich zu finanzieren.
Insolvenzmasse und Rolle der Verwaltung
Die Insolvenzmasse umfasst das gesamte Vermögen, das beim Beginn des Verfahrens vorhanden ist sowie das, was während des Verfahrens hinzukommt. Die vom Gericht eingesetzte Verwaltung sichert, verwertet und verteilt dieses Vermögen. Dabei begründet sie regelmäßig neue Verpflichtungen, etwa durch die Fortführung eines Unternehmens, die Nutzung von Räumen, den Abschluss von Verträgen oder die Beauftragung von Dienstleistungen. Solche Verpflichtungen gelten als Masseverbindlichkeiten und werden – soweit die Masse reicht – grundsätzlich vorrangig erfüllt.
Abgrenzung zu Insolvenzforderungen
Entstehungszeitpunkt als zentrales Kriterium
Ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal ist der Zeitpunkt, in dem ein Anspruch entsteht. Forderungen, die auf Ereignissen vor der Eröffnung des Verfahrens beruhen, gehören zu den gewöhnlichen Insolvenzforderungen. Verpflichtungen, die erst durch Handlungen oder Vorgänge während des Verfahrens entstehen, sind demgegenüber regelmäßig Masseverbindlichkeiten.
Vertragsfortführung und Erfüllungswahl
Bestehende Verträge können von der Verwaltung fortgeführt oder nicht mehr erfüllt werden. Wird ein Vertrag fortgeführt, werden die aus der weiteren Erfüllung entstehenden Ansprüche für die Zeit nach der Verfahrenseröffnung in der Regel zu Masseverbindlichkeiten. Wird die Erfüllung abgelehnt, verbleibt dem Vertragspartner meist nur eine gewöhnliche Insolvenzforderung, etwa wegen Nichterfüllungsschadens.
Praktische Beispiele
- Masseverbindlichkeit: Miete für die Zeit nach der Verfahrenseröffnung, wenn die Räume weiter genutzt werden.
- Masseverbindlichkeit: Löhne und Gehälter für Arbeitsleistungen, die nach Verfahrensbeginn erbracht werden.
- Masseverbindlichkeit: Steuern und Abgaben, die aus Umsätzen oder Vorgängen während des Verfahrens entstehen.
- Insolvenzforderung: Unbezahlte Lieferantenrechnung aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung.
- Insolvenzforderung: Lohnrückstände, die vor Verfahrensbeginn entstanden sind.
Typische Entstehungsgründe von Masseverbindlichkeiten
Aufwendungen für das Verfahren und die Verwaltung
- Kosten der Verfahrensabwicklung, beispielsweise für Sicherung, Inventarisierung, Versicherung und Verwertung von Vermögensgegenständen.
- Vergütung und notwendige Auslagen der Verfahrensorgane.
- Honorare für erforderliche Dienstleistungen, etwa Buchhaltung, Bewertung, Gutachten oder technische Sicherungsmaßnahmen.
Fortführung des Geschäftsbetriebs
- Lieferungen und Leistungen, die während des Verfahrens bestellt und genutzt werden.
- Arbeitsentgelt einschließlich Sozialabgaben für Beschäftigte, die nach Verfahrenseröffnung weiterarbeiten.
- Betriebskosten, Energie, Logistik und Versicherungen, die während der Fortführung anfallen.
Gebrauchsüberlassung, Besitz und Nutzung
- Mieten, Pachten oder Nutzungsentschädigungen für die Zeit, in der die Masse Räume, Maschinen oder Fahrzeuge nutzt.
- Kosten für die Verwahrung, Instandhaltung oder Sicherung von Vermögensgegenständen.
Steuern, Abgaben und öffentlich-rechtliche Pflichten
- Umsatzsteuer auf Verkäufe während des Verfahrens.
- Lohnabgaben, soweit Personal weiterbeschäftigt wird.
- Abgaben, Gebühren oder laufende Abgaben, die an die Nutzung oder den Besitz von Massegegenständen anknüpfen.
Ansprüche aus rechtlicher Verantwortlichkeit während des Verfahrens
- Schadensersatzansprüche, die durch Handlungen oder Unterlassungen im Zuge der Verwaltung oder Verwertung verursacht werden.
- Ansprüche aus ungerechtfertigter Nutzung oder Bereicherung, wenn Vermögenswerte genutzt werden, ohne dass ein wirksamer Vertrag besteht.
Rangordnung und Befriedigung
Vorrang gegenüber gewöhnlichen Insolvenzforderungen
Masseverbindlichkeiten werden grundsätzlich vor den gewöhnlichen Insolvenzforderungen erfüllt. Erst wenn sämtliche Masseverbindlichkeiten bezahlt sind, kann eine Verteilung an die übrigen Gläubiger erfolgen.
Reihenfolge innerhalb der Masseverbindlichkeiten
Innerhalb der Masseverbindlichkeiten gibt es eine gesetzlich vorgegebene Reihenfolge. Zuerst werden die eigentlichen Verfahrenskosten und zwingend notwendige Verwaltungskosten beglichen. Danach folgen die übrigen Masseverbindlichkeiten. Reicht die Masse nicht aus, erfolgt die Befriedigung der gleichrangigen Forderungen anteilig.
Masseunzulänglichkeit
Ist absehbar, dass die Masse nicht alle Masseverbindlichkeiten decken kann, wird dies öffentlich bekannt gemacht. Ab diesem Zeitpunkt werden neu entstehende, für die geordnete Fortführung und Abwicklung notwendige Verbindlichkeiten besonders vorrangig behandelt. Bereits bestehende Masseverbindlichkeiten werden dann häufig nur quotal bedient. Dieses System soll sicherstellen, dass das Verfahren kontrolliert zu Ende geführt werden kann.
Durchsetzung und Geltendmachung
Masseverbindlichkeiten werden gegenüber der Verwaltung geltend gemacht. Im Unterschied zu gewöhnlichen Insolvenzforderungen erfolgt hierfür regelmäßig keine Aufnahme in das allgemeine Forderungsverzeichnis. Besteht Streit über Grund oder Höhe, kann eine Klärung vor Gericht erfolgen. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind während des laufenden Verfahrens nur eingeschränkt möglich. Zinsen können – soweit vereinbart oder gesetzlich vorgesehen – grundsätzlich bis zur Begleichung anfallen, sofern die Masse ausreichend ist.
Besonderheiten bei Sicherungsrechten und Aussonderung
Gegenstände, an denen Dritte Sicherungsrechte haben, werden häufig durch die Verwaltung verwertet. Die dafür notwendigen Maßnahmen und Kosten werden vorrangig aus dem Verwertungserlös berücksichtigt, bevor der verbleibende Erlös an den Sicherungsnehmer fließt. Steht ein Gegenstand gar nicht im Eigentum der Masse, sondern ist nur in deren Besitz, kann der Eigentümer die Herausgabe verlangen. Nutzung, Verwahrung und Sicherung solcher Gegenstände können gleichwohl Masseverbindlichkeiten auslösen, wenn hierfür Aufwendungen oder Nutzungsentgelte anfallen.
Haftung und Verantwortungsbereiche
Für Masseverbindlichkeiten haftet grundsätzlich die Insolvenzmasse. Die persönliche Haftung der handelnden Personen kommt nur ausnahmsweise in Betracht, etwa bei gesonderten vertraglichen Zusagen oder besonderen Pflichtverletzungen. Im Regelfall bleibt die Haftung auf das Vermögen der Masse beschränkt.
Auswirkungen auf Gläubiger und auf den Ablauf des Verfahrens
Der Vorrang der Masseverbindlichkeiten schützt den geordneten Ablauf des Verfahrens. Gläubiger, die während des Verfahrens Leistungen erbringen oder deren Rechte durch die Nutzung von Vermögensgegenständen betroffen sind, erhalten dadurch eine bevorzugte Stellung. Gleichzeitig kann der Vorrang dazu führen, dass für gewöhnliche Insolvenzforderungen weniger verbleibt. Die richtige Einordnung von Ansprüchen ist daher für die Verteilungsreihenfolge und die voraussichtliche Quote bedeutsam.
Häufig gestellte Fragen
Was sind Masseverbindlichkeiten in einfachen Worten?
Das sind Schulden, die erst während des Insolvenzverfahrens entstehen, weil die Insolvenzmasse verwaltet, genutzt, fortgeführt oder verwertet wird. Sie werden aus der Masse bezahlt und haben Vorrang vor älteren Schulden aus der Zeit vor Verfahrensbeginn.
Worin unterscheiden sich Masseverbindlichkeiten von gewöhnlichen Insolvenzforderungen?
Gewöhnliche Insolvenzforderungen beruhen auf Vorgängen vor der Verfahrenseröffnung und werden am Ende des Verfahrens anteilig bedient. Masseverbindlichkeiten entstehen erst nach der Eröffnung durch die Verfahrensabwicklung und werden grundsätzlich zuerst bezahlt.
Welche typischen Beispiele für Masseverbindlichkeiten gibt es?
Häufig sind dies Mieten für die weitere Nutzung von Räumen, Löhne für nach Verfahrensbeginn geleistete Arbeit, Steuern aus Umsätzen während des Verfahrens, Kosten der Sicherung und Verwertung von Vermögenswerten sowie Entgelte für notwendige Dienstleistungen.
Müssen Masseverbindlichkeiten in ein Forderungsverzeichnis aufgenommen werden?
Üblicherweise nicht. Sie werden direkt gegenüber der Verwaltung geltend gemacht. Kommt es zum Streit über das Bestehen oder die Höhe, kann eine gerichtliche Klärung erfolgen.
Wie werden Masseverbindlichkeiten bezahlt und wann sind sie fällig?
Sie werden aus der Insolvenzmasse beglichen, häufig nach ihrer vertraglichen oder gesetzlichen Fälligkeit. Innerhalb der Masseverbindlichkeiten werden zunächst die eigentlichen Verfahrenskosten und danach die übrigen Verbindlichkeiten erfüllt.
Was passiert, wenn die Masse nicht ausreicht?
Wird eine Unterdeckung absehbar, erfolgt eine öffentliche Bekanntmachung. Ab diesem Zeitpunkt genießen neu entstehende, für den Fortgang des Verfahrens notwendige Verbindlichkeiten besonderen Vorrang. Bereits bestehende Masseverbindlichkeiten werden dann in der Regel nur anteilig beglichen.
Dürfen Gläubiger von Masseverbindlichkeiten vollstrecken?
Während des laufenden Verfahrens bestehen Vollstreckungsbeschränkungen. Ansprüche können geltend gemacht und, wenn erforderlich, gerichtlich festgestellt werden. Die Zahlung erfolgt aus der Masse unter Beachtung der gesetzlichen Reihenfolge.