Begriff und Grundlagen der Kriegsverbrechen
Kriegsverbrechen sind schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die im Zusammenhang mit internationalen oder nicht-internationalen bewaffneten Konflikten begangen werden. Sie stellen eine besonders gravierende Form rechtswidriger Handlungen dar, die sowohl Einzelpersonen als auch ganze Einheiten betreffen können. Kriegsverbrechen sind Gegenstand internationaler Strafverfolgung und tragen wesentlich zur Entwicklung des internationalen Strafrechts bei.
Definition und Abgrenzung
Kriegsverbrechen werden als Handlungen definiert, die gegen das Recht der bewaffneten Konflikte (Humanitäres Völkerrecht) verstoßen und aufgrund ihrer Schwere und Natur nicht mit den üblichen Kriegsaktionen gerechtfertigt werden können. Im Unterschied zu anderen völkerrechtlichen Delikten – etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord – beziehen sich Kriegsverbrechen stets auf eine Verbindung zu einem bewaffneten Konflikt.
Rechtsquellen der Kriegsverbrechen
Internationale Abkommen und Übereinkommen
Die rechtliche Grundlage für Kriegsverbrechen bilden verschiedene internationale Verträge und Übereinkommen:
- Die vier Genfer Abkommen von 1949 und ihre Zusatzprotokolle von 1977 und 2005 enthalten zahlreiche Bestimmungen zu Gräueltaten in Konflikten und definieren spezifische Verletzungen als Kriegsverbrechen.
- Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (Römisches Statut, 1998) legt eine umfassende Liste von Kriegsverbrechen fest und regelt deren strafrechtliche Verfolgung auf internationaler Ebene.
- Die Haager Landkriegsordnung von 1907 bildet eine der wesentlichen Grundlagen für das Kriegsvölkerrecht.
Gewohnheitsrecht und nationale Normen
Neben vertraglichen Regeln sind viele völkerrechtliche Gebote und Verbote auch als Gewohnheitsrecht anerkannt. Viele Staaten haben die relevanten Normen zudem in ihre nationale Gesetzgebung übernommen, um die Ahndung von Kriegsverbrechen zu gewährleisten.
Tatbestandsmerkmale von Kriegsverbrechen
Objektive Voraussetzungen
Zur Beurteilung einer Tat als Kriegsverbrechen müssen objektive Kriterien erfüllt sein:
- Die Handlung muss während eines bewaffneten Konflikts erfolgt sein (unabhängig davon, ob dieser international oder national ist).
- Es muss sich um eine schwerwiegende Verletzung des humanitären Völkerrechts handeln, die international als strafbar anerkannt ist.
- Die Tat muss vorsätzlich begangen worden sein.
Subjektive Voraussetzungen
Der Täter muss mit direktem Vorsatz gehandelt haben; bloße Fahrlässigkeit reicht meist nicht aus. Darüber hinaus kann auch die Verantwortung von Vorgesetzten oder Befehlshabern für Taten ihrer Untergebenen relevant sein (Befehlsverantwortlichkeit).
Typische Kriegsverbrechen im Überblick
Zu den umfassend anerkannten Kriegsverbrechen zählen insbesondere:
- Mord an Zivilpersonen oder Kriegsgefangenen
- Folter und unmenschliche Behandlung
- Gehäufte Angriffe auf zivile Objekte, wie Krankenhäuser, Schulen oder Wohngebiete
- Geiselnahme
- Sexuelle Gewalt, insbesondere Vergewaltigung im Kontext von bewaffneten Konflikten
- Einsatz verbotener Waffen (etwa chemische, biologische oder bestimmte Explosivwaffen)
- Plünderungen und die Zerstörung von Eigentum ohne militärische Notwendigkeit
Diese Delikte sind im Römischen Statut und den Genfer Abkommen detailliert aufgeführt.
Verantwortlichkeit und individuelle Strafverfolgung
Individualisierung der Verantwortung
Das Prinzip der Individualstrafbarkeit bedeutet, dass Einzelne für von ihnen begangene oder angeordnete Kriegsverbrechen persönlich zur Verantwortung gezogen werden können. Dies schließt Soldaten, Offiziere, politische und militärische Führungspersonen ein. Die Immunität staatlicher Organe kann für die Verfolgung von Kriegsverbrechen eingeschränkt werden.
Befehlsverantwortlichkeit
Nach dem Konzept der Kommandeurs- oder Vorgesetztenverantwortung können auch diejenigen haftbar sein, die als Vorgesetzte von den Kriegsverbrechen hätten wissen und diese verhindern oder bestrafen müssen.
Verantwortungsdurchbrechung: „Befehl von oben“
Das Argument des Handelns auf Befehl ist nach internationalem Recht keine Rechtfertigung für Kriegsverbrechen, kann mitunter aber strafmildernd wirken.
Internationale Strafverfolgungsmechanismen
Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)
Der IStGH in Den Haag ist das wichtigste permanente Organ zur Verfolgung von Kriegsverbrechen. Er verfolgt insbesondere Einzelpersonen, wenn Staaten selbst keine effektiven Maßnahmen ergreifen. Zuständigkeit besteht für Verbrechen, die nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden.
Ad-hoc-Strafgerichte
Zusätzlich zum IStGH wurden in der Vergangenheit Ad-hoc-Gerichte eingerichtet, um Kriegsverbrechen zu ahnden, etwa für das frühere Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR).
Nationale Strafverfolgung
Viele Staaten haben nationale Gesetze, die die Verfolgung und Ahndung von Kriegsverbrechen ermöglichen. Das sogenannte Weltrechtsprinzip erlaubt es, schwere Verbrechen unabhängig vom Tatort und der Nationalität der Täter zu verfolgen.
Sanktionen und Strafen
Für Kriegsverbrechen sind lebenslange Freiheitsstrafen bis hin zu langjährigen Freiheitsentzügen üblich. Die genaue Strafzumessung richtet sich nach der Schwere der Tat, den Umständen und der Rolle des Täters.
Ausschluss von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen
Im Bereich der Kriegsverbrechen gelten strenge Maßstäbe. Insbesondere können Notstands-, Verteidigungs- oder Befehlsnotstandslagen nur in engen Ausnahmefällen Berücksichtigung finden. Häufig sind Kriegsverbrechen von vornherein nicht durch mildernde Umstände entschuldbar.
Kriegsverbrechen und das humanitäre Völkerrecht
Das humanitäre Völkerrecht, insbesondere kodifiziert in den Genfer Abkommen und dem Haager Recht, hat das Ziel, die Auswirkungen von Kriegen für Zivilisten, Verwundete und Kriegsgefangene zu mildern. Die Nichtbeachtung dieser Regeln zieht völkerrechtliche Verantwortung und internationale Strafverfolgung nach sich.
Bedeutung der Verfolgung von Kriegsverbrechen
Die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen dient nicht nur der individuellen Rechenschaft, sondern auch der Prävention weiterer Verbrechen und der Stärkung des internationalen Rechtsfriedens. Die konsequente Ahndung ist Voraussetzung für nachhaltige Gerechtigkeit in Nachkriegsgesellschaften und wichtigen Bestandteil der Aufarbeitung bewaffneter Konflikte.
Dieser Artikel liefert einen umfassenden Überblick zu Kriegsverbrechen im Sinne des internationalen Rechts, ihrer Einordnung, Verantwortlichkeit und Verfolgung. Die behandelten Aspekte geben Orientierung für das Verständnis und die Anwendung dieses zentralen Begriffs im Kontext des humanitären Völkerrechts und des internationalen Strafrechts.
Häufig gestellte Fragen
Wie werden Kriegsverbrechen vor internationalen Gerichten verfolgt?
Kriegsverbrechen werden vor internationalen Gerichten wie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) oder ad-hoc-Tribunalen wie dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und das Internationale Strafgericht für Ruanda (ICTR) verfolgt. Die Ermittlungen können durch die Anklagebehörde der jeweiligen Gerichte, durch Staaten, den UN-Sicherheitsrat oder in bestimmten Fällen durch Opfer eingeleitet werden. Nachdem Beweise gesammelt und Verdächtige identifiziert wurden, werden individuelle Verfahren eröffnet. Internationale Gerichte sind zuständig, wenn nationale Justizsysteme nicht willens oder in der Lage sind, selbst zu ermitteln oder zu bestrafen (Komplementaritätsprinzip). Der Ablauf entspricht dem völkerrechtlichen Standard eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens mit Anklage, Verteidigung und richterlicher Entscheidung. Die Urteile genießen Durchsetzungskraft via internationale Haftbefehle und können auf die Zusammenarbeit mit Vertragsstaaten angewiesen sein. Die Exekutierung von Urteilen obliegt meist ebenfalls den Vertragsstaaten.
Welche Strafen drohen bei der Verurteilung wegen Kriegsverbrechen?
Die Sanktionen für Kriegsverbrechen richten sich nach der Schwere und individuellen Schuld des Täters. Laut Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) können Freiheitsstrafen bis zu 30 Jahren, in besonders schweren Fällen sogar lebenslange Haft verhängt werden. Weitere Sanktionsmöglichkeiten sind Geldstrafen und die Einziehung von Vermögenswerten, die aus dem Vergehen resultieren. Das Strafmaß orientiert sich auch an der Position des Verurteilten, der Beteiligungsform (zum Beispiel Befehlshaberhaftung), dem Ausmaß des verursachten Schadens und etwaigen Milderungsgründen wie Geständnis oder Reue. In vielen nationalen Rechtssystemen sind ähnliche Strafrahmen vorgesehen. Eine Todesstrafe sieht das IStGH-Statut ausdrücklich nicht vor.
Welche Rolle spielt die Befehlskette bei der Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen?
Im Völkerrecht gilt die Prinzipien der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit und der sogenannten Befehlshaberhaftung („command responsibility“). Das bedeutet, dass nicht nur die unmittelbaren Täter von Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, sondern auch Kommandanten oder übergeordnete Vorgesetzte, wenn sie wissentlich solche Taten befohlen, angeregt oder geduldet haben. Eine Verantwortlichkeit liegt auch dann vor, wenn ein Vorgesetzter aufgrund der Umstände hätte wissen können, dass untergebene Kräfte Kriegsverbrechen begehen, und er nicht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung oder Bestrafung ergriffen hat. Die Untersuchung und Feststellung solcher Kausal- und Wissenszusammenhänge ist regelmäßig Kernpunkt internationaler Strafverfahren.
Können auch Nicht-Staatliche Akteure wegen Kriegsverbrechen belangt werden?
Ja, internationale Straftribunale und der IStGH können auch nicht-staatliche Akteure, zum Beispiel Anführer bewaffneter Gruppen oder einfache Kämpfer von nichtstaatlichen Parteien, belangen. Das Völkerstrafrecht unterscheidet nicht nach der rechtlichen Eigenschaft des Täters als Angehöriger regulärer Streitkräfte oder irregulärer Gruppen. Entscheidend ist, dass die betreffenden Handlungen im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt stehen und spezifische Tatbestandsmerkmale eines Kriegsverbrechens erfüllen. Nicht-staatliche Akteure sind daher grundsätzlich unabhängig von ihrer formellen Stellung vor internationalen Gerichten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Welche Beweismittel sind in Verfahren wegen Kriegsverbrechen zulässig?
Zur Überführung von Straftätern vor internationalen Gerichten werden zahlreiche Beweismittel herangezogen: Augenzeugenberichte, Fotos, Videoaufnahmen, Satellitenbilder, elektronische Kommunikationsdaten, DNA-Spuren, forensische Gutachten und Expertisen. Auch Dokumente, zum Beispiel militärische Befehle oder Einsatzprotokolle, zählen dazu. In internationalen Verfahren gelten zum Teil abweichende Beweisregeln von nationalen Systemen; so kann unter bestimmten Bedingungen anonymer Zeugenschutz gewährt werden oder Beweise, die außerhalb von Gerichtsgebäuden erhoben wurden (zum Beispiel in Kriegsgebieten), anerkannt werden, sofern ihre Authentizität feststellbar ist. Gerichte müssen stets die Rechte der Verteidigung gewährleisten und die Zulässigkeit sowie Glaubwürdigkeit der Beweise umfassend prüfen.
Welche Bedeutung haben völkerrechtliche Verträge wie die Genfer Konventionen für die Verfolgung von Kriegsverbrechen?
Völkerrechtliche Verträge wie die Genfer Konventionen von 1949 und deren Zusatzprotokolle bilden die zentrale rechtliche Grundlage für die Verfolgung von Kriegsverbrechen. Sie definieren völkerrechtliche Mindeststandards im bewaffneten Konflikt und listen explizit Handlungen auf, die als „schwere Verstöße“ gelten und somit Kriegsverbrechen darstellen, darunter etwa Angriffe auf Zivilisten, Folter, Geiselnahme oder die Misshandlung von Kriegsgefangenen. Vertragsstaaten sind verpflichtet, derartige Verbrechen innerstaatlich zu verfolgen oder an internationale Gerichte auszuliefern (Universalitätsprinzip). Die Bestimmungen der Genfer Abkommen sind zum Teil auch im Gewohnheitsrecht verankert und binden daher nicht nur Vertragsstaaten, sondern oft auch nicht-staatliche Akteure.