Legal Lexikon

Lehrvertrag


Begriffsbestimmung und rechtliche Einordnung des Lehrvertrags

Der Lehrvertrag ist ein zentrales Element des dualen Berufsausbildungssystems im deutschsprachigen Rechtsraum und stellt eine besondere Form des privatrechtlichen Vertrags dar. Sein Zweck ist die Begründung eines rechtlich geregelten Ausbildungsverhältnisses zwischen einer ausbildenden Stelle, meistens ein Unternehmen, und einer auszubildenden Person. Der Lehrvertrag regelt alle wesentlichen wechselseitigen Rechte und Pflichten während der Zeit der Berufsausbildung und bildet somit die Grundlage für die qualifizierte Berufsausbildung in zahlreichen Gewerben und Berufen.

Wesentliche Merkmale des Lehrvertrags

Vertragsparteien

Der Lehrvertrag wird zwischen dem Ausbildungsträger (meist vertreten durch einen Betrieb) und dem Auszubildenden abgeschlossen. Ist der Auszubildende minderjährig, bedarf es zusätzlich der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter.

Rechtsnatur des Lehrvertrags

Der Lehrvertrag ist im Rechtssystem Deutschlands ein Unterfall des Dienstvertrags gemäß §§ 611 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), im österreichischen Recht richtet sich der Lehrvertrag nach den Bestimmungen des Berufsausbildungsgesetzes (BAG). Der Vertrag unterscheidet sich vom herkömmlichen Arbeitsvertrag insbesondere durch die vorrangige Zweckbestimmung der Vermittlung beruflicher Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen des Ausbildungsberufsbildes.

Schriftform und Vertragsinhalt

Der Lehrvertrag muss gemäß § 11 Absatz 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) in Deutschland in schriftlicher Form abgeschlossen werden. Gleiches gilt nach dem österreichischen BAG. Der Vertrag muss insbesondere folgende Inhalte ausdrücklich regeln:

  • Art, sachliche und zeitliche Gliederung sowie Ziel der Berufsausbildung
  • Beginn und Dauer des Ausbildungsverhältnisses
  • Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte
  • Dauer der regelmäßigen täglichen Ausbildungszeit
  • Dauer der Probezeit
  • Zahlung und Höhe der Ausbildungsvergütung
  • Dauer des Urlaubs
  • Voraussetzungen, unter denen der Vertrag gekündigt werden kann

Fehlt einer der gesetzlich vorgeschriebenen Vertragsbestandteile, ist der Lehrvertrag zwar nicht nichtig, jedoch müssen die Parteien nachbessern und die fehlenden Bestandteile ergänzen.

Pflichten der Vertragsparteien

Pflichten des Ausbildenden

Zu den zentralen Pflichten des ausbildenden Betriebs zählen:

  • Vermittlung der beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten gemäß Ausbildungsordnung
  • Führen von Ausbildungsnachweisen (Berichtsheft)
  • Angemessene Vergütung und Urlaub
  • Fürsorgepflicht und Gewährleistung des Gesundheitsschutzes
  • Freistellung für den Besuch der Berufsschule

Pflichten des Auszubildenden

Der Auszubildende verpflichtet sich insbesondere:

  • Aktive Teilnahme an der Berufsausbildung
  • Sorgfältige Ausführung ihm übertragener Arbeiten
  • Führen des Ausbildungsnachweises
  • Befolgung betrieblicher Ordnungsvorschriften

Dauer und Beendigung des Lehrvertrags

Probezeit

Zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses ist eine Probezeit von mindestens einem und höchstens vier Monaten gesetzlich vorgeschrieben. Innerhalb dieser Zeit kann der Vertrag von beiden Parteien ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden.

Ordentliche und außerordentliche Kündigung

Nach Ablauf der Probezeit ist eine ordentliche Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen, außer in wenigen gesetzlich geregelten Fällen (§ 22 BBiG). Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist jedoch jederzeit möglich. Nach der erfolgreich absolvierten Abschlussprüfung endet das Ausbildungsverhältnis automatisch, spätestens jedoch mit Ablauf der vereinbarten Ausbildungsdauer.

Beendigung durch erfolgreiche Abschlussprüfung

Mit Ablegen der Abschlussprüfung endet das Ausbildungsverhältnis im Regelfall unabhängig vom ursprünglich vereinbarten Vertragsende.

Schutzvorschriften und Rechtsfolgen bei Vertragsverstößen

Der Auszubildende genießt weitreichende Schutzvorschriften. Verstöße gegen die Vorschriften des BBiG, zum Beispiel fehlende oder zu niedrig bemessene Vergütung, führen zu entsprechenden gesetzlichen Konsequenzen und können durch die zuständigen Aufsichtsstellen (z.B. Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern) geahndet werden.

Lehrvertrag im internationalen Kontext

Obgleich der Lehrvertrag in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach ähnlichen Grundsätzen geregelt ist, sind länderspezifische Unterschiede in den gesetzlichen Grundlagen und der Ausgestaltung der Vertragsinhalte zu beachten.

Besonderheiten in einzelnen Berufsgruppen

Für bestimmte Berufsgruppen (z. B. im Handwerk oder freien Berufen) bestehen zusätzliche branchenspezifische Regelungen zu den Inhalten und Modalitäten des Lehrvertrags.

Bedeutung des Lehrvertrags für das Ausbildungssystem

Der Lehrvertrag stellt das Fundament des dualen Ausbildungssystems dar. Durch die vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsbetrieb und Auszubildendem wird eine strukturierte Vermittlung praktischer und theoretischer Kenntnisse sichergestellt, die eine qualifizierte Berufsausübung ermöglicht und den betrieblichen Nachwuchs gewährleistet.


Fazit:
Der Lehrvertrag ist ein essenzielles Rechtsinstrument für die Durchführung der Berufsausbildung im dualen System. Er unterliegt detaillierten gesetzlichen Vorschriften, die sowohl den Auszubildenden als auch den Ausbildungsbetrieb umfassend schützen und deren Rechte sowie Pflichten klar regeln. Bei Streitigkeiten oder Unklarheiten empfiehlt es sich, die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und zuständigen Stellen zu konsultieren, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sicherzustellen.

Häufig gestellte Fragen

Wann beginnt und endet die rechtliche Bindung eines Lehrvertrags?

Die rechtliche Bindung eines Lehrvertrags beginnt in der Regel mit der schriftlichen Unterzeichnung durch beide Vertragsparteien – also den Lehrbetrieb und die auszubildende Person (bzw. deren gesetzlichen Vertreter bei Minderjährigen). Im Regelfall ist die Wirksamkeit jedoch vom Eintritt weiterer formeller Anforderungen abhängig, insbesondere der Zustimmung oder Genehmigung durch die zuständige Kammer (zum Beispiel Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer) gemäß § 11 BBiG. Im Augenblick dieser Bestätigung besteht für beide Seiten die rechtliche Verpflichtung, die sich aus dem Vertrag ergebenen Rechte und Pflichten einzuhalten. Der Lehrvertrag endet grundsätzlich durch Zeitablauf, also mit Beendigung der vereinbarten Ausbildungsdauer, spätestens jedoch mit Bestehen der Abschlussprüfung (§ 21 BBiG). Vorzeitige Beendigungen sind nur im Rahmen der gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten zulässig, etwa bei außerordentlicher Kündigung nach § 22 BBiG.

Welche gesetzlichen Mindestinhalte muss ein Lehrvertrag enthalten?

Laut § 11 Berufsbildungsgesetz (BBiG) muss ein Lehrvertrag bestimmte Mindestangaben aufweisen, um rechtlich wirksam zu sein. Dazu gehören unter anderem die Art, sachliche und zeitliche Gliederung sowie Ziel der Berufsausbildung, die Beginn- und Endzeitpunkte der Berufsausbildung, die Dauer der regelmäßigen täglichen Ausbildungszeit, die Höhe der Ausbildungsvergütung, die Dauer des Urlaubs, Angaben zu Probezeit, Kündigung und zu den Pflichten beider Vertragspartner. Die Verpflichtung zur schriftlichen Niederlegung ist ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben; etwaige Ergänzungen wie Hinweise auf geltende Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen sind üblicherweise fakultativ, aber empfohlen.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen zur vorzeitigen Auflösung des Lehrvertrags?

Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) regelt die Kündigungsmöglichkeiten eines Lehrvertrags explizit. Während der Probezeit kann der Lehrvertrag von beiden Seiten ohne Angabe von Gründen gekündigt werden (§ 22 Abs. 1 BBiG), es besteht also ein jederzeitiges, fristloses Kündigungsrecht. Nach der Probezeit ist eine ordentliche Kündigung grundsätzlich ausgeschlossen; es kann nur aus wichtigem Grund fristlos (außerordentlich) gekündigt werden, wobei der Grund im Kündigungsschreiben anzugeben ist (§ 22 Abs. 2 BBiG). Einen Sonderfall bildet die Kündigung durch den Auszubildenden zur Aufgabe der Berufsausbildung oder zur Aufnahme einer anderen Ausbildung, die mit einer Frist von vier Wochen erfolgen kann. Im Falle unrechtmäßiger Kündigungen sind arbeitsrechtliche Schritte möglich, wie Klagen vor der zuständigen Kammer oder Arbeitsgericht.

Welche Konsequenzen hat ein Verstoß gegen die Formvorschriften beim Lehrvertrag?

Kommt ein Lehrvertrag nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform zustande oder fehlen zwingende Mindestinhalte, ist zwar regelmäßig das Ausbildungsverhältnis als solches dennoch wirksam, soweit beide Parteien es tatsächlich durchführen. Rechtlich gesehen handelt es sich dann jedoch um einen Formmangel, der nach § 11 Abs. 2 BBiG entschärft wird, indem die Nachholung der Schriftform jederzeit verlangt werden kann. Allerdings können sich hieraus Beweisprobleme im Streitfall ergeben; zudem drohen dem Ausbildungsbetrieb ordnungsrechtliche Konsequenzen wie Bußgelder (§ 102 BBiG). Die Berufsschule kann ohne schriftlichen Vertrag den Auszubildenden gegebenenfalls nicht aufnehmen.

Wer haftet für Schäden, die während der Ausbildung entstehen?

Im Rahmen eines bestehenden Lehrvertrags greifen die allgemeinen Regelungen der arbeitsrechtlichen Haftung. Der Ausbildungsbetrieb haftet grundsätzlich für Schäden, die seine Auszubildenden während der betrieblichen Tätigkeit verursachen, sofern diese im Rahmen der Ausbildung geschehen sind. Für vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden durch den Auszubildenden kann jedoch eine persönliche Haftung eintreten. Unternehmen sind zur Absicherung verpflichtet, und Auszubildende sind über die gesetzliche Unfallversicherung wie reguläre Arbeitnehmer abgesichert (§§ 2, 7 SGB VII). Ansprüche Dritter können über eine Betriebshaftpflichtversicherung abgedeckt werden.

Welche Pflichten haben die Vertragsparteien aus rechtlicher Sicht?

Die Hauptpflicht des Ausbildungsbetriebs besteht im Vermitteln der im Ausbildungsrahmenplan festgelegten Kenntnisse und Fertigkeiten im jeweiligen Berufsbild (§ 14 BBiG). Daneben ist der Betrieb verpflichtet, die Ausbildungsmittel bereitzustellen, die Vergütung zu leisten und die Rechte der Auszubildenden auf Urlaub, Freizeit sowie Berufsschule zu gewährleisten. Die Auszubildenden wiederum sind zur Lernbereitschaft, zum Befolgen betrieblicher Anweisungen und Wahrung von Betriebsgeheimnissen verpflichtet (§ 13 BBiG). Gesetzliche Schutzvorschriften – wie Arbeitszeitregelungen für Jugendliche (§§ 8-10 JArbSchG) oder Mutterschutz (MuSchG) – sind zwingend einzuhalten.

Welche rechtlichen Folgen hat eine vorzeitige Beendigung des Lehrvertrags für das Ausbildungsverhältnis?

Wird der Lehrvertrag aus rechtlichen Gründen vorzeitig beendet (durch Aufhebungsvertrag oder wirksame Kündigung), so enden sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Ausbildungsvertrag mit dem Zugang der Beendigungs­erklärung oder dem vereinbarten Aufhebungszeitpunkt. Dem Auszubildenden steht grundsätzlich ein Zeugnis über die bis dahin absolvierte Ausbildungszeit zu (§ 16 BBiG). Wird die Beendigung einseitig und rechtswidrig vollzogen, sind arbeitsrechtliche Nachwirkungsansprüche sowie ggf. Schadensersatzansprüche möglich, falls dadurch Nachteile für eine weitere Ausbildung oder den Eintritt ins Berufsleben entstehen.

Welche Rolle spielt die Eintragung des Lehrvertrags bei den zuständigen Kammern?

Die Eintragung des Lehrvertrags bei den zuständigen Kammern (Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer usw.) stellt aus rechtlicher Sicht eine materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die Durchführung der Ausbildung dar (§ 35 BBiG). Erst nach erfolgter Eintragung und Prüfung der Vertragsinhalte auf Gesetzeskonformität ist der Ausbildungsvertrag vollumfänglich gültig, und der Auszubildende erlangt Zugang zu Prüfungen und weiteren Rechten im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes. Ein Verstoß gegen die Eintragungspflicht kann zur Unzulässigkeit der Ausbildung führen und ist ordnungswidrig, was Bußgelder zur Folge haben kann.