Begriff und Definition des Lockspitzels
Ein Lockspitzel ist eine Person, die auf Veranlassung von Strafverfolgungsbehörden gezielt Straftaten anregt, vorbereitet oder dazu beiträgt, andere Personen zu einer Straftat zu verleiten, um deren strafbare Handlung aufzudecken und die Beteiligten einer Strafverfolgung zuzuführen. Die Tätigkeit eines Lockspitzels ist insbesondere im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungen, polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Arbeit von Bedeutung. Lockspitzel werden sowohl im deutschen als auch im internationalen Strafverfahrensrecht diskutiert, da ihr Einsatz tiefgreifende rechtliche und ethische Fragestellungen nach sich zieht.
Rechtliche Einordnung des Lockspitzels
Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen
Verdeckter Ermittler
Im Gegensatz zum Lockspitzel ist der verdeckte Ermittler ein Beamter, der zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt wird, ohne die Zielperson zu einer Straftat zu verleiten. Der Lockspitzel hingegen ist häufig eine Privatperson oder Nicht-Beamter, die aktiv zur Herbeiführung einer Straftat beiträgt.
Informant
Ein Informant beschafft lediglich Informationen über (bereits geplante oder begangene) Straftaten. Er nimmt aber keine anstiftende oder provozierende Rolle ein, wie sie für den klassischen Lockspitzel kennzeichnend ist.
Rechtliche Betrachtung des Lockspitzeleinsatzes in Deutschland
Gesetzliche Grundlagen
Weder der Begriff noch der Einsatz von Lockspitzeln sind in Deutschland ausdrücklich gesetzlich geregelt. Der Einsatz ergibt sich aus der polizeilichen Praxis und basiert auf Maßnahmen nach den Polizeigesetzen der Länder oder auf Grundlage der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere im Rahmen verdeckter Ermittlungen (§§ 110a ff. StPO). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverfassungsgerichts prägt maßgeblich die Zulässigkeit und die Grenzen des Lockspitzeleinsatzes.
Voraussetzungen und Grenzen
Zentral ist die Differenzierung zwischen „passiver Strafverfolgung“ und unzulässiger Tatprovokation. Während das bloße Angebot zur Aufklärung einer bereits geplanten oder laufenden Straftat als legitim gilt, ist das gezielte provozieren einer erstmals zur Tat entschlossenen Person unzulässig.
Tatprovokation
Tatprovokation meint die gezielte Verleitung zu einer Straftat, die die Zielperson ohne das Eingreifen des Lockspitzels womöglich gar nicht begangen hätte. Die Rechtsprechung betrachtet solche Maßnahmen kritisch. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (z.B. BGH, Beschluss vom 10.01.1991 – BGHSt 37, 74) kann eine Tatprovokation wegen Verstoßes gegen das Fair-Trial-Prinzip (Art. 6 Abs. 1 EMRK) zu einem Beweisverwertungsverbot oder zumindest zu einer Strafmilderung führen.
Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatsprinzip
Der Einsatz eines Lockspitzels unterliegt den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Das Vorgehen muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Unverhältnismäßige Eingriffe oder die Überschreitung der zulässigen Rolle führen zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme.
Tatbestandliche Relevanz im Strafrecht
Das Verhalten des Lockspitzels kann unter Umständen selbst einen Straftatbestand erfüllen, etwa in Form der Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB). Allerdings wird dies durch einen Akt der Straflosigkeit im Regelfall ausgeschlossen, sofern der Lockspitzel im Auftrag der Ermittlungsbehörden handelt.
Rechtsfolge: Strafmilderung, Einstellung oder Freispruch
Bei nachgewiesener unzulässiger Tatprovokation ist es nach der Rechtsprechung möglich, die Strafe zu mildern, das Verfahren einzustellen oder – bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Fair-Trial-Prinzip – die Angeklagten freizusprechen.
Lockspitzel im internationalen Recht
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Art. 6 EMRK sichert das Recht auf ein faires Verfahren und bildet eine zentrale Grenze beim Einsatz von Lockspitzeln. Die Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordert eine sorgfältige Kontrolle und gegebenenfalls Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts im Strafverfahren, um Missbrauch und willkürliche Strafverfolgung durch Tatprovokation auszuschließen.
Vergleichbare Rechtsordnungen
In den Vereinigten Staaten (Stichwort: „Entrapment“) und im Vereinigten Königreich existieren ähnlich gelagerte rechtliche Diskussionen um den „Agent Provocateur“. Hier wird besonderer Wert darauf gelegt, dass keine unschuldige Person erst durch Staatseinwirkung zum Rechtsbruch angestiftet wird.
Rechtsprechung und Praxis
Wichtige Entscheidungen
- Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.1991 (BGHSt 37, 74): Ausführliche Bestimmung der Tatprovokation und Vorgaben zur Verhältnismäßigkeit.
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.06.2004 (2 BvR 974/01): Konkretisierung der Anforderungen an die Beweisverwertung und das Gebot fairer Verfahren.
- Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 21.02.2002 (Üçtaş gegen Türkei): Grundsatzentscheidung zur Zulässigkeit staatlicher Provokateure.
Polizeiliche Praxis
Der Einsatz von Lockspitzeln erfolgt insbesondere in Bereichen der organisierten Kriminalität, Rauschgiftbekämpfung und im Bereich der Korruptionsbekämpfung. In der Praxis ist die Zusammenarbeit meist eng mit Maßnahmen verdeckter Ermittler abgestimmt.
Kritische Bewertung und Reformdiskussion
Chancen und Risiken
Der Einsatz von Lockspitzeln kann einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung schwer aufklärbarer Straftaten leisten. Dem steht das Risiko der Rechtsstaatsverletzung und der Erzeugung künstlicher Kriminalität (sog. „Agentenfalle“) gegenüber.
Reformvorschläge
Immer wieder gibt es Forderungen nach einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des Lockspitzeleinsatzes, nach klaren Verfahrensstandards, strengen Kontrollen und einer Verbesserung des Rechtsschutzes der Betroffenen.
Literatur und Quellen
- BeckOK StPO, § 110a StPO
- Fischer, Strafgesetzbuch, § 26, § 27 StGB
- Bundesverfassungsgericht: Beschluss 2 BvR 974/01
- Bundesgerichtshof: Beschluss BGHSt 37, 74
- EGMR, Urteil vom 21.02.2002, Üçtaş gegen Türkei
Dieser Artikel dient der umfassenden Information zum Thema Lockspitzel und beleuchtet die vielfachen rechtlichen Aspekte sowie die praxisrelevante Bedeutung und Problematik.
Häufig gestellte Fragen
Ist der Einsatz von Lockspitzeln in Deutschland rechtlich zulässig?
Der Einsatz von Lockspitzeln, also Personen, die mit behördlicher Duldung oder Unterstützung Straftaten provozieren oder ermöglichen, ist im deutschen Recht nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Grundsätzlich ist das gezielte Provozieren von Straftaten problematisch, da es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere dem Verbot der Tatprovokation, kollidiert. Strafprozesse, die auf der Basis von durch Lockspitzel initiierten Straftaten beruhen, können an rechtlichen Hürden scheitern, wenn Gerichte eine unzulässige Tatprovokation erkennen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sowie der Bundesgerichtshof (BGH) haben wiederholt betont, dass die aktive Verleitung zur Tat durch staatliche Stellen oder deren Helfer gegen das faire Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt und ein rechtsstaatliches Verfahren gefährdet. Die gesetzliche Grundlage für den Einsatz solcher Personen findet sich lediglich in spezialgesetzlichen Regelungen, wie etwa im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) mit der Figur des „Vertrauensperson“. Allerdings setzt dies eine strenge Kontrolle und Genehmigung durch die Staatsanwaltschaft voraus und ist von der Rechtsprechung nur im Bereich der organisierten Kriminalität unter hohen Voraussetzungen anerkannt.
Welche rechtlichen Grenzen gelten für das Verhalten eines Lockspitzels?
Lockspitzel dürfen nicht unbegrenzt agieren. Rechtlich besonders bedeutsam ist das Provokationsverbot: Demnach ist es unzulässig, dass ein Lockspitzel einen Tatverdächtigen vorsätzlich zu einer Straftat verleitet, die dieser ohne die Einflussnahme des Lockspitzels nicht begangen hätte. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen keinerlei aktueller Tatverdacht besteht. Die Grenze ist dort erreicht, wo der Lockspitzel selbst als Initiator der Straftat auftritt. In diesem Fall kann ein absolutes Verfahrenshindernis vorliegen, das zu einem Verbot der Verwertung der gewonnenen Beweise und sogar zur Einstellung des Strafverfahrens führen kann. Lockspitzel dürfen lediglich eine bestehende kriminelle Neigung aufdecken, nicht aber selbst erschaffen oder verstärken.
Welche Konsequenzen hat eine rechtswidrige Tatprovokation durch einen Lockspitzel?
Wenn eine rechtswidrige Tatprovokation durch einen Lockspitzel stattgefunden hat, ergeben sich daraus für das Strafverfahren erhebliche Konsequenzen. Zum einen kann die durch den Lockspitzel erlangte Aussage oder andere Beweise einem Beweisverwertungsverbot unterliegen und somit nicht zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden. Zum anderen kann das gesamte Strafverfahren als unfair gewertet werden, sodass eine Verfahrenseinstellung, ein Freispruch oder eine Strafmilderung in Betracht kommen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs differenziert je nach Intensität der Provokation und dem Grad der staatlichen Einflussnahme auf den Beschuldigten. In Fällen extremer Tatprovokation fordern die Gerichte teilweise sogar, die Strafverfolgung vollständig einzustellen.
Wer genehmigt und kontrolliert den Einsatz von Lockspitzeln in Ermittlungsverfahren?
Der Einsatz von Lockspitzeln ist in Deutschland grundsätzlich genehmigungspflichtig und unterliegt richterlicher und behördlicher Kontrolle. Für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, wie sie der Einsatz von Lockspitzeln darstellt, bedarf es einer vorherigen Zustimmung durch die Staatsanwaltschaft, teilweise sogar einer gerichtlichen Anordnung. Der genaue Ablauf richtet sich nach dem jeweiligen Landes- oder Bundesrecht, insbesondere im Polizeigesetz oder im BtMG. Die Strenge der Kontrollmechanismen dient dazu, die Gefahr des Missbrauchs oder der ungerechtfertigten Einflussnahme auf das Ermittlungsverfahren möglichst weitgehend auszuschließen. Nach Abschluss der Maßnahme ist eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle durch die Einbeziehung in die Akten und gegebenenfalls die Mitteilung an den Beschuldigten vorgesehen.
Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beim Thema Lockspitzel?
Der EGMR hat mit seiner Rechtsprechung das Thema „staatliche Tatprovokation“ maßgeblich geprägt. In mehreren Urteilen hat das Gericht klargestellt, dass die gezielte Verleitung zu einer Straftat durch staatliche Akteure – dazu zählen auch Lockspitzel – gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt. Staaten müssen daher Maßnahmen etablieren, die eine unzulässige Tatprovokation verhindern und für Transparenz sowie angemessene Kontrollmechanismen sorgen. Die Gerichte in Deutschland sind verpflichtet, die Vorgaben des EGMR zu beachten und in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, sodass die deutschen Gerichte regelmäßig die Frage der Tatprovokation umfassend prüfen und bewerten müssen.
Können durch Lockspitzel gewonnene Beweise im deutschen Strafprozess verwendet werden?
Die Verwertbarkeit von durch Lockspitzel gewonnenen Beweisen im Strafprozess hängt maßgeblich davon ab, ob sich der Lockspitzel im Rahmen der rechtlichen Vorgaben bewegt hat und keine unzulässige Tatprovokation vorlag. Wurde der Tatverdächtige durch den Lockspitzel lediglich bei der Verwirklichung einer schon bestehenden kriminellen Absicht unterstützt, gelten die Beweise in der Regel als verwertbar. Haben Lockspitzel hingegen eine Straftat erst provoziert oder den Tatverdächtigen zur Tat verleitet, besteht häufig ein Beweisverwertungsverbot. Die Entscheidung über die Verwertbarkeit trifft das zuständige Gericht unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.
Gibt es spezielle Vorschriften für den Einsatz von Lockspitzeln im Bereich der organisierten Kriminalität?
Ja, für den Bereich der organisierten Kriminalität bestehen teilweise eigene rechtliche Regelungen, die den Einsatz von Lockspitzeln ermöglichen und regeln. So sieht beispielsweise § 110a StPO oder das Betäubungsmittelgesetz den verdeckten Ermittler ausdrücklich vor und grenzt diesen von Lockspitzeln ab. Die Anordnung unterliegt besonders hohen Anforderungen und ist nur dann zulässig, wenn andere Ermittlungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg versprechen oder wesentlich erschwert wären. Auch hier gilt das strenge Verbot der Tatprovokation sowie die Notwendigkeit einer behördlichen beziehungsweise gerichtlichen Kontrolle. Die spezialgesetzlichen Regelungen berücksichtigen die besondere Gefährlichkeit von organisierten Strukturen, um eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen, und balancieren diese gegen den Schutz der Beschuldigtenrechte aus.