Legal Lexikon

Liegezeiten


Begriffsdefinition und Grundlagen der Liegezeiten

Liegezeiten sind ein zentraler Begriff im Transport- und Frachtrecht, insbesondere im Bereich der See- und Binnenschifffahrt sowie im Speditions- und Lagerrecht. Sie bezeichnen jenen Zeitraum, in dem ein Transportmittel – in der Regel ein Schiff – im Hafen oder an einem Lade- oder Löschplatz verharrt, um be- oder entladen zu werden. Die Bestimmungen zu Liegezeiten regeln die Rechte und Pflichten der beteiligten Parteien, insbesondere bezüglich der Dauer des Aufenthalts, der Kostenübernahme und der Haftungsfragen. Die Liegezeit ist damit ein bedeutsamer Faktor bei der Vertragsgestaltung und -durchführung im internationalen Handel und Transportwesen.


Rechtsgrundlagen der Liegezeiten

Seehandelsrecht

Im deutschen Recht sind Liegezeiten insbesondere im HGB (Handelsgesetzbuch), Abschnitt Seefrachtvertrag (§§ 556 ff. HGB), geregelt. Im internationalen Kontext finden sich entsprechende Regelungen in den internationalen Seefrachtbedingungen (z. B. Rotterdam-Regeln, Hamburg-Regeln oder Hague-Visby Rules).

Definition nach HGB

Das HGB differenziert zwischen der sogenannten „Liegezeit“ (vereinbarte oder übliche Zeitspanne für das Be- und Entladen des Schiffes) und der „Überliegezeit“ (der Zeitraum, der über diese Liegezeit hinausgeht). Während der Liegezeit trägt in der Regel der Frachtführer die Kosten und das Risiko des Schiffsstillstands.

Speditionsrecht und Lagerrecht

Auch im Speditions- und Lagerrecht spielt die Liegezeit eine Rolle, wenn es um die Überlassung von Laderäumen, Umschlagsflächen oder allgemeinen Lagerflächen geht. Die Regelungen hierzu finden sich ebenfalls im HGB, insbesondere in den Vorschriften über den Speditionsvertrag und das Lagergeschäft.


Vertragliche Regelung der Liegezeiten

Vereinbarung über Liegezeiten im Frachtvertrag

Liegezeiten werden häufig explizit im Frachtvertrag (Charterparty, Seefrachtvertrag, Speditionsvertrag etc.) vereinbart. Die Regelungen umfassen üblicherweise:

  • Beginn und Ende der Liegezeit
  • Bestimmung der kostenfreien Liegezeit (Freiliegezeit)
  • Kosten für Überliegezeiten (Standgeld, Demurrage)
  • Verfahren zur Dokumentation und Geltendmachung von Liegezeiten

Freiliegezeit und Überliegezeit

Die Freiliegezeit ist der Zeitraum, der dem Befrachter oder Ablader kostenfrei zur Verfügung steht, um die Lade- oder Löschoperationen durchzuführen. Die Überliegezeit umfasst den Zeitraum, der über die vereinbarte Freiliegezeit hinausgeht und ist regelmäßig vergütungspflichtig.

Gesetzliche Grundsätze bei fehlender Vereinbarung

Fehlt eine vertragliche Regelung zu den Liegezeiten, gilt gemäß § 560 HGB die „übliche Liegezeit“. Maßgeblich ist dabei, wie lange das Be- oder Entladen unter Berücksichtigung der Transportgüter, Witterungsverhältnisse und örtlichen Gepflogenheiten üblicherweise dauert.


Berechnung der Liegezeiten

Die Berechnung der Liegezeiten erfolgt nach kalender- oder werktäglichen Einheiten. Dabei spielen folgende Faktoren eine Rolle:

  • Zeitpunkt der Ladungsbereitschaft
  • Wetter- und Tideverhältnisse (insbesondere in Seehäfen)
  • Betriebs- und Arbeitszeiten im Hafen
  • Besonderheiten der Ladung (z. B. Gefahrgut, Kühlgut)

In der Praxis werden zu diesem Zweck häufig Liegezeitkonten oder detaillierte Liegezeitprotokolle erstellt und von beiden Vertragsparteien abgezeichnet.


Rechtsfolgen von Liegezeitenüberschreitungen

Überliegegeld (Demurrage) und Standgeld

Überschreitet der Befrachter die vereinbarte oder übliche Liegezeit, entsteht in der Regel ein Anspruch des Frachtführers auf Zahlung von Überliegegeld („Demurrage“). Die Höhe des Überliegegeldes richtet sich nach den vertraglichen oder örtlichen Vereinbarungen.

Neben der Demurrage spielt das Standgeld (vor allem im Bereich der Binnenschifffahrt und Eisenbahn) eine Rolle. Dieses wird fällig, wenn Transportmittel durch Verzögerungen beim Be- oder Entladen länger gebunden werden, als vertraglich vorgesehen.

Haftungsfragen

Verzögerungen im Rahmen der Liegezeit können komplexe haftungsrechtliche Fragen aufwerfen, insbesondere wenn sie durch Streiks, höhere Gewalt, behördliche Maßnahmen oder andere unvorhergesehene Ereignisse verursacht werden. In vielen Seefrachtverträgen sind diesbezüglich Haftungsausschlüsse oder Risikoverschiebungen geregelt.


Internationale Bedeutung und Regelungen

Inkasso von Liegezeitkosten im internationalen Handel

In internationalen Transportverträgen sind die Liegezeiten ein häufiger Streitpunkt, da unterschiedliche Rechtssysteme und Handelsbräuche maßgeblich sind. Häufig werden Schiedsklauseln oder alternative Streitbeilegungsmechanismen zur schnellen Regelung von Liegezeitstreitigkeiten vereinbart.

Inkoterms und Liegezeiten

In den internationalen Lieferbedingungen der Incoterms sind Regelungen zur Risikoverteilung bezüglich Liegezeiten enthalten, insbesondere bei den Klauseln FAS, FOB, CFR oder CIF.


Besonderheiten nach Transportart

See- und Binnenschifffahrt

Liegezeiten haben in der See- und Binnenschifffahrt eine zentrale Bedeutung, da die Schiffe teure Wirtschaftsgüter sind und ineffiziente Ausnutzung zu erheblichen Kosten führen kann. Die Regelungen sind daher besonders detailliert ausgestaltet.

Eisenbahn- und Straßenverkehr

Auch im Eisenbahn- und Straßenverkehr werden vergleichbare Prinzipien angewendet (z. B. Standzeiten an Laderampen, Überliegegeld im Kombinierten Verkehr).


Zusammenfassung

Liegezeiten sind ein zentraler Begriff im Transportrecht mit weitreichenden rechtlichen und wirtschaftlichen Implikationen. Die Bestimmungen zu Liegezeit, Überliegezeit und Überliegegeld sind in den jeweiligen Transportverträgen und gesetzlichen Regelungen detailliert geregelt. Sie dienen der Risikoverteilung und der Kostentransparenz zwischen den Vertragsparteien, tragen zur Beschleunigung der Umschlagsprozesse bei und sind ein wesentlicher Bestandteil der internationalen Transportlogistik. Die richtige Handhabung von Liegezeiten vermeidet Streitigkeiten und sorgt für einen reibungslosen Ablauf im Handels- und Transportgeschäft.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Vorgaben regeln die Liegezeiten in der See- und Binnenschifffahrt?

Die rechtlichen Vorgaben zu Liegezeiten in der See- und Binnenschifffahrt ergeben sich aus einer Vielzahl nationaler und internationaler Bestimmungen. Im Seegebiet kommen insbesondere das Handelsgesetzbuch (HGB), das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), sowie länderspezifische Hafenordnungen und – für den internationalen Warenverkehr – unter anderem die Incoterms zur Anwendung. Im Binnenschiffsbereich sind das deutsche Binnenschifffahrtsgesetz (BinSchG) sowie die Vorschriften der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) maßgebend. Die Regelungen betreffen sowohl die zulässige Dauer von Liegezeiten, die Anmeldung zur Liegeplatzvergabe, als auch die tarifierte Berechnung bzw. die vertragliche Vereinbarung etwaiger Liegegeldzahlungen (sogenanntes Demurrage oder Detention). Daneben gelten arbeitsrechtliche Vorschriften, insbesondere zu Ruhezeiten der Besatzung, sowie haftungsbezogene Vorgaben bei Überschreitung vereinbarter Liegezeiten.

Welche Rolle spielen Liegezeiten bei der Haftungsverteilung zwischen Reeder, Befrachter und Charterer?

Liegezeiten werden im Rahmen von Befrachtungs- und Charterverträgen detailliert geregelt, da sie maßgeblich bestimmen, wie lange ein Schiff im Hafen verbringen darf, ohne dass Zusatzkosten entstehen. Überschreiten die Liegezeiten den vertraglich vereinbarten Zeitraum (die sogenannte „Liegezeitvergütung“ oder Standgeldregelung), können demjenigen, der die Verzögerung zu vertreten hat, Schadensersatzansprüche entstehen. In Linien- oder Trampschifffahrt obliegt die Pflicht zur termingerechten Abfertigung meist dem Befrachter. Ist jedoch die Überschreitung durch höhere Gewalt oder behördliche Maßnahmen begründet, verschiebt sich die Haftung. So regelt § 522 HGB für die Seefracht, dass der Befrachter das Standgeld nur dann zu tragen hat, wenn die Überschreitung der Liegezeit nicht durch Umstände verursacht wurde, die weder ihm noch dem Kapitän zuzuschreiben sind.

Welche Folgen hat eine Überschreitung der vereinbarten Liegezeiten rechtlich?

Die Überschreitung der vertraglich festgelegten Liegezeiten löst regelmäßig Ersatzansprüche seitens des Schiffseigners aus. Im Standardfall wird ab dem ersten Tag der Überschreitung ein sogenanntes „Liegegeld“ (Demurrage) fällig, dessen Höhe im Vertrag geregelt ist oder nach ortsüblichen Sätzen berechnet wird. Erfolgt die Überschreitung durch Verschulden des Charterers/Befrachters, so ist dieser verpflichtet, die Kosten zu tragen, es sei denn, vertragliche oder gesetzliche Ausnahmen greifen. Voraussetzung dafür ist, dass der Verlade- oder Entladevorgang nicht durch Umstände verzögert wurde, die außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegen (z.B. Streik, Naturereignisse). Im Streitfall wird die Anspruchsdurchsetzung über Zivilgerichte oder Schiedsgerichte vorgenommen.

Wie unterscheiden sich rechtlich zulässige und vertraglich geregelte Liegezeiten?

Rechtlich zulässige Liegezeiten ergeben sich aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften (z.B. Hafenordnung), die meist eine maximale Aufenthaltsdauer an einem Liegeplatz zum Schutz der Hafenlogistik und Sicherheit vorsehen. Vertraglich geregelte Liegezeiten dagegen werden frei zwischen den Parteien im Charter- oder Befrachtungsvertrag vereinbart. Überschreiten die Parteien die öffentlich-rechtlichen Zeiten, drohen ordnungsrechtliche Sanktionen oder die zwangsweise Verlegung des Schiffes; bei Überschreitung der vertraglichen Zeiten greifen die zivilrechtlich vereinbarten Sanktionen (Entschädigungspflichten, Vertragsstrafen). Die beiden Regelungskreise können sich so überschneiden, dass beispielsweise trotz zivilrechtlicher Erlaubnis eine längere Liegezeit aus hafenrechtlichen Gründen untersagt wird.

Unter welchen Bedingungen kann eine Verlängerung der Liegezeiten rechtlich durchgesetzt werden?

Verlängerungen der Liegezeiten können einvernehmlich und vertraglich zwischen den Parteien vereinbart werden, insbesondere wenn unvorhergesehene Ereignisse wie Störungen im Hafenbetrieb, ungünstige Witterungsbedingungen oder Verzögerungen bei der Zollabfertigung eintreten. Rechtlich zwingend ist jedoch auch, etwaige öffentlich-rechtliche Vorgaben – wie die maximale zulässige Aufenthaltsdauer am Kai – zu beachten, deren Nichtbeachtung behördliche Maßnahmen nach sich ziehen kann. Im Übrigen bieten viele Charterparte- und Befrachtungsverträge bereits standardisierte Verlängerungsklauseln („extension clauses“), die die Bedingungen und Kosten der Verlängerung im Detail regeln. Werden die Voraussetzungen nicht eingehalten, so sind Verlängerungen regelmäßig unwirksam, und es können unter Umständen Ersatzansprüche wie Liegegeldforderungen entstehen.

Inwieweit sind arbeitsrechtliche Vorschriften bei Liegezeiten zu berücksichtigen?

Arbeitsrechtliche Vorschriften spielen bei Liegezeiten insbesondere eine Rolle im Hinblick auf die Einhaltung der vorgeschriebenen Ruhezeiten der Besatzung, wie sie durch das Seearbeitsgesetz (SeeArbG), das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und internationale Standards (z.B. MLC 2006 – Maritime Labour Convention) geregelt sind. Während der Liegezeit müssen Tätigkeiten und Bereitschaftsdienste gem. Arbeitszeitrecht so organisiert werden, dass die Arbeitsruhe nicht beeinträchtigt wird. Verstöße gegen diese Pflichten können zu aufsichtsrechtlichen Sanktionen sowie zu zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen führen. Besondere Beachtung gilt dabei auch den Mindestlohnregelungen und den Vorgaben zu Schichtwechseln, die durch nationale und internationale Kontrollinstanzen überwacht werden.

Welche Bedeutung kommt der Dokumentation von Liegezeiten im rechtlichen Kontext zu?

Die genaue Dokumentation von Liegezeiten ist sowohl im Streitfall als auch bei der Abwicklung von Ersatzansprüchen essenziell. Nachweispflichten bestehen in der Regel für den Reeder/Schiffseigner, etwa durch das Führen von Liegezeitbüchern, Zeitprotokollen oder quittierte Ladebriefe (Notice of Readiness, Statement of Facts). Gerichts- und schiedsgerichtliche Verfahren verlangen regelmäßig eine minutiöse Dokumentation, um den Eintritt, die Dauer und die Verantwortlichkeit der Verzögerung beweisen zu können. Fehlende oder fehlerhafte Aufzeichnungen können dazu führen, dass Ersatzansprüche nicht durchsetzbar sind oder vertragliche Sanktionen greifen. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich zudem auf die Einhaltung aller arbeits- und öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die sich auf die Liegezeit beziehen.