Begriff und rechtliche Einordnung von LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde)
LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) bezeichnet ein Unterrichtsfach, das im Land Brandenburg als Pflichtfach in der Sekundarstufe I und II eingeführt wurde. Es vermittelt ethische, philosophische, kulturelle und religionskundliche Inhalte auf weltanschaulich neutraler Grundlage und steht in Deutschland in einem besonderen rechtlichen Spannungsfeld zwischen staatlichem Bildungsauftrag und individueller Religionsfreiheit.
Rechtsgrundlagen von LER im Land Brandenburg
Einführung und Entwicklung
Die Einführung von LER erfolgte in Brandenburg im Jahr 1996 auf der Grundlage des Schulgesetzes Brandenburg (BbgSchulG) mit dem Ziel, einen weltanschaulich neutralen Ersatz für den herkömmlichen Religionsunterricht bereitzustellen. Hintergrund dieser Entscheidung war die besondere Geschichte des Landes sowie die daraus resultierende gesellschaftliche Prägung nach der deutschen Wiedervereinigung.
Gesetzliche Regelungen
Brandenburgisches Schulgesetz (BbgSchulG)
Das Schulgesetz für das Land Brandenburg regelt die Grundlage für das Fach LER in folgenden Bestimmungen:
- § 14 BbgSchulG: Dieser Paragraph bestimmt, dass das Land Brandenburg das Fach LER als Pflichtfach einführt und unterrichtet. Dabei soll LER der weltanschaulichen und religiösen Vielfalt der Bevölkerung gerecht werden und Schüler zu Toleranz, Demokratie und Verantwortungsbewusstsein erziehen.
- § 15 BbgSchulG: Hier wird LER rechtlich als „Ersatzfach“ für den herkömmlichen Religionsunterricht behandelt. LER ist ein Pflichtfach für alle Schüler, wobei Religionsunterricht oder Weltanschauungsunterricht als freiwillige Ergänzung angeboten werden.
- Verfassungsrechtliche Anforderungen: LER orientiert sich an den Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere Artikel 4 (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit) und Artikel 7 Absatz 3 (Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach), wobei jedoch ein Nebeneinander von LER als Pflichtfach und freiwilligem Religionsunterricht existiert.
Unterschied zum Religionsunterricht
Während der Religionsunterricht laut Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als ordentliches Lehrfach (Art. 7 GG) anzubieten ist, wird LER in Brandenburg als Pflichtfach flächendeckend unterrichtet. Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht ist dabei freiwillig und findet parallel oder ergänzend zu LER statt.
Rechtsprechung zum LER
Bundesverfassungsgericht
Im Jahr 2001 befasste sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in wegweisenden Beschlüssen mit der rechtlichen Zulässigkeit von LER. Es stellte fest, dass das Land Brandenburg befugt ist, das Pflichtfach LER einzuführen, solange die Möglichkeit besteht, freiwilligen Religionsunterricht zusätzlich zu besuchen (BVerfGE 108, 282 – LER).
Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass der Staat zur Wahrung der Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Belangen verpflichtet sei, aber im Rahmen seiner Kultushoheit eigenständige pädagogische Konzepte verwirklichen könne. Das Recht der Eltern auf religiöse Erziehung (Art. 6 Abs. 2 GG) und die Glaubensfreiheit der Schüler (Art. 4 GG) würden durch LER nicht verletzt, weil religionskundliche Inhalte unterrichtet und Religionsunterricht weiterhin auf freiwilliger Basis angeboten werden.
Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen
Die Einführung und Ausgestaltung von LER löste zahlreiche verwaltungsgerichtliche Verfahren aus. Eltern, Kirchen sowie unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen haben rechtliche Schritte gegen die verpflichtende Teilnahme am LER-Unterricht unternommen. Allgemeiner Tenor dieser Urteile ist, dass die verfassungsrechtlichen Belange von Religionsfreiheit und Erziehungsrecht durch das Angebot des freiwilligen Religionsunterrichts ausreichend gewahrt bleiben.
LER und das Verhältnis zu weiteren Rechtsquellen
Grundgesetz
- Art. 4 GG (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit): Zentraler Bezugspunkt hinsichtlich der weltanschaulichen Neutralität des Staates.
- Art. 6 GG (Elterliches Erziehungsrecht): Elterliche Entscheidungskompetenz wird durch das Nebeneinander von LER und freiwilligem Religionsunterricht gesichert.
- Art. 7 GG (Schulwesen und Religionsunterricht): Während andere Bundesländer einen ordentliches Religionsunterricht vorschreiben, nutzt Brandenburg die Spielräume der föderalen Struktur des Bildungswesens, um LER als Pflichtfach auszugestalten.
Landesverfassungen
- Brandenburgische Landesverfassung (BbgVerf): Artikelt insbesondere das Recht auf weltanschauliche und religiöse Neutralität des Staates und schreibt pluralistische Bildungsinhalte vor.
LER im Kontext der Bildungsfreiheit
Das Fach LER repräsentiert einen Sonderfall innerhalb des deutschen Bildungssystems. Anders als im Großteil der Bundesländer, in denen der bekenntnisorientierte Religionsunterricht im Vordergrund steht, verfolgt Brandenburg das Konzept eines gemeinsam erteilten, bekenntnisneutralen Unterrichts mit ethischem und religionskundlichem Schwerpunkt. Dies ist Ausdruck der im Bildungswesen bestehenden kulturellen und historischen Unterschiede, die im Kompetenzbereich der Bundesländer verankert sind.
Kritik und gesellschaftliche Diskussion
Die Kontroverse um LER entzündete sich insbesondere an der Frage, ob das Pflichtfach LER das grundgesetzlich geschützte Recht auf Religionsunterricht beeinträchtigt. Vertreter religiöser Gemeinschaften bemängeln eine mögliche Verdrängung des klassischen Religionsunterrichts, während Befürworter das Angebot von LER als wichtigen Beitrag zur pluralistischen und werteorientierten Bildung ansehen. Innerhalb der politischen und gesellschaftlichen Diskussion wurde die Vereinbarkeit von LER mit dem Grundgesetz wiederholt bestätigt.
Zusammenfassung und Ausblick
LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) ist ein in Brandenburg gesetzlich vorgeschriebenes Pflichtfach, das ethische, philosophische und religionskundliche Inhalte ohne Bekenntnisbindung vermittelt. Die rechtliche Ausgestaltung steht im Einklang mit den Vorgaben des Grundgesetzes und wird durch einschlägige Rechtsprechung bestätigt. Das Fach verdeutlicht das Bestreben, den Herausforderungen einer pluralistischen Gesellschaft im Bildungsbereich begegnen zu können, ohne die individuellen Rechte der Schüler und Eltern zu beeinträchtigen. Zukünftig bleibt die Weiterentwicklung von LER vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und rechtlicher Veränderungen ein Thema der bildungspolitischen Debatte.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtliche Grundlage hat das Fach LER in Deutschland?
Das Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) besitzt seine rechtliche Grundlage insbesondere in den Schulgesetzen der jeweiligen Bundesländer. Federführend ist dabei das Brandenburgische Schulgesetz (§ 9 BbgSchulG), da LER hauptsächlich in Brandenburg eingeführt wurde. Hier wird LER als ordentliches Unterrichtsfach definiert, das gleichwertig neben dem Religionsunterricht steht. Auf Bundesebene unterliegt die Einführung und Ausgestaltung von Unterrichtsfächern, darunter auch LER, dem sogenannten Kulturhoheit der Länder (Art. 7 GG – Grundgesetz; Art. 30 GG). Das bedeutet, jedes Bundesland kann eigenständig entscheiden, wie ethische und religiöse Themen im Unterricht behandelt werden. Im Falle Brandenburgs wurde LER als verpflichtendes Ersatzfach für den klassischen Religionsunterricht eingeführt und ist damit Teil des verbindlichen Stundenplans an öffentlichen Schulen geworden. Dies wurde mehrfach gerichtlich bestätigt, zuletzt durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das die Verfassungsmäßigkeit von LER bejaht hat, solange das Fach weltanschaulich neutral gestaltet ist und der Religionsunterricht in freiwilliger Form angeboten wird.
Inwiefern ist das Fach LER mit dem Grundgesetz vereinbar?
Das Fach LER wurde insbesondere unter dem Blickwinkel des Grundgesetzes auf Konformität überprüft. Zentral ist dabei Art. 7 Abs. 3 GG, laut dem Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen ist. Durch die Einführung von LER als ordentliches Fach in Brandenburg stand die Frage im Raum, ob dadurch verfassungsmäßige Rechte beschnitten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bestätigt, dass LER mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sofern es weltanschaulich neutral unterrichtet wird und Eltern sowie Schülern weiterhin die Möglichkeit eröffnet wird, freiwillig am konfessionellen Religionsunterricht teilzunehmen (Beschluss vom 31. Mai 2006, 1 BvR 1003/02). Das Modell in Brandenburg, bei dem LER Pflichtfach und konfessioneller Religionsunterricht freiwilliges Zusatzangebot ist, erfüllt diese Anforderungen und respektiert sowohl die staatliche Neutralität als auch die Religionsfreiheit.
Müssen Schüler am LER-Unterricht verpflichtend teilnehmen?
Nach den schulrechtlichen Vorschriften des Landes Brandenburg – dem einzigen Bundesland, in dem LER als Pflichtfach etabliert ist – sind alle Schüler öffentlicher Schulen (ab Klassenstufe 5) grundsätzlich zur Teilnahme am LER-Unterricht verpflichtet. Nur wer sich stattdessen für den freiwilligen Religionsunterricht entscheidet, kann dadurch von der Teilnahme am LER-Unterricht befreit werden. Dies muss jedoch schriftlich beantragt werden und die Befreiung betrifft in der Regel nur die Stunden des LER-Unterrichts, die dann durch den entsprechenden Religionsunterricht ersetzt werden. In anderen Bundesländern ist LER als eigenes Pflichtfach in dieser Form nicht etabliert, daher gelten dort andere Bestimmungen, die sich meist auf den klassischen Ethik- oder Religionsunterricht beziehen.
Welche Mitspracherechte haben Eltern im Hinblick auf LER?
Eltern haben nach dem Grundgesetz (Art. 6 und 7 GG) das Erziehungsrecht und ein Mitspracherecht hinsichtlich der religiösen und weltanschaulichen Bildung ihrer Kinder. Das Brandenburgische Schulgesetz sieht vor, dass die Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht auf Wunsch der Erziehungsberechtigten erfolgt (§ 9 Abs. 2 BbgSchulG). Eltern können also bestimmen, ob ihr Kind zusätzlich oder alternativ zum LER-Unterricht am Religionsunterricht teilnehmen soll. Bei der Einführung und Weiterentwicklung des Faches LER sind Eltern im Rahmen der Schulkonferenz und schulischen Mitbestimmungsorgane vertreten und können so Einfluss auf die Ausgestaltung und Umsetzung nehmen. Darüber hinaus bestehen jedoch keine individuellen Ausnahmerechte, die das generelle Teilnahmegebot an LER außer Kraft setzen könnten.
Wer darf den LER-Unterricht erteilen und wie ist die Lehrerausbildung geregelt?
Lehrkräfte, die LER unterrichten, unterliegen den Ausbildungs- und Qualifikationsanforderungen des jeweiligen Landesrechts, in Brandenburg entsprechend den landesspezifischen Lehramtsordnungen. Die Ausbildung beinhaltet ein speziell auf LER ausgerichtetes Lehramtsstudium, das Inhalte aus den Bereichen Ethik, Philosophie, Religionswissenschaft, Gesellschafts- und Sozialwissenschaften umfasst. Ergänzend sind regelmäßige Fortbildungen vorgeschrieben, um die weltanschauliche Neutralität und Aktualität der Unterrichtsinhalte zu gewährleisten. Relevant ist ferner, dass Lehrkräfte zur Vermittlung eines neutralen, pluralistischen Weltbilds verpflichtet sind, was auch durch regelmäßige Evaluationen und die Vorgaben in den Rahmenlehrplänen überprüft wird.
Hat die Benotung im LER-Unterricht rechtliche Auswirkungen?
Da LER als reguläres Unterrichtsfach geführt wird, ist es versetzungsrelevant und benotet. Die gesetzlichen Vorgaben zur Leistungsbewertung und Zeugnisausstellung sind identisch mit denen anderer Fächer (§ 52 BbgSchulG für Brandenburg). Die Benotung, die in LER erfolgt, muss nachvollziehbar, objektiv und transparent sein. Bestehen Zweifel an der Bewertung oder fühlt sich ein Schüler ungerecht behandelt, können rechtliche Schritte eingeleitet werden – im ersten Schritt auf schulischer Ebene durch Widerspruch oder im weiteren Verlauf durch ein Beschwerdeverfahren bei der Schulaufsichtsbehörde. Grundsätzlich muss die Notengebung jedoch den pädagogischen und rechtlichen Leitlinien entsprechen, insbesondere der staatlichen Neutralität und dem Diskriminierungsverbot.
Sind Befreiungen vom LER-Unterricht aus religiösen Gründen möglich?
Rein juristisch gibt es keine grundsätzlichen Befreiungen vom LER-Unterricht allein aufgrund religiöser Überzeugungen, da das Fach als weltanschaulich neutral ausgestaltet ist und somit keine Diskriminierung oder Bevorzugung einzelner religiöser Gruppen stattfinden soll. Dennoch ist eine Befreiung dann zulässig, wenn der Schüler stattdessen am ordentlichen Religionsunterricht einer Religionsgemeinschaft teilnimmt (§ 9 Abs. 2 BbgSchulG). Darüber hinausgehende Ausnahmeregelungen bedürfen eines besonderen Antrags, der triftige und konkret belegte Gründe nachweisen muss. Über solche Anträge entscheiden die zuständigen Schulleitungen im Rahmen der geltenden Gesetze, wobei stets das Kindeswohl und die Neutralitätsverpflichtung des Staates zu beachten sind.